Koch / Lehr / Hillert Burnout und chronischer beruflicher Stress
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8409-2650-1
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 116 Seiten
Reihe: Fortschritte der Psychotherapie
ISBN: 978-3-8409-2650-1
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Häufig beruflich überlastete Menschen fühlen sich ausgebrannt und suchen wegen Burnout psychotherapeutische Hilfe auf. Hierdurch hat die Bedeutung des Lebensbereichs Arbeit in der psychotherapeutischen Praxis deutlich zugenommen. Dieser Band zeigt Strategien auf, wie chronischer beruflicher Stress in der Therapie systematisch aufgegriffen und gezielt bearbeitet werden kann. Dazu werden bewährte berufsbezogene Interventionen anschaulich vorgestellt. In Kombination mit störungsspezifischen Behandlungsansätzen können auf diese Weise Patienten, die sich im Beruf ausgebrannt erleben, wirksam behandelt werden.
Ausgehend von einem umfassenden Überblick über Einflussfaktoren auf chronischen beruflichen Stress wird die Durchführung einer individuellen Berufs- und Stressanamnese beschrieben. Hierauf aufbauend wird ein individuelles Stress-Erklärungs- und Veränderungsmodell erarbeitet, aus dem sich das weitere therapeutische Vorgehen ableitet. Je nach Ausgangslage stehen die Sensibilisierung für Signale der Überlastung, kognitive Verfahren zur Veränderung von Stressgedanken und perseverativem Denken, kompetenzorientierte Interventionen zur Stärkung beruflicher Bewältigungsfertigkeiten oder die Förderung der Regenerationsfähigkeit im Zentrum der berufsbezogenen Therapie. Der Umgang mit typischen Problemen, sozialtherapeutisches Basiswissen, Praxisbeispiele aus der Einzel- und Gruppentherapie und zahlreiche Arbeitsmaterialien bieten Unterstützung bei der Durchführung der berufsbezogenen Therapie.
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1;Burnout und chronischer beruflicher Stress;1
1.1;Inhaltsverzeichnis;7
1.2;Vorwort;9
2;1Burnout: Hintergrund und Konzepte;11
2.1;1.1Bilder und Begriffe, die psychische Zustände begreifbar und kommunizierbar machen;11
2.2;1.2Burnout: Entdeckung und Karriere eines Phänomens;12
2.3;1.3Definitionsansätze;14
2.4;1.4Diagnostische Einordnung;17
2.5;1.5Differenzialdiagnostik und Komorbidität;19
2.6;1.6Epidemiologie;21
2.7;1.7Burnout: Ein subjektives Störungsmodell;22
2.8;1.8Psychische Störungen und beruflicher Stress;23
3;2Störungstheorien und -modelle;25
3.1;2.1Stressoren-Ansätze;26
3.2;2.2Modelle der Kontrolle über Arbeitsbedingungen;27
3.3;2.3Passungsmodelle;27
3.4;2.4Reziprozitäts- und Gerechtigkeitsmodelle;28
3.5;2.5Stresskognitionen und Bewältigungsverhalten;30
3.6;2.6Stress als Bedrohung des Selbstwerts;31
3.7;2.7Ressourcenorientierte Ansätze;31
3.8;2.8Erholung und Regeneration;33
3.9;2.9Ansätze des Übergangs und der Integration von Lebensbereichen;35
4;3Diagnostik und Indikation;37
4.1;3.1Individuelle Berufs- und Stressanamnese;38
4.2;3.2Einsatz von Fragebögen in der Stressanamnese;43
4.3;3.3Indikationsstellung für berufsbezogene Interventionen;46
5;4Behandlung;48
5.1;4.1Überblick über psychotherapeutisch fundierte Programme zur beruflichen Stressbewältigung;48
5.2;4.2Behandlungsprinzipien im Umgang mit beruflichen Problemlagen;49
5.3;4.3Motivation und Fokussierung;52
5.4;4.4Erklärungs- und Veränderungsmodell: Das „infernalische Quartett“;56
5.5;4.5Sensibilisierung für Signale der Überlastung (Entlastungsweg Achtsamkeit);58
5.6;4.6Kognitive Interventionen (Entlastungsweg Denkbarkeit);60
5.7;4.7Kompetenzorientierte Interventionen (Entlastungsweg „Möglichkeiten“);66
5.8;4.8Förderung der Regenerationsfähigkeit (Entlastungsweg Erholung);73
5.9;4.9Sozialtherapeutisches Basiswissen;82
5.10;4.10Umgang mit Schwierigkeiten in der Therapie;86
5.11;4.11Evidenz und Qualitätssicherung;90
6;5Fallbeispiel;95
7;6 Weiterfu?hrende Literatur;100
8;7Literatur;101
9;Anhang;107
9.1;Das infernalische Quartett der Stressentstehung;109
9.2;Die vier Entlastungswege;110
9.3;Der Stressbeschleuniger-Selbsttest;111
9.4;Der Stressbeschleuniger-Selbsttest – Auswertungsbogen;113
9.5;Die Plus-Minus-Null Regel;114
9.6;Recreation Experience and Activity Questionnaire (ReaQ);115
10;Karten;117
1 Burnout: Hintergrund und Konzepte (S. 2-3)
Die Begriffe Burnout und Stress werden oft zusammen gebraucht. Dabei wird implizit davon ausgegangen, dass andauernder Stress die Ursache für ein gesundheitliches Problem sei, was dann als Burnout bezeichnet wird. Beiden gemeinsam ist zudem, dass sie meist im Zusammenhang mit Arbeit und Beruf verwendet werden.
