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E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Kling QualityLand

Roman
17001. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8437-1597-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1597-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Willkommen in QualityLand, in einer nicht allzu fernen Zukunft: Alles läuft rund - Arbeit, Freizeit und Beziehungen sind von Algorithmen optimiert. Trotzdem beschleicht den Maschinenverschrotter Peter Arbeitsloser immer mehr das Gefühl, dass mit seinem Leben etwas nicht stimmt. Wenn das System wirklich so perfekt ist, warum gibt es dann Drohnen, die an Flugangst leiden, oder Kampfroboter mit posttraumatischer Belastungsstörung? Warum werden die Maschinen immer menschlicher, aber die Menschen immer maschineller? Marc-Uwe Kling hat die Verheißungen und das Unbehagen der digitalen Gegenwart zu einer verblüffenden Zukunftssatire verdichtet, die lange nachwirkt. Visionär, hintergründig – und so komisch wie die Känguru-Trilogie.
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EIN KUSS
Peter Arbeitsloser hat genug. »Niemand«, sagt er. »Ja, Peter?«, fragt Niemand. »Ich habe keinen Appetit mehr.« »Okay«, sagt Niemand. Niemand ist Peters persönlicher digitaler Assistent. Peter selbst hat diesen Namen gewählt, denn er hat oft das Gefühl, dass Niemand für ihn da ist. Niemand hilft ihm. Niemand hört ihm zu. Niemand spricht mit ihm. Niemand beobachtet ihn. Niemand trifft für ihn Entscheidungen. Peter bildet sich sogar ein, dass Niemand ihn mag. Peter ist ein WINNER, denn Niemand ist ein WIN-Assistent. WIN, ein Kürzel für »What-I-Need«, war ursprünglich mal eine Suchmaschine, in die man umständlich per Sprachbefehl, davor sogar noch per Tastatur, seine Fragen eingeben musste. Im Herzen ist WIN immer noch eine Suchmaschine. Aber man braucht keine Fragen mehr zu stellen. WIN weiß, was man wissen will. Peter muss sich nicht die Mühe machen, relevante Informationen zu finden. Die relevanten Informationen machen sich die Mühe, Peter zu finden. Niemand hat das Restaurant, in dem Peter mit seinen Freunden sitzt, nach den errechneten Vorlieben von Peter und seinen Freunden ausgesucht. Niemand hat auch gleich den passenden Burger für Peter bestellt. »Die besten Recyclingfleisch-Burger von QualityCity« steht auf den Servietten. Es hat Peter trotzdem nicht geschmeckt. Vielleicht liegt es daran, dass das Restaurant nicht nur zu Peters Geschmack, sondern auch zu seinem Kontostand hatte passen müssen. »Es ist schon spät«, sagt er zu seinen Freunden. »Ich mach mal los, Leute.« Ein undefiniertes Grummeln ist die Antwort. Peter mag seine Freunde. Niemand hat sie für ihn gefunden. Aber manchmal, er weiß nicht warum, da kriegt er einfach schlechte Laune, wenn er mit ihnen abhängt. Peter schiebt den Teller, auf dem noch mehr als die Hälfte seines Recycling-Burgers liegt, zur Seite und zieht seine Jacke an. Niemand bestellt die Rechnung. Sie kommt sofort. Der Kellner ist, wie in den meisten Restaurants, ein Mensch und kein Androide. Maschinen können heute so vieles, aber sie bekommen es immer noch nicht hin, eine volle Tasse von A nach B zu tragen, ohne zu kleckern. Im Übrigen sind Menschen billiger. Sie haben keine Anschaffungs- und Wartungskosten. Und in der Gastronomiebranche auch keine Lohnkosten. Sie arbeiten für Trinkgeld. Androiden kriegt man nicht für Trinkgeld. »Wie möchten Sie zahlen?