E-Book, Deutsch, 132 Seiten
Kiefer DANTES BAR
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95765-739-8
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vierundzwanzig Geschichten
E-Book, Deutsch, 132 Seiten
ISBN: 978-3-95765-739-8
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In Kneipen und Bars kehrt sich das Innere gerne entspannt nach außen - in freilich zahlreichen Verkleidungen. Dantes Bar bietet dafür die wohlbereitete Bühne. Für einen Zauberer auf den Spuren des Glücks oder einen, der in Maßkrüge meditiert, auch ein streitendes Paar, das sich verbissen und wortreich zu Opas Waffenkammer aufmacht, eine verführerische Treuetesterin, sogar für Gevatter Tod. In Peter Kiefers Panoptikum tummeln sich schnorrende, kunstbeflissene, schlafgestörte, liebeswunde Frauen genauso wie Möchtergernbankräuber, Beziehungsflüchter, Flashmobber, revolverfuchtelnde Bibelleser. Selbst ein ganzes Haarbüschel in der Suppe verdirbt keineswegs den Gaumenspaß. Denn in Dantes Bar kippen die Abende (gar vom Alkohol unterstützt?) ein wenig aus dem alltäglichen Gleichgewicht.
Peter Kiefer, geb. 1951, studierte Philosophie und Soziologie in Berlin, arbeitete zunächst als Familientherapeut, dann als Kulturjournalist, Feature-Autor und Moderator im Hörfunk. Von ihm erschienen diverse Erzählbände und Beiträge in Literaturmagazinen. Und in der p.machinery.
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Eine Frau, ein Mann, dann noch ein Mann
Dante kennt das. Frauen zum Beispiel kramen einen kleinen Spiegel aus ihrer Tasche, zupfen an den Augenbrauen (eine Alibihandlung), öffnen den Mund, zeigen ihre gewölbte Zunge und laden auf diese Weise in ihr feuchtes Inneres ein. Männer haben etwas Verbissenes. Wenn ihre Augen erst einmal am Objekt ihrer Begierde haften bleiben, sucht dieser Tunnelblick auf penetrante Art das Licht am anderen Ende. Weil es jedoch selten aufleuchtet, treten sie irgendwann seufzend den Weg zur Toilette an. Liebeshunger ist ein Massenphänomen und kann deshalb auch in Dantes Bar häufig beobachtet werden. Dante hätte manchmal Lust, zwei einsame Herzen miteinander zu verkuppeln, quasi eine Abkürzung zu nehmen und sie mit den Augen an einen Platz an der Theke zu lotsen. Sie säßen dann wie zufällig nebeneinander und würden zwangsläufig eine Unterhaltung beginnen. Dante würde ihnen dezent die Drinks hinüberreichen und mit einem Ohr den Gesprächsvignetten auf dem kurvenreichen Weg ins Bett lauschen. Heute, Dienstag, ist in der Bar erfahrungsgemäß wenig los. Wolke hat ihren freien Tag und Dante bedient auch an den Tischen. Eine Frau erscheint. Sie wirkt unentschlossen, schwankt, ob sie sich an einen der Tische setzen soll oder lieber an den Bartresen. Schließlich entscheidet sie sich für Letzteren. Dante setzt sein routiniertes Lächeln auf, in dem immer etwas freundlicher Spott liegt, und fragt, was sie trinken möchte. Sie lässt ihren Blick weiter unschlüssig umherschweifen. Ein Bier, sagt sie schließlich. Was denn für eins? Irgendeins, is egal. Man spürt ihren inneren Druck. Aus ihrer Tasche holt sie ein Handy, wirft nur einen kurzen Blick darauf und legt es wieder in die Tasche zurück. Dann fängt sie an zu schluchzen. Dante hat ihr vorsichtshalber ein kleines Glas eingefüllt und stellt es ihr nun mit besorgter Miene hin, hält aber den Mund. Er weiß, dass Leute in einer solchen Situation am wenigsten fremdes Mitleid ertragen. Sie wollen ungesehen bleiben oder zumindest daran glauben, dass niemand sie in diesem Moment registriert, auch wenn alle ringsum es bereits tun. Sie hält sich jetzt an diesem Glas fest, als könne sie sich wieder irgendwie erden. Dann setzt sie es an