Kronenberg Edelsüß
2024
ISBN: 978-3-8392-3967-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Norma Tanns vierter Fall
E-Book, Deutsch, Band 4, 288 Seiten
Reihe: Privatdetektivin Norma Tann
ISBN: 978-3-8392-3967-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Wiesbaden. Die Staatsanwältin Angela Bennefeld wird tot aus dem Schiersteiner Hafen geborgen. Alles sieht wie ein Unfall aus, doch ihre Stiefmutter glaubt nicht daran und bittet Privatdetektivin Norma Tann um Hilfe.
Norma rekonstruiert Angelas letzten Abend. Sie stößt auf Unterlagen über den Glykolwein-Skandal im Jahr 1985, der für viele Winzer das Aus bedeutete. Immer mehr Einzelheiten aus Angelas Vergangenheit bringt die Privatdetektivin ans Licht: Angelas Mörder gerät in Bedrängnis - und Norma in Lebensgefahr.
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Dienstag, der 12. Juli Sie erwachte mit den nebulösen Bildern eines Traums, in dem Benni sich auf sie geworfen und ihr die Luft abgedrückt hatte. Die Last auf dem Bauch entpuppte sich als Kater, der die Krallen in die Bettdecke schlug. Sie vergrub die Finger im stahlgrauen Fell und hörte seinem Schnurren zu, bis sie sich zu ihrem täglichen Yogaprogramm aufraffte und die Matte vor dem Bett ausrollte. Jeden Morgen der Kampf gegen die Bequemlichkeit. Leopold robbte zur Bettkante vor und angelte, gnädigerweise mit eingezogenen Krallen, nach ihren Waden, solange sie rücklings die Beine zur Zimmerdecke streckte. So richtig wollten die Asanas heute nicht gelingen. Sie fühlte sich angeschlagen, und die Blutergüsse an Schultern und Oberarmen schmerzten. In der Morgensonne, die hell und freundlich durchs Dachfenster leuchtete, erschien ihr die Auseinandersetzung eher peinlich. Wenigstens hatte Chrissi ihr Geld bekommen. Der Kater hatte sich längst über das Dach davongestohlen, als sie nach dem Frühstück hinunter ins Büro gehen wollte. Auf der mittleren Etage fielen ihr Evas Pflanzen ein, die einen Schuss Wasser vertragen könnten. Ihre Vermieterin Eva Vogtländer, eine Lehrerin, verbrachte wie jeden Sommer die Ferien bei ihrem Kölner Freund, und Norma hatte sich angeboten, den Kater und das Grünzeug zu versorgen. Leopold fühlte sich bei ihr ebenso zu Hause wie bei seiner Besitzerin, und die Pflanzen gaben sich mit wenig Aufmerksamkeit zufrieden. Sie flitzte nach oben, um den Schlüssel zu holen. Die Grünlilie im Bad ließ die Blätter hängen, aber Norma wusste aus Erfahrung, wie schnell sich das Gewächs berappeln konnte. Nach der Trennung von ihrem Mann Arthur war sie in dieses Haus gezogen. Sie mochte den unscheinbaren Altbau, und sie liebte das Leben in Biebrich, diesem lebendigen Wiesbadener Stadtteil, der bis ans Rheinufer heranreicht. Von der Haustür ins Büro waren es nur fünf Schritte entlang der Fassade. An den improvisierten Arbeitsraum im ehemaligen Blumenladen erinnerte nichts mehr, seit sie die Wände in einem satten Terrakottaton gestrichen und die abgenutzten Regale gegen neue Möbel getauscht hatte. Aktenordner und Papiere standen und lagen nicht mehr offen herum, sondern waren hinter Schranktüren verschwunden, die ihr halfen, Ordnung zu halten. Für die Klienten gab es eine nette Sitzecke am Fenster. Einmal entschlossen, hatte sie sich aufgemacht und an einem einzigen Samstag sämtliche Möbel ausgewählt. Nur die Suche nach der Jalousie, die neugierige Blicke durch die Schaufensterscheibe verhindern sollte, hatte sich als langwierig und scheinbar