E-Book, Deutsch, 172 Seiten
Lang Indien denkt anders - eine interkulturelle Begegnung
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-347-07598-6
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autobiografische Notizen mit einem Nachwort zur Interkulturalität
E-Book, Deutsch, 172 Seiten
ISBN: 978-3-347-07598-6
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dem Leser eröffnet sich hier ein Blick in den indischen Kulturraum aus der Sicht der Inder selbst und aus der Sicht jener, die sich intensiv, unvoreingenommen und realitätsgerecht mit dem Fremden in verschiedenen Schattierungen auseinandersetzen wollen. Wenn sich Frieden darauf gründet, die Andersartigkeit statt in Ablehnung in Bereicherung und Komplementarität umzuwandeln, dann gibt dieses Buch eine Handreichung dazu, wie Akzeptanz, ja Wertschätzung bei einer intensiv erlebten interkulturellen Begegnung entstehen kann, wo Staunen zu inspirierender Entdeckungsfreude wird. Über viele Jahre bekleidete der Autor Führungspositionen in Goethe-Instituten auf drei Kontinenten und sammelte konkrete und hautnahe Erfahrung in Interkulturalität. Ihren friedensstiftenden Kern entdeckte er in der gelebten Toleranzfähigkeit der Menschen. In der Form autobiographischer Notizen finden hier Fragen nach dem Leben, seiner Entstehung, seiner Wesenheit, seiner Gestaltung und seiner Deutungshorizonte in einer uns so fremden Kultur wie der indischen unterschiedliche bis völlig gegenteilige Antworten, schon weil sie im abendländischen Vergleich auf anderen Grundüberzeugungen fußen. Wenn der Blick nicht aus der Ferne und von außen auf eine fremde Kultur erfolgt, wenn dabei nicht mit dem Maßstab der eigenen Kultur beobachtet und gewichtet wird, besteht die Belohnung des Betrachters in Faszination, Inspiration und Nachdenklichkeit, immer aber in Bereicherung, zuweilen auch in Trost.
Richard Lang war als Goethe-Dozent zuletzt Leiter des Instituts in Colombo/Sri Lanka. Geboren nach dem Ende des II. Weltkriegs in Schäßburg/Siebenbürgen, studierte er germanische Sprachen, Kunstgeschichte und Weltliteratur, arbeitete erst beim Rundfunk, dann beim Goethe-Institut, sowohl in Deutschland als auch auf weiteren 3 Kontinenten, in Argentinien, Indien, Nigeria, Mexiko und Sri Lanka. In Indien war er Leiter der Kulturprogrammabteilung, in den letztgenannten drei Ländern Institutsleiter. Zu seinen wichtigen Arbeitsschwerpunkten zählt vor allem die Interkulturalität. Dazu gehören angestoßene Großprojekte: grenzübergreifende Kulturraumprojekte (Himalaya, Buddhismus), Kulturvergleiche (Philosophie, Weltsicht in Indien, Westafrika, Deutschland, Lateinamerika), bildhafte Vermittlung von Fremdkulturen (vor allem Fotografie), Theatergroßprojekte ("Afrika Projekt" und "Proyecto Quetzalcoátl"), Medizinische Systeme jenseits der Allopathie (er war Veranstalter der 1. Weltkonferenz), urbane Fragestellungen sowie Kulturbegegnung und -austausch über und durch Künstler und deren Werke. Er ist verheiratet mit der Künstlerin Cora de Lang, ist Vater dreier Kinder und spricht neben Deutsch fließend Englisch, Rumänisch und Spanisch.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kontakte zum tibetischen Buddhismus Privat unterhielten wir seit einigen Jahren Kontakte zu Buddhisten, denen wir auch außergewöhnliche Erlebnisse verdanken. Der erste Kontakt zum Buddhismus in Indien entstand wohl durch den Argentinier Ricardo A., der seit Jahren den tibetischen Buddhismus49 studierte, bis er schließlich nicht nur Tibetisch sprach, sondern zum offiziellen spanischen Übersetzer des Dalai Lama wurde. Er ging bei uns in Delhi ein und aus, auch weil er neben dem Buddhismus als weltzugewandter Unternehmer öfter nach Delhi reiste, um z.B. von ihm ausgewählte indische Möbel, Holzschnitzereien und Gewebe nach Argentinien zu überführen und damit Handel zu treiben. Er kannte Indien seit vielen Jahren. Aus seinem buddhistischen Bekanntenkreis stach Duku D. hervor, die ihm einst sehr nahe gestanden hatte und zu der er auch weiterhin einen guten Kontakt unterhielt. Sie war mit physischer Schönheit und