Kemp | Londoner Triptychon | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 232 Seiten

Kemp Londoner Triptychon


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86300-184-1
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 232 Seiten

ISBN: 978-3-86300-184-1
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



London verspricht Freiheit und Vielfalt wie nur wenige andere Städte der Welt. Jonathan Kemp erzählt, wie drei Männer zu verschiedenen Zeiten versuchen, dieses Freiheitsversprechen einzulösen: Jack Rose im Jahr 1894, Colin Read im Jahr 1954, und ein anonymer David 1998. Die Stadt bietet jedem von ihnen einen überwältigenden Lebensraum, und doch scheitern sie am Ende an sich selbst, oder besser gesagt: an der Liebe. Denn die Liebe war in ihrem Leben nicht vorgesehen.

Jack Rose ist ein 'Pupenjunge', eine kleine Tunte, die in einem Jungenbordell den Gentlemen der besseren Gesellschaft zu Diensten ist. Dort verkehren auch Lord Alfred Douglas und Oscar Wilde, und zwischen Wilde und Jack entwickelt sich so etwas wie Freundschaft. Jack erlebt zum ersten Mal, was er nie für möglich gehalten hätte: er ist eifersüchtig auf die anderen Jungs, mit denen sich sein Freier vergnügt, und das wird für Wilde zum Verhängnis.

Hundert Jahre später kommt David als 'Flüchtling' aus der Provinz in ein London, das nicht mehr als Zentrum eines Weltreichs, sondern durch ein überwältigendes Nachtleben der Parties, Klubs und Drogen glänzt. Auf der Suche nach sich selbst will er vor allem eins: die Langeweile der Normalität überwinden und jemand ganz anderes werden. Als Stricher und Darsteller von Pornofilmen gelingt ihm das eine Zeitlang recht gut.

Zwischen diesen beiden lebt Colin Read zu einer Zeit, als Presse und Polizei ihre Hexenjagd auf Schwule zu wahren Exzessen steigern; fast jede Woche berichten die Zeitungen von neuen Verhaftungen. Er lernt früh, keine eigenen Wünsche jenseits konformer Wohlanständigkeit zuzulassen. Nach dem Tod seiner Eltern leistet er sich die kleine Extravaganz, einen jungen Mann als Model in seinem privaten Atelier zu beschäftigen. Diese Konfrontation mit einem Menschen, der in allem sein genaues Gegenteil ist, bringt seine Lebenslüge zum Einsturz.

Jonathan Kemp verschränkt diese drei Lebensgeschichten zu einem großen Epos auf das Leben und die Liebe im Sinne des als Motto vorangestellten Wilde-Zitats: Der Mensch erlebt seinen erhabensten Moment, wenn er im Staub kniet, sich an die Brust klopft und die Sünden seines Lebens erzählt. Sein Roman wurde 2011 vom Londoner Author's Club mit dem First Novel Award ausgezeichnet.

