E-Book, Deutsch, Band 7, 288 Seiten
Reihe: Privatdetektivin Norma Tann
Kronenberg Rosentot
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8392-5670-1
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Norma Tanns siebter Fall
E-Book, Deutsch, Band 7, 288 Seiten
Reihe: Privatdetektivin Norma Tann
ISBN: 978-3-8392-5670-1
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Eine halbe Stunde zuvor
Bei frühsommerlichem Wetter war eine Gruppe von Vertretern der Stadt und des Teams der Landesgartenschau, sowie Sponsoren und interessierte Bürgerinnen und Bürger ganz in der Nähe auf einem Parkplatz zusammengekommen. Anlass des Treffens war ein neuer Waldlehrpfad, der nun pünktlich zum Start der Hessischen Landesgartenschau, die in Bad Schwalbach stattfand, eröffnet werden sollte. Auch Norma hatte sich deswegen in den Bad Schwalbacher Wald aufgemacht. Als die Bürgermeisterin, eine füllige, warmherzig wirkende Mittfünfzigerin, die Anwesenden begrüßte, lenkte der durchdringende Ruf eines Greifvogels Normas Blick nach oben. Im wolkenbetupften Himmel schraubten sich zwei Rotmilane wie schwerelos in die Höhe. Als sie sich wieder den Umstehenden zuwandte, bemerkte sie ein Lächeln auf vielen Gesichtern. Elisabeth Behrensens Worte über das Unglück, das auch Chancen berge, passten zweifellos auch auf die Greifvögel und ihren Jagderfolg im vom Wald befreiten Areal. Vor vier Jahren hatte der Tornado ein kilometerlanges Band der Zerstörung bis hinunter in die Stadt geschlagen, die sich in trügerischer Sicherheit zwischen den steilen Taunushängen behaglich eingerichtet hatte. Wie verloren wand sich nun die Straße mit dem historischen Namen »Reitallee« durch den Windbruchhang, passierte nach einer Haarnadelkurve das Café Platte und streifte ein Stück weiter oberhalb den Waldparkplatz mit der Besucherschar. Von hier aus überschaute man die, wie Norma schätzte, gut vier Fußballfelder umfassende Fläche, auf der kaum ein Baum stehen geblieben war. Der neue Rundweg, die Tornado-Spur, zog sich auf frisch angelegten Pfaden und Brücken über den Berghang. Wer gute Augen hatte, erkannte tief unten zwischen Häusern und Straßen zwei grüne Täler, die sich wie die gespreizten Finger des Victoryzeichens dem Wald entgegenstreckten: die Hauptschauplätze der Hessischen Landesgartenschau, deren feierliche Eröffnung Norma vor zwei Tagen miterlebt hatte. Die Zeremonie an diesem Tag, hier oben im Wald, lief deutlich geruhsamer und bescheidener ab. Der leichte Wind trug die helle Stimme der Bürgermeisterin davon. »… würdigen wir heute die Eröffnung der Tornado-Spur … Abenteuerpfad … Lehrpfad … über das Sturmholz hinweg und hindurch … die enorme Kraft der Natur, aber auch die Energie des Neubeginns … wie schön, zeitgleich mit der Landesgartenschau auch diese Attraktion …« Norma verlor den Faden, hing ihren Gedanken nach. Mal kleiner, mal größer waren ihre Zweifel an ihrem derzeitigen Auftrag. Aus einer Laune heraus hatte sie sich dafür beworben, einen Internet-Blog über die Landesgartenschau zu führen, und damit prompt Gertraud Meering, die Initiatorin dieses Vorhabens, für sich eingenommen. Die alte Dame war von ihrer Enkelin darauf gebracht worden, einen Blog zur Gartenschau ins Leben zu rufen. Die gebürtige Bad Schwalbacherin war hingerissen von der Vorstellung, eine