E-Book, Deutsch, 328 Seiten
Kurwinkel / Jakobi Narratoästhetik und Didaktik kinder- und jugendmedialer Motive
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7720-0131-4
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von literarischen Außenseitern, dem Vampir auf der Leinwand und dem Tod im Comicbuch
E-Book, Deutsch, 328 Seiten
ISBN: 978-3-7720-0131-4
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Literarische Motive - vom Motiv des Schwimmbads über das Schwert bis hin zum Spiel - sind zentrale Bausteine in Kinder- und Jugendmedien und somit Gegenstand der literatur- und medienwissenschaftlichen wie der literaturdidaktischen Betrachtung. Trotz dieser Bedeutung fehlte bis dato ein motivanalytisches Modell, das zum einen für die literaturwissenschaftliche Analysepraxis tragfähig, zum anderen für die didaktische Auseinandersetzung geeignet ist. Dieser Band stellt ein solches Modell vor, leitet dieses von einem trennscharfen und operationalisierbaren Motivbegriff her und verankert es in aktuellen literatur- und medientheoretischen Diskursen. Weiterhin etabliert der Band eine Typologie, die es ermöglicht, Motive und ihre konstellativen Verbindungen abzubilden. Exemplarisch werden Begriff, Typologie und Modell in Einzelanalysen relevanter Motive zur Anwendung gebracht. Der Band versteht sich damit als Beitrag zu einer theoriegeleiteten Motivforschung.
Prof. Dr. Tobias Kurwinkel lehrt Literaturwissenschaft und -didaktik an der Universität Duisburg-Essen. Dr. phil. Stefanie Jakobi lehrt am Arbeitsbereich Kinder- und Jugendliteratur und -medien an der Universität Bremen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Theorie
Genealogie, Bestimmung, Typologie und Modellierung des kinder- und jugendliterarischen Motivs
Tobias Kurwinkel & Stefanie Jakobi Abstract: Der folgende Beitrag sucht das literarische Motiv für eine transmediale Analyse in Kinder- und Jugendmedien terminologisch und typologisch zu bestimmen. Voran geht dieser Bestimmung eine kurze Skizze der Begriffsgeschichte. Im Fokus des Beitrags steht das Modell der transmedialen Motivanalyse, das am Beispiel des Schwert-Motivs und seiner Inszenierung in der Harry Potter-Heptalogie (1997–2007) vorgestellt und exemplarisch zur Anwendung gebracht wird. Genealogie des literarischen Motivs
Ein erster Beleg für die Verwendung des Motivs als literarkritischen Begriff findet sich in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre aus dem Jahr 1795 (vgl. Mölk 1991): Im Zeichen des stürmerisch-drängerischen Kultes um das Originalgenie plant der Protagonist im 5. Buch des Bildungsromans eine Shakespeare-Bearbeitung – und überlegt, die „zerstreuten und zerstreuenden Motive“ in Hamlet mit einem einzigen „zu substituieren“ (Goethe 1994a:296). Diese noch fragmentarischen Gedanken zur Ordnung und Wirkung der Motive im Text ergänzt Goethe zwei Jahre später um Überlegungen zu ihrer Morphologie. Im gemeinsam mit Schiller verfassten Aufsatz Über epische und dramatische Dichtung (1797) typologisiert er fünf Arten des Motivs: Das vorwärtsschreitende, das rückwärtsschreitende, das retardierende, das zurückgreifende und das vorgreifende (Goethe 1994c:250). Eine Definition des Motivs als solches erscheint jedoch erst posthum in den Maximen und Reflexionen (1833); hier heißt es: Was man Motive nennt, sind also eigentlich Phänomene des Menschengeistes, die sich wiederholt haben und wiederholen werden, und die der Dichter nur als historische nachweist. (Goethe 1994b:495) Nach Lektüre eines Goethe-Aufsatzes verwendet Jacob Grimm den Begriff 1823 in einer Rezension (vgl. Mölk 1991:112); in der noch jungen Deutschen Philologie etabliert sich der Terminus jedoch erst, als sich die „Literaturgeschichtsschreibung zur Literaturwissenschaft“ entwickelt: Elisabeth Frenzel zufolge ist dieser Zeitpunkt mit Wilhelm Scherers Poetik aus dem Jahr 1888 gegeben (vgl. Frenzel 2002:24); in seiner Vorlesung im Sommersemester 1885 nennt Scherer das Motiv und präzisiert es als „elementarer, in sich einheitlicher Teil eines poetischen Stoffes“ (Scherer 1888:141). Trotz dieser fachhistorischen Tradition und eines beachtlichen Aufschwungs der Forschung in den letzten Jahrzehnten, der sich seit 1965 insbesondere in einer großen Zahl an Publikationen im Bereich der Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft niederschlägt, haftet diesem Forschungszweig das „Image einer diffusen Disziplin“ (Rickes 1997:406) an. Dafür ist, wie einleitend erwähnt, zum einen die ausstehende begriffstheoretische Fundierung verantwortlich, zum anderen die Tendenz, Motivforschung als das Zusammenstellen von Listen oder Katalogen ausgewählter Primärliteratur zu bestimmten Motiven zu betreiben, wobei letztere „weder im Hinblick auf ihre ästhetische Funktion noch auf Gestaltungsmomente, Darstellungsweisen, intertextuelle Bezüge usw. untersucht werden“ (O’Sullivan 2000:70). Bestimmung des literarischen Motivs
