Kramp Spinner
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-95441-057-6
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman aus der Eifel
E-Book, Deutsch, Band 1, 250 Seiten
Reihe: Herbie Feldmann
ISBN: 978-3-95441-057-6
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Zweites Kapitel
Das »T« war ehedem ein kleiner, gemütlicher Insider-Treff gewesen, in dem man zumeist dieselben Leute vorgefunden hatte und in dem die Musikauswahl so bunt wie die Speisekarte gewesen war. Heute, nach einer raumerweiternden Generalrenovierung, hatte sich der Gastraum mehr als verdoppelt, durch einen zusätzlich verglasten Innenhof war alles heller und luftiger geworden, und ein paar von den alten Gästen hatten zu Anfang den Verlust der alten Atmosphäre bemäkelt, aber die gleichbleibende Qualität der Speisen und Getränke und die steigenden Besucherzahlen machten Wirt Marcel und seine Crew zu glücklichen Menschen und das »T« zu einem immer noch urgemütlichen Fleckchen. Der Vorplatz des Bistros lag um diese Tageszeit leidlich im Schatten, und sämtliche Plätze auf Bänken und Stühlen waren von ausgedörrten Flaneuren und blaumachenden Schülerscharen belagert. Es blieb ihnen nur der Weg ins Innere. Marcel stand persönlich hinterm Tresen und winkte Herbie fröhlich zu … und Julius ebenfalls. »Na, ihr beiden! Lange nicht gesehen. Habt ihr Tantchen besucht?« Herbie winkte ab und zog eine Grimasse. »Versau mir nicht den Tag. Obwohl … Ich hab ihr den Benz konfisziert.« Marcel zog anerkennend die Augenbrauen in die Höhe. »Alle Achtung, Herbie und Julius unterwegs im Cabrio! Ein weiser Entschluss, bei dem Wetter. Holt euch bloß keinen Sonnenstich.« Julius schnaubte verächtlich. Wenn es beliebt, kannst du ihm ausrichten, dass ich seine Meinung bezüglich des Cabriolets nicht teile, wegen des Sonnenstichs allerdings seine Voraussicht schätze. Und das von einem Gastwirt … »Sag’s ihm selber«, zischte Herbie und steuerte seine Lieblingsecke an. Werner kam und nahm seine Bestellung auf. »Tach Liebelein! Likörchen, wie immer? Ärger runterspülen?« Herbie verneinte und zeigte den Autoschlüssel. Er erklärte kurz, in welch glückliche Lage ihn der Personentransport-Auftrag von Tante Hetti versetzt hatte, und Werner enteilte, um ihm ein Wässerchen zu kredenzen. Ich habe bisher gar nichts von einer Cousine namens Nina gewusst, sagte Julius und faltete die Hände auf dem Bauch. In dieser Sitznische fühlte selbst er sich wohl. »Hab ich wohl bisher verdrängt. Das liegt daran, dass Nina eine ausgesprochene Nervensäge ist. Sie ist in Münstereifel aufgewachsen. Ganz in unserer Nähe. Ich kann dir sagen … So was von bescheuert. Ekelte sich vor allem möglichen, fragte allen und jedem ein Loch in den Bauch, heulte pausenlos, wenn sie nicht das kriegte, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte und so weiter und so weiter. Du weißt schon.« Sicherlich. Das düstere Kapitel ›Frauen im Dasein des Herbert Feldmann‹, wenn ich richtig vermute? »Ach«, seufzte Herbie. »Ich habe auch nette Frauen gekannt. In der Schulzeit war ich pausenlos verliebt. Immer das Schönste und Beste, wenn du verstehst, was ich meine.« Julius nickte. Unerreichbar wie das zarte Morgenrot. »Eher eiskalt wie der harte Bodenfrost. So viele kalte Schultern, wie ich in meinem Schülerdasein gesehen habe, gibt’s sonst nur an der Fleischtheke. Dass die holde Weiblichkeit in den letzten Jahren dann noch ein bisschen unerreichbarer geworden ist, das versteht sich ja wohl von selbst. Einen Moment. Ich wurde da unfreiwilliger Zeuge einer ganzen Reihe von vielversprechenden Verabredungen … »Ach, Quatsch!« fiel Herbie ihm ins Wort. »Das ist doch alles total oberflächlich! Die Mädels wollen doch gar nichts von mir. Die finden mich mittlerweile lustig, vielleicht sogar nett, wir haben ’n bisschen Spaß, wenn wir rausgehen, woran du ja nicht ganz unschuldig bist …« Er grinste Julius an und verfiel wieder ins Flüstern, als er ein junges Pärchen bemerkte, das an der Glastrennwand zum Innenhof saß und sich fragend zu ihm umwandte. »Tatsache ist, dass die Frauen, mit denen ich gerne mal … na ja, die mich interessieren, … die würden niemals was Ernstes mit mir anfangen oder auch nur im Traum daran denken, mal eine Nacht mit mir zu verbringen.