Korb | XENOPHOBIA | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2006, 200 Seiten

Reihe: Phantastische Stories

Korb XENOPHOBIA


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95719-607-1
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, Band 2006, 200 Seiten

Reihe: Phantastische Stories

ISBN: 978-3-95719-607-1
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



'Die älteste und stärkste Form der Angst, ist die Angst vor dem Unbekannten.' Howard Philips Lovecraft Erzählungen über das Fremde und das Fremd-Sein Erzählungen über Ausgestoßene und Außenseiter Erzählungen über die Urängste der Menschheit Mit zahlreichen Illustrationen internationaler Künstler Die Printausgabe umfasst 224 Buchseiten.
Korb XENOPHOBIA jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Bruce Payne war hocherfreut, als er auf dem „Hollywood“-Flohmarkt das Schminkkästchen von Lon Chaney fand. Zwar sah der alte Handkoffer harmlos aus, er war aber dennoch gefährlicher als die Büchse der Pandora. Hätte der junge Schauspieler gewusst, welch grauenhaftes Geheimnis der Koffer in sich trug, er hätte sicherlich die Finger davon gelassen. Unspektakulär sah er aus: Ein mit rotem Leder verkleideter Kasten, einer Lunchbox nicht unähnlich, wie sie Stahlarbeiter beim Errichten von Wolkenkratzern in schwindelnder Höhe benutzten. Die Verkäuferin auf dem Rose-Bowl-Flohmarkt in Pasadena, eine alte Dame mit lila Haaren und Ringen an allen Fingern, behauptete, dass er dem Stummfilmstar Lon Chaney gehört habe. Bruce hob die linke Augenbraue. „Meine Fahrt von L.A. könnte sich gelohnt haben!“, dachte sich der Nachwuchsschauspieler. Von außen sah man dem Koffer sein Alter deutlich an. Die Kanten waren abgewetzt und ein Riss zog sich über die Oberseite. Rechts war ein ovales Metallschild aufgenagelt, das die Initialen „L F C“ trug. Bruce entschlüsselte das als „Leonidas Frank Chaney“. Dennoch – eine Spur des Zweifels blieb. „Darf ich mal reinschauen?“ „Gern.“ Die alte Dame steckte sich ihren Zigarillo in den Mundwinkel, um mit beiden Händen den Verschluss zu öffnen. Sie klappte anschließend den Koffer auf, dessen Innenleben sich zu beiden Seiten entfaltete. Zwei Ebenen erhoben sich treppenartig, getragen von metallenen Scharnieren. Nun erinnerte das Kästchen an einen Werkzeugkoffer – und dies war in etwa auch die Funktion, die es gehabt haben soll, allerdings in schauspielerischer Hinsicht. Der berühmte Lon Chaney hatte es verwendet, um darin seine Schminkutensilien aufzubewahren. In der Stummfilmära war Chaney als „Mann der tausend Gesichter“ bekannt geworden. Seine Make-Up-Effekte in Filmen wie „Das Phantom der Oper“ oder „Der Glöckner von Notre Dame“ waren legendär. Im Koffer lagen verschiedene Tuben mit Hautkleber, dazu Zahnprothesen, Haarteile, Nasen aus Gummi, mehrere Rollen Bindfäden, dazu Nähnadeln, Schminkstifte, Make-up-Puder und Pinsel, eine glaslose Brille und vieles andere mehr, dessen Nutzen sich nicht auf den ersten Blick erschloss. Viele der Gegenstände wirkten alt, Risse zeigten sich auf den Verpackungen und Tuben. Könnte es wirklich sein, dass dies Lon Chaneys Kiste ist? Bruce war ein großer Fan der alten Horrorfilme. Er überlegte nicht lange und kaufte den Make-up-Koffer zu einem erstaunlich günstigen Preis. Während er im roten Abendlicht über den Parkplatz zu seinem alten Ford lief, war ihm noch nicht klar, dass er heute Abend das größte Geheimnis der Stummfilm-Ära lüften würde.   