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1998 Diese Nacht ist der Ausgangspunkt meines Aufbruchs in ein anderes Leben. Meine Haft ist morgen zu Ende, doch wenn ich daran denke, was mich hierhergebracht hat, ist mein Kopf noch voller Fragen. Ich würde das alles so gern hinter mir lassen, wenn ich morgen früh hinausspaziere, aber so, wie ich es mit mir hereingebracht habe, werde ich es mitnehmen, wenn ich gehe. Die Vergangenheit erdrückt mich. Ich balanciere auf einem Drahtseil hoch oben durch die Luft, Angst und Panik befallen mich, und unter mir ist kein Sicherheitsnetz gespannt. Ich wage weder nach unten zu blicken noch zurück. Was vor mir liegt, weiß ich nicht. Doch ich muss versuchen, das alles zu begreifen. Von allen Menschen sollst wenigstens du mich verstehen. Schließlich bin ich deinetwegen im Gefängnis gelandet. Aber eine der vielen Lektionen, die ich hier drinnen gelernt habe, lautet: Die Dinge sind, wie sie sind, und was kommt, das kommt. Ich schreibe dies für dich, Jake. In der kurzen Zeit, die ich dich kannte, habe ich nicht viel von meiner Vergangenheit geredet. Nur der Augenblick zählte – das machte unser Beisammensein so besonders; über dem Hier und Jetzt unserer Körper vergaßen wir unser sonstiges Leben. Natürlich haben wir uns unterhalten, aber dabei ging es nicht um unsere Kindheit und das, was früher war. Ich habe alles getan, um meine Vergangenheit zu vergessen, und es gefiel mir sehr, dass du nichts davon wissen wolltest. Ich schreibe dies für dich, egal, ob du es einmal lesen wirst oder nicht. Natürlich schreibe ich es auch für mich, aber aus vollkommen anderen Gründen. Als Kinder spielten mein älterer Bruder und ich zusammen mit anderen oft am Eingang eines Eisenbahntunnels für Güterzüge. Das Spiel hieß Hosenscheißer; dazu stellten wir uns auf die Schienen, wenn der Zug auf uns zusauste – eine endlose Schlange großer rostiger Metallcontainer –, um zu sehen, wer zuerst Angst bekam. Ich habe immer gewonnen, war immer der Letzte, der noch stand, während der Zug näher und näher heranstampfte. Die anderen rannten schon früher zur Seite, doch ich blieb mit klopfendem Herzen stehen. Ich kann mich noch erinnern, wie sich die Vorderseite des Zugs verdunkelte, wenn er vom Sonnenlicht in den finsteren Schlund des Tunnels fuhr. Erst dann rannte ich weg. Mit Tapferkeit hatte das nichts zu tun. Ich brauchte keinen Mut dazu, denn es war mir egal, ob der Zug mich zerfetzen würde. Die Vorstellung, wie mein Fleisch sich über die Front der Lok verteilte, gab mir einen besonderen Kick. Schon damals, als ich noch jung war, war Gefahr für mich ein Mittel gegen die Langeweile. Zu dieser Zeit fehlte es mir an nichts. Ich bekam jedes Spielzeug, das ich mir wünschte, ich musste nicht hungern, genoss Zuneigung und Sicherheit, und meine Eltern schlugen mich nicht und vergaßen nie meinen Geburtstag. Sie zeigten mir ihre Liebe auf jede denkbare Weise – oder falls sie mich nicht liebten, dann kannten sie ihre Pflicht und täuschten sie vor. Sie waren gute Eltern und ich ein guter Junge, ein Engel – ich machte keinen Unfug, geriet nicht in schlechte Gesellschaft und war immer höflich. Ich war nicht deshalb gut, weil mir daran lag; es war nun einmal einfacher als alles andere. Nichts war mir wichtig, schon gar nicht die Realität. Fernsehen, Bücher und – vor allem – Musik waren meine Drogen, und in ihrem Rausch schuf ich mir meine eigene Welt, eine Welt, die mir etwas bedeutete. In dem kleinen Dorf, in dem ich zu leben verdammt war, hatte nichts eine Bedeutung. Die Leute um mich her lebten ihr Leben, als wären sie mit einem Fuß an den Boden genagelt, sie liefen unaufhörlich im Kreis herum und nannten das Heimat. Wir lebten nicht nur in Reihenhäusern, wir führten ein Reihenleben. Ich wollte da raus. Gerade haben sie das Licht ausgemacht. Ich höre, wie mein Zellennachbar im Bett unter mir einschläft und zu schnarchen beginnt. Es wird nicht lange dauern, dann schnarcht er lauter als eine Kettensäge, und ich beneide ihn um die Wohltat des Vergessens. Er stammt aus Hornchurch, hat einen Wagen gestohlen. Er ist noch nicht lange genug hier, dass wir uns anfreunden konnten. Ich habe versucht, irgendwelche Gemeinsamkeiten zu finden, aber jedes Gespräch scheitert an Meinungsverschiedenheiten und unserer Unfähigkeit, uns auszudrücken. Wahrscheinlich werde ich ihn niemals wiedersehen, und wahrscheinlich werde ich heute Nacht kein Auge zutun. Zu viele Erinnerungen drängen sich in meinen Kopf und kämpfen um meine Aufmerksamkeit. Als ob es was nützen würde, in der Vergangenheit rumzustochern. Als Kind hatte ich immer ziemlich genau das getan, was man von mir erwartete, und