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E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Krömer Kumari
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-99120-065-9
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 216 Seiten
ISBN: 978-3-99120-065-9
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nepal, 2001. Ein Mädchen lebt als wiedergeborene Göttin, eingesperrt in einem Tempel. Die Pilger, die sie täglich aufsuchen, sind ihr einziger Kontakt zur Außenwelt. Doch ihre Zeit als sogenannte »Kumari« läuft ab. Während ihr zu Ehren in ganz Nepal ein blutiges Opferfest gefeiert wird, bereiten maoistische Rebellen im Hinterland den Sturz des Königs vor. Ein Bürgerkrieg droht.
Auf dem Höhepunkt des Fests erreicht die junge Partisanin Rupa Rana mit einem entscheidenden Geheimauftrag die Hauptstadt Kathmandu. Auch Kronprinz Dipendra kehrt in seine Heimat zurück, den Kopf voll fremder Ideen und erfüllt von einem unerklärlichen Hunger. Ihre Wege kreuzen sich. Vom Ausgang ihrer verhängnisvollen Begegnung hängt ab, ob die Feiern mit einem Neuanfang oder einem Blutbad enden …
Ein packender, sprachmächtiger Roman über Liebe und Familie, Freiheit und Gehorsam und das Wagnis, in all dem Chaos das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Frei nach den historischen Ereignissen um die Kindgöttin Kumari greift das Buch ein Thema auf, das noch nie als Roman erzählt wurde.
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Am Morgen des nächsten Tages schleicht sich der Kronprinz verkleidet aus dem Palast, um mit seinen Untertanen Fühlung aufzunehmen. Inkognito mischt er sich unter das Volk. Der Schock über den vermeintlichen Anschlag auf die Fulpati-Parade gestern hat ihn die halbe Nacht nicht zur Ruhe kommen lassen. Was weiß er schon über Nepals Maoisten, außer dass er sich als einer von ihnen betrachtet? Seine Geliebte in Singapur kennt die Namen von heimlichen und offenen Sympathisanten. Und König Birendra lässt sich von seinen Geheimdienstlern Dossiers über die Stimmung in der Bevölkerung zusammenstellen. Aber was sagen sie dem Prinzen, der sie als Thronfolger ebenfalls einsehen darf? Die heimlich mitgeschnittenen Telefonate, die Aufzeichnungen der Abhörwanzen. All die Mitgliederlisten verbotener Organisationen, die Absatzzahlen indizierter Bücher, die Tortendiagramme, die Skalen und Prognosen … Sie sagen ihm, dass sich etwas rührt in Nepal. Aber was und wie viel genau, das können sie nicht enthüllen. Das letzte Puzzlestück zum ganzen Bild findet er nur allein, zu Fuß, vor der Tür. Statt sich auf die Berichte zu verlassen, wagt er sich nah heran ans zu untersuchende Objekt. Von der Verbreitung der maoistischen Ideen im Volk erfährt man nur von diesem selbst und nur auf Augenhöhe. Und wie sieht einer vom Volk aus? Etwa so: Die verschlissene Weste hängt Dipendra um die Schultern, das Hemd darunter ist ausgeblichen, die Hose fransig. Eine Schiebermütze hat er sich tief ins Gesicht gezogen. Im Palast waren solche Stücke schwer aufzutreiben. Erst in der Umkleide der Bediensteten wurde er fündig. Nichts außer seinem zum perfekten Halbkreis gestutzten Schnurrbart (mit dem man, wie ich weiß, ohne eine Unterrichtsstunde Mathematik erhalten zu haben, nach dem Satz des Thales ein rechtwinkliges Dreieck konstruiert) könnte seine majestätische Identität jetzt noch verraten. Darum das breite rote Halstuch, das er sich bis unter die Nase hochgewickelt hat. Wie ein Dieb stiehlt er sich zum Lieferanteneingang der Palastküche hinaus. Allein die zwischen den Mülltonnen rauchenden