aussichtslos erwiesen, bis sie schließlich in einem Biebricher Laden einen apart gemusterten Lamellenvorhang entdeckte. Nun war sie sehr zufrieden mit dem Ergebnis, das genügend Seriosität ausstrahlte, um den Klienten wie ihr selbst den Eindruck zu vermitteln, Norma Tann habe sich als Private Ermittlerin etabliert. Ihr derzeitiger Auftraggeber war ein Wiesbadener Versicherungsdetektiv, für den sie das Internet nach Adressen durchstöberte. Eine stupide Schreibtischarbeit mit dem Vorzug, passabel bezahlt zu werden. Norma steckte mitten in den Recherchen, als sich durch die Jalousie die Silhouette einer Limousine abzeichnete. Sie stand auf und öffnete die Tür. Auf der Gasse wartete Lutz Tann, Arthurs Vater. Arthurs Tod hatte ihre Freundschaft vertieft. Seit Weihnachten ließ Lutz sich von der fixen Idee treiben, die 100 Jahre alte Villa der Familie zu verkaufen und aus dem Wiesbadener Nerotal wegzuziehen. Ein neues Domizil am Rhein schwebte ihm vor; vielleicht in Schierstein oder einem Winzerort im Rheingau. Der Landstrich am Rhein mit seinen wunderschönen Orten und geschichtsträchtigen Städtchen begann unmittelbar hinter Wiesbadens westlicher Stadtgrenze. In den vergangenen Wochen hatten sie gemeinsam mehrere Häuser besichtigt. Das Traumhaus ließ bisher auf sich warten. Norma war von den Plänen weniger überzeugt. Lutz liebte seine Gewohnheiten. Frühmorgens spazierte er durch die Taunusstraße in die Innenstadt und frühstückte im ›Maldaner‹ oder einem anderen Lieblingscafé, um sich danach um den Verlag zu kümmern. Für den Rückweg nahm er sich gern die Zeit für einen Umweg und schlenderte über die Wilhelmstraße und am Kurhaus entlang. Sie war sicher, das wäre nichts für ihn: Täglich mit dem Bus, dem Taxi oder dem eigenen Wagen in die Stadt zu fahren. Sein Daimler, ein Oldtimer, ins Heute gerettet aus dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts, schonte sich die meiste Zeit in der Garage und kam nur zu besonderen Ausfahrten ans Tageslicht. Dieser Vormittag bot offenbar eine solche Gelegenheit. Galant zog Lutz die Beifahrertür auf. »Zum Weingut Adebar, Madame!« »Adebar wie Storch?«, wunderte sie sich. »Vermutlich hat man es nach all den Störchen benannt.« »Demnach geht es nach Schierstein?« Das einstige Winzer- und Fischerstädtchen war bekannt für die wachsende Zahl an Storchenpaaren, die dort jeden Sommer brüteten und ihre Küken aufzogen. Er schaute schwärmerisch. »Ich sehe mich schon mit Undine in einem der hübschen Restaurants am Hafen sitzen. Und mit dir natürlich.« Er stutzte und musterte ihre langen Blusenärmeln, ohne die blauen Flecken darunter zu erahnen. »So warm angezogen bei der Hitze? Du hast dich hoffentlich nicht erkältet?« »Alles in Ordnung«, entgegnete sie unbekümmert. »Eigentlich müsste ich arbeiten.« »Das Exposé klingt viel versprechend. Ich würde mich freuen, wenn du mich begleitest, Norma.« Der Versicherungsauftrag konnte eine Stunde warten. Sie sperrte das Büro ab. Im Wagen roch es nach Holzwachs und Lederpflegemittel. Sie sank mit einer gewissen Ehrfurcht auf den Sitz nieder. »Willst du vom Verleger zum Winzer umschulen?«, fragte sie scherzhaft, als Lutz eingestiegen war. Er lächelte versonnen. »Reizen würde es mich. Aber ich Schreibtischtäter im Weinberg? Die armen Reben! Abgesehen davon geht es nur um die Gebäude. Die Weinberge wurden Mitte der 1980er-Jahre verpachtet. Zu der Zeit, als viele Winzer aufgeben mussten.« »Gab es dafür einen bestimmten Grund?