Kaus | Die Schwestern Kleh | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 20, 344 Seiten

Reihe: edition fünf

Kaus Die Schwestern Kleh


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-942374-55-2
Verlag: edition fünf
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 20, 344 Seiten

Reihe: edition fünf

ISBN: 978-3-942374-55-2
Verlag: edition fünf
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Gouvernante blickt zurück auf die Jugend ihrer Zöglinge, der Töchter des Juweliers Kleh in Wien. Mit beiden hat es ein tragisches Ende genommen ... Die Schwestern Irene und Lotte sind einander liebevoll zugetan. Dabei könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Während Irene prädestiniert scheint für ein Leben als Ehefrau und Mutter, träumt die temperamentvolle Lotte zwar von der Liebe, möchte aber vor allem Schauspielerin werden und die Welt bereisen. Bei Irenes Verlobung begegnen sich der Bräutigam und die schöne Lotte zum ersten Mal. Und sie verlieben sich auf den ersten Blick unsterblich ineinander. Auf Drängen der Gouvernante verleugnen beide ihre Gefühle und gehen getrennte Wege - doch das Schicksal nimmt seinen Lauf. Elegant erzählt Gina Kaus ein Liebesdrama voller Verstrickungen und Lebenslügen. Dabei spannt sie ihren Bogen von der Jahrhundertwende bis zur Weltwirtschaftskrise. Ein lebendiges Porträt der 'Neuen Frau' des frühen 20. Jahrhunderts.

Gina Kaus (1893-1985), Wienerin, gehört zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autorinnen der zwanziger Jahre. Sie schrieb Theaterstücke und Romane und führte das verwegene Leben einer 'Neuen Frau'. 1933 wurden ihre Bücher von den Nazis verbrannt und 'Die Schwestern Kleh' mussten in Amsterdam erscheinen. 1938 kehrte sie Europa den Rücken und zog nach Los Angeles, in Hollywood wurden ihre Werke erfolgreich verfilmt.