Bruce saß auf der Couch in seinem kleinen Zimmer in West Adams und hörte den allgegenwärtigen Polizeisirenen zu. Vor ihm stand Lon Chaneys Schminkkoffer auf dem Wohnzimmertisch. Bruce rauchte eine Marlboro und starrte gedankenversunken darauf. Was hat dieses Kästchen nicht alles mitgemacht! Es war am Set von Filmen wie „The Hunchback Of Notre Dame“, „Phantom Of The Opera“ und „London After Midnight“ gewesen. Lon Chaneys Ruhm gründete auf seiner Fähigkeit, mittels Latex, Perücken und Make-up die unheimlichsten Gesichter jener Epoche auf seinem eigenen, recht gewöhnlichen Gesicht, zu erschaffen. Was könnte dieses Kästchen nicht alles erzählen, wenn es denn reden könnte! Der Schauspieler drückte die Zigarette im Ascher aus. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Mit zitternden Händen klappte er die Verschlüsse an der Oberseite des Koffers auf. Heute würde er sich wie Lon Chaney schminken. Bruce liebte es, sich zu verkleiden, in andere Rollen zu schlüpfen. Deswegen war er Schauspieler geworden. Sich in seinem Körper fremd zu fühlen, war merkwürdig und daher boten ihm die Rollen viele Möglichkeiten, diesem Fremdsein in sich selbst zu entfliehen. Insgeheim glaubte er fest daran, dass auch sein Idol, Lon Chaney, sich in seinem persönlichen Umfeld als Fremder gefühlt und deswegen all die Masken erfunden hatte, um diesem Fremdsein zu entfliehen. Als Sohn gehörloser Eltern in einer Welt voller Hörender war dieser Gedanke für Lon Chaney durchaus nicht abwegig, mutmaßte Bruce. Sein Blick fiel als erstes auf den Schminkspiegel, der im obersten Fach lag. Bruce fuhr sich durch sein blondes Haar. Er musterte sein Gesicht. Es war ein hübsches, aber irgendwie auch gewöhnliches Gesicht. Kein Gesicht, mit dem man in Hollywood Karriere machte. So musste sich auch Lon Chaney gefühlt haben, als er damals anfing, sich für Make-up-Effekte zu interessieren. Binnen weniger Jahre hatte er sich zu einem der wichtigsten Schauspieler gemausert. Kein Horror-Filmregisseur der Universal-Studios wollte in dieser Ära auf ihn und seine grauenerregenden Masken verzichten: Von Rupert Julians „Das Phantom der Oper“ bis hin zu Wallace Worsley und dem „Der Glöckner von Notre Dame“. Bruce griff zu und holte ein künstliches Auge heraus. Er drehte es in seinen Händen, überlegte kurz. Dann war ihm klar, dass es das Auge Quasimodos war. Bruce lächelte und legte es wieder zurück. Dann schnappte er sich eine Gebissprothese. Mit ihren spitzen Dreieckszähnen sah sie so aus, als wäre sie einem Haifischmaul entsprungen. Lon Chaney trug sie 1927 während der Dreharbeiten zu „London After Midnight“. Das einzige bekannte Exemplar des Films verbrannte in den sechziger Jahren und der Streifen galt seither als verschollen. Chaneys Rolle als geheimnisvoller Fremder mit Zylinder und dem grauenvollen Haifischgrinsen hat sich dennoch einer ganzen Generation von Kindern eingebrannt, die in den fünfziger Jahren den Film gesehen haben. Unter der pockennarbigen Maske von Quasimodo fand Bruce noch weitere Teile von Masken, die er nach einigem Überlegen den Rollen Chaneys zuordnen konnte. Da war der chinesische Spitzbart für den Charakter „Mr. Wu“, die Haarbüschel des Clowns in „He Who Gets Slapped“, die strähnige Kurzhaar-Perücke für den chinesischen Einwanderer im Film „Shadows“. Bei jedem