Körtner / Auffarth / Dingel Die letzten Dinge
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7887-2782-6
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band Band 1, 289 Seiten
Reihe: Theologische Bibliothek
ISBN: 978-3-7887-2782-6
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Systematische Theologie Fundamentaltheologie, Dogmatik, Christologie
- Geisteswissenschaften Philosophie Religionsphilosophie, Philosophische Theologie
- Geisteswissenschaften Religionswissenschaft Religionswissenschaft Allgemein Religionsphilosophie, Philosophische Theologie
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Einleitung: Ende gut, alles gut? „Am Ende wird alles gut sein. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es eben noch nicht das Ende“, pflegt Sonny Kapoor in der britischen Filmkomödie „Best Exotic Marigold Hotel“ zu sagen. Er träumt davon, das gleichnamige heruntergekommene Hotel im indischen Jaipur, das sich im Besitz seiner Familie befindet, vor dem Ruin zu retten und in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Sein unerschütterlicher Optimismus hält allen Widrigkeiten stand und steckt schließlich auch seine aus Großbritannien mit falschen Versprechungen angelockten Hotelgäste an, die in Indien ihren Lebensabend verbringen wollen. Doch geht es in dem Film von John Madden, der auf Deborah Moggachs Roman „These Foolish Things“ basiert, nicht nur um die Sanierung eines Hotels, sondern auch um Alter und Endlichkeit, um Verlust und Einsamkeit. Das marode Hotel ist eine Metapher für die Lebenssituation seiner Gäste, die mit ihren unterschiedlichen Biographien, ihren Verletzungen und Brüchen, ihren unausgelebten Träumen und Sehnsüchten ihr bisheriges Leben hinter sich gelassen haben. Sie fragen sich, welche Hoffnungen und Möglichkeiten im fortgeschrittenen Alter noch bestehen, ob es möglich ist, sich mit der Vergangenheit auszusöhnen und mit langgehegten Lebenslügen aufzuräumen. Sie stehen vor der Frage, ob sie wirklich noch einmal neu anfangen können, ob sie am Ende ein erfülltes Leben geführt haben werden und ob es ihnen vergönnt ist, im Frieden mit sich und der Welt zu sterben. Das angebliche indische Sprichwort vom guten Ende (das auch Oscar Wilde zugeschrieben wird, in seinen Werken aber nicht nachweisbar ist), das Kapoor ständig zitiert, durchzieht den Film als Leitmotiv. Es steht wie eine Verheißung über dem Hotel und den Menschen, die es dorthin verschlagen hat. Ihre Wunschbilder und persönlichen Hoffnungen, die sie haben aufbrechen lassen, stehen im krassen Gegensatz zur Schäbigkeit des maroden Hotels. Und auch die Metropole Jaipur bietet keineswegs das exotische Flair, von dem sie geträumt haben. Sie suchen das Paradies – und finden den Sehnsuchtsort als Trümmerhaufen vor. Doch allmählich schlägt sie dieser Ort in ihren Bann. Es sind die noch unausgeschöpften Möglichkeiten, die in dem halbverfallenen Gebäude schlummern, das Versprechen von Erfüllung und einem guten Ende, die an die spärlichen Spuren vom Glanz vergangener Tage erinnern. Und es ist nicht zuletzt das mitreißende Charisma des jungen Hotelmanagers, der allen Widerständen trotzt – auch seiner Mutter, die das verschuldete Hotel verkaufen will, das am Ende die neuen Bewohner dazu bringt, Kapoor bei der Verwirklichung seiner Vision zu unterstützen. Sie wird damit auch zu ihrer eigenen. In dieser Geschichte klingen zentrale Motive von dem an, worum es in der sogenannten Lehre von den letzten Dingen geht. Dass am Ende alles gut wird, ist auch die Hoffnung des christlichen Glaubens. Und solange nicht alles gut ist, ist das Ende noch nicht gekommen. Mag das Ende der Geschichte auch von Schrecken begleitet sein, die in der Bibel geschildert werden, so sind diese selbst doch nicht das Ende, sondern bestenfalls sein Anfang (vgl. Mk 13,7). Am Ende aber, so die biblische Hoffnung, wird Gott abwischen alle Tränen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz. Das jedenfalls ist die Verheißung und Vision am Schluss der Johannesoffenbarung (Apk 21,4), dem letzten Buch der Bibel. Die Bibel erzählt von Menschen, die nicht bloß von einem guten Ende und einer besseren Welt träumen. Sie sind von der Verheißung des kommenden Gottesreiches umgetrieben und werden zu einer Lebenspraxis der Hoffnung motiviert. Dass noch keineswegs alles gut ist, dass letztendlich gar nichts gut ist, weil es – so der Philosoph Theodor W. Adorno – kein richtiges Leben im falschen gibt, entmutigt sie keineswegs und lässt sie auch nicht an der Hoffnung auf ein gutes Ende irre werden. Ihre Hoffnung ist eine Hoffnung wider alle Hoffnung, die hofft, wo nichts zu hoffen ist (vgl. Röm 4,17; 8,24f), weil sie der göttlichen Verheißung mehr Glauben schenkt als den Erfahrungen und Tatsachen, die ihr zu widersprechen scheinen. Sie sieht sich bestärkt durch gegenläufige Erfahrungen von Heilungen beschädigten Lebens, von Liebe und Vergebung, von Versöhnung und Frieden, mögen diese auch fragmentarisch bleiben. Noch im Scheitern sieht sie das Unabgegoltene der Verheißung, das nicht offen zu Tage liegt, sondern sich bestenfalls wie ein rätselhaftes Spiegelbild zeigt (vgl. 1Kor 13). Aufklärung und neuzeitliche Religionskritik argwöhnen, dass es sich bei dieser religiösen Hoffnung um eine Illusion, um frommes Wunschdenken oder, schlimmer noch, um billige Vertröstung handelt, die das Leid und das Unrecht in der Welt erträglicher machen und politische Machtverhältnisse, Ausbeutung und Unterdrückung verschleiern sollen. Freilich haben auch jene im 19. und 20. Jahrhundert entstandenen politischen Ideologien ihre Faszination eingebüßt, welche die Hoffnung auf bessere Zeiten und ein gutes Ende aller Dinge ins Diesseits verlegt und sie zu einem politischen Programm der Weltverbesserung, mehr noch: der Weltrevolution umgeformt haben. Aus dem vermeintlich notwendigen Ende mit Schrecken – der Revolution, die nun einmal ihre Opfer fordert – war ein Schrecken ohne Ende geworden war: totalitäre Machtapparate und Diktaturen, die das Leben und Denken der Menschen in allen Bereichen zu beherrschen suchten und deren Gewaltherrschaft Millionen von Menschen das Leben gekostet hat. Ernüchtert vom Geist der Utopie scheint heute zwar das Ende denkbar – sei es als vom Menschen verursachter ökologischer Kollaps oder als atomares Inferno, sei es als Folge von Naturgewalten oder als kosmische Katastrophe; spätestens dann, wenn die Sonne, bevor sie für immer erlischt, sich ausdehnt und die Erde und alles Leben auf ihr im kosmischen Feuer verglüht, ist das Ende da. Aber dass es mit der Erde und den Menschen ein gutes Ende nehmen könnte, scheint dabei ausgeschlossen zu sein. Das Ende mit dem Heil zusammenzudenken, fällt der aufgeklärten Vernunft denkbar schwer, wenn sie dies nicht überhaupt für unmöglich hält. Das gilt auch für den eigenen Tod. Mag das Sterben zum natürlichen Lauf der Dinge gehören, so bedeutet der Tod doch nur das Verlöschen, härter gesprochen den Abbruch des Lebens, nicht aber seine Vollendung. Sich damit zu trösten, dass die Verstorbenen in der Erinnerung der Nachwelt weiterleben, bleibt ein schwacher Trost, zumindest für die meisten von uns, die wir auf keinen Nachruhm hoffen dürfen, sondern mit dem Tod ihrer Hinterbliebenen endgültig aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden oder bestenfalls noch ein Name mit Geburts- und Sterbedatum beim Standesamt sind. Für die Facebook-Generation mag das so nicht gelten, geht doch im Internet nichts von dem verloren, was jemals gepostet und an Fotos und Videoclips in Netz gestellt wurde. Abgesehen von den erheblichen Datenschutzproblemen und abgesehen davon, dass es schon zu Lebzeiten praktisch unmöglich ist, Einträge wieder zu löschen, kann man sich fragen, ob der Eingang eines Menschen ins Archiv einer Website nicht eine schlechte Form der Unendlichkeit ist, weil die einst erhoffte Vollendung und das gute Ende ausbleiben. Die postmortale Präsenz des Individuums geht unter im massenmedialen Rauschen. Während sich in der Moderne einerseits die Tendenz beobachten lässt, mit dem möglichen Ende zu rechnen, das kein Heil verspricht, gibt es in der Neuzeit die gegenläufige Entwicklung, die Weltgeschichte als eine unendliche Geschichte zu deuten, wenngleich den Individuen ihr natürliches Ende bevorsteht. Diese unendliche Geschichte kann als Fortschrittsgeschichte erzählt werden, angetrieben von der Hoffnung auf bessere Zeiten und Lebensverhältnisse, ermöglicht durch Aufklärung, Bildung und gesellschaftliche Reformen, durch Wissenschaft und Technik. Die Einzelnen haben an diesem Fortschritt allerdings nur in begrenztem Ausmaß und für ihre begrenzte Lebenszeit teil. Sie können aber für künftige Generationen hoffen, denen es einmal besser gehen soll. Historische Skepsis versteht die Geschichte als einen ergebnisoffenen Prozess, in dem sich Fortschritte und Rückschritte die Waage halten, nicht nur, weil es auch Perioden des Niedergangs gibt, sondern auch weil sich der Fortschritt selbst immer wieder um seine Früchte bringt. Je mehr der Mensch das Schicksal in die eigene Hand nehmen und die Welt nach seinen Vorstellungen umgestalten und verbessern möchte, desto unkontrollierbarer werden die Folgen seines Tuns und damit die Ausgangsbedingungen für künftiges Handeln. „Also: nicht etwa nur die erfolglose, gerade auch die erfolgreiche Machensplanung plant sich – wenigstens partiell – um den Erfolg. Darum wird – im Zeitalter des schicksalsvernichtenden Machenseifer der Menschen – das Gutgemeinte nicht das Gute; das absolute Verfügen etabliert das Unverfügbare; die Resultate kompromittieren die Intentionen; und die absolute Weltverbesserung mißrät zur Weltkonfusion.“1 Doch gleich, ob man nun an den beständigen Fortschritt glaubt oder nicht – ist eine unendliche Geschichte, eine Geschichte, die gar kein Ende hat – es mag ein gutes oder ein schlechtes sein –, überhaupt denkbar? 1979 veröffentlichte Michael Ende seinen Roman „Die unendliche Geschichte“, mittlerweile ein Klassiker der deutschen Kinderbuchliteratur. Er erzählt die Geschichte des etwa zehnjährigen Bastian Balthasar Bux, der das Land Phantásien retten soll, und seinem Alter Ego Atréju. Bastian gerät über die Lektüre eines Romans mit dem Titel „Die unendliche Geschichte“ in das vom Nichts...