E-Book, Deutsch, 237 Seiten
König / Heimlich / Fischer Inklusion in Kindertageseinrichtungen
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-17-034715-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Frühpädagogik der Vielfalt
E-Book, Deutsch, 237 Seiten
ISBN: 978-3-17-034715-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Einleitung
Anke König & Ulrich Heimlich In nur zwei Dekaden hat sich das System der Kindertagesbetreuung dynamisch gewandelt. Fast alle Kinder besuchen heute eine Kindertageseinrichtung (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018). Gründe dafür waren und sind ein veränderter Blick auf die Bildungs- und Entwicklungsprozesse junger Kinder, Veränderungen in den Lebens- und Arbeitsformen in der Gesellschaft sowie die Rechtsansprüche auf einen Kindergarten- und Krippenplatz. Damit haben sich in den letzten Jahren die Erwartungen an die Kindertagesbetreuung stark erhöht. Diese wird zunehmend als zentraler Bildungsort für junge Kinder gesehen und hat damit die Grundschule als ersten außerfamiliären Bildungsort abgelöst. Gemessen an dem Ausbau und den Erwartungen hinkt die Anbindung an die Stützsysteme wie u. a. die Wissenschaft und Forschung in diesem Bereich stark hinterher (König 2020, im Erscheinen). Denn die pädagogischen Fachkräfte in den frühpädagogischen Einrichtungen verdanken ihre Ausbildung überwiegend dem System der Berufsbildung. Das zentrale Handlungsfeld der Frühpädagogik – die Kindertageseinrichtungen – gilt damit als letzte Bastion (Rauschenbach 2013) der Pädagogik, die nicht akademisiert ist. Entsprechend schwach sind Forschung und Theorieentwicklung in diesem Feld aufgestellt. Geprüftes Wissen ist aber für die Qualitätsentwicklung der Einrichtungen bzw. für eine veränderte Praxis unabdingbar. Daher kommt dem Zusammenführen von Theorien, der Auseinandersetzung mit der Weltaneignung junger Kinder sowie dem Transfer von Forschungsbefunden eine herausgehobene Rolle zu. Der Inklusionsdiskurs in der Frühpädagogik ist davon stark beeinflusst. Über die Plattform der »Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte« (WiFF) wurde hier ein enger Austausch von Praxis, Wissenschaft, Politik und Ausbildung angeregt. Unter der Leitung von Anke König sind zu diesem Themenschwerpunkt interdisziplinäre Expertengremien durchgeführt worden und zahlreiche Expertisen sowie zentrale Wegweiser für Weiterbildnerinnen und Weiterbildner entstanden. Der vorliegende Band vereint einige ausgewählte Beiträge aus der Arbeit der WiFF und ist insofern als Quintessenz dieser Prozesse zu verstehen. Die »Weiterbildungsinitiative Frühpädagogischer Fachkräfte« (WiFF) – die Ende 2008 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Robert Bosch Stiftung und dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) e. V. gegründet wurde – leitet ihre Arbeitsweisen aus den Herausforderungen ab: Forschung und Wissenstransfer in der Frühpädagogik zu verstärken. Sie leistet mit konzeptionellen Arbeiten bis heute einen Beitrag zu mehr Qualität im System der Frühen Bildung, beobachtet Entwicklungen durch empirische Studien, regt als Plattform den Austausch zwischen den Akteurinnen und Akteuren an und setzt Impulse über die Dissemination von Projektergebnissen. Die Gründung der Plattform fiel mit dem Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK 2017) im Jahre 2009 zusammen. Darauf ist es zurückzuführen, dass die Plattform unmittelbar mit dieser Diskussion in der Frühpädagogik in Verbindung steht. Teilhabe und Partizipation werden als zentrale Strukturmerkmale für das Aufwachsen in heterogenen Gesellschaften gesehen. Kindertageseinrichtungen – als erste außerfamiliäre Institutionen – zeichnen sich durch altersübergreifende, offene Bildungsräume aus, die durch das Spielen und Lernen in sozialen Bezügen geprägt sind. Unterschiedliche Expertinnen und Experten sind sich heute einig, dass das Verständnis einer »Pädagogik der Vielfalt« (Prengel 2019) in der Frühpädagogik von hoher Bedeutung ist, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder und derer Familien gerecht zu werden. In Kindertageseinrichtungen steht damit nicht nur die Heterogenitätsdimension Behinderung im Mittelpunkt, vielmehr spielt auch die Berücksichtigung der kulturellen, sozialen und sprachlichen Heterogenität von Kindern von Anfang an eine bedeutende Rolle. Insofern entwickelt sich in inklusiven Kindertageseinrichtungen derzeit ein breites Inklusionsverständnis, in dem die Unterschiedlichkeit der Kinder bewusst wahrgenommen und als Bereicherung für das pädagogische Konzept angesehen wird. Zum zentralen Prüfstein einer gelingenden inklusiven Arbeit in Kindertageseinrichtungen gerät dabei die Partizipation der Kinder. Auch für Kinder in den ersten Lebensjahren gilt der Grundsatz: »Nichts über uns, ohne uns!