Motive referieren, wie Goethe schreibt, „Phänomene des Menschengeistes“, „anthropologische Grundsituationen“ also, die zwar „historisch variiert werden, aber in ihrem Kern konstant bleiben“ (Lubkoll 2013:542); im Text werden diese Situationen in „subjektiver Ausführung“ konkretisiert und stehen in „aktiver Wechselbeziehung zu anderen Textelementen“ (Werlen 2009:665). Dabei können die Wechselbeziehungen sowohl intra- als auch intertextuell, innerhalb des Texts als auch zwischen mehreren Texten, gegeben sein; intertextuelle Untersuchungen von Motiven erlauben entsprechend diachrone wie auch synchrone Analysen. In der deutschen Terminologie wird das Motiv von Stoff und Thema unterschieden, mit Frenzel liegt der Unterschied von Motiv und Stoff dabei vor allem in der Abhängigkeit des Stoffs von „feststehende[n] Namen und Ereignissen“ begründet: Der Stoff bietet eine ganze Melodie, das Motiv schlägt nur einen Akkord an. Der Stoff ist an feststehende Namen und Ereignisse gebunden und läßt nur gewisse weiße Flecken im bunten Ablauf des Plots stehen, […] während das Motiv mit seinen anonymen Personen und Gegebenheiten lediglich einen Handlungsansatz bezeichnet, der ganz verschiedene Entfaltungsmöglichkeiten birgt. (Frenzel 1999:VI) Das Thema beschreibt Frenzel an anderer Stelle als „das Gedankliche des Inhalts herausfiltrierende[n] Begriff“ (Frenzel 1980:14). Zuletzt aktualisiert Christine Lubkoll diese Bestimmungen und präzisiert: Das Motiv bilde die „kleinste semantische Einheit“, der Stoff setze sich aus einer Kombination von Motiven zusammen und das Thema stelle die „abstrahierte Grundidee“ eines Texts dar (Lubkoll 2013:542). Vorangegangen bezeichnet Rudolf Drux das Motiv bereits als Einheit, und zwar als „selbstständige Inhalts-Einheit“ (Drux 2007:638). Dabei gibt das erste Glied des Kompositums Aufschluss über seine erzähltheoretische Verortung: Das Motiv ist eine Kategorie des Inhalts (vgl. Schneider 2016:33ff.), ein Element der histoire (vgl. Kurwinkel 2017:51, 2020:67, vgl. Staiger 2019:16); gehört zur Ebene der Ereignisfolge eines narrativen Texts bzw. einer Erzählung. Über diese Zuordnung in die fundamentalen Ebenen oder Dimensionen eines narrativen Texts (vgl. Vogt 2014:99), die durch den „Gegensatz zwischen dem ‚Was‘ und ‚Wie‘“ (Martínez & Scheffel 2020:22) charakterisiert sind, lässt sich das Motiv vom Leitmotiv, von der „Übernahme des musikalischen Formprinzips in den epischen Bereich“ (Mayer 1980:51f.), differenzieren: Jene mit Thomas Mann „vor- und zurückdeutende […] magische […] Formel“ (Mann 1974:611) ist eine narrative Technik, die durch die regelmäßige Wiederkehr von Bild- oder Wortformen bestimmt ist. Damit ist das Leitmotiv maßgeblich ein „Verfahren der Präsentation“ (Martínez & Scheffel 2020:22) und auf Ebene des discours, der Zeichenfolge einer Erzählung, verortet. Letztere Ebene ist medial bestimmt: Das Zeicheninventar des discours ist abhängig von der Realisierung im und durch ein Medium. Die histoire-Ebene hingegen ist, wie das Erzählerische selbst, von der jeweiligen medialen Realisierung unabhängig, da es sich „um Vorstellungsinhalte handelt“ (Wolf 2002:38). Der histoire sind auch die Kernelemente oder Narreme einer Erzählung zuzuordnen: Die Figur(en) als Träger der Handlung(en), der Raum und die Zeitdauer. Motive sind an diese Narreme gebunden, sie konkretisieren die Kernelemente als schematisierte Einheiten. Eben diese Einheiten sind, um auf Goethes Motivbestimmung zurückzukommen, als „Phänomene des Menschengeistes“ in anthropologischen Grundsituationen verankert. Aus strukturalistischer, literartheoretischer Perspektive stehen sie zwischen den abstrakten Narremen und der konkreten Ausgestaltung dieser in der jeweiligen Erzählung. Typologie des literarischen Motivs
Aus der Anbindung der Motive an die Narreme einer Erzählung, an Figuren, an Handlung, an Raum und Zeit ergibt sich eine typologische Ordnung in figurale, objektionale, situationale, lokale und temporale Motive; dabei sind die objektionalen und situationalen Motive dem Narrem der Handlung zugeordnet (Abb. 1): Typologie literarischer Motive Die Kategorie der figuralen Motive umfasst zum einen Aktanten in singulärer Erscheinung, zu denen eine anthropomorphisierte Tierfigur – wie z.B. die Mäuse in Torben Kuhlmanns Bilderbuchwerk – ebenso zählt wie das sprechende Spielzeug in Pixars Toy Story-Reihe (1995–2019) oder Werwölfe, die sich bei Cornelia Funke wie Stephenie Meyer lesen. Auch abstrakte Entitäten wie die Farben, die in Leo Lionnis Bilderbuch Little Blue and Little Yellow (1959) die Figuren stellen, gehören in diese Kategorie. Weiter erfasst letztere auch religiöse und mythologische Figuren sowie Personen aus Geschichte, Kunst oder Literatur. Ein Beispiel dafür ist der Graf von Saint Germain, der sowohl bei Alexandre Dumas, Alexander Sergejewitsch Puschkin oder Umberto Eco als auch bei Karl May, Kerstin Gier und Kai Meyer vorkommt. Zum anderen gehören die relationalen figuralen Motive in diese Kategorie, die durch die Art und Weise der Figurenbeziehungen charakterisiert sind; darunter fallen Institutionen sowie kleine und große Figurengruppen, wie die Familie oder die Kinder- bzw. Jugendbande, die...