Küchenjungen beobachten ihn dabei, doch die halten still, weil sie, wie ihr festgesetzter Kollege, den roten Umsturz wollen? (Tatsächlich hat ihnen der Hofkoch bloß das Rauchen verboten, damit sie die Speisen nicht verunreinigen.) Ihr Schweigen jedenfalls ist Aufbegehren gegen eine Obrigkeit, und das ist dem Prinzen erst einmal genug. Verschwörerisch nickt er ihnen zu, bevor er sich davonmacht. Da zünden sie sich an den Stummeln ihrer heruntergebrannten Zigaretten jeder eine weitere an. Erkannt haben sie ihn ohnehin nicht, so gut ist er verkleidet. Und der Wachmann am Tor kontrolliert sowieso nur, wer Einlass in den Palast begehrt. Was dort hinausdringt, verantworten die Mächtigen und hat darum schon seine Richtigkeit. Was Dipendra am Vortag aus seinen Beobachtungen geschlossen hat, findet er bei näherer Betrachtung bestätigt: Dasain wird hartnäckiger gefeiert als in den Jahren zuvor. Der Blumentag Fulpati mag vorbei sein, doch wo die geflochtenen Kränze und Girlanden sonst weitere Tage hängen durften und sogar gepflegt wurden, damit sie nicht gleich verwelkten, überließ man sie diesmal, sobald sie ihren Zweck erfüllt hatten, umgehend dem Verfall. Verstreute und gefallene Blüten zertrampelte die feiernde Menge zu buntem Matsch, der bereits zu riechen beginnt. Die Straßen sind bedeckt davon. Niemand räumte ihn weg. Dabei zählt zu den positiven Nebeneffekten Dasains, dass die Straßen und öffentlichen Plätze Kathmandus, sonst stets verdreckt, für das Fest von Grund auf gesäubert werden. Die wenigen Passanten, die schon auf den Beinen sind, bahnen sich vorsichtig ihren Weg durch die glitschige Masse. Die Mehrzahl der Bewohner Kathmandus schläft noch ihren Rausch aus. Schulen, Behörden und die meisten Geschäfte sind wegen des Feiertags ohnehin geschlossen. So gärt es überall in der Stadt, auf ihren Straßen und in den Mägen der Feiernden, denen der traditionell zu Dasain ausgeschenkte Reisschnaps gestern nicht schnell genug fließen konnte, sowie in den Köpfen der potentiellen Revoluzzer. Und später könnte wohl noch einiges mehr passieren, wir haben Astami, denkt der Prinz, den Tag der ersten Blutopfer. Wer weiß, welche folgen werden. Er muss sie nur noch finden, Nepals verborgene maoistische Rebellen, und sich vergewissern, dass sie wirklich zahlreich sind und so tatendurstig wie er, und dass er richtig liegt mit seiner Annahme, zum kollektiven Aufbegehren bedürften sie lediglich eines letzten Schubsers in die richtige Richtung. Keiner brennenden Barrikade, die ihren Weg behindert, vielmehr eines voranschreitenden Initialzünders und Brandbeschleunigers. Und der wäre natürlich gern er selbst. Doch bei seiner Expedition durch die Hauptstadt erfährt er wenig. Die Frühaufsteher, denen er begegnet, bleiben maulfaul. Nicht eine einzige geheime Zusammenkunft kann er ausmachen, keine illegalen Banner, und die Graffitis sind nur obszöne Schmierereien. Aber halt. Mit roter Farbe steht auf das Schaufenster einer Wechselstube gepinselt: Vishnu Faschistu. Gilt der König den Gläubigen nicht selbst als Wiedergeburt des Obergottes Vishnu? (Wenn das stimmte, wüsste ich davon.) Oder hier, auf dem Straßenschild: Birendra, brenne! Also doch! Tod dem König! Die Losung der Maoisten. Bei Sonnenaufgang erreicht Rupa Rana flacheres Terrain. Die Batterie der Taschenlampe reichte doch bis zur Dämmerung, dann erlosch die Glühbirne flackernd. Vom Fressfeind ist nichts zu sehen, auch zu hören ist er seit einiger Zeit nicht mehr. Er scheut das Tageslicht. In seinem Versteck wird er die kommende Nacht abwarten, um wieder auf die Jagd zu