« Insofern stehen Kindertageseinrichtungen insgesamt vor der Aufgabe, Heterogenität als Ausgangspunkt des pädagogischen Handelns anzuerkennen und Partizipationsmöglichkeiten für Kinder in einer umfassenden Weise zu überdenken und weiterzuentwickeln. Erst auf diesem Weg kann aus Teilhabe auch wirklich Bildungsteilhabe werden. Die Stärke des vorliegenden Herausgeberbandes liegt darin, dass auf der Basis eines gemeinsamen Grundverständnisses – Inklusion als »Pädagogik der Vielfalt« (Prengel 2019) – diskutiert wird. Mit den vertieften Analysen und Reflexionen der Autorinnen und Autoren werden unterschiedliche Facetten frühpädagogischer Praxis im Sinne einer inklusiven Pädagogik (vgl. Heimlich 2019) beleuchtet. Damit werden Anknüpfungspunkte offengelegt, um eine inklusive Frühpädagogik zu etablieren, aber auch um systemimmanente Strukturen und Handlungsmuster in der gegenwärtigen Praxis kritisch in Frage zu stellen. Die starke Verknüpfung von Inklusion mit den Aneignungsprozessen beziehungsweise den Interaktions- und Kommunikationsformen von jungen Kindern macht aus der vorliegenden Zusammenstellung eine Frühpädagogik der Vielfalt. Mit dem ersten Beitrag »Bedeutungswandel der Kindertageseinrichtungen. Kulturelles Lernen als Basis für eine inklusive Frühpädagogik« ordnet Anke König zum einen den Stand zur Inklusion in der Frühpädagogik ein, zum anderen eröffnet sie mit dem Fokus auf das kulturelle Lernen eine bottom-up Perspektive. Sie stellt die Frage, wie Weltaneigung von und miteinander von Anfang an gelingt. Damit verbindet sie das Wissen über die frühen Beziehungs- und Interaktionsprozesse mit dem kulturellen Lernen und schreibt diesem klassische Bildungsmotive zu – im Sinne des Verhältnisses von ich und Welt. Annedore Prengel legt in ihrem Beitrag »Pädagogik der Vielfalt – Ein Überblick« theoretische, historische und praktische Grundlagen inklusiven pädagogischen Handelns in der Frühpädagogik offen. Pädagogik der Vielfalt wird als gleichbedeutend mit Inklusiver Pädagogik gesehen bzw. international auch übereinstimmend mit Diversity Education und Inclusive Education. Ulrich Heimlich stellt in seinen Beitrag »Kinder mit Behinderungen. Freies Spiel als genuiner Ort für Partizipation« die Bedeutung des Spiels für inklusive Settings in den Mittelpunkt. Er zeigt anhand unterschiedlicher Studien den Stand zum gemeinsamen Spiel von Kindern mit und ohne Behinderungen auf und unterstreicht das Potenzial kooperativer Peerbeziehungen. Der Beitrag verdeutlicht aber auch, dass Spiel nicht immer ein Selbstläufer ist, sondern mittels der sensiblen Unterstützung frühpädagogischer Fachkräfte inklusive Spielprozesse zum Teil erst ermöglicht werden. Argyro Panagiotopoulou richtet ihr Augenmerk auf die migrationsbedingte Heterogenität in Kindergärten und Schulen. Ihr Beitrag »Inklusion und Migration. Zur Konstruktion von und zum Umgang mit ›migrationsbedingter Heterogenität‹ in Kindertageseinrichtungen und Schulen« hebt die Beteiligung von Politik, Kitas und Schulen bei der Herstellung von Differenz und Ungleichheit hervor. Kritisch beleuchtet werden die tiefgreifenden monolingualen Sprachpraxen in den Institutionen und die problematisierenden bildungspolitischen Debatten über Heterogenität, die der Idee einer inklusiven Pädagogik bzw. der Wertschätzung der Komplexität und Vielfalt individueller und familialer (u. a. migrationsbedingter) Lebensbedingungen entgegenstehen. Mit dem Beitrag »Kinder in Armut und sozialer Benachteiligung. Konsequenzen für inklusive Kindertagesstätten« schließt Hans Weiß an die Diskussion an. Er verstärkt die Perspektive auf den gesellschaftlichen Diskurs zu Kindern in Armutslagen. Eindrücklich wird herausgearbeitet, wie stark Zuschreibungen der Lebenswirklichkeiten von sozial benachteiligten Kindern und Familien durch Verkürzungen geprägt sind. Er führt Ansätze auf, die zu einer veränderten Praxis führen. Donja Amirpur...