Buch, Französisch, Deutsch, 218 Seiten, PB, Format (B × H): 148 mm x 210 mm
Ein facettenreicher Sprachkonflikt
Buch, Französisch, Deutsch, 218 Seiten, PB, Format (B × H): 148 mm x 210 mm
ISBN: 978-3-937642-09-3
Verlag: Libertas
Der Erhalt der regionalen Sprachminderheiten ist ein erklärtes Ziel der Europäischen Union. 1992 wurde zu ihrem Schutz die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen ins Leben gerufen. Die Bedeutung dieser Sprachen als Identitätsträger nimmt zu, nachdem nationale Grenzziehungen in den Hintergrund treten. Frankreich hat die Charta 1999 unterzeichnet und seine Regionalsprachen per Beschluss der Nationalversammlung im Juli 2008 in die Verfassung aufgenommen. Dennoch ist in den Augen der Regierung eine Anerkennung der Charta nicht mit der Verfassung vereinbar. Eine betroffene Minderheitensprache ist Bretonisch. Zwar haben seine Sprecher bretonischsprachige Publikationen, Radio und Fernsehen zur Verfügung – wie stehen Sie aber zu ihrer Sprache, die vor einigen Jahrzehnten noch quasi verboten war?
Wolfgang Köhler hat durch die Ergebnisse seiner qualitativen Feldstudie im Département Finistère, einige Antworten gefunden. Eine Kategorie von Befragten besteht aus älteren Muttersprachlern des Bretonischen, die vor Schuleintritt nur sehr geringe Französischkenntnisse besaßen und die allesamt dem traditionellen landwirtschaftlichen Milieu entstammen. Die Zukunft des Bretonischen hängt daher vor allem vom Engagement der Jüngeren ab; sie sind die zweite Informantenkategorie, die sog. Néo-Bretonnants: Muttersprachler des Französischen, die sich dazu entschieden haben, Bretonisch neu zu erlernen. Ein weiteres Kriterium für die Aufnahme in diese Kategorie war, dass diese Néo-Bretonnants Kinder haben, an die sie die Sprache weitergeben. Die Kinder besuchen Schulen mit Bretonisch als Unterrichtssprache. Aufgrund dieser Voraussetzungen konnte beobachtet werden, wie sich der Sprachtransfer auf die folgende Generation innerhalb der Familie vollzieht.
Die Ergebnisse deuten auf einen sehr vielschichtigen Sprachkonflikt hin. Die Muttersprachler haben ein ambivalentes Verhältnis zu ihrer Sprache, sie schwanken zwischen Stolz und Ablehnung. Sie wenden ihre Sprache lediglich bei Verwandten, Freunden und Nachbarn an, die ihnen seit Langem vertraut sind und die ebenfalls mit Bretonisch als Muttersprache aufgewachsen sind. Die Néo-Bretonnants stoßen somit bei ihren Bemühungen, Bretonisch an ihre Kinder weiterzugeben, auf nur sehr wenig Unterstützung durch deren Großeltern. Darüber hinaus existieren Kommunikationsbarrieren zwischen dem standardisierten Bretonisch, das von den Néo-Bretonnants gesprochen wird, und den regional gesprochenen Dialekten der Muttersprachler. Ein erfolgreicher Spracherhalt scheint nur durch eine Aufarbeitung der traumatischen Vergangenheit, die die Muttersprachler angesichts des früheren Bretonischverbots und den damit verbundenen gesellschaftlichen Benachteiligungen durchlebt haben, möglich.
