E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Partially Ordered Systems
Kincaid Ein Hund zu Weihnachten
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-641-27866-3
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Partially Ordered Systems
ISBN: 978-3-641-27866-3
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Hund lehrt die Menschen die wahre Bedeutung von Weihnachten
Der junge Todd McCray lebt bei seinen Eltern auf einer Farm in Kansas. An einem verschneiten Dezembertag hört er im Radio, dass das örtliche Tierasyl Gastfamilien sucht, bei denen Heimhunde die Weihnachtszeit verbringen können. Todd ist hellauf begeistert, aber sein Vater will nichts davon wissen. Todd muss all seine Überzeugungskunst einsetzen, und die Familie nimmt schließlich einen schwarzen Labradormischling auf, dem der Junge den Namen Christmas gibt. Doch was ist mit all den anderen Hunden im Tierheim? Werden auch sie ein Zuhause für die Weihnachtszeit finden? Diese Frage lässt Todd nicht mehr los und er hat da schon eine Idee ...
Greg Kincaid arbeitet im Hauptberuf als Rechtsanwalt. Der fünffache Vater lebt zusammen mit seiner Frau und zwei Hunden auf einer Farm in Kansas und engagiert sich bei verschiedenen sozialen Projekten und in der Tierhilfe. »Ein Hund unterm Weihnachtsbaum« ist bereits der vierte Roman über die Familie McCray und ihre Hunde.
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EINS
Ich blicke inzwischen eher zurück als in die Zukunft, lasse die Jahre vor meinem inneren Auge vorüberziehen und verweile bei den wichtigen Ereignissen in meinem Leben. Vielleicht bin ich eine Ausnahme, aber mal abgesehen von gelegentlicher Traurigkeit, wie sie jeder von uns kennt, kann ich nicht über irgendwelche größeren Enttäuschungen klagen. Ganz im Gegenteil, ich habe jede Menge schöne Erinnerungen und kann auf viele bereichernde Erfahrungen zurückblicken. Jeder von uns hat Schlüsselerlebnisse in seinem Leben. In meinem Fall war das ein auf den ersten Blick perfektes Weihnachtsfest. Vier meiner fünf Kinder, drei Jungen und eine Tochter, sind inzwischen erwachsen und stehen im Berufsleben, aber sie wohnen alle noch in der Nähe der alten Farm, die wir seit vier Generationen unser Zuhause nennen. An den Feiertagen kommen sie zurück, manchmal auch zum Abendessen, holen sich einen ungefragten Ratschlag ab, leihen sich Werkzeug aus oder sitzen einfach nur ruhig auf der Veranda, strecken ihre Beine über das Geländer und lauschen den Geräuschen der Farm, die uns auch in den schlechtesten Zeiten aufmuntern. Sie sind hier auf dem Land aufgewachsen, das mein Ururgroßvater von den Blackfoot-Indianern gekauft hat. Südlich von unserem Haus haben sich Schwertlilien über den Waldboden ausgebreitet und die Überreste seiner ersten Hütte zugedeckt. Wir haben nur gute Erinnerungen an diese Farm. Mary Ann, meine Frau, unterrichtet Englisch und Rhetorik an der Crossing Trails High School, wo alle vier Generationen der McCrays ihren Abschluss gemacht haben. Die beiden letzten Generationen wurden von einem Schulbus verwöhnt. Die beiden ersten mussten die acht Meilen hin und zurück auf dem Pferderücken zurücklegen und erzählten oft und gerne von diesen mühsamen Wegen. Und dann ist da noch Todd, mein Jüngster. An jenem Weihnachtsfest wäre er zwar alt genug gewesen, um auf eigenen Füßen zu stehen und einen Job anzunehmen wie seine Geschwister. Aber seine Unmündigkeit, eine natürliche Folge seiner Behinderung, hielt ihn zuhause bei seiner Mutter und mir. Todd sah wie jeder andere gesunde Zwanzigjährige aus, aber er hatte seinen eigenen Kopf. Man musste ihm nur zusehen oder kurz mit ihm reden, um zu merken, dass irgendetwas