E-Book, Deutsch, 242 Seiten
Klapheck Zur politischen Theologie des Judentums
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-86393-626-6
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 242 Seiten
ISBN: 978-3-86393-626-6
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Elisa Klapheck sucht nach den politischen Implikationen der jüdischen Theologie. Im Zentrum des Politischen steht das gewandelte Verhältnis des Menschen zu Gott. Die ersten Geschichten der Bibel präsentieren Gott noch als Despoten, der eine unbeschränkte Theokratie verlangt, während er sich später als politischer Partner des Menschen selbst an Rechtsnormen bindet. Bereits im ersten Bund mit Noah ist eine Garantie des künftigen Willkürverzichts Gottes gegenüber seinen Geschöpfen zu erkennen.
Dann wiederum beschreibt die Tora die Entstehung von Rechtsverhältnissen zwischen den Menschen. Die jüdische Version der polis ist dabei der kahal, dessen Ausweitung über die einzelne Gemeinde hinaus – anders als in der griechisch-römischen Tradition – nicht zu einer vereinheitlichenden Staatsbildung führt, sondern zur dezentralen politischen Wirklichkeit der Diaspora.
In die wechselhafte gesellschaftliche Realität muss Gott immer wieder neu integriert werden. Die talmudische Tradition fordert die tätige Selbstkorrektur des Menschen und führt nicht zu einer Relativierung des göttlichen Rechts, sondern zur Bestätigung der Tora als gesetzlicher Maßstab. Kennzeichnend für die religiös-säkulare Spannung des (rabbinischen) Judentums wird der produktive Konflikt mit Gott, der die jüdische Tradition zu einer Theologie der säkularen Gesellschaft weiterentwickelt.
Klaphecks facettenreiche Interpretationen zeigen den Reichtum dieses Traditionsbestandes, werfen Schlaglichter auf politisch-theologische Positionen aktueller Debatten. Zu Fragen nach Ausgestaltung des egalitären Rechtsstaats, im Blick auf die Stadt als Paradigma des Politischen, zu Diskussionen um die Bundesstaatlichkeit der EU liefert die jüdische politische Theologie erstaunliche Anstöße. Die Diaspora avanciert zum Vorbild einer pluralistischen Globalisierung und sogar die prinzipielle Begründung von Frauen- und Minderheitenrechten kann aus dem Ideenreservoir des Judentums begründet werden. Sie beweist eine bemerkenswerte Relevanz für die Orientierung in gegenwärtigen politischen Krisen.
Autoren/Hrsg.
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Vorwort
Zur politischen Theologie des Judentums
Die in diesem Band versammelten sieben Essays zeichnen anhand der Hebräischen Bibel, des rabbinischem Schrifttums (Talmud, Midrasch) und des zeitgenössischen jüdisch-religiösen Denkens wesentliche Aspekte einer politischen Theologie des Judentums in ihrer Aktualität nach. Die Aufsätze sind über mehrere Jahre in unterschiedlichen Kontexten entstanden. In ihrem Zusammenspiel eröffnet sich die besondere theologische Perspektive, die ich als politisch bewusste Rabbinerin einem am Judentum interessierten Publikum nahebringen möchte. Nach dieser Lesart entsteht die politische Theologie des Judentums aus dem produktiven Konflikt des Menschen mit Gott. Die Tora ist danach keine Schrift, die vom Menschen bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes verlangt, sondern in der die Menschen in einem Aushandlungsprozess mit Gott immer wieder Räume der weltlich-politischen Gestaltung erringen – einer Gestaltung, die jedoch stets auch an Gott rückgebunden wird. Den rabbinischen Schriften zufolge lässt Gott sich auf die neuen Anforderungen ein. Zwar will er eine