Kruse Kalte Platte
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95441-120-7
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Köstliche Krimi-Häppchen
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-95441-120-7
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Die Killer-Erdmännchen und der Männerschädel im Gibbonweiher
11 Uhr 23 Zugriff!«, bellte der Einsatzleiter. »Zugriff!«, wiederholte er zur Sicherheit, weil sein Team aus strunzdummen Jungbeamten bestand, die hinter den Ohren noch laubfroschgrün waren und bei denen man sich fragte, ob sie ohne Muttern auch wirklich aufs Töpfchen fanden. Denen musste er grundsätzlich immer alles zweimal sagen. Vorn an der afrikanischen Savannenanlage stürzten sich gleich darauf Pleschek, Meier und Ünsal unter den entsetzten Blicken einiger Hirschziegenantilopen, Löffelhunde und der siebten Klasse der Freien Waldorfschule Oberursel auf den flüchtigen Tatverdächtigen. Gut, sie hätten ihn nicht ganz so heftig treten dürfen, als er schon in Handschellen am Boden lag, aber die Tatsache, dass sie voller Blut, Warzenschweinkacke und Dromedarerbrochenem waren, würde ihnen zugutegehalten werden, sollte der Anwalt des Verdächtigen sie juristisch zu belangen versuchen. Es war ein harter Showdown gewesen. Aber er hatte ja zur Festnahme geführt. Das zweibeinige Mörderschwein (Homo homini lupus) war dingfest gemacht, mitten im Opel-Zoo zu Kronberg im Taunus! 11 Uhr 21 Else Bachmann ging kopfschüttelnd weiter, als erst der Glatzköpfige mit der Reisetasche und dann die drei Vermummten mit den gezückten Waffen an ihr vorbeihechteten. Die drehten hier bestimmt mit versteckter Kamera einen ARD-Tatort. Der Opel-Zoo war seit Giraffe, Erdmännchen & Co ein beliebter Drehort. Allerdings fand sie diese Actionszene übertrieben. Und was Action anging, konnte sie weiß Gott mitreden. Der Sonntagabendtatort war ihr heilig. Schon immer. Vermummte SEKler, die sich bei laufendem Betrieb auf einen Glatzkopf stürzten, das war einen Tick zu heftig für einen guten, deutschen Familienkrimi. So was erwartete man in diesen brutalen amerikanischen Serien, und die schaute sie nicht. Else Bachmann schritt zügig voran. Der Bus zum Bahnhof Kronberg wartete nicht. Auch nicht auf sie. Obwohl sie Stammbesucherin war. Jeden Tag, den Gott werden ließ, kam sie in den Zoo. Dank Jahreskarte. Und Rhein-Main-Verkehrsverbund. Eine einfache Gleichung, fand sie: Frische Luft + viel Exotik auf vier Beinen = Erholung pur. Der Höhepunkt war für sie immer das Erdmännchenfreigehege. Nicht zu glauben, dass diese possierlichen Tierchen Raubtiere sein sollten! 11 Uhr 11 Patrick Schlenz hechtete über den Zaun. Er konnte den heißen Atem seiner Verfolger förmlich im Nacken spüren. Warzenschwein-Eber Horst und seine Partnerin Sylvie schreckten zusammen, als Schlenz in ihrem Gehege schwer auf seinen Springerstiefeln landete. Eigentlich waren sie gerade dabei, für Warzenschweinnachwuchs zu sorgen, aber das hatte sich jetzt erledigt. Sylvie konnte nicht gut mit Störungen. Sylvie war sensibel. Folglich warf Sylvie Horst gleich nach Schlenzens Landung von sich, erleichterte sich angsterfüllt und galoppierte panisch in Richtung Felsenversteck. Horst floh nicht. Horst ... wurde ... böse. Patrick Schlenz kannte Schweine nur aus Filmen wie Schweinchen Babe. Und dieses hier war einfach nur grauer und haariger. Aber Schwein blieb doch Schwein, oder? Harmlos. Er sah nach hinten. Seine Verfolger kamen näher. Schlenz wurde schneller. Das Warzenschwein (Phacochoerus africanus) wird oft mit der Hakuna matata singenden Dumpfbacke Pumbaa aus König der Löwen verwechselt, ist aber in Wirklichkeit ein gefährlicher Angreifer und extrem leicht zu verstimmen. Und wenn sich ein über 100 Kilo schwerer Warzenschwein-Eber mit aufgestellter Nackenmähne und fast sechzig Zentimeter langen Hauern auf einen Eindringling stürzt, der ihn beim Schäferstündchen gestört hat, dann sollte man das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das wurde Patrick Schlenz spätestens in dem Moment klar, als Horst ihn mit voller Wucht von schräg hinten erwischte und durch die Luft katapultierte. Schlenz war durchtrainierter Sportler und wusste, wie man landet. Das rettete ihn. Das und die Tatsache, dass seine Verfolger nun ebenfalls im Warzenschweingehege angelangt waren und Horsts Aufmerksamkeit sich den Neuankömmlingen zuwandte. Einen von ihnen erwischte er ebenfalls. Blut spritzte. Die anderen beiden glitschten in Sylvies Panikexkrementen aus und landeten in einer aufspritzenden Fontäne aus Warzenschweinkacke unsanft auf dem Rücken. Patrick Schlenz rappelte sich auf und rannte weiter. 