wahrhaftige Privatdetektivin zu engagieren. Norma sollte das Geschehen rund um die Landesausstellung mit detektivischem Spürsinn erkunden und mit subjektivem Blick kommentieren. Alle 14 Tage würde der Schreiber wechseln, und Norma war die Erste in der Reihe. Überrascht von der schnellen Zusage hatte sie kalte Füße bekommen. Doch ihren Einwand, sie wohne am Rhein in Wiesbaden-Biebrich und kenne sich im Taunus kaum aus, hatte die Sponsorin unbekümmert vom Tisch gewischt und sich auch von Normas Bedenken nicht beirren lassen, sie könne nur im Polizeijargon schreiben. Norma sollte ganz ungezwungen über das berichten, was ihr auffiel, und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen. Ein Bild, das Norma hinsichtlich der Gartenschau amüsierte. So willigte sie schließlich ein und stimmte auch der einzigen Bedingung zu: in Bad Schwalbach zu wohnen, um dicht am Geschehen zu sein. Zeitgleich mit der Eröffnung der Landesausstellung war sie ins Hotel zum Pharao gezogen, das von einem jungen Bad Schwalbacher Ehepaar, Jolanda und Florenz Bruck, geführt wurde. Die jungen Hoteliers hatten sie sehr herzlich in Empfang genommen. Am ersten Abend waren sie, nach einigen Gläsern Rheingauer Wein, zum Du übergegangen. Norma fing einen gelangweilten Blick Jolanda Brucks auf, die als finanzielle Unterstützerin der Tornado-Spur an der Eröffnungsfeier teilnahm. Ihr Mann Florenz trieb sich im Schatten der Bäume herum, die der Windhose getrotzt hatten. Allmählich schien die Bürgermeisterin zum Ende ihrer Ansprache zu finden. Ihre Stimme gegen den Wind erhebend dankte sie dem Förster, der mit einer Sommergrippe im Bett lag, und wünschte ihm aus der Ferne gute Besserung. Der Lehrpfad, der sich über Treppen und Bohlenwege auf einem 800 Meter langen Rundkurs durch Wald und Windbruch zog, sei nur dank der gemeinsamen Anstrengungen von Stadtverwaltung, Forstamt, dem Team der Landesgartenschau und vielen privaten Spendern möglich geworden. Während freundlicher Applaus erklang, schlängelte Norma sich zu Elisabeth Behrensen durch, die sie als »offizielle LGS-Bloggerin« herzlich willkommen hieß und nach nettem kurzem Plausch zur gegenseitigen Vorstellung ringsherum weiterreichte. Höfliches Nachfragen, gepflegter Small Talk. So pudelwohl Norma sich inmitten der Natur fühlte – Empfänge im Wald lagen ihr weniger. Was habe ich mir mit dem Blog nur eingehandelt?, ärgerte sie sich aufs Neue und schnappte sich zur Ablenkung ein Sektglas von dem ausladenden Tablett, das Lilly, eine Mitarbeiterin des Hotels der Brucks, geschickt durch die Menge balancierte. Abgesehen von bunten Blumenbildern war Normas Ausbeute an Fotos und Texten zum Thema Landesgartenschau bisher überschaubar. Also nutzte sie die Gelegenheit, stellte das halb geleerte Glas zurück und fotografierte das aus wuchtigen Balken gezimmerte Tor, das Zugang zur Tornado-Spur bot. Mittlerweile unterhielt sich die Bürgermeisterin mit einem jungen Mann, der sich als Journalist des Aar-Boten vorgestellt hatte. Norma fing Satzfetzen auf, in denen Elisabeth Behrensen von dem gelungenen Start der Landesgartenschau schwärmte, als das Dröhnen eines PS-starken Motors jede weitere Unterhaltung unmöglich machte. Ursache des Lärms war, wie sich gleich darauf zeigte, ein gewaltiges Forstfahrzeug, das sich seinen Weg durch den