Zielgruppe
Vertreter von Minderheiten- und Regionalsprachen, Universitäten, Romanisten, Lehrende in franzöischer Sprache und Linguistik, Studenten, Europäische Sprachforschung, Experten über Spracheinstellungsforschung und Sprachbewusstsein, Soziolinguisten, Keltologie-Wissenschaftler und -Interessenten, Regionalwissenschaftler, Bretagne-Liebhaber, Frankreich-Interessenten, Interessenten an der bretonischen Sprache
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Inhaltsverzeichnis
I. Vorbemerkungen 9
1. Einordnung der Studie in die Soziolinguistik 11
1.1. Relevante Teildisziplinen der Soziolinguistik 11
1.2. Quantitative vs. qualitative Verfahren 14
2. Sprachbewusstsein, Spracheinstellungen und Sprecherwissen – Definitionen 15
2.1. Anwendung des Drei-Komponentenmodells 17
2.2. Identität 18
2.3. Diskursdaten vs. objektive Sprachdaten 19
3. Bretonisches Sprachgebiet 20
3.1. Rückgang des Bretonischen 24
3.1.1. Sprachpolitik 24
3.1.2. Sprecherzahlen 26
3.2. Sprachaktivismus 27
4. Forschungsgebiet – Daten 28
5. Interviews: Anzahl und Profil der Informanten 29
5.1. Kategorie A: Muttersprachler 30
5.2. Kategorie B: Néo-Bretonnants 31
5.3. Kategorie C: Sonderfälle 32
6. Methode der Datengewinnung 33
6.1. Die Methodik des Tiefeninterviews 33
6.2. Das Problem der Neutralität 34
7. Fragenkataloge 36
7.1. Fragenkatalog „Muttersprachler“ 36
7.2. Fragenkatalog „Néo-Bretonnants“ 39
II. Sprachgebrauch und affektive Einstellungen der Bretonischsprecher im Süd-Finistère 40
1. Domänen des Sprachgebrauchs bei Muttersprachlern 41
1.1. Sprachrückgang 43
1.1.1. Einschränkungen bei der Leistungsfähigkeit des Bretonischen 43
1.1.2. Soziale Stigmatisierung der Bretonischsprecher 47
1.1.3. Sprachverhalten innerhalb der Familie 49
1.1.4. Gesellschaftliche Veränderungen 51
1.2. Das affektive Verhältnis zum Bretonischen 51
1.2.1. Solidarität und Abgrenzung 52
1.2.2. Die „langue imagée“ 53
1.2.3. Ablehnung und Stolz 57
1.2.3.1. Berührungen mit dem Sprachaktivismus 57
1.2.3.2. Aufnahme des alten Diskurses vs. Klassifikation als Sprache 59
1.3. Sprachkompetenz 61
2. Domänen des Sprachgebrauchs, Sprachkompetenz und affektive Einstellungen der Néo-Bretonnants 63
2.1. Aussagen zur Sprachkompetenz 64
2.2. Bretonisch innerhalb der Familie 66
2.3. Das affektive Verhältnis zum Bretonischen 67
2.3.1. Bretonisch als „langue imagée“ 68
2.3.2. Bretonisch in der Kindererziehung 69
2.3.3. Bretonisch in freundschaftlichen Beziehungen 69
2.4. Das Bemühen um Spracherhalt 70
III. Varietätenmodelle 73
1. Varietäten des Bretonischen aus Sicht der Muttersprachler 76
2. Varietäten des Französischen aus Sicht der Muttersprachler 82
3. Modell der französischen Diglossie und bretonischen Varietätenbarriere aus Sicht der Muttersprachler 83
4. Varietäten des Bretonischen aus Sicht der Néo-Bretonnants 86
5. Varietäten des Französischen aus Sicht der Néo-Bretonnants 93
6. Modell der französischen Diglossie und bretonischen Milieubarriere aus Sicht der Néo-Bretonnants 94
7. Vergleich der Diglossie-Modelle 95
8. Akzent und Lernervarietäten 97
IV. Der Transfer auf folgende Generationen 99
1. Einstellungen zum heutigen Bretonischunterricht 100
2. Sanktionen in der Vergangenheit 103
3. Sprachkontakt zwischen Großeltern und Enkeln 108
4. Schwierigkeiten der sprachlichen Erziehung in Elternhaus und Schule 113
4.1. Das Verhalten der Kinder 113
4.2. Vorbehalte gegenüber den Schulinitiativen 115
4.3. Schwierigkeiten des Engagements 118
V. Kollektive Identitätskonzepte 120
1. Identitätskonzepte der Néo-Bretonnants 120
2. Identitätskonzepte der Muttersprachler 123
3. Identität „à l’extérieur“ 125
VI. Aussagen zur Zukunft des Bretonischen 128
1. Zukunftsszenarien der Muttersprachler 128
1.1. Sprachrückgang als Rechtfertigung 128
1.2. Fatalismus 130
1.3. Bretonisch als Museumsstück 131
2. Zukunftsszenarien der Néo-Bretonnants 132
2.1. Begrenzung auf das eigene Milieu 132
2.2. Orientierung an anderen Sprachminderheiten 134
2.3. Vereinheitlichung der Dialekte 135
3. Differenzen zwischen Néo-Bretonnants und Muttersprachlern 136
VII. Ursachen der Konfliktsituation und mögliche Perspektiven ihrer Lösung 138
1. Das tradierte Kulturverständnis 138
2. Revalorisierung des Bretonischen 142
3. Aufarbeitung der Vergangenheit 143
VIII. Nachwort 146
IX. Anhang 150
1. Forschungsgebiet: Berechnung 150
2. Informanten-Kennungen 151
3. Regeln der Transliterarisierung 157
4. Methodisches Vorgehen 159
5. Fragenkataloge 161
6. Literaturangaben 163