Kluy | E. T. A. Hoffmann. 100 Seiten | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Reihe: Reclam 100 Seiten

Kluy E. T. A. Hoffmann. 100 Seiten

Reclam 100 Seiten

E-Book, Deutsch, 100 Seiten

Reihe: Reclam 100 Seiten

ISBN: 978-3-15-961902-6
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Poe las Hoffmann. Balzac las ihn. Alexandre Dumas übersetzte ihn. Maupassant, Baudelaire und Dostojewskij bewunderten Hoffmann, der bis ins 20. und 21. Jahrhundert hineinwirkt.' E. T. A. Hoffmann war der Tausendsassa unter den Romantikern: Kapellmeister, Komponist, Jurist, preußischer Beamter, Zeichner, notorischer Kneipengänger - vor allem aber ein Schriftsteller, der Grenzen überschritt. Wie kein anderer deutscher Autor seiner Zeit hat Hoffmann in der Kunst die höhere Welt hinter der Wirklichkeit gesucht. Alexander Kluy zeichnet ein lebendiges und pointiertes Porträt Hoffmanns und folgt den großen Strängen seines Lebens, Denkens und Schreibens, die untrennbar miteinander verwoben sind.

Alexander Kluy, geb. 1966, ist Journalist, Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher. Er schreibt regelmäßig für Standard , Buchkultur und Psychologie Heute . Zuletzt erschien von ihm bei Reclam Clint Eastwood. 100 Seiten .
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Riss und Riss
Wege und Umwege. 1776–1808
Windbeutel und Lebensliebe. 1808–1813
Dresden und Leipzig. 1813–1814
"In dem teuern Berlin". Ab 1814
Serapiontisches
Die Katze, die spricht
Komödie? Tragödie? Tod? Ewigkeit