« Er warf ihr einen verwunderten Blick zu. »Na, der Glykolskandal im Jahr 1985. Nachdem die Panscherei aufgeflogen war, wollte niemand mehr deutschen Wein kaufen. Was auch die ehrbaren Winzer schwer getroffen hat. Weißt du nicht mehr? Zum Wohl, Glykol! So hieß es damals.« »Darf ich dich daran erinnern, dass meine Heimat die norddeutsche Tiefebene ist? 1985 war ich zu jung für Wein und wusste soeben, dass es rote und weiße Trauben gibt.« Sie war ein echtes Nordlicht, aufgewachsen in einem niedersächsischen Dorf an der Weser. Ihren Polizeidienst hatte sie in Bremen begonnen. Bei einer Schulung im Bundeskriminalamt verliebte sie sich in die Stadt Wiesbaden und ließ sich nach Hessen versetzen. So lautete die offizielle Version, die nicht geschwindelt war. Tatsächlich nahmen die Stadt und das Umland, der Rheingau und der Taunus, Norma auf Anhieb für sich ein. Das Beste am Umzug jedoch waren die 430 Kilometer, die sie fortan von Hauptkommissar Jan Petersen trennten, der ersten und schlimmsten Liebe ihres Lebens. Bei einem der ersten Wiesbadener Einsätze war sie Arthur begegnet, als in dessen Kunst- und Antiquitätengeschäft in der Taunusstraße eingebrochen worden war. Lutz gab sich ebenfalls Erinnerungen hin. »Ein guter Freund von mir, ein angesehener Winzer, hat sich nach dem Weinskandal mit einem Jagdgewehr erschossen. In seinem Weinkeller. Weil er das Familienweingut nicht retten konnte.« Norma legte den Gurt an. »Stichwort Familie! Du bist also fest entschlossen, die Villa Tann aufzugeben? Den ehrwürdigen Sitz der Verlegerdynastie Tann?« Lutz ließ den Wagen an und schaute in den Außenspiegel. »Was nützt mir ein Familiensitz ohne Familie? Arthur, mein Sohn und Erbe, ist tot. Und du willst die Villa nicht übernehmen. Ich müsste so viel Geld hineinstecken. Fenster, Heizung, Elektrik. Und das für ein Haus, das mich traurig macht.« Der Motor schnurrte los wie Leopold. Lutz steuerte den Daimler durch die Biebricher Gassen und bog in die Rheingaustraße ab, die den Blick auf den Strom freigab und auf das grüne Band der Rettbergsaue. Rechter Hand kam die filigrane Fassade des Biebricher Schlosses in Sicht. Die Sandsteinfiguren auf dem Dach der Rotunde erhoben sich in einen wolkenlosen blauen Himmel. Lutz deutete auf die Ablage vor dem Beifahrersitz. »Sieh dir das Exposé an! Das Weingut Adebar, das hat was!« Norma blätterte in den Unterlagen. »Stimmt, das Weingut hat was. Und zwar einen beträchtlichen Investitionsbedarf! Soweit ich das als Laie beurteilen kann.« »Noch nichts kaputtsaniert, meint der Makler. Das Anwesen gehört einer älteren Dame, einer Winzerwitwe. Offenbar hat der einzige Sohn kein Interesse daran.« Sie kurbelte die Scheibe hinunter und schnupperte in den Fahrtwind hinein. »Wie viele Jahre willst du auf einer Baustelle leben, Lutz?« Mit knapp 60 sei er gewiss nicht zu alt für einen Neustart, erklärte er mit vorsichtiger Empörung und tuckerte in einer Bierruhe voran, die den nachfolgenden Fahrern den Schweiß auf die Stirn treiben musste. »Die Villa Tann hieße konservieren. Das Weingut ist Aufbruch«, fügte er pathetisch hinzu. »Was meint eigentlich Undine zu deinen Umzugsplänen?« Seine Lebensgefährtin Undine Abendstern wohnte in einem Jugendstilhaus im Wiesbadener Dichterviertel. Norma konnte sich nicht vorstellen, dass die überkandidelte Galeristin ihre schicke Altbauwohnung verlassen würde, um an den Rhein zu ziehen. Er zuckte ergeben mit den Schultern, beide Hände...