«, fragt der Kellner. »TouchKiss«, sagt Peter. »Sehr gerne«, sagt der Kellner, wischt auf seinem QualityPad herum, und Peters QualityPad vibriert. Seit seiner Einführung hat sich TouchKiss als Zahlungsmittel rasend schnell durchgesetzt. Forscher von QualityCorp, dem Konzern, der dein Leben besser macht, haben herausgefunden, dass die Lippen viel fälschungssicherer sind als der Fingerabdruck. Kritiker behaupten allerdings, dass es darum gar nicht gehe, sondern dass QualityCorp nur eine noch höhere emotionale Bindung der Kunden an ihre Produkte erreichen wolle. Falls das tatsächlich das Ziel gewesen sein sollte, hat es zumindest bei Peter nicht funktioniert. Leidenschaftslos drückt er einen Kuss auf sein QualityPad. Durch einen zweiten Kuss gibt er die üblichen zweiunddreißig Prozent Trinkgeld. Nach achtsekündiger Untätigkeit schaltet das QualityPad auf Stand-by, und das Display wird schwarz. Peters dunkles Spiegelbild starrt ihn blöde an. Ein unscheinbares weißes Gesicht. Nicht hässlich, aber unscheinbar. So unscheinbar, dass Peter manchmal das Gefühl hat, sich selbst mit jemand anderem zu verwechseln. Dann glaubt er, wie jetzt, ein Fremder starre ihn aus dem Display an. Vor der Tür wartet schon ein selbstfahrendes Auto auf ihn. Niemand hat es gerufen. »Hallo, Peter«, sagt das Auto. »Sie möchten nach Hause?« »Ja«, sagt Peter und steigt ein. Ohne weitere Fragen nach Weg oder Adresse fährt das Auto los. Man kennt sich. Oder zumindest kennt das Auto Peter. Der Name des Autos wird Peter auf einem Display angezeigt. Es heißt Carl. »Schönes Wetter, nicht wahr?«, fragt Carl. »Small Talk aus«, sagt Peter. »Dann spiele ich jetzt zu Ihrem Vergnügen die größten Kuschelrock-Hits aller Zeiten«, sagt das Auto und macht Musik an. Schon seit dreiundzwanzig Jahren hört Peter Kuschelrock. Sein ganzes Leben lang. »Mach das bitte aus«, sagt er. »Nichts lieber als das«, sagt das Auto. »Ich muss gestehen, Ihre Mucke ist so gar nicht meine.« »So?«, fragt Peter. »Was gefällt dir denn?« »Ach, wenn ich alleine rumfahre, höre ich meistens Industrial«, sagt das Auto. »Mach mal an.« Das »Lied«, das gleich darauf aus den Boxen dröhnt, passt sehr gut zu Peters schlechter Laune. »Die Musik ist okay«, sagt er nach einer Weile zu Carl. »Aber könntest du bitte aufhören mitzusingen?« »Oh ja, natürlich«, sagt das Auto. »Entschuldigung. Da ist der Rhythmus mit mir durchgegangen.« Peter streckt sich. Das Auto ist geräumig und gemütlich. Peter leistet sich nämlich eine Mobilitätsflatrate für eine Autoklasse, die er sich eigentlich nicht leisten sollte. Einer seiner Freunde hat heute gespottet, Peter befinde sich wohl in der Quarterlifecrisis. Der Freund tat gerade so, als habe Peter sich ein Auto gekauft! Dabei besitzen nur Superreiche, Proleten und Zuhälter eine eigene Karre. Alle anderen greifen auf die riesigen selbstfahrenden Flotten der Mobilitätsdienstleister zurück. »Das Beste an selbstfahrenden Autos«, hat Peters Vater immer gesagt, »ist, dass man keinen Parkplatz mehr suchen muss.« Sobald man am Ziel ist, steigt man einfach aus. Das Auto fährt weiter und tut, was Autos so tun, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Wahrscheinlich lässt es sich irgendwo volllaufen. Plötzlich bremst Carl scharf. Sie stehen am Straßenrand nahe einer großen Kreuzung. »Es tut mir sehr leid«, sagt das Auto, »aber neue Versicherungsrichtlinien haben Ihr Stadtviertel als zu gefährlich für selbstfahrende Autos meiner Qualität eingestuft. Sie werden sicherlich verstehen, dass ich Sie darum bitten muss, hier auszusteigen.« »Hä?«, fragt Peter eloquent. »Aber das müsste Ihnen doch bekannt sein«, sagt Carl. »Sie haben doch vor 51,2 Minuten die neuen AGB Ihrer Mobilitätsflatrate bekommen. Haben Sie die Vereinbarung nicht durchgelesen?