Im Anhang Lektüretipps


Riss und Riss
Diese Aussicht gibt es nicht mehr. Niemand kann mehr den Kopf herausstrecken. Keiner kann aus dem Hausfenster im zweiten Stock schauen, begierig auf Neues, auf die Welt, auf Neues aus und in der Welt. Denn das Gebäude steht nicht mehr. Es wurde im Jahr 1905 abgerissen. 90 Jahre zuvor. Taubenstraße No. 31, Ecke Charlottenstraße. Berlin 1815. Auf einer Skizze, als »Kunzischer Riss« bekannt geworden, skizzierte Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, 39, seinem Bamberger Weinhändler-und-Verleger-Freund Carl Friedrich Kunz, 30, seine neue Wohnung in der noblen Friedrichstadt. Bezogen hatte er sie kurz zuvor, am 1. Juli 1815. Vier Zimmer besaß das repräsentative Appartement in 1-a-Lage, »in dem besten schönsten Theil der Stadt, am GensdarmesMarkt gerade [gegen]über dem neuen Theatergebaüde und ganz hübsch eingerichtet«, so Hoffmann stolz. 126 Quadratmeter maß sie, hatte wie damals üblich keinen Abort, das Haus ungewöhnlicher Weise auch keinen Abtritt im Hof, dafür gab es Nachttöpfe, die aus dem Fenster auf die Straße entleert wurden. Bei dem gezeichneten Brief, einer Art Grundriss, ging Hoffmann die Phantasie durch. Kunz kannte das zur Genüge von dem phantasievollen Erzähler und Pokulier-, also Zechrunden-Unterhalter. Hoffmann schaute über das Gewirr von Straßen und Plätzen, er erblickte reale Gestalten und Figuren aus seinen eigenen Dichtungen. Der Zeichner wurde zum Erfinder wirklicher wie unwirklicher Begebenheiten und Geschichten. Diese Bleistiftzeichnung, 25 cm auf 39,5 cm messend, war Hoffmann in nuce. Aber sie war nicht naiv – einige Wochen zuvor hatte Hoffmann ähnliche Einblicke in Der Dey von Elba in Paris bereits vor- und nachgestellt. Ein Türmer »in der Hauptstadt« (Berlin? Berlin!) erkundet mit einem magischen Fernrohr von erhöhtem Standort die Wohnungen und beschreibt, was er darinnen sieht und was er hört. Diese Darstellungsweise übertrug Hoffmann, der diese Perspektive aus einem seiner Lieblingsromane, aus Le diable boiteux (Der hinkende Teufel, 1707) des bretonischen Notarsohnes Alain-René Lesage (1668–1747), kannte, auf die Zeichnung (300 Jahre nach Lesage, 1910, sah man auf dem Umschlag des ersten Fantômas-Romans von Pierre Souvestre und Marcel Allain: den Superverbrecher über den Dächern der Stadt; und 1975 hieß ein Jean-Paul Belmondo-Film Peur sur la ville, Angst über der Stadt). Der »Kunzische Riss«, Feder auf Papier, 1815 Was sieht man nun? Da steckt Hoffmann seinen Kopf aus dem Fenster seines Arbeitszimmers heraus und bläst eine Rauchwolke in Richtung seines besten Freundes und liebsten Trinkkumpans, des populären Schauspielers Ludwig Devrient (1784–1832), der gleich nebenan wohnte. Auf dem Gendarmenmarkt tratschen ihre Waren feilhaltende Gemüseweiber miteinander. Von der Taubenstraße nähert sich ein Gefährt, darinnen der Baron Fouqué (1777–1843), namhafter Schriftsteller und Verfasser des Undine-Märchens, das Hoffmann vertonte und das als Oper ein Jahr später, 1816, im Nationaltheater, das damals seit fünf Jahren auf den Theaterzetteln als »Königliches Schauspiel« aufschien, direkt gegenüber, uraufgeführt werden sollte. Ganz rechts oben hat – ein derbvulgärer Kontrast – ein »Anonymus« die Hose auf die Knöchel sinken lassen und entleert seinen Darm vor dem Kammergericht. Justament dort! Denn ebenda ging der Richter Hoffmann nicht wirklich lustvoll, aber gewissenhaft, penibel und, wie seine Vorgesetzten alljährlich lobten, beflissen wie effizient seinen Amtsgeschäften nach. Weiter links sieht man drei Dichter, Clemens Brentano (1778–1842), Ludwig Tieck (1773–1853) und dessen Schwager August Ferdinand Bernhardi (1769–1820), im Hauptberuf Direktor des zwei Querstraßen entfernten Friedrichwerderschen Gymnasiums, die Markgrafenstraße entlanggehen. Unter den Gestalten links kann man zwei Figuren aus Hoffmanns Erzählung Die Abenteuer der Sylvester-Nacht ausmachen, und zwar an der Ecke Jägerstraße, wo sich einer ihrer Schauplätze, die Kellerkneipe, befindet: Peter Schlemihl, den sich Hoffmann aus dem Kunstmärchen Peter Schlemihls wundersame Geschichte (1814) seines Freundes Adelbert von Chamisso (1781–1831) ausborgte, und Erasmus Spikher. Links vom Glöckner auf der Französischen Kirche windet sich die Schlange Serpentina um einen Zweig, unbeachtet vom an seiner Pfeife ziehenden Studenten Anselmus wie vom biederen Konrektor Paulmann. Alle drei beamte Hoffmann aus