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2
Im Laufe meines Lebens haben sich die sogenannten »Altersgrenzen« gewaltig verschoben. In meiner Mädchenzeit galt eine dreißigjährige Frau für verblüht, und jetzt findet keiner was dabei, wenn eine fünfzigjährige öffentlich Shimmy tanzt. Für die Fünfzigjährigen ist das sicher kein Vorteil. Sie versäumen es, rechtzeitig das Alter zu erlernen – denn erlernt will es sein, erlernt und geübt wie alles, was schwer ist. Verzichten und Beiseitetreten und Platzmachen, das will gelernt sein, und auch die Freuden des Alters – es sind ihrer gar nicht wenige –, auch diese Freuden kommen nicht im Sturm über die Seele wie die Freuden der Jugend, sondern man findet sie, wenn man nichts anderes mehr zu tun hat, in den Winkeln des eigenen Lebens, wo sie geduldig gewartet hatten, bis man selbst geduldig wurde … Man kann die Haare färben und die Falten fortoperieren lassen, um ein junges Gesicht vorzutäuschen, und man kann durch unermüdliches Training auch als Großmutter die Gestalt eines jungen Mädchens bewahren, und man kann sich auch als solches benehmen. Meinetwegen sogar als solches fühlen – wenn alles rundherum in Ordnung ist und kein schmerzliches Erlebnis die Seele auf ihre wahre Jugendlichkeit erprobt. Denn was nützen Schminke und gymnastische Übungen, wenn die Seele nicht mehr die Kraft hat, einen erlittenen Schlag zu verwinden und zu verarbeiten? Das allein ist es, woran man die Jugend untrüglich erkennt: dass sie Bitteres und Böses nicht bloß erträgt, sondern dass sie von Bösem wie von Gutem bereichert und gekräftigt wird. Was Lotte bei der Hochzeit ihrer Schwester empfunden hat, das weiß ich nicht, ich habe niemals mit ihr darüber gesprochen. Während all die vielen Menschen bei uns waren, Verwandte und Freunde, und ich bald nach den Erfrischungen, bald nach Irenes Koffern zu sehen hatte, kam ich kaum dazu, einen flüchtigen Blick auf sie zu werfen. Ich war schon zufrieden, dass niemand mir sagte, sie mache sich durch irgendetwas auffällig. – Als ich sie aber zwei Tage später, nachdem auch Frau Wagner abgereist und die Ruhe im Hause wieder hergestellt war, aufmerksam prüfend ansah – da wunderte ich mich, dass keine, aber auch nicht die allerleiseste Spur der durchlebten Aufregungen auf ihrem blühenden Gesichtchen zu sehen war. »Ich muss doch endlich daran denken, etwas zu werden«, sagte sie, »ich möchte jetzt gern zehn Stunden am Tag arbeiten und dann noch die halbe Nacht dazu.« In einer jungen Seele setzt sich der Schmerz in Kraft um und die Kraft will sich betätigen. Aber für Herrn Klehs Tochter war es nicht so leicht, sich zu betätigen, wie für ein junges Mädchen von heute. Herrn Klehs Familie hatte hundertfünfzig Jahre lang im selben Hause gelebt, die Söhne hatten das Handwerk des Vaters erlernt, und die Töchter hatten anderer braver Leute Söhne geheiratet – und wenn Herr Kleh auch in menschlichen Dingen durch seine große Güte manches Vorurteil überwinden konnte, so schien es ihm doch ein Ding der Unmöglichkeit, dass seine Tochter etwas so Extravagantes würde, wie es damals, 1915, eine Studentin immerhin noch war. »Eine Frau soll imstande sein, ihr Brot zu verdienen – für den Fall, dass sie niemanden hat, der für sie sorgt«, sagte er, als wir eines Abends zu dritt diese Frage besprachen, »keiner weiß, was das Leben bringt, und schon gar nicht in Kriegszeiten. Suche dir einen Beruf aus, erlerne, was dazu nötig ist – aber geh nicht in die Kreise jener Frauen, die wie die Männer leben und um jeden Preis auf sich selbst gestellt sein wollen, denn ich glaube nicht, dass eine Glückliche unter ihnen ist.« Lotte dachte sehr ernsthaft nach und sagte dann: »Natürlich möchte ich am liebsten Schauspielerin werden, das weißt du ja. Aber ich möchte auch gern Medizin studieren und eine ganz große, berühmte Ärztin werden. Oder sonst irgendwas anfangen, wobei ich mir vorstellen kann, dass ich’s ganz weit darin bringe. Aber etwas lernen, bloß für den Fall, dass ich keinen Mann kriege – siehst du, Vater, da würde mir von allem Anfang an der rechte Schneid fehlen.