Kocka | Geschichte des Kapitalismus | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 2783, 144 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Kocka Geschichte des Kapitalismus


4. Auflage 2024
ISBN: 978-3-406-81629-1
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 2783, 144 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-81629-1
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Jürgen Kocka, einer der weltweit führenden Experten für das Thema, beschreibt in diesem Band die wichtigsten Formen und Veränderungen, die der Handels-, Industrie und Finanzkapitalismus vom europäischen Mittelalter bis zur heutigen Globalisierung durchlaufen hat. Kocka fragt in dieser umfassenden Einführung aber auch danach, welches Licht die letzten Krisen auf den Kapitalismus werfen und ob sich aus seiner Geschichte nicht etwas für die Gegenwart lernen lässt.
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I. Was heißt Kapitalismus?
1. Ein kontroverser Begriff entsteht
«Kapitalismus» ist ein umstrittener Begriff. Viele Wissenschaftler vermeiden ihn. Er erscheint ihnen als zu polemisch, denn er entstand als Begriff der Kritik und ist jahrzehntelang auch als solcher verwendet worden. Der Begriff wird unterschiedlich und oft gar nicht definiert. Er umfasst sehr vieles, seine Abgrenzung ist schwierig. Ist es nicht besser, auf ihn zu verzichten und etwa von «Marktwirtschaft» zu sprechen? Andererseits gibt es eine lange Reihe sehr ernst zu nehmender Sozial- und Kulturwissenschaftler, die zur Diskussion über Kapitalismus viel Substantielles beitragen. Nach dem Ende des Kalten Kriegs, der auch ein Krieg um Schlüsselbegriffe war, ist der Begriff voll in den wissenschaftlichen Diskurs zurückgekehrt. Die internationale Finanz- und Schuldenkrise von 2007–2009 heizte das kritische Interesse am Kapitalismus zusätzlich an. Dazu trägt auch die verstärkte Beschäftigung mit dem Erbe des Kolonialismus und mit den sich abzeichnenden Klima- und Umweltkrisen bei, denn mit beidem hat Kapitalismus viel zu tun. Man beobachtet einen Boom von Lehrveranstaltungen zur Geschichte des Kapitalismus vor allem an amerikanischen Universitäten. Die Zahl der Bücher und Artikel mit «Kapitalismus» im Titel nimmt zu. Mittlerweile gibt es eine wissenschaftliche Zeitschrift, die sich ausschließlich mit der Geschichte und Problematik des Kapitalismus befasst. Der Begriff ist auch in Europa so aktuell wie schon lange nicht, wenn auch mehr bei Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaftlern als bei Ökonomen.[1] Aber wenn man ihn benutzt, muss man seine Geschichte kennen und ihn scharf definieren. Das Substantiv «Kapitalismus» setzte sich im Französischen, Deutschen und Englischen nach vereinzelten Vorläufern erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch. Aber die Begriffe «Kapital» und «Kapitalist» waren da bereits eingebürgert. Nehmen wir zum Beispiel das Deutsche. Hier ging der Begriff «Kapital» aus der Kaufmannssprache (dort spätesten im frühen 16. Jahrhundert häufig) in die Terminologie der im 17. und 18. Jahrhundert entstehenden Sozial- und Wirtschaftswissenschaften über. Er meinte zunächst das (investierte oder verliehene) Geld und später das aus Geld, Geldwerten, Papieren, Waren und Produktionsanlagen bestehende Vermögen, durchweg aber «in Rücksicht auf den Gewinn, den es erbringen sollte» (1776), statt konsumiert oder gehortet zu werden. «Kapitalist» stand seit dem 17. Jahrhundert für den «capitalreichen Mann, der bare Gelder und großes Vermögen hat und von seinem Interesse (d.h. Zinsen, J. K.) und Renten leben kann». Als «Kapitalisten» bezeichnete man des Näheren Kaufleute, Bankiers, Rentner und andere Personen, die Gelder ausleihen, also «mit Capitalien handeln oder makeln» (1717). Zwischenzeitlich stand «Kapitalist» aber auch für alle Erwerbende, «wenn sie den Überschuss ihrer Arbeit, ihres Verdienstes über ihre nötige Konsumption (hinaus) sammeln, um ihn aufs Neue auf Production und Arbeit zu verwenden» (1813). Seit dem späten 18. Jahrhundert wurden Kapitalisten überdies immer häufiger im Unterschied, bald im Gegensatz zu Arbeitern gesehen und als «Klasse der Lohnherren (Verlagseigner, Fabrikunternehmer und Kaufleute)» bezeichnet, die nicht von Lohn oder Rente, sondern von Profiten lebten (1808). Die hier bereits sichtbare klassengesellschaftliche Einfärbung des Begriffs verschärfte sich in den folgenden Jahrzehnten, als die öffentliche Armut wuchs, revolutionäre Spannungen 1848/49 ausbrachen und die Industrialisierung mit Fabrikwesen und Lohnarbeit auch in Deutschland sich durchsetzte, während die Beobachter bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein ihr Anschauungsmaterial vor allem aus dem bereits kapitalistisch industrialisierenden England bezogen.