seinem in Dresden spielenden Märchen Der goldne Topf nach Berlin. Am linken Rand zechen in der Restauration Lutter & Wegner zwei Gäste, unschwer als Hoffmann und Devrient auszumachen, Stammgäste ebendort. Und es gibt andere Weinstuben: die »Restaurat[ion] u: Große Weinstube bey Schonert«, die »Italiänische Handl[ung] bey Thiermann«, mit »Austern, Caviar pp« und »Extrafeine[m] Raum« im Angebot; die »Italiänische Weinhandlung Moretti«, wo es ebenfalls »Extrafeine(n) Raum« gibt. Unweit davon der höllische und wie stets grimmig daher blickende Doktor Dapertutto mit Giulietta aus Die Abenteuer der Sylvester-Nacht. Im Gebäude, das die obere Mitte der Zeichnung einnimmt, wird geprobt, neben dem dicken Kapellmeister Weber der spindeldürre Musiker Kreisler, das dichterische Spiegel-Gegen-Bild von Hoffmanns Ich. Kreisler mit den verschränkten Armen: das eigentliche Gravitationszentrum der Zeichnung. Auf ihn steuern die Bereiche und Segmente zu, von ihm scheinen sie auszugehen. Nebenan im Direktionszimmer legen vier Dichter dem Theaterintendanten Carl Graf von Brühl ihre Manuskripte vor. »Bei all dem berührt es zunächst seltsam, wie das Phantastische nicht etwa im Theater, sondern außerhalb desselben stattfindet – und umgekehrt innerhalb des Theaters das Profane: die demütig bittenden Dichter, der verfressene Kapellmeister, die Sänger, die sich mit ihrer Übung offenbar genau nach der Uhr zu richten haben.« (Klaus Deterding) Das von Karl Gotthard Langhans entworfene Schauspielhaus sollte übrigens fast genau zwei Jahre später, am 29. Juli 1817 abbrennen. Und Hoffmann davon eine Karikatur anfertigen, denn wieder war er Zuschauer, diesmal auch mehr. Denn nun musste er aktiv werden, bei sich beziehungsweise bei seinem Meublement, war doch das Feuer auf das Dach seines Wohnhauses übergesprungen, und er hatte seinen Hausstand auf die Straße zu schaffen. Und vielleicht nicht ganz zufällig mietete sich der dänische Schriftsteller, Kritiker und Herausgeber Per Daniel Amadeus Atterbom (1790–1855), ein begeisterter Hoffmann-Leser und Hoffmann-Verehrer, der zwischen 1817 und 1819 Deutschland, Italien und Österreich bereiste inklusive eifriger Treffen mit Autoren, Philosophen und Intellektuellen – auch mit E. T. A. Hoffmann –, am Berliner Gendarmenmarkt in nahezu identischer Blickhöhe ein. In seinen Reisebeobachtungen notierte er: »Ich hatte von meinen Fenstern eine ziemlich gute Aussicht auf den größeren Teil des Gendarmenmarkts, der einer der größten und schönsten Plätze Berlins ist. Mir gerade gegenüber auf der weitgestreckten Fläche lag eine Kirche, welche vermutlich ein Meisterstück des architektonischen Geschmacks Friedrichs des Zweiten ist, aber trotzdem aussieht, als ob sie vom Zuckerbäcker gebaut worden wäre.« Diese rasch ausgeführte Zeichnung (ein Tintenklecks platschte aufs Papier) ist eine Arabeske aus Wirklichkeit und Phantasie. Und führt zu allen Werk- und Lebens-Themen Hoffmanns. Ja, vereint sie auf diesem einen Blatt: Sehen – die bildende Kunst; Hören – die Musik; Fühlen – Sinne, Sinnlichkeit, Genuss; Denken – Reflexivität, Humor, Zeitspiegelung, Zeitverzerrung;  sowie Vorstellen – alle phantasmagorischen Möglichkeiten von Literatur. Kein anderer Romantiker war ein derart großer Synästhetiker, ein Sinnesallvereiner und Universalsinnlichkeitsschilderer wie Hoffmann. In den Kreisleriana heißt es: »Ich sah den Stein – seine roten Adern gingen auf wie dunkle Nelken, deren Düfte sichtbarlich in hellen, tönenden Strahlen emporfuhren. In den langen, anschwellenden Tönen der Nachtigall verdichteten sich die Strahlen zur Gestalt eines wundervollen Weibes, aber die Gestalt war wieder himmlische, herrliche Musik!« Und: »Es ist kein leeres Bild, keine Allegorie, wenn der Musiker sagt, daß ihm Farben, Düfte, Strahlen als Töne erscheinen und er in ihrer Verschlingung ein wundervolles Konzert erblickt. So wie nach dem Ausspruch eines geistreichen Physikers, Hören ein Sehen von innen ist, so wird dem Musiker das Sehen ein Hören von innen, nämlich zum innersten Bewußtsein der Musik, die, mit seinem Geiste gleichmäßig vibrierend, aus allem ertönt was sein Auge...


Alexander Kluy, geb. 1966, ist Journalist, Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher. Er schreibt regelmäßig für Standard , Buchkultur und Psychologie Heute . Zuletzt erschien von ihm bei Reclam Clint Eastwood. 100 Seiten .


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