deshalb glaubten alle, das würde auch so bleiben. Am Abend, bevor ich meine Hauptfächer für die Mittelstufe auswählen musste, entwarf mein Vater die Landkarte meiner Zukunft. Er wusste genau, wie ich den Rest meines Lebens verbringen sollte, doch das öde Terrain, das er vor mir ausbreitete, trieb mich zur Verzweiflung. Er wünschte mir eine sichere Zukunft, deshalb sollte ich Buchhalter oder wenigstens irgendwie Geschäftsmann werden. Ein sicherer Beruf, geordnet und mit gutem Einkommen. Mein Vater war nicht nur beruflich, sondern auch aus Berufung Bankbeamter, und was er an diesem Abend zu mir sagte, klang genauso, als würde er einen Darlehensantrag ablehnen. Die Fächer, die ich liebte – Kunst und Literatur –, wurden gar nicht erst in Betracht gezogen, dafür verordnete er mir so verhasste Fußfesseln wie Mathematik und Wirtschaft, Physik und Chemie. Ich nickte zu allem, was er sagte, und die Enge meiner Zukunft bedrückte mich. Als mein Vater ein Baby war, klebte seine Mutter ihm die Ohrmuscheln an den Kopf, wenn er in seinem Bettchen schlief, damit sie nicht umklappten und später abstehen würden. Manchmal kam es mir vor, als wäre das Klebeband niemals abgenommen worden und hinderte ihn noch heute daran zu hören, was ich sagte. Jeden Morgen beim Frühstück dieselbe Routine: Er schnitt von einer Banane zwanzig Scheiben auf sein Müsli, und wenn nach diesen zwanzig Scheiben noch ein Stummel übrig war, sah er ganz unglücklich aus, weil er nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Meine Mutter streckte dann die gewölbte Hand aus, und er legte den Stummel hinein. Falls man ihn jemals nach seiner Lebensphilosophie fragen sollte, würde er mit Sicherheit antworten, Gewohnheit sei der einzige Weg zum Glück, oder immerhin zum Erfolg. Meine Mutter war auf ihre Weise verklebt. Aus allumfassender Sehnsucht nach einem bequemen Leben war sie unfähig, meinem Vater auch nur in Kleinigkeiten zu widersprechen. Ein verklemmterer Mensch ist mir bis heute nicht begegnet. Sie starb drei Monate nachdem ich hier gelandet war. Krebs. Bis heute habe ich darüber keine Träne geweint. Ich habe wegen vieler Dinge geweint, meistens meinetwegen, aber nicht über sie. Nur ein Mensch hat mich hier besucht. Ein alter Kunde, inzwischen mehr ein Freund – Gregory. Das letzte Jahr ist er regelmäßig gekommen, fast wie mein Beichtvater. Ich sagte ihm, dass ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie hätte, und er meinte, ich sollte ihnen schreiben. Das tat ich, denn ich war mir sicher, dass sie nicht umgezogen waren, seitdem ich fort war. Der erste Brief meines Vaters enthielt die Nachricht vom Tod meiner Mutter. Was meine Schulfächer betraf, so blieb mir wohl keine andere Wahl, als allem zuzustimmen – oder zumindest so zu tun. Von diesem Tag bis zu den Prüfungen zwei Jahre später führte ich ein Doppelleben, um mich über die Runden zu retten. Durch Lügen überwand ich die Langeweile, sie waren das Tor, durch das ich in eine Welt kriechen konnte, in der ich Luft zum Atmen fand. Für meine Umwelt – und, in erster Linie, für meine Eltern – gab ich den perfekten Schüler. Obwohl ich die Fächer hasste, die sie mir aufgedrängt hatten, war ich mir bewusst, dass gute Leistungen in der Schule der beste Weg zu einem bequemen Leben waren, im Augenblick zumindest. Also verbrachte ich die Tage mit Mathe und Wirtschaft und die Nächte mit meinen Freunden – und das waren keine Leute, die meinen Eltern gefallen hätten. Phil, mit dem ich zur Schule ging, arbeitete damals in einem kleinen Bistro in einem schicken Stadtteil, dort wusch er von sieben bis zwölf Uhr Mitternacht Geschirr, sieben Nächte die Woche. Unter dem Vorwand, auch dort zu arbeiten, konnte ich jeden Abend lange wegbleiben. Dad gefiel es, dass ich mich nicht scheute zu arbeiten. Doch statt meine Zeit mit fettigem Geschirr und heißer Seifenlauge zu verbringen, fuhr ich in Wirklichkeit zum Golfplatz, wo ich Leute traf, mit denen man bis zur Besinnungslosigkeit trinken und kiffen konnte. Einer von ihnen war Spike, ein Muskelpaket mit Glatze, dessen Stiefvater die meiste Zeit im Gefängnis verbrachte und dessen Mutter viel zu fertig war, um sich um ihn zu kümmern. Manchmal klaute er ein Auto und fuhr mit uns zum Saddleworth Moor. Er war mit einem Opfer der Morde verwandt, die Mitte der 60er in der Gegend verübt wurden, und zeigte uns dann die Stelle, wo das tote Mädchen angeblich vergraben wurde. Johnny, Spikes Cousin, hatte lange Haare und trug AC/DC-T-Shirts. Sein älterer Bruder war Dealer und verfügte jederzeit über einen scheinbar unerschöpflichen Vorrat an Dope und LSD....



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