E-Book, Deutsch, Band Band 001, 277 Seiten
Klettke / Pröve / Köstler Brennpunkte kultureller Begegnungen auf dem Weg zu einem modernen Europa
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-86234-877-0
Verlag: V&R unipress
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Identitäten und Alteritäten eines Kontinents
E-Book, Deutsch, Band Band 001, 277 Seiten
Reihe: Schriften des Frühneuzeitzentrums Potsdam
ISBN: 978-3-86234-877-0
Verlag: V&R unipress
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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Weitere Infos & Material
Günther Lottes: Faktoren und Konstellationen europäischer Kulturraumbildung von der Reformation bis zum frühen 19. Jahrhundert
S. 9–26
Frank Lestringant: Die Wilden Europas: Der Korse, der Sarde, der Lappe
S. 27–46
Gerda Haßler: Identität durch Sprache. Der Diskurs zur Apologie der Vernakularsprachen bis zum 18. Jahrhundert
S. 47–70
Cornelia Klettke: Ferrara und sein Fürstenhof als ein frühneuzeitlicher Begegnungsraum und Brennpunkt europäischer Identitätsfindung
S. 71–106
Andreas Köstler: Selbstfindung qua kultureller Abgrenzung: Bernini in Paris
S. 107–138
Ralf Pröve: Migration, Kulturtransfer und Militärsystem in der Frühen Neuzeit
S. 139–152
Frank Göse: »Die Preußen hätten keine Lust zu beißen«. Wahrnehmungsmuster im brandenburgisch-kursächsischen Verhältnis in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert
S. 153–182
Christoph Schulte: Amsterdam und Berlin als jüdische Metropolen des 17. und des 18. Jahrhunderts
S. 183–202
Brunhilde Wehinger: Der Salon. Ein Modell kultureller Begegnungsräume weiblicher Prägung
S. 203–212
Dirk Wiemann: Grenzüberschreitende Provinzialität: Richardsons Pamela und die verborgenen Ressourcen des europäischen Romans
S. 213–230
Lars Eckstein: Gegen den Strich: Shakespeares Caliban und das exotische Imaginäre in der britischen Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts
S. 231–250
Helmut Peitsch: »[…] wie mitten in den Wildnissen von Amerika die Eingebornen und die Abkömmlinge der Europäer sich nähern«: Georg Forsters Bild einer »neuen Kultur« in Editionen und Rezensionen
S. 251–272
Der Salon. Ein Modell kultureller Begegnungsräume weiblicher Prägung (S. 203-204)
Brunhilde Wehinger
Die französische Salonkultur, die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts europaweite Verbreitung erlangte, erweist sich als eine spezifische Form urbaner Geselligkeit, die aus kulturgeschichtlicher Perspektive als ein Phänomen der longue dur¤e zu bewerten ist. Sie übersteigt die Dimension der petite histoire, d. h. des anekdotischen und biographischen Sammelsuriums bei Weitem.
Im Rahmen der kulturwissenschaftlichen Erforschung der Genealogie moderner Zivilgesellschaften westeuropäischer Prägung, bestärkt durch die wissenschaftsgeschichtlichen Impulse der Genderforschung, stellt sich die Salonkultur retrospektiv als ein kommunikatives Modell dar, das im Paris des frühen 17. Jahrhundert unter weiblicher Regie ein kulturelles Angebot auszubilden verstand, und zwar unabhängig vom Hof und den Bildungsinstitutionen der Kirche. Im Jahrhundert der Aufklärung avancierte die Salonkultur, wie sie sich vor allem in Paris, aber auch in anderen französischen Städten entfaltete, zu einer weit über die Grenzen Frankreichs hinaus wirkungsvollen Kristallisationsform der bürgerlichen Öffentlichkeit.
Die Salons des Ancien R¤gime boten nicht nur einen (Schon-)Raum für kulturelle Begegnungen, sondern Raum für die Entfaltung einer Gegenöffentlichkeit, in der sich das Selbstbewusstsein der neuen gesellschaftlichen Elite artikulieren konnte.1 Salongeselligkeit ereignet sich inmitten der Gesellschaft.
Ein Blick auf ihre Theorie und Geschichte, samt ihrer Vorgeschichte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts,2 ergibt ein bemerkenswert facettenreiches Bild: Vielfältige Veränderungen gehen einher mit ausgeprägter Individualität, Verschiedenheit und Originalität als Kennzeichen eines jeden einzelnen Salons, der jeweils geprägt ist von der Persönlichkeit seiner Gastgeberin, der Salonniºre, die als diskrete Organisatorin von geselligen Soireen, Gesprächen, Intellektuellennetzwerken, Kulturtransferprozessen für das Renommee ihres Salons steht, ohne dass es einer Programmatik oder einer Satzung bedürfte.
Im Gegenteil: Das Besondere der Salonkultur liegt darin, dass es sich um eine höchst flexible soziale Konfiguration handelt, die auf einige wenige, dafür aber stabile Konstanten und ungeschriebene Regeln zurückgreifen kann: Gegenseitige Anerkennung der Individualität und Differenz der Gäste, Freude am geselligen Gespräch, am Austausch von Ideen, Freiwilligkeit, Regelmäßigkeit, Zuverlässigkeit. Die gesprächige Interaktion der Akteure und Akteurinnen der Salonkultur ist als Aktualisierung einer noch heute präsenten Salon-Idee zu betrachten, die sich im frühen 17. Jahrhundert als eine Kommunikationsform durchzusetzen begann, die der ›Kunst des Gesprächs‹, der Konversation ohne Zugeständnisse an die Schulrhetorik und ohne Pedanterie, verpflichtet ist.