10 Uhr 50 Else Bachmann warf ein lauwarmes Fleischhäppchen ins Freigehege mit den Erdmännchen. Die Mangusten hatten schon gewartet und stürzten sich mit Feuereifer darauf. Lecker! Es gab, wie immer, kleine Rangeleien um die Beutestücke. Erdmännchen sind futterneidisch. Im Opel-Zoo war das Füttern – im Gegensatz zu so gut wie allen anderen zoologischen Gärten – erlaubt. Natürlich nicht mit Mitgebrachtem von zu Hause – das führte zu Koliken, Verfettung, Nierenschäden oder allem zusammen und damit letztlich zum Tod der Tiere. Erlaubt jedoch war das, was der Zoo anbot, beispielsweise Karotten oder Trockenfutter. Für Kinder war das natürlich ein einmaliges Erlebnis. Wilde Tiere füttern! Aber auch Else Bachmann genoss es immer wieder von Herzen. Gerade die Erdmännchen. Diese süßen, kleinen Racker. Wenn die Sonne schien, drehten sie ihre hellen Bäuche ins Licht und schlossen genüsslich die dunkel umrahmten Äugelein. Immer in Gruppen beieinanderstehend, dicht an dicht. Zu goldig! Bei diesem Anblick wurde Else Bachmann regelmäßig das Herz ganz weit. Else Bachmann seufzte beseelt, sah sich nach Tierpflegern um, entdeckte keine, griff in die Plastikdose in ihrer übergroßen Umhängetasche und warf noch ein lauwarmes Fleischstückchen in die Erdmännchenmenge. Die Menge jubelte. 10 Uhr 45 »Der will sich vom Acker machen!«, rief Ünsal. Sie hatten ihn bis zum Dromedargehege verfolgt, ohne dass er das bislang bemerkt hätte, aber nun schien sich das geändert zu haben. Die Dromedare standen, gemütlich mit den Unterkiefern mahlend, am Zaun. Sie gehörten zur Streicheltruppe des Zoos und durften regelmäßig geritten werden, darum kannten sie keine Scheu vor Menschen. Auch nicht vor Glatzköpfigen in Springerstiefeln, die abrupt stehen blieben und sich in plötzlicher Panik nach hinten umblickten. Doch dass sich der Haarlose dann völlig unvermittelt in hohem Bogen in ihr Gehege wuchtete und quer durch ihre Reihen sprintete, war dann doch des Guten zu viel. »Dranbleiben!«, befahl der Einsatzleiter über Ohrknopf in die Gehörmuscheln der drei jungen Männer, die gleich darauf ebenfalls ins Gehege sprangen. Die Einhöckerkamele (Camelus dromedarius) wurden dadurch nachhaltig in ihrem Kauen gestört und reagierten individuell. Zwei rannten davon, eines verfiel in Schreckstarre, und eines stellte unter Beweis, dass es nicht nur Menschen auf Kreuzfahrtschiffen schlecht werden kann, sondern dass auch Wüstenschiffe sich erbrechen können. Aus Panik. Und zwar reichlich. Es erwischte Pleschek und Ünsal von vorne rechts. Geruchsintensiv, dampfend und schmierig. Dromedarkotze. 10 Uhr 42 An manchen Tagen gönnte sich Else Bachmann auf der Sonnenterrasse im Restaurant Sambesi eine Tasse Kaffee, lieber aber auf einer der Bänke am Gibbonweiher. Meist an den Sonntagen, an denen sie mit ihrem Enkel Denis in den Zoo kam. Denis interessierte sich mehr für den Abenteuerspielplatz, den Kletterparcours und die türkische Pizza im Topsaray Imbiss als für die Zootiere. Sie liebte Denis, aber ohne ihn war sie einfach unabhängiger. So wie heute. Sie hatte die extragroße Thermobox dabei, die alles schön warmhielt. Ihr Ziel waren wie jedes Mal, wenn sie ohne Denis in den Zoo kam, die Erdmännchen (Suricata suricatta). Früher hatte sie immer gedacht – wohl wegen der Ähnlichkeit beim Männchenmachen –, dass Erdmännchen wie Eichhörnchen Vegetarier seien und Nüsse aßen, aber nein, sie waren Fleischfresser und aßen alles, was sich überwältigen ließ. In freier Wildbahn hauptsächlich Insekten und deren Larven, Spinnentiere und kleine Reptilien. Aber auch Kleinsäuger verschmähten sie nicht. In Gefangenschaft durften es dann durchaus auch Fleischhäppchen undefinierbarer Herkunft aus Altfrauenhand sein. Faszinierende Tierwelt! 10 Uhr 38 Patrick Schlenz fuhr sich mit der flachen Hand über den rasierten Schädel. Es war schon relativ warm an diesem frühen Morgen kurz nach zehn. Er verfütterte hingebungsvoll eine Tüte Futterkarotten an den Elefanten hinter dem...