ihre Lippen und trinkt es in einem Zug aus. Folgen ein bekräftigendes Schnauben und ein kleiner Fingerzeig, dass sie ein weiteres Glas haben will. Ihre Augen glänzen. Da entdeckt sie unmittelbar neben dem Regal mit den Spirituosen und daher nur aus einem spitzen Winkel sichtbar eine eingerahmte Zeitungsannonce, die, erkennbar an der Schrift, älteren Datums ist. Geworben wird für die Uhr einer bekannten Marke und der Text lautet: Fast so schön wie eine Frau, tickt aber richtig. Wolke, ihres Zeichens Feministin, hatte das mal hingehängt und an den unteren Rand ein Zettelchen geklebt: Tickst du auch so? Der Zettel ist irgendwann abgefallen, das Foto der Anzeige hängt immer noch da. Niemandem scheint das aufgefallen zu sein oder man findet es für sich betrachtet kurios genug, um es weiter auszustellen. Ich sag dir mal was, sagt die Frau jetzt unvermittelt zu Dante, als der zufällig genau vor ihr steht, und sie klingt dabei so, als hätte sie ihn gerade am Schlafittchen gepackt. Frauen haben einen anderen Kompass. Der führt uns zu Orten, von denen ihr gar nichts ahnt. Ihr seid keine Träne wert, keine einzige. Und wenn doch ein paar fließen, dann nur, weil wir euch bedauern. Hast du gehört – bedauern! Weil ihr gar nicht kapiert, wohin die Reise geht. Ihr fahrt wie auf Schienen. Immer im selben Takt. Und genauso tickt ihr. Wie eine Spielzeugeisenbahn, wie eine Uhr, immer im Kreis. Die Frau zeichnet ein paar Kreise in die Luft. Euch wird nicht schwindelig davon, euch doch nicht, ihr kennt es nicht anders. Aber uns brummt davon der Schädel. Deshalb versuchen wir, euch aus eurer dämlichen Kreisbahn zu locken, wir stellen uns quer. Und … komm, mach mir noch’n Bier, aber ‘n großes, ja? Sie kämpft schon wieder mit den Tränen. Und einen Birnengeist, ‘nen doppelten. Ein Mann, der wohl mitgehört hat, was kaum zu überhören war, setzt sich neben sie. Hallo, sagt er und drängt sich einfach auf, ich bin Robert. Sie sieht ihn kaum von der Seite an, sagt nichts weiter. Dafür er: Nur weil du das erzählt hast – er zeichnet ebenfalls Kreise in die Luft –, ich, jetzt lach nicht, habe mal in einer Handballmannschaft gespielt und war dort Kreisläufer. Schon immer hat sie es gehasst, wenn Leute wie er jetzt über ihren eigenen Humor kichern. Cheers, sagt Robert und hält ihr sein Bierglas zum Anstoßen hin. Immerhin hebt sie ihr Glas kurz an, stellt es aber ebenso schnell wieder ab und belässt es bei einem angestrengten Blick ins Leere. Einer hat Sie verlassen, nicht wahr?, sagt er. Was geht Sie das an?, erwidert sie schwach. Mich hat auch jemand verlassen. Zwei Tage ist das jetzt her. Keine Ahnung, wie ich damit klarkommen soll. Er gibt Dante ein Zeichen. Noch ein Bier, heißt das. Als er sich wieder zu ihr hinwendet, blickt sie ihm voll in die Augen. Ich bin Sophie, sagt sie und es scheint offenkundig, dass Roberts Geständnis sie beeindruckt hat. Gleiches Leid verbindet. Trotzdem könnte dies, von ein paar freundlichen Verrenkungen abgesehen, schon alles gewesen sein. Aber es ist auch nicht ausgeschlossen, dass es der Anfang zu etwas ist, dessen Ende dann leicht absehbar wäre. Dante beobachtet das Geschehen mit gelassener Neugierde. Als er Robert das frisch gezapfte Bier hinstellt und Sophie den doppelten Birnengeist, haben sich deren Gesichter bereits ein Stück weit angenähert. Nicht so, dass gleich eine intime Berührung bevorsteht, eher in der Art von Ach-Sie-waren-auch-schon-mal-in-Turkmenistan. Stoff zum Erzählen scheint jedenfalls vorhanden. Und Robert erzählt seine Geschichte, erzählt, wie ein Vater seiner Tochter Rosamunde den Liebhaber und möglichen Ehemann, eben Robert, abspenstig zu machen versucht