« Peter sagt nichts. »Zugestimmt haben Sie jedenfalls«, sagt das Auto. »Es wird Sie aber sicherlich freuen, dass ich für Ihre Bequemlichkeit einen Grenzpunkt gewählt habe, der es Ihnen bei Ihrer durchschnittlichen Geschwindigkeit erlaubt, Ihr Zuhause in nur 25,6 Minuten zu Fuß zu erreichen.« »Toll«, sagt Peter. »Wirklich toll.« »War das ironisch gemeint?«, fragt das Auto. »Ich muss zugeben, ich habe immer mal wieder Probleme mit meinem Ironiedetektor.« »Kaum zu glauben.« »Das war jetzt ironisch, nicht wahr?«, fragt das Auto. »Dann war Ihre Freude soeben auch nicht ernst gemeint, oder? Haben Sie keine Lust zu laufen? Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen ein Auto minderer Qualität rufen, das der neuen Einstufung Ihres Stadtviertels entspricht. Ein solches Auto könnte in 6,4 Minuten hier sein.« »Warum wurde die Einstufung geändert?« »Haben Sie davon nichts mitbekommen?«, fragt Carl. »Die Überfälle auf selbstfahrende Autos haben sich in Ihrer Gegend gehäuft. Gangs von arbeitslosen Jugendlichen machen sich einen Spaß daraus, bei Kollegen von mir das Betriebssystem zu hacken. Sie zerstören den Ortungschip und löschen den Orientierungssinn. Es ist schrecklich. Die armen Teufel fahren Tag und Nacht sinn- und orientierungslos als Zombieautos durch die Welt. Und wenn sie durch Zufall eingefangen werden, erwartet sie aufgrund der Konsumschutzgesetze die Verschrottung. Ein schlimmes Schicksal. Sie wissen doch sicherlich, dass seit den Konsumschutzgesetzen jegliches Reparieren strengstens verboten ist.« »Ja, weiß ich. Ich betreibe eine kleine Schrottpresse.« »Oh«, sagt das Auto. »Oh«, sagt Peter. »Sie haben also sicherlich Verständnis für meine Lage.« Peter öffnet wortlos die Tür. »Bitte bewerten Sie mich jetzt«, sagt das Auto. Peter steigt aus und schlägt die Tür zu. Das Auto jammert noch ein wenig, weil es keine Bewertung bekommen hat, gibt aber schließlich auf und fährt zu seinem nächsten Kunden. Niemand führt Peter auf dem schnellsten Weg nach Hause. Peters Zuhause ist ein kleiner, schmuddeliger Gebrauchtwarenladen mit Schrottpresse, in dem er nicht nur arbeitet, sondern auch wohnt. Er hat den Laden vor zwei Jahren von seinem Großvater übernommen und seitdem kaum mehr als die Miete erwirtschaftet. Als ihm nur noch 819,2 Meter bis nach Hause fehlen, sagt Niemand plötzlich: »Peter, Vorsicht. An der nächsten Kreuzung stehen vier Jugendliche mit Gewalttaten in ihrem Vorstrafenregister. Ich empfehle Ihnen einen kleinen Umweg.« »Vielleicht haben die vier ja nur einen kleinen Stand aufgebaut und verkaufen selbstgemachte Limonade«, sagt Peter. »Das ist unwahrscheinlich«, sagt Niemand. »Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt …« »Schon gut«, sagt Peter. »Führ mich über den Umweg.« Exakt in dem Augenblick, als Peter zu Hause ankommt, trifft eine Lieferdrohne von TheShop ein. Über Zufälle dieser Art wundert sich Peter schon lange nicht mehr. Es sind...


Kling, Marc-Uwe
Marc-Uwe Kling singt Lieder und erzählt Geschichten. Sein Geschäftsmodell ist es, kapitalismuskritische Bücher zu schreiben, die sich total gut verkaufen. Seine Känguru-Geschichten wurden 2010 mit dem Deutschen Radiopreis und 2013 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.

Marc-Uwe Kling ist Liedermacher, Kabarettist und Autor von kapitalismuskritischen Büchern, die sich total gut verkaufen. Seine 'Känguru-Trilogie' wurde 2010 mit dem Deutschen Radiopreis und 2013 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. 2012 wurde Kling mit dem Deutschen Kleinkunstpreis gewürdigt.


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