« Du fällst nicht eben unter die Rubrik ›Ladykiller‹, das ist mir nicht entgangen. Vielleicht würde ja eine kleine äußerliche Runderneuerung einen Erfolg zeitigen? »Ich bin, wie ich bin«, murrte Herbie, nippte an seinem Wasser und stutzte plötzlich. Sein Blick wurde starr. Aus einer Ecke des Raumes, die er nicht hatte einsehen können, näherte sich eine Person. Die junge Frau kam zielsicher und doch fast ein wenig zögerlich zu seinem Tisch herüber, stützte sich mit der Rechten auf den Tastaturdeckel des alten, schwarzen Klaviers, das neben Herbie an der Wand stand, wobei eine ganze Kollektion von verschiedenen bunten Armreifen ihr Handgelenk herunterrasselte und auf ihrem abgewinkelten Handrücken liegen blieb, und beugte sich tief zu ihm hinunter. Viel zu tief. Sie hatte kurzes, pechschwarzes Haar, in dem eine feuerrote Strähne irgend etwas wie »Stop« oder »Sieh dich bloß vor, mein Junge« zu signalisieren schien. Die Winkel ihrer grünen Augen waren durch eine nahezu altägyptische Strichführung des Kajalstifts gefährlich verlängert worden, und der ebenso wie die Signallocke feuerrote Mund unter der spitzen, geraden Nase war einen Hauch geöffnet und ließ schillernd weiße Zähne erahnen, was sich im nächsten Moment bei einem gehauchten Lächeln bestätigte. Herbie entging nur mit Mühe der Gefahr, sich ganz und gar in der Betrachtung ihres beinahe jugendgefährdenden Dekolletés zu verlieren, das ebenso atemberaubend war wie der Rest ihres sommerlich leichtgeschürzten Körpers. Er hatte sie noch niemals aus solch unmittelbarer Nähe betrachtet, und er hätte im Traum nicht vermutet, dass sie jemals irgendwann Notiz von ihm genommen hatte. Aber sie kannte ihn offensichtlich. Das sagte ihm auch ihr lockeres »Hallo, du«, das sie jetzt mit dem Lächeln verband. Julius wunderte sich nicht minder. Jetzt, da er diese Frau sah, die von Gott oder Teufel, gleich von wem, geschaffen war wie die fleischgewordene Sünde und die das offensichtlich genau wusste, überlegte er, wo er sie schon einmal gesehen hatte, und er kam zu dem Schluss, dass sie in der Nähe von Herbies Behausung am Annaturmplatz in Euskirchen wohnen musste. Sie hatte eine Wohnung im zweiten Stock eines Hauses in der Nebenstraße, das wusste Herbie genau. Und, was das Aufregendste war: Ihr Badezimmerfenster ging zum Hinterhof hinaus. Linkerhand dicht gesäumt von einer angrenzenden Mauer, nach rechts beinahe komplett verdeckt von einem Erker, nach unten getarnt durch ein kleines Vordach, so dass sie in dem Glauben lebte, dass das, was sie in ihrem Badezimmer trieb, den Augen der Außenwelt verborgen blieb, selbst wenn sie es, wie häufig während dieser Jahreszeit, bei weit geöffnetem Fenster tat. Herbie hatte vor etwa zwei Monaten, als sie einzog, entdeckt, dass er es einer architektonischen Kuriosität zu verdanken hatte, dass sein Toilettenfenster das einzige weit und breit war, das einen Ausblick auf gerade ihr Badezimmerfenster, eine Etage tiefer auf der gegenüberliegenden Seite, erlaubte. Wenn er es auf Kipp abwinkelte, dann hatte er einen grandiosen Logenplatz, der ihm ein ganz und gar geheimes Vergnügen der besonderen Art bescherte: Sie duschte und wusch sich ausschließlich zu ihrer eigenen Sauberkeit und zu seinem optischen Ergötzen. Ihre Toilette lag außerhalb seines Gesichtsfelds, was er begrüßte, denn das wäre ihm nun wirklich peinlich gewesen. Dass Julius ihn bei seinen stillschweigenden Betrachtungen niemals gestört hatte, verdankte er nur der Tatsache, dass sein Kumpan ihn, anscheinend aus anerzogenem Takt, in solcherlei Lokalitäten stets unbehelligt ließ. Und jetzt, in eben diesem scheinbar endlos währenden Moment, sprach ihn dieses Weib an, diese Frau, die sich bereits unzählige Male für ihn entblättert hatte, die er betrachtet hatte, wie sie sich die Nägel schnitt, die vollen Lippen schminkte und ihren nackten Körper mit glänzenden Flüssigkeiten einrieb, deren süßen Duft er nur erahnen konnte. Sie sprach ihn an, als müsse sie ihm wahrhaftig erst erklären, wer sie war. »Rosawski« stand auf ihrem Klingelschildchen, und im Telefonbuch hatte er die Ergänzung »Dorothea« gefunden. Die Telefonnummer war ihm egal. Es hatte ihn nur gedrängt, ihren Namen herauszufinden, zu wissen, in wessen Leben er sich hineingemogelt hatte. Sie war ihm bei ein paar Gelegenheiten in Euskirchen begegnet, aber es schien nicht so, als habe sie ihn jemals bewusst wahrgenommen. »Ich bin die Doro«, sagte sie, zog sich, wie selbstverständlich, einen der dunklen Bistrostühle heran, setzte sich und schlug die langen...