hat. Ohne Erfolg. Der Vater nimmt den sozusagen direkten Weg, er bietet Robert eine bestimmte Summe, wenn er sich von Rosamunde trennen würde. Auch das hilft nichts. Weiter geht es damit, dass dieser Vater für Rosamunde einen neuen Liebhaber aussucht, einen Günstling in seiner Firma. Der macht sich dann mit der Rückendeckung seines Chefs an sie ran, teure Einladungen, Blumenbukette, ist aber chancenlos. Doch auch Robert wirft sich jetzt ins Zeug, glaubt ebenfalls, etwas beweisen zu müssen, teure Einladungen, Blumen – und fällt auf die Schnauze. Rosamunde liebt nur die Einfachheit und treibt es jetzt in ihrer Mansardenwohnung mit einem Langzeitstudenten der Romanistik. Ist das zu fassen? Sophie weiß nicht, was sie von Roberts Geschichte halten soll. Hat er sie gerade erfunden? Gibt es diese Rosamunde überhaupt? Rosamunde – allein der Name! Sophie beschränkt sich auf ein paar Ahs und Ohs. Doch als Robert sagt: Dabei wollte ich doch nur …, den Satz abbricht und nun mit den Tränen ringt, gewinnt er letztlich doch Sophies Mitgefühl. Egal, wie viel Wahrheit in seiner Geschichte steckt, er ist unglücklich. Sie legt ihre Hand auf seine Schulter, eine ebenso Unglückliche. Dante glaubt, der Weg allen Fleisches sei nun bereitet. Aber es geschieht etwas, mit dem sicher niemand gerechnet hätte, auch Sophie nicht. Ein Mann betritt nämlich die Bar. Als Sophie ihn bemerkt, schaltet sie sogleich alles andere aus. Es scheint ein magischer Moment zu sein und mehr noch, plötzlich scheinen auch die Gäste in der Bar davon eingenommen, sie verstummen für ein paar Sekunden. Langsam erhebt sich Sophie, man fühlt sich an eine Traumwandlerin erinnert. Dabei fasst sie sich in die Seitentasche ihrer Hose, zieht einen Geldschein heraus und legt ihn auf die Theke. Wie nebenbei. Die Augen des Mannes saugen sie vollkommen auf. Er ist keine auffällige Erscheinung, sieht man von seinen blonden, etwas verwirbelten Haaren ab, die nach verschiedenen Seiten abstehen und den Eindruck erwecken, als sei er gerade aus dem Bett gestiegen. Ehe sie ihn erreicht, hat er sich bereits wieder zur Tür gewandt, wohl um anzudeuten, dass sie ihm nach draußen folgen soll. Das tut sie und alle im Raum verfolgen die Szene interessiert mit. Kurz danach setzen die Gespräche wieder ein. Und werden sehr rasch erneut unterbrochen. Denn von draußen hört man Stimmen, offenbar die von Sophie und dem Mann von eben. Es wird laut und handelt sich unzweifelhaft um einen Streit. Ein kurzer Schrei ertönt. Dante will nachsehen, was vor seiner Bar sich abspielt. Gerade ist er hinter der Theke hervorgekommen, als Sophie, angestrengt lächelnd, wieder erscheint. Mit schnellen Schritten geht sie zu ihrem Barhocker von vorhin zurück, dem neben Robert, der nicht weiß, was er nun mit der Frau genau anstellen soll. Sein schauspielerisches Talent hat er zuvor an ihr bereits abgearbeitet und der Name Rosamunde, eine Stegreifgeburt, ist ihm inzwischen eher peinlich. Die Gäste in der Bar aber warten darauf, was sich zwischen den beiden nun entspinnen wird. Dante macht das ganz richtig, indem er die Musik, die nur im Hintergrund dudelt, jetzt etwas lauter dreht, sodass die Lauscher und Gaffer allmählich das Interesse verlieren. Robert und Sophie schielen jeweils unschlüssig zum anderen hinüber, bis Robert sagt: Er scheint ein sturer Bock zu sein. Was? Dein Freund oder was er ist. Ich meine, er erscheint hier auf der Bildfläche, saugt dich geradezu auf, um dir draußen zu verkünden, dass er zwar nicht ohne dich leben kann, dir bei deinen Wünschen aber keinen Schritt entgegenkommen wird. Das treibt dich wieder zur Verzweiflung. Immerhin weißt du jetzt endgültig...