Köchy | Biophilosophie zur Einführung | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Reihe: zur Einführung

Köchy Biophilosophie zur Einführung


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96060-054-1
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

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Reihe: zur Einführung

ISBN: 978-3-96060-054-1
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
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Durch die Debatten um die Deutungsmacht der kognitiven Neurobiologie in Fragen der Willensfreiheit oder um den Beginn des menschlichen Lebens ist eine philosophische Disziplin in die Aufmerksamkeit geraten, die unter akademischen Vorzeichen längst existierte: die Biophilosophie. In dieser Einführung werden die zentralen Themen der Biophilosophie vorgestellt. Es sind dies die Fragen nach dem Verhältnis von Biologie und Philosophie, nach den Besonderheiten von Beobachtung und Darstellung in der Biologie, nach Modellorganismen und Organismusmodellen, nach biologischen Experimenten und Theorien. Dabei folgt die Darstellung einem kontextuellen Ansatz. In Abgrenzung von der formalen Betrachtung durch die Wissenschaftslogik werden so gesellschaftliche Einflussgrößen erkennbar, die einen Übergang von der Theorie der Biologie zur Bioethik nahelegen.
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1. Biologie und Philosophie
Was ist nun unter »Biophilosophie« zu verstehen? Um diese Frage zu beantworten, werden wir drei argumentative Schritte vollziehen. Zunächst wird das Verständnis von Biophilosophie konkretisiert, das die Untersuchung leitet. Dann wird in einem zweiten Schritt die biologische Dimension der Philosophie am Beispiel der beiden klassischen Positionen von Aristoteles und Kant besonders hervorgehoben. In einem dritten Schritt wird schließlich in umgekehrter Ableitungsrichtung die philosophische Dimension der Biologie ausgehend vom aktuellen Streit um den Potenzialitätsgedanken in der Stammzellforschung demonstriert. Nun wird von den empirischen Ansätzen der biologischen Forschung aus das philosophische Hintergrundszenario dargelegt. Alle drei Schritte stecken gemeinsam den gedanklichen Rahmen des Buches ab. Was ist Biophilosophie?
Die beiden Fragen, was unter »Biophilosophie« verstanden werden kann und was darunter konkret in der vorliegenden Einführung verstanden wird, sollen in kritischer Abgrenzung zu vorliegenden Entwürfen entwickelt werden. Beginnen wir mit einer Unterscheidung, die Hans Jonas (2004, 54 ff.) eingeführt hat. Er hat in einem Interview zum Charakter seiner philosophischen Reflexionen über die Biologie Stellung bezogen. Dabei verweist er auf den Untertitel seines Buches Organismus und Freiheit, in dem er »Ansätze zu einer philosophischen Biologie« ankündigt und betont, dass die Philosophie sich den Erkenntnissen der Biologie in doppelter Hinsicht zu stellen habe. Einerseits müsse sie deren Wissensstand und Methodik zur Kenntnis nehmen und andererseits diese kritisch hinterfragen. Über die methodologische und methodenkritische Funktion hinaus verfolgt die philosophische Biologie nach Jonas jedoch noch ein weiteres Ziel, das man je nach Blickwinkel als epistemologisch, ontologisch oder metaphysisch bezeichnen kann. Übereinstimmend mit unseren Ausführungen am Ende des letzten Kapitels ist Jonas der Überzeugung, dass eine unphilosophische Biologie eine rein physische Biologie wäre. Die philosophische Biologie hingegen sei eine, »die diese künstliche Teilung der Sphären rückgängig macht«. Ein solcher Standpunkt behalte bei der Betrachtung des Organismus stets im Auge, dass dieser nicht nur ein Ganzes im funktionellen Sinne ist, sondern auch im leib-seelischen Sinne. Somit sei der Innenaspekt oder die Subjektivität des Organismus unveräußerlich. Diese Kennzeichnung bringt nun mehr zum Ausdruck als nur das spezifische – metaphysische – Erkenntnisinteresse von Hans Jonas oder eine Bestätigung unserer Ausführungen zur Innen- und Außenperspektive. Sie macht vielmehr deutlich, dass man der Biophilosophie verschiedene Funktionen zuweisen kann. Es wären demnach zu unterscheiden: erstens die methodologische Funktion, zweitens die methodenkritische Funktion, drittens die ontologische oder metaphysische Funktion und viertens die epistemologische Funktion im weiteren Sinne. Die Aufgabenstellung von Jonas’ philosophischer Biologie steht nun in deutlichem Gegensatz zu den meisten aktuellen Entwürfen einer Philosophie der Biologie (Mahner, Bunge 1997), die sich als Methodologie oder Wissenschaftstheorie der Biologie (Janich, Weingarten 1999) versteht. Eine solche Fokussierung auf die methodologische Funktion würde die Biophilosophie im Aufgabenkatalog des Logischen Empirismus aufgehen lassen. Alexander Rosenberg (1985, 15 ff.) spricht in diesem Zusammenhang von einer postpositivistischen Deutung. Biophilosophie wäre dann eine Logik der biologischen Forschung, eine formale Methodenlehre der Biologie. Orientiert etwa an Rudolf Carnaps (1891-1970) Verständnis von Wissenschaftslogik wäre das Objekt der Biophilosophie die Wissenschaft Biologie als ein geordnetes Gefüge von Sätzen. Die Funktion der biophilosophischen Untersuchung bestünde in einer Analyse der biologischen Theorien unter logischen Gesichtspunkten. Es würde zudem nach Carnap (1992, 91f.) gelten: »Alles was über Organismen und organische Vorgänge zu sagen ist, hat die Biologie als empirische Wissenschaft zu sagen; es gibt nicht außerdem noch philosophische Sätze über jene Vorgänge […].