an ihm anders war. Wir haben in all den Jahren manchen verstohlenen Blick und so manches Geflüster hingenommen und lernten mit der Zeit, uns nichts daraus zu machen. Wir liebten unser jüngstes Kind genau so, wie es war. Er war ein Nachzügler und kam gut zehn Jahre, nachdem wir eigentlich schon mit dem Thema Windeln abgeschlossen hatten. Mary Ann, mit der ich seit beinahe vierzig Jahren verheiratet bin, quält sich mit dem Vorwurf, dass Todds Probleme mit ihrer späten Schwangerschaft zusammenhingen. Ich habe inzwischen erkannt, dass es für jede Unzulänglichkeit, die man an Todd entdecken mag, eine besondere Fähigkeit gibt, die man nicht gleich sieht. Todd hatte seine Hände immer in den Hosentaschen vergraben und schien nie genau zu wissen, in welche Richtung er gehen sollte, wenn er aus der Tür trat. Seine Kleider passten nur selten zusammen, und sein Haar, das die Farbe eines sonnengebleichten Lassos hatte, war voller Wirbel und Locken. Manchmal saß er einen ganzen Tag lang neben einer Schafherde und sah einfach nur den Tieren zu. An anderen Tagen kam er zufällig an einem Fluss vorbei und folgte ihm flussaufwärts auf der Suche nach der Quelle. Er konnte sie nie finden, was ihn aber nicht davon abhielt, es immer wieder zu versuchen. Todd liebte Malerarbeiten. Er strich jedes Gebäude an, vor das ich ihn stellte. Aber die Sache hatte einen Haken. Seine Mutter hatte Angst, dass er vergessen könnte, auf einer Leiter zu stehen, hinunterfallen und sich verletzen könnte. Wir hatten ihm streng verboten, höher als auf die dritte Sprosse zu klettern, sodass viele Streichprojekte halb vollendet blieben. Zu allem Überfluss schienen unsere Nachbarn Spaß daran zu haben, Todd ihre Farbreste zu überlassen. Auch wenn das nett gemeint war, so führte es doch selten zu harmonischen Farbergebnissen. Unsere Farm war mit Farbresten angepinselt, die andere sonst ausgemustert hätten – oft aus gutem Grund. Aber auch hier gewöhnten wir uns an die Gaffer, und niemand amüsierte sich mehr über die Außenansicht unseres Hauses als wir. Wir sagten uns immer, dass das ja nur die Vorstreichfarbe sei, die wir irgendwann übertünchen würden, aber wie so oft bei Hässlichkeiten, nahmen wir sie nach einiger Zeit gar nicht mehr wahr. Wenn Leute an unserem Haus vorbeikamen, erzählten wir stolz, dass wir das Testzentrum der Firma Todd-Farben im Mittleren Westen wären. Todd redete nicht viel, außer wenn ihm etwas sehr wichtig war. Aber er pfiff jede Melodie, die er irgendwann im Radio, seinem Freund und treuen Gefährten, gehört hatte, auswendig und falsch nach. Ich musste ihn immer bitten, die Kopfhörer abzunehmen, damit ich mit ihm reden konnte. Er folgte der Aufforderung gerne, nahm sie aber von sich aus nur ganz selten ab. Das Wichtigste in Todds Leben war seine Beziehung zu Tieren. Er kümmerte sich um sie, zog sie auf, liebte sie und lachte mit ihnen. Ich bin den ganzen Tag draußen und versorge meine Tiere. Nach Feierabend möchte ich die Arbeit hinter mir lassen, deswegen versuche ich, alle Tiere aus meinem Haus fernzuhalten. Aber wann immer ein Tier in eine Lattenkiste, einen Handwagen, einen kleinen oder einen großen Stall passte, versuchte Todd, es in unserem Schuppen oder in der Garage unterzubringen und in den meisten Fällen auch in sein Zimmer zu schmuggeln. Das war bei Eichhörnchen, Hasen und Vogeljungen in Ordnung, schwierig wurde es bei Stinktieren, Schlangen und Kröten. Darüber hinaus herrschte in Todds Zimmer immer schreckliche Unordnung, sodass sich alle möglichen Arten von ungeladenen Gästen perfekt tarnen konnten. Als er älter wurde, sah Todd endlich ein, dass er wilden Tieren ihre Freiheit zurückgeben musste. Alles