Wald bahnte. Wie ein ausgehungertes Tier richtete es seinen langen Greifarm auf einen Berg mächtiger verrottender Baumstämme aus, die sich wie von einem Riesen umgeknickt und durcheinandergewirbelt in Sichtweite des Parkplatzes auftürmten. Die Umstehenden schraken zusammen. Elisabeth Behrensen breitete die Arme aus, als wollte sie ihre Gäste vor dem Koloss schützen. Ein älterer Mann an Normas Seite deutete auf das Sturmholz und meinte bedauernd: »Was für ein Jammer, die uralten Bäume! Das war ein Naturdenkmal, eine außergewöhnliche Gruppe von Blutbuchen. Vor vier Jahren hat die Windhose die dicken Buchen wie Streichhölzer umgefegt.« »Weshalb hat man das Holz nicht längst abgeräumt?«, fragte sie verwundert. »Die Verwüstungen waren immens«, erklärte er. »Mit den Folgen des Tornados sind die Waldarbeiter immer noch beschäftigt. Zuerst wurden die Bäume entfernt, die eine Gefahr darstellten oder die Wege versperrten. Bei diesem Windbruch bestand offenbar kein Grund zur Eile.« Florenz Bruck fühlte sich offensichtlich zum Handeln berufen und spurtete dem Monstrum entgegen. Beide Arme protestierend über dem Kopf schwenkend brüllte er: »Stopp! Sofort anhalten!« Tatsächlich drehte die Monstermaschine bei und kam knapp vor Florenz zum Stehen. Der Motorenlärm verstummte. Die Bürgermeisterin schritt, ein beschwichtigendes Lächeln auf den Lippen, auf die Kontrahenten zu. Die Gästeschar, unter ihnen Norma, folgte interessiert. Die Tür der Fahrerkabine flog auf. »Ich habe einen Auftrag«, rief der Fahrer, sichtlich unbeeindruckt von dem Aufgebot, und musterte Florenz von seiner hohen Position aus mit stoischer Miene. »Du störst eine Feier! Verschwinde!«, rief Florenz und reckte drohend die Faust. »Bitte, bitte, Herr Bruck!«, wandte sich Elisabeth Behrensen mäßigend an den Hotelier und bat den Fahrer: »Kommen Sie bitte später wieder.« »Ich bin für hier und heute beauftragt«, antwortete der Mann in der Kabine unbeirrt und deutete auf das Sturmholz. »Der Haufen wird jetzt abgebaut. Später wird es teuer.« »Da ist etwas schiefgelaufen«, flötete die Bürgermeisterin. »Der Förster ist erkrankt, womöglich wusste sein Stellvertreter nicht …« »Ist mir schnurzegal!«, fiel ihr der Fahrer ins Wort. »Mein Auftrag ist, wie er ist.« »Zieh Leine!«, fauchte Florenz, der sich unter der offenen Kabinentür aufgebaut hatte. »Bitte, bitte, meine Herren!«, rief die Bürgermeisterin, die zu befürchten schien, dass der Fahrer nicht nachgeben würde. »Wo ist das Problem? Wir feiern den Start des Tornado-Lehrpfads, und was könnte in diesen Rahmen besser passen als die praktische Demonstration einer Forstmaschine? Machen Sie Ihren Job, junger Mann! Wir sind Ihr Publikum!« Pragmatisch ist sie, das muss man ihr lassen, dachte Norma anerkennend. Mit ohrenbetäubendem Wummern sprang der Motor an, und das Gefährt rollte erneut auf den Sturmholzstapel zu. Der Greifarm setzte sich in Bewegung, verbiss sich in den oberen mannsdicken Buchenstamm, hob ihn an und legte ihn mit kraftvollem Schlenker seitlich auf freierem Gelände ab. Stamm um Stamm schmolz der wilde Turm dahin, während am Rand der Parkfläche ein geordneter Stapel heranwuchs. Der Großteil der Gäste stahl sich davon, doch einige blieben, darunter die Bürgermeisterin, und beobachteten interessiert die Präzision der kraftvollen...