« Auch wenn man das Wissenschaftsverständnis über die historische Position der Logischen Empiristen hinaus erweitert, könnte man an diesen Vorgaben festhalten. Zwar wäre in diesem Fall der Umfang der biophilosophischen Metaanalyse auszudehnen, und sie würde nicht nur Theorien, sondern etwa auch biologische Experimente oder Visualisierungstechniken umfassen. Die Biophilosophie selbst verbliebe aber in den Grenzen des Programms von Carnap. Ihre Kompetenz und Zuständigkeit endete dort, wo die empirischen Verfahren der Biologie beginnen. Nur die Biowissenschaften als empirische Wissenschaften wären in der Lage, einen direkten Kontakt zur Welt herzustellen. Die Funktion der Biophilosophie müsste sich deshalb auf die Interpretation der biologischen Kenntnisse und Handlungsweisen beschränken. Die methodenkritische Funktion geht jedoch einen Schritt über diese Grenzziehung hinaus. Dabei muss zunächst berücksichtigt werden, dass unter »Kritik« Verschiedenes verstanden werden kann. Einen Orientierungspunkt gewinnt man jedoch, wenn man mit Kant »Kritik« als die Frage nach der Geltung biowissenschaftlicher Aussagen (quaestio iuris) versteht. Interpretiert man diese Vorgabe in einem engen Sinne, dann geht sie erneut in Carnaps Forderungen auf und bezeichnet lediglich die Aufgabe einer Untersuchung der logischen oder empirischen Begründungsverfahren von biowissenschaftlichen Aussagen oder Theorien. In einem viel weiteren Sinne verstanden, beinhaltet die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit biowissenschaftlicher Erkenntnis jedoch auch die historischen, sozialen, ökonomischen und anthropologischen Bedingungen der biologischen Forschung (so etwa Lenoir 1992). Versteht man solchermaßen die Forderung nach Aufklärung der Bedingungen der Möglichkeit der Biologie unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftsphilosophischen Ansätze, dann ist man auf ein kontextualistisches Niveau von »Kritik« verwiesen. Die methodenkritische Aufgabe beinhaltet dann nicht nur den Aspekt der Geltung biowissenschaftlicher Theorien und Erfahrungen, sondern darüber hinaus auch den Aspekt ihrer Genese. Der sogenannte Entdeckungszusammenhang biologischer Forschung gerät in den Blick (Rheinberger 2001). In diesem Fall werden die Verfahren und Erkenntnisse der Biologie nicht einfach als gegeben vorausgesetzt, sondern sie werden in ihren Entstehungsbedingungen kritisch hinterfragt. Die Biophilosophie entwickelt sich zu einem auch wissenschaftshistorischen und wissenschaftssoziologischen Unternehmen. Subsumiert man schließlich unter »Kritik« mit Kant das moralisch-praktische Moment, dann umfasst die methodenkritische Funktion der Biophilosophie weiterhin die Aufgabe einer kritischen Befragung der Akteure in der Biologie nach dem moralischen Status ihrer Handlungen und ihres Wissens. Es wird zu zeigen sein (Kap. 7), dass die kontextualistische Betrachtung diese Erweiterungsoption zu einer bioethischen Reflexion beinhaltet. Die ontologische Funktion der Biophilosophie kann an diesem Punkt ansetzen. Mit der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit biowissenschaftlicher Forschung ist dann nicht nur das kritische Hinterfragen der technischen oder moralischen Implikationen der biologischen Handlungskontexte oder Erkenntnisweisen gemeint. Es ist auch die Frage eingeschlossen, an was oder gegenüber wem biologische Handlungen vollzogen werden bzw. von was oder wem mit den Mitteln der biologischen Forschung Wissen gewonnen werden soll. In einer technischen oder logischen Variante könnte diese Reflexion über den biologischen Gegenstandsbereich ebenfalls in den Grenzen der Logik der Forschung verbleiben. Einen solchen Ansatz verfolgen viele angelsächsische Vertreter der Biophilosophie, die sich auf begriffslogische Analysen zentraler Konzepte wie etwa der biologischen »Art« oder des biologischen »Systems« kaprizieren (vgl. die Beiträge in Hull, Ruse 1998). Unter historischen und soziologischen Vorzeichen wäre hingegen nicht nur der logische Status biologischer Objekte zu untersuchen, sondern darüber hinaus etwa auch deren reale Präsenz im Labor oder deren Rolle im Prozess der Konstituierung biowissenschaftlicher Forschungsprogramme (Lederman, Burian 1993; vgl. Kap. 4). Eine solche Erweiterung zeigt, dass beispielsweise die Rolle von Modellorganismen in den Labors nicht adäquat durch die üblichen Vorstellungen von naturwissenschaftlichen »Objekten« wiedergegeben ist (dazu Kap. 2). Aktuelle Überlegungen zu den Labororganismen als »Laboranten« verweisen vielmehr auf ein komplexes Wechselspiel zwischen Forscher und Forschungsgegenstand (Köchy, Schiemann 2006). Betrachtet man die Annahmen über diese wechselseitige Interaktion genauer (Latour in Hagner 2001, 180; Knorr Cetina 2002, 160), dann wird hier eine Anerkennung des Subjektstatus von Labororganismen vorbereitet, die eine Option zum Übergang zu dem eingangs genannten Konzept von Hans Jonas beinhaltet. Auch diese ontologischen Bestimmungen leiten direkt zu...


Kristian Köchy ist Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Kassel.



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