« Es ist wohl Herrn Kleh kein Vorwurf daraus zu machen, dass er Lotte nicht verstand. Es ging ihm eben auf anderem Gebiet genauso wie mir mit Irene: Auch in Lotte war, auf rätselhafte Weise, der Geist der neuen Zeit gefahren und machte sie der älteren Generation unverständlich. »Sie ist ein wenig überspannt«, sagte Herr Kleh, als Lotte zu Bett gegangen war, »und es ist überhaupt ein Unglück für alle unsere jungen Mädchen, dass sie durch den Krieg keinen rechten gesellschaftlichen Umgang mit jungen Männern haben. Es ist ja leider wirklich wahr, dass die ›Blüte der männlichen Jugend‹ im Felde ist – sofern sie nicht schon zerschossen ist. Was so ein Mädchen zu sehen bekommt, das sind für ihre Augen Greise, Halbkrüppel oder Urlauber, die nichts wollen als ein schnelles Verhältnis. Da ist es verständlich, dass ihnen die Lust vergeht, ans Heiraten zu denken …« Auch Lisbeth Winterfeldt beteiligte sich an diesen Besprechungen. »Lassen Sie das Kind doch ausbilden«, sagte sie, »Talent ist eine Kraft, und jede Kraft, die nicht in fruchtbare Arbeit umgesetzt wird, zerstört. Ich kenne Albert Heine vom Burgtheater. Er hat eine Schauspielschule. Dort wäre Lottchen so sicher aufgehoben wie in einem Kloster.« »Das Theaterleben ist so gefährlich …«, sagte Herr Kleh. »Alles ist gefährlich. Und die Ehe ist am gefährlichsten, denn da geht es gleich um den ganzen Einsatz.« (Das habe ich erst später verstanden, als ich einen tieferen Einblick in Lisbeths eigene Ehe bekam.) »Und eine normale bürgerliche Ehe bietet viel zu wenig Ventile für Lottes Temperament. Sie würde ihre Ehe oder die Ehe würde sie zerstören.« Solche Argumente waren nichts für Herrn Kleh. Er dachte an seine Schwester und wie sie seinerzeit mit allen Mitteln den Kampf um Rollen und Erfolg gekämpft hatte. Lisbeth meinte, auch dieser Kampf sei doch schließlich gut ausgegangen, aber Herr Kleh schüttelte den Kopf: »Sie hat niemals ihr seelisches Gleichgewicht gefunden«, sagte er. Wenn wir allein waren, entwickelte er mir seinen Lieblingsplan: Wenn der junge Ott aus dem Felde käme oder der junge Roeder (Vinzenz Uhl, der Sohn seines besten Freundes, war ja leider vor drei Monaten gefallen), einen von diesen beiden sollte Lotte zum Manne nehmen. Beide waren brave, strebsame junge Leute, geeignet, in Herrn Klehs Geschäft einzutreten und ihm den fehlenden männlichen Erben zu ersetzen. Das Geschäft, in eineinhalb Jahrhunderten aufgebaut, würde seinen Nachkommen erhalten bleiben, und diese Nachkommen sollten hier, in unserem Hause, geboren und erzogen werden … »Und wir beide hätten nichts von der Einsamkeit des Alters zu fürchten.« Ich fühlte, wie mir das Blut zu Kopfe stieg, weil er von uns beiden wie von einem Elternpaar sprach. Aber zum Glück sieht man es auf alten faltigen Gesichtern nicht, wenn sie die Farbe wechseln. Hätte ich damals lieber energisch meinen Standpunkt verfochten! Aber es war mir nicht gegeben, Herrn Kleh zu widersprechen. Und so blieb alles halb, was mit Lotte geschah – das heißt, es geschah weiter überhaupt nichts, als dass ihre Höhere-Töchter-Ausbildung weitergeführt wurde. Waren bisher eine Französin und eine Engländerin zweimal in der Woche zur Konversation gekommen – so ging Lotte von nun an in eine öffentliche Sprachschule, wo sie auch Grammatik und Pädagogik erlernen und schließlich ein Staatsexamen ablegen konnte. Der Violinlehrer, den sie längst überflügelt hatte, wurde mit Professor Rechenmacher vertauscht – ein vorzüglicher alter Musiker, aber ein durchaus unfähiger Pädagoge, weshalb er auch seine Stellung im Konservatorium verloren hatte: Ein Greis, rührend in seiner Liebe zu den großen klassischen Komponisten, ein völlig verarmter, enttäuschter Mann, der den größten Teil der Stunden damit zubrachte, die Geschichte aller erlittenen Ungerechtigkeiten zu erzählen. Dass es Lotte überhaupt bei ihm aushielt, kam daher, dass er auch eine Ahnung von Gesang hatte und einige Mozartpartien mit ihr durchnahm – allerdings ohne die nötige Stimmausbildung, so dass er ihr in dieser Richtung wahrscheinlich mehr schadete als half. Mit all dem hatte Lotte einen ziemlich ausgefüllten Tag, eine Menge Beschäftigungen – aber nichts, was sie selbst innerlich erfüllt und beschäftigt hätte. Herr Kleh wünschte nicht, dass wir in Gesellschaft gingen, solange der Krieg währte, schließlich war Lotte knapp sechzehn und hatte Zeit. Irene schrieb beinahe täglich. Die meisten Briefe waren an Lotte gerichtet, aber ich habe sie alle zu lesen bekommen. Das Auffälligste an diesen Briefen war, dass von Alexander am wenigsten darin die Rede war. Von...


Gina Kaus (1893-1985), Wienerin, gehört zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autorinnen der zwanziger Jahre. Sie schrieb Theaterstücke und Romane und führte das verwegene Leben einer "Neuen Frau". 1933 wurden ihre Bücher von den Nazis verbrannt und "Die Schwestern Kleh" mussten in Amsterdam erscheinen. 1938 kehrte sie Europa den Rücken und zog nach Los Angeles, in Hollywood wurden ihre Werke erfolgreich verfilmt.



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