andere wäre grausam gewesen. Einzige Ausnahme waren Tiere, die verletzt waren oder aus einem anderen Grund nicht für sich selbst sorgen konnten. In der Folge fand jedes verletzte, verstümmelte oder verlassene Tier aus dem ganzen Land direkt den Weg auf unsere hintere Veranda. Wir hatten kein Geld für einen Tierarzt, und so übernahm Todd diese Rolle. Er kannte keine Zurückhaltung, wenn es darum ging, telefonisch Rat einzuholen. Oft musste ich mir einiges einfallen lassen, um ihn vom Telefon fernzuhalten. Wenn es um seine Rettungsaktionen ging, war Todd äußerst hartnäckig. Selten wimmelte jemand ihn ab, weil er zu beschäftigt war. Die Leute redeten auch nicht aus Mitleid mit ihm. Vielmehr hatte Todd die Gabe, andere mit seinem Enthusiasmus anzustecken, und ehe man es begriff, war Todds Bedürfnis auch das eigene. Als Erstes rief er Jim Morton, unseren Tierarzt, an, der ihm wiederum die Nummer des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums oder des National Park Service gab, je nachdem, ob Todds aktueller Patient laufen, klettern, fliegen oder kriechen konnte. Es konnte passieren, dass man zufällig ins Zimmer kam und Todd gerade mit einem Professor für Vogelkunde an der Universität über einen gebrochenen Vogelflügel konferierte. Binnen kurzem hatte man den Eindruck, dass das gesamte amerikanische Universitätssystem Themen wie Welthungerhilfe und Quantenphysik aufgegeben hatte – schließlich war da das Problem mit Todds Vogel, dem man sofort die nötige Aufmerksamkeit widmen musste. Todd hatte seine eigene Art, die Dinge ins Rollen zu bringen. Und wenn er das tat, ließen wir alles liegen und stehen. Was diesmal kommen sollte, traf mich allerdings vollkommen unvorbereitet. An einem Nachmittag Anfang Dezember stürzte Todd mit seinem Radio in der Hand in unseren Schuppen und versuchte hektisch, eine Telefonnummer aufzuschreiben. Dann gab er mir den zerknitterten Zettel. »Die ist für einen Weihnachtshund«, sagte er. »Jetzt mal langsam, Todd. Wovon redest du?« »Das Tierheim sucht Leute, die über die Weihnachtsfeiertage einen Hund aufnehmen.« »Todd, die suchen ständig Leute, die einen Hund aufnehmen. Das ist ihre Aufgabe. Im Übrigen brauchen wir hier nicht noch ein Tier, und schon gar keinen Hund.« Wir hatten seit vielen Jahren keinen Hund mehr auf der Farm gehabt, und so sollte es meiner Meinung nach auch bleiben. Meine Gründe, warum ich keinen Hund wollte, lagen in der Vergangenheit. Es war bisher immer schlecht ausgegangen, wenn ich einen Hund in mein Leben gelassen hatte, und ich wollte es auf keinen Fall noch einmal versuchen. Ich hatte zwanzig Jahre lang Todds Brüdern und seiner Schwester den Wunsch nach einem Hund abgeschlagen und sah keinen Grund, meine Haltung nun zu ändern. »Ist ja nur über Weihnachten«, sagte Todd in einem Ton, der für seine Verhältnisse schon ziemlich streitlustig war. »Danach kann man ihn wieder zurückbringen, wenn man will. Sie haben viele Hunde, die kein Zuhause haben.« Ich schob den Zettel in meine Hosentasche und hoffte, Todd würde die Sache vergessen. Aber Todd beharrte auf dem Thema mit der ihm eigenen unschuldigen Hartnäckigkeit, die einem auf die Nerven fallen konnte und doch irgendwie auch liebenswert war. »Darf ich anrufen?«, bat er, als ich gerade gehen wollte. »Todd, es hat keinen Sinn, dort anzurufen. Wir haben das schon so oft besprochen. Es kommt kein Hund auf diese Farm. Wir müssen uns schon um so viele Tiere kümmern. Wir brauchen nicht noch mehr. Und jetzt wartet Arbeit auf uns.« Er sah mich enttäuscht an. Ich wollte ihm Zeit geben, sich mit der Entscheidung abzufinden, denn ich wusste, dass das schwer für ihn war. »Lass uns an die Arbeit...