theokratische Diktatur – doch will er sie zugleich auch nicht. Deshalb müssen die Menschen mit Gott ringen. Dadurch entsteht ein politischer Raum, durch den erst Gott gestalterisch an der menschlichen Gesellschaft mitzuwirken vermag. Das jüdisch-rabbinische Schrifttum ist Zeugnis des fortwährenden Ringens und Streitens um die Rückbindung Gottes in die Gestaltung der Welt. Das „Politische“ ist zunächst, aristotelisch verstanden, das Paradigma des Verhandelns und gemeinsamen Entscheidens – hier zunächst mit Gott, gespiegelt im Weiteren in den Handlungen und Gesetzen der Menschen. Das „Politisch-Theologische“ ist die Auffassung von einem Gott, der zum Politischen fähig ist – der also nicht in einer Theokratie seine höchste Wirkung findet, sondern im Aushandlungsprozess mit den Menschen seine Geltung erlangt. Es geht daher um eine Spannungsbeziehung, in der Gott mit den Menschen ringt, aber doch immer wieder neu die Beziehung mit ihnen eingeht – und auch umgekehrt, in der den Menschen immer wieder die Rückbindung an Gott gelingt. Die religiös-politische Herausforderung besteht dabei darin, Gott in die säkularen Lebenswelten einzubeziehen. Diese jüdische Lesart für eine politische Theologie lässt sich auf vielen, gerade heute relevanten Feldern anwenden – beispielsweise einer politischen Analyse der fünf Bücher Mose, einer Auseinandersetzung mit der rabbinischen Einstellung zu säkularen Entwicklungen, dem Rechtsstaat, der multireligiösen Gesellschaft, ethischen und sozialen Herausforderungen, dem Verhältnis der Religion zu wirtschaftlicher Modernisierung, den Frauenrechten, etc. Alle sieben Aufsätze sind theologische Deutungen, die gleichwohl Bezüge zu den politischen Krisen der Gegenwart enthalten (Demokratie, Globalisierung, Pluralismus, Geschlechterkonflikte usw.). 1)Gott und die Polis. Eine biblisch-politische Deutung Hier wird, ausgehend von Jeremias Aufforderung: „Betet für das Wohl der Stadt“, das Verhältnis Gottes zur Stadt im Lichte der aristotelischen Vorstellung von „Politik“ analysiert, die sich an der polis, das heißt dem städtischen Gemeinwesen orientiert. Der Aufsatz fokussiert vor allem auf das erste Buch Mose. Der Mensch ringt mit Gott um einen Raum der Autonomie, repräsentiert durch die Stadt. Die verschiedenen problematischen Städte (Kain/Chanoch – Babel – Sodom – die Wüstenstadt Beer Schewa) bilden jeweils Herausforderungen an Gott, die aber in eine „Stadt des Schwures“, Beer Schewa, münden – und damit die Bundestheologie vorformen. Es handelt sich um eine theologische Auslegung des Buches Genesis mit Verweisen auf die moderne politische Philosophie (vor allem Dolf Sternbergers Drei Wurzeln der Politik). 2)Bundestheologie aus der Wüste – und aus den Steppen Aufbauend auf dem ersten Aufsatz analysiert der zweite die politische Seite der Bundestheologie in der Tora. Eine zentrale Frage für die rabbinisch-politische Tradition ist: Warum wurde die Tora in der Wüste gegeben und nicht im Land Israel? Die klassische Antwort lautet: Um den universalistischen Anspruch der Tora hervorzuheben. Hiervon ausgehend werden das zweite Buch Mose (Exodus) und das vierte Buch (Numeri) kritisch verglichen. Während das zweite Buch im Zeichen eines menschheitlichen Optimismus die Machbarkeit der Freiheit durch den Aufbruch aus der Sklaverei bis zum Bundesschluss am Sinai erzählt, gerät der Optimismus im vierten Buch Mose ins Straucheln. Es ist das Buch der vielfältigen politischen Krisen, die mit der Freiheit einhergehen: Infragestellung der Autorität von Moses und Aaron, Entmachtung der Erstgeborenen und anderer Privilegierter, der populistische Aufstand der Rotte Korach, die immer wieder gestellte Frage der Frauengleichberechtigung, der Status der Nichtjuden und Fremden, etc. Auch in dieser primär theologischen Analyse ergeben sich zahlreiche Anknüpfungspunkte an heutige politische Diskurse. 