1.1 Bilder und Begriffe, die psychische Zustände begreifbar und kommunizierbar machen
Burnout, vom englischen „burn-out“ (ausbrennen) ist ein Beispiel dafür, dass von jeher prägnante, in der Alltagserfahrung verankerte Bilder dazu verwendet wurden, um psychische und psychosomatische Befindlichkeiten und die dafür vermuteten Ursachen zu beschreiben. Entsprechend fühlt man sich „niedergeschlagen“, „gedrückt“, „erschöpft“ (also: wie ein leergeschöpfter, kein Wasser mehr enthaltender Brunnen) oder aber „voller Energie“ oder „im Flow“. Schwer fassbare psychische Phänomene, von momentanen Stimmungslagen bis zu anhaltenden, das emotionale Erleben, Denken und Handeln krankheitswertig beeinträchtigenden Zuständen, werden so kommunizier- und „verstehbar“. Dieses pragmatische, letztlich alternativlose Vorgehen wird keineswegs nur von medizinisch-therapeutischen Laien praktiziert. Auch Experten können letztlich nicht anders, als die Komplexität neurophysiologischer, psychologischer und gesellschaftlicher Phänomene durch anschauliche Konzepte erforschbar und therapeutisch handhabbar zu machen. Dieses Vorgehen, mit dem zwangsläufig eine Relativierung und zuweilen Verzerrung komplexer Zusammenhänge einhergeht, ist der psychologisch-psychiatrischen Forschung immanent und prägte maßgeblich die Diskussion zum Thema Burnout. Wenn in diesem Buch der Begriff Burnout-Syndrom verwendet wird, dann folgt dies der aktuellen Sprachkonvention. Inhaltlich und methodisch zeichnet sich ein Syndrom durch eine spezifische Symptomatik aus. Eben diese ist beim Burnout-Syndrom nicht eindeutig definiert. Das Burnout-Syndrom spiegelt vielmehr primär das subjektive Erleben von Ausgebranntsein, ohne die damit verbundene Symptomatik zu spezifizieren.
Auch Fachbegriffe, zumal Diagnosen, wurden und werden vorzugsweise aus Begriffen der dinglichen Außenwelt abgeleitet: Depression (von lat. depressi: niederdrücken, versenken [Schiffe]; [mit Worten] herabsetzen, unterdrücken) beschreibt, dass die Stimmungslage und die Vitalität eines Menschen gebzw. unterdrückt sind. Melancholie verweist auf die Ursache eines im Begriff nur indirekt spezifizierten Phänomens: Es ist demnach zu viel „schwarze Galle“ im System und das Verhältnis der den Körper konstituierenden (vier) Säfte gestört, wobei die Farbe Schwarz auf gedrückt-negative Qualitäten verweisen mag. Wo Depression aufhört und Melancholie beginnt bzw. ob und inwieweit solche Begriffe synonym verwendet werden, war im Laufe der Psychiatriegeschichte Gegenstand von wechselnden Definitionen und Konventionen. Nachdem Nervenzellen bzw. das daraus bestehende Gehirn als Träger des menschlichen Denkens und Empfindens identifiziert wurde, konnten „Neurosen“ und im späteren 19. Jahrhundert die „Neurasthenie“ (die „Nervenschwäche“) als mit Leiden und dysfunktionaler Bewältigung einhergehende Zustandsbilder zu Fachbegriffen werden. Im Gegensatz zu diesen sich im Laufe der Zeit wandelnden Diagnosebegriffen ist Burnout ein vergleichsweise junges, auf einen „Entdecker“ zurückführbares und nicht ohne diesen Ursprung zu verstehendes Phänomen. Zentrales Merkmal des Burnout-Syndroms ist dabei der direkte Bezug auf die Ätiologie der Symptomatik (berufliche Überlastung als „Ursache“ der Symptomatik). Dies steht jedoch in Spannung zu einer klassifikatorischen Diagnostik (z.?B. ICD-10) und ihrem Bemühen, psychische Störungen möglichst unabhängig von ätiologischen Annahmen zu definieren.
1.2 Burnout: Entdeckung und Karriere eines Phänomens
Ähnlich den genannten Diagnosen bezeichnete auch das Burnout-Syndrom ursprünglich Aspekte der praktisch-dinglichen Welt: ausgebrannte Kerzen, Lampen, Kernbrennstäbe, Häuser oder auch Lepra-Patienten. „Wer je ein ausgebranntes Haus gesehen hat, der weiß, wie verheerend so etwas ist“, so brachte es Herbert Freudenberger (1974, S. 159) auf den Punkt. Zudem ist die Analogie von Brennen und Lebensenergie eine die Menschheitsgeschichte, wohl seit der praktischen Verwendung des Feuers, durchziehende Metapher: Liebe brennt, Helden brennen darauf, Taten zu vollbringen. Insofern verwundert es nicht, dass dem „Ausgebranntsein“ vergleichbare Phänomene in der Geschichte häufig sind, von der Bibel bis in die Literatur der Gegenwart.