[2] Abgesehen von wenigen frühen, den Sprachgebrauch nicht prägenden Verwendungen spiegelte das Substantiv «Kapitalismus» zunächst vor allem diese klassengesellschaftlich-kritische Einfärbung wider, als es sich seit Mitte des Jahrhunderts zunächst im Französischen, seit den 1860er Jahren auch im Deutschen und etwas später im Englischen durchsetzte. Der Sozialist Louis Blanc kritisierte um 1850 den Kapitalismus als «Aneignung des Kapitals durch die Einen, unter Ausschaltung der Anderen». Pierre Joseph Proudhon geißelte 1851 den Grund und Boden auf dem Pariser Wohnungsmarkt als «Festung des Kapitalismus», als er sich für Maßnahmen gegen Mietwucher und Spekulation einsetzte. 1867 notierte dann ein repräsentatives Wörterbuch den Begriff «capitalisme» als Neologismus, umschrieb ihn mit «Macht der Kapitalien oder der Kapitalisten» und verwies auf Proudhon. In Deutschland wetterte 1872 der Sozialist Wilhelm Liebknecht auf den «Moloch des Kapitalismus», der auf den «Schlachtfeldern der Industrie» sein Unwesen treibe.[3] Zumindest im Deutschen wuchs der Begriff rasch über seine polemische Stoßrichtung hinaus. Karl Marx benutzte das Substantiv «Kapitalismus» zwar kaum, schrieb aber in den 1850er und 1860er Jahren ausgiebig und wirkungsvoll über die «kapitalistische Produktionsweise». Der mit staatssozialistischen Ideen sympathisierende Ökonom Johann Karl Rodbertus stellte 1869 fest: «Der Kapitalismus ist ein soziales System geworden». 1870 veröffentlichte Albert Eberhard Friedrich Schäffle, ein liberal-konservativer Professor der Nationalökonomie, sein Buch «Kapitalismus und Socialismus mit besonderer Rücksicht auf Geschäfts- und Vermögensformen». Darin ging er ausführlich auf den Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital ein. Auf Schäffle verwies Meyers Konversations-Lexikon, als es 1876 erstmals von «Kapitalismus» handelte, noch im Eintrag über «Kapital». 1896 enthielt dieses weit verbreitete Nachschlagswerk einen eigenen, differenziert argumentierenden Eintrag für «Kapitalismus» als «Bezeichnung für die kapitalistische Produktionsmethode gegenüber der sozialistischen und kollektivistischen». 1902 erschien Werner Sombarts großes Werk «Der moderne Kapitalismus», das entscheidend zur Einbürgerung des Begriffs beitrug. Seitdem nahm die sozialwissenschaftlich-historische Literatur rasch zu, die sich mit Theorie, Geschichte und Gegenwart des Kapitalismus befasste, zu einem erheblichen Teil in Auseinandersetzung mit Sombart, der sein Werk zwar als Fortsetzung und Vollendung des Marxschen Werkes verstand, tatsächlich aber durch Betonung der Rolle von Unternehmern und Unternehmen, mit seinem Konzept des «kapitalistischen Geistes» und seiner bis ins italienische Hochmittelalter zurückreichenden Perspektive deutlich über Marx hinausging.[4] Im Englischen spielte der Begriff «Kapitalismus» spätestens seit den 1890er Jahren eine gewisse Rolle. Die kontroverse Diskussion um ihn schwoll dort aber erst in den Jahren um den Ersten Weltkrieg herum an. In der Encyclopaedia Britannica wurde der Begriff in der 11. Auflage (1910–11) im Artikel über «Capital» kurz erwähnt und in der 12. Auflage von 1922 ausführlich in einem eigenständigen Eintrag behandelt, jetzt als Bezeichnung für ein «System», in dem die Produktionsmittel privaten Eigentümern gehören, die zum Zweck der Produktion Manager und Arbeiter beschäftigen.[5] Insgesamt: Der Begriff entstand aus dem Geist der Kritik und der Perspektive des Vergleichs. Gewöhnlich verwendete man ihn, um Beobachtungen der eigenen Zeit zu beschreiben, die man in betonter Absetzung von früheren Verhältnissen als neu und modern begriff. Oder man verwendete ihn, um die Gegenwart mit der vorgestellten Idee und dann mit den beobachtbaren Anfängen des Sozialismus zu konfrontieren. Erst im Licht der bisweilen verklärenden Erinnerung an andersartige vergangene Verhältnisse und im Licht der Vorstellungen von einer besseren zukünftigen, nämlich sozialistischen Alternative entstand der Begriff «Kapitalismus», meist im Kontext einer kritischen Sicht auf die damalige Gegenwart. Doch gleichzeitig diente er der wissenschaftlichen Analyse. Diese Doppelfunktion des Begriffs machte ihn den einen suspekt, den anderen umso interessanter. Die beiden Funktionen konnten, aber mussten sich nicht im Weg stehen. Das gilt bis heute. 2. Drei Klassiker: Marx, Weber, Schumpeter
Zahlreiche Intellektuelle, Sozial- und Kulturwissenschaftler haben im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert den Kapitalismus als das bestimmende Epochenmerkmal ihrer Gegenwart begriffen. Zahlreiche Historiker haben den Begriff schon damals benutzt, um die Geschichte des Kapitalismus in früheren Jahrhunderten zu erforschen, in denen der Begriff noch nicht existierte. An der wissenschaftlichen ...


Jürgen Kocka ist em. Professor für die Geschichte der industriellen Welt an der Freien Universität Berlin und zählt zu den bedeutendsten Sozialhistorikern unserer Zeit. Von 2001 bis 2007 war er Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Für seine Arbeiten wurde er u.a. mit dem Leibniz-Preis und dem Holberg-Preis ausgezeichnet.



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