3)Auf dem Weg zu einer Theologie des Rechtsstaates Dieser Aufsatz fußt auf den „Noachidischen Geboten“ – dem ethischen Mindeststandard für alle Menschen, vor allem ihrem ersten Gebot, sich ein Rechtswesen zu geben. Er knüpft zugleich an das berühmte rabbinische Diktum Dina de-Malchuta Dina – „das Gesetz des Staates ist das Gesetz“ –, das der talmudische Rechtsgelehrte Samuel im dritten Jahrhundert für die jüdische Diaspora formuliert hat. Es etabliert ein „religiössäkulares Spannungsfeld“, in dem sich die jüdisch-politische Tradition in der Diaspora aus der Spannung zu den Gesetzen der Tora und zugleich ihrer Bindung an diese entwickelt hat. Gerade diese Problematik ist eine Inspiration für heutige Auseinandersetzungen über den Primat des demokratischen Rechtsstaates und zugleich über die Frage, welchen Status religiöse Rechtsauffassungen darin haben können. 4)Der produktive Konflikt mit Gott. Fünf religiös-säkulare Konzepte Hier wird die jüdische Gegenwartstheologie als produktiver Konflikt dargestellt. Gott will zwar Theokratie. Doch Menschen entwickeln Autonomie und „korrigieren“ die Gesetze Gottes. Das heutige Judentum kennt eine Reihe religiös-säkularer Konzepte, die den Konflikt mit Gott eingehen, um allgemeinen ethischen Vorstellungen entsprechen zu können. Interessanterweise sind diese Konzepte uralt, so alt wie die jüdische Tradition selbst und reichen in die einstigen talmudischen Debatten zurück. Es geht um — Tikkun Olam (wörtlich „Korrektur“ oder „Reparatur der Welt“), das in der jüdischen Tradition an die Stelle messianischer Heilserwartungen getreten ist. Heute bedeutet Tikkun Olam vor allem soziales Engagement. — Zelem Elohim („Ebenbildlichkeit Gottes“ als Menschenwürde verstanden, die durchaus im kritischen Konflikt mit Gott steht); — Pikuach Nefesch („Das Leben hat Vorrang“), das eine moderne jüdische Medizinethik ermöglicht; — Noachidische Gebote (universeller menschheitlich-säkularer Rahmen); — Dina de-Malchuta Dina (Primat des Rechtsstaates). 5)Zum Gebrauch geheiligt. Oder: Die kultisch-weltliche Spannung im Judentum In diesem Text wird die besondere jüdische Auffassung vom „Heiligen“ und dem Akt der „Heiligung“ thematisiert. Anders als oft angenommen, bedeutet kadosch nicht separiert, getrennt – sondern gewidmet, geweiht, damit das Geheiligte Verwendung findet. Der Wein wird geheiligt, nicht, um getrennt von den Menschen zu sein, sondern um getrunken zu werden (mit einer heilsgeschichtlichen Einstellung natürlich). Thematisiert wird die kultisch-säkulare Spannung in den jüdischen Ritualen. Zwar werden die Dinge durch Heiligung rituell gewidmet, jedoch um in dieser Welt Verwendung zu finden. 6)Neue Welten erschaffen. Jüdische Theologie und wirtschaftliche Modernisierung In diesem Aufsatz zeichne ich das Spannungsverhältnis zwischen Gott und dem wirtschaftlich kreativen Menschen nach. Schon die rabbinische Exegese sieht in dem „Gott-gleich-Werden“ der Menschen, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, die menschliche Fähigkeit, „neue Welten erschaffen zu können“. So wird der Mensch immer weniger Ko-Schöpfer Gottes. Vielmehr sieht es in der modernen Gesellschaft aus, als sei der Mensch Schöpfer immer neuer Welten und als könne Gott...