Gegenstand, den Bruce in die Hände nahm, fielen ihm kleine Episoden zu den Filmen ein. Er hatte sie als Kind gesehen oder davon in der Schauspielschule gehört. Er lächelte. In ihm machte sich ein warmes Gefühl breit und er wusste, dass man es Nostalgie nannte. Er liebte es, in den Erinnerungen zu schwelgen. Und gerade alte Filme waren etwas, von dem Bruce nie genug bekam. Als was sollte er sich verkleiden? Glöckner, Clown oder Chinese? Schade, dass die künstliche Nase und die schiefen Zähne des Phantoms der Oper nicht aufzufinden waren. Lange suchte Bruce danach, wurde aber nicht fündig. Am Boden des Schminkkoffers, verborgen unter mehreren Perücken, entdeckte er ein Kästchen. „Vielleicht diente es zur Aufbewahrung von Schmuck?“, dachte er. Der Nachwuchsschauspieler erinnerte sich an Chaneys Rolle als alte Dame in „The Unholy Three“. Würde er hier deren Ohrringe finden? Beim Öffnen bemerkte er zu spät, dass er es falsch herum gehalten hatte. Es fielen Maskenteile aus Latex heraus. Verwundert runzelte Bruce seine Stirn. Was war denn das? Er konnte sich nicht erinnern, dass Chaney eine derart komplexe Maske entwickelt hatte. War dies möglicherweise aus einem der verloren gegangenen Filme? Der junge Mann fuhr sich nervös durch das Haar. Wenn das der Fall sein sollte, wäre es eine Sensation! Im Geiste sah er sich schon durch die Talkshows tingeln und von dem Tag erzählen, als er auf dem Flohmarkt in Pasadena Lon Chaneys Schminkkoffer gekauft und darin unbekannte Masken entdeckt hatte. Fiebrig nahm er die Latexteile auf und betrachtete jedes einzeln. Sie waren recht klein, keines größer als die Innenfläche einer Hand. Sie fühlten sich klebrig an. Manche waren oval, andere unförmig wie die Umrisse von übergroßen Amöben. Einige waren hauchdünn, wie zur Überdeckung von Hautkrankheiten, andere wiederum dicker, so als wären sie zum Auffüttern einer hohlwangigen Gesichtsform gedacht. Am Boden des kleinen Masken-Kästchens steckte ein zusammengefalteter Zettel. Bruce nahm ihn heraus und entfaltete ihn. Auf dem Papier erkannte man eine Zeichnung, bestehend aus über einem Dutzend Umrissen, auf denen Zahlen standen. Sie setzten sich zum gestückelten Bild einer Gesichtsmaske zusammen. Die Aufregung von Bruce steigerte sich. In ihm keimte eine Idee. Zur Bestätigung drehte er ein Latexteil um. Er fand eine „9“. Hektisch griff er nach den anderen Teilen. Auch auf der Rückseite der anderen Teile waren Zahlen. In seiner ersten Erregung hatte er dies übersehen. Der junge Mann ließ sich zurückfallen und starrte die Maskenteile an, die er auf dem Wohnzimmertisch neben der Make-up-Kiste ausgebreitet hatte. „Wow! Das ist ja ein Ding!“, dachte er. Plötzlich kam ihm ein Gedanke, der sich wie Fieber anfühlte. „Ich könnte das nutzen, um auf mich aufmerksam zu machen! Ich lege mir die Maske an und fotografiere mich im Spiegel. Damit gehe ich zu einem Agenten, der mich und die Story bei den Studios anpreist.“ Erregt sprang er auf. „Ich sehe es schon vor mir!“, rief er und malte mit den Händen eine imaginäre Leuchtreklame in die Luft: „Bruce Payne – der neue Lon Chaney!“ Begeistert klatschte er in die Hände und machte sich sofort ans Werk. Er schob den Schminkkoffer zur Seite, machte Platz für den Schminkspiegel. Bruce besah sich die Klebetuben. Ob der Hautkleber noch wirksam war? Den Zettel mit...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.