gehen. Der seidene Faden, an dem ihr Leben hängt, ist noch intakt. Voraus, an den Ausläufern eines weiteren Berges, zeichnet sich ein Bauerndorf ab, kaum mehr als ein paar entlang eines Fußwegs errichtete Häuser aus unbehauenen Steinen und Holz. Rupa Rana hält darauf zu. Etwas zu essen wäre jetzt gut. Vor dem ersten Haus biegen sich vier Stangen im Wind. Was sie zunächst für Fahnenmasten hielt, stellt sich als das Gerüst einer Dasain-Schaukel heraus, deren Seile und Sitzfläche bereits abmontiert wurden. Von den Traufen der Dächer hängen die geflochtenen Blumenbündel vom Vortag, die unbeschwerten Feiern sind jedoch vorbei. Ab Astami, dem achten Tag des Fests, wandelt sich Dasain vom Bunten ins Düstere. Rupa Rana ignoriert die überraschten Blicke der Bewohner. Nein, man habe selbst noch nicht gegessen und übrig bleibe schon gar nichts. Ein alter Bauer weist ihr immerhin den Weg zur Straße. Eine Schar Kinder folgt ihr einige Hundert Meter und starrt sie, wann immer sie sich nach ihr umwendet, schweigend an. »Was wollt ihr?«, ruft die Rebellin. Sie wollen sehen, wie sie ihr Gewehr abfeuert. Aber den Gefallen tut sie diesen Rotznasen nicht. Die Waffe wurde ihr zu einem bestimmten Zweck überantwortet. Für Salutschüsse wird sie keine Patronen verschwenden. Erst recht nicht zu Ehren einer imaginären Göttin. (Aber hier sitze ich doch, meine kleine Maoistin, und lasse dich nicht aus den Augen …) Wo Rupa Rana die Straße schließlich erreicht, ist sie bereits asphaltiert – bis Kathmandu kann es nicht mehr weit sein. Die Rebellin setzt ihren Weg auf der Fahrbahn fort. Hier geht es sich leichter. Doch die Verzögerung, die ihr das nächtliche Irren durchs unwegsame Gelände trotz des tierischen Ansporns eingebracht hat, muss sie irgendwie aufholen. Ein Kleintransporter nähert sich von hinten, rauscht viel zu knapp an ihr vorbei und fegt Rupa Rana beinahe in den Straßengraben. Sie sieht dem Fahrzeug nach, das sich zügig entfernt und bald außer Sicht ist. Sein wütendes Hupen klingt der jungen Rebellin wie eine Aufforderung. Mohan beschwor sie doch, nicht immer alles allein stemmen zu wollen. Man dürfe sich helfen lassen, er erklärte das sogar zu einem elementaren Teil des Maoismus. Der Große Vorsitzende selbst habe gesagt: Alle Menschen in den Reihen der Revolution müssen füreinander sorgen, müssen einander betreuen, einander helfen. Nur sind weder Mohan noch Mao bei ihr, um das Helfen zu übernehmen. Rupa Rana postiert sich gut sichtbar am Straßenrand. Sie streckt den Daumen raus. Wenn sie zu Fuß nicht schnell genug ist, hat vielleicht jemand einen freien Sitzplatz für sie. Sie darf nicht wählerisch sein. Als Rebellin ist sie zwar nicht mehr zu erkennen, vor Polizei und Armee sollte sie sich trotzdem hüten. Doch trifft man im Gebirge selten Polizisten, die ungern ihre gesicherten Polizeistationen verlassen, und Soldaten dürften höchstens in die andere Richtung unterwegs sein. Nämlich hinauf zum umkämpften Pass. Ein Lkw mit einer offenen Ladefläche voller Ziegenböcke liest sie schließlich auf. Dem Fahrer ist es gleich, warum sie in die Stadt will. Auch an ihrem alten chinesischen Gewehr stört er sich nicht, er verlangt es sogar als Preis für die Beförderung. Nach einigem Zögern geht Rupa Rana darauf ein. In der Stadt würde sie damit auffallen, sie müsste es ohnehin zurücklassen. Als Revolutionsgut ist es zwar nicht ihr Eigentum, der Tausch aber dient der Sache und sollte darum, meint sie, gerechtfertigt sein. Man kann aber den Krieg nur durch Krieg abschaffen, und wenn man will, dass es keine Gewehre mehr geben...