bestechender, verunsichernder Einfalt gesegnet. Dass sie und wir in demselben Stadtviertel wohnten, ein Ort vom anderen gut zu Fuß zu erreichen war, erleichterte sicherlich die Anbahnung einer Freundschaft mit ihr, die uns in ihren buddhistischen Bekanntenkreis einführen sollte. Es stellte sich nämlich heraus, dass sie zu den vertrauensvollsten Schülern hoher tibetischer Würdenträger gehörte und ihr bescheidenes Haus die auserwählte Raststatt tibetischer Rinpoches50 in Delhi war. Gleich drei dieser Wiedergeborenen, Dorzong, Choegyal und Tsok Nyi Rinpoche fanden Herberge in ihrem Haus, wenn sie sich in Delhi aufhielten. Die Begegnung mit diesen drei Rinpoches sollte ein neues, faszinierendes Kapitel unserer Indien-Zeit aufschlagen, da sich für uns durch sie die Komplexität des indisch-buddhistischen Kulturraums zu entfalten begann. Die drei Rinpoches kamen aus Tashi Jong, einem Dorf des Kangra-Tals unweit von Dharamsala an den Ausläufern des Himalaya. Als hochverehrte leitende Persönlichkeiten lebten sie in Tashi-Jong auf einem Hügel oberhalb des Dorfes, während die Tokdens51 noch einmal abgetrennt auf einer weiteren Anhöhe ihrem asketisch spirituellen Leben nachgingen. Nach seiner gelungenen Flucht aus Tibet52 hatte der 8. Khamtrul Rinpoche 1958 die Vision, in einem Himalaya-Tal im Exil einen neuen Ort traditioneller tibetischer Kultur zu errichten, der das gefährdete traditionelle buddhistische Erbe bewahren und fortentwickeln sollte. Es entstand Tashi Jong, das „glückverheißende Tal“. Dank der Zusicherung der indischen Behörden, diesen Exil-Tibeter-Traum in einem Himalaya-Tal Indiens Wirklichkeit werden zu lassen, begann Khamtrul Rinpoche mit Hilfe der zahlreichen Mönche, der Lamas und der Rinpoches Dorzong, Choegyal und Tsok Nyi sowie der einfachen Menschen, die ihm aus Kham gefolgt waren, das Gebiet zu roden und das neue Dorf, vor allem das Khampagar Kloster zu errichten. Eine gewichtige religiös-psychische Unterstützung erfuhr er dabei durch 5 Tokdens, außergewöhnliche Menschen, die das Juwel der Lehre, der Weisheit, die Askese und Weitsicht tibetisch buddhistischer Tradition verkörperten (wörtlich: “Verwirklichte“). Kurz nach seinem Dahinscheiden 1980 wurde Khamtrul Rinpoche in Tashi Jong (zum 9.Mal) wiedergeboren und wir erlebten ihn 1986, 1987 als Kind – auch in unserem Haus in Neu Delhi – und viele Jahre später (2010), als wir den indischen Subkontinent vorerst verließen, noch einmal als ernsten, in sich gekehrten und hoch verehrten religiösen Führer seiner Gemeinde. Das Dorf Tashi Jong lernten wir später kennen, nachdem ein erster Kontakt zu und eine herzliche Annäherung an die drei Rinpoches Dorzong, Choegyal und Tsok Nyi erfolgt war. Duku hatte uns mitgeteilt, dass es eigentlich diese drei waren, die sich die Verantwortung der Leitung aller Angelegenheiten des Dorfes teilten. Denn Khamtrul Rinpoche war noch ein Kind, wurde hoch verehrt, doch musste er erst heranwachsen und eine intensive und auf ihn zugeschnittene Erziehung, einen besonderen Bildungsweg absolvieren, bei denen die Tokdens eine wesentliche Rolle spielten. So erlebte er z.B. „fernsehen“, wenn er auf dem Flachdach seiner Residenz in Tashi Jong stand und die Sonne auf- oder untergehen sah. Choegyal und Khamtrul Rinpoche in unserem Haus in Neu-Delhi Als er mit Choegyal Rinpoche in unser Haus in der Defence Colony kam, setzte ihn Choegyal auf das Bett, er selbst aber setzte sich auf den Boden, um zu vermeiden, dass sein Kopf eine höhere Position als jene von Khamtrul Rinpoche einnahm. Letzterer war schließlich sein Lehrer gewesen, nach der Wiedergeburt53 konnte dieser tief verankerte Respekt nicht weichen, auch wenn jetzt die Rollen verkehrt waren und der junge Khamtrul Rinpoche mit viel Liebe und Geduld an sein früheres Wissen wieder herangeführt werden musste. Der uns am nächsten stehende Rinpoche ist der Künstler Choegyal, für den ich Ende der 80-er Jahre im Goethe-Institut seine erste Kunstausstellung als freier Maler organisieren konnte. Bis dahin war sein Publikum immer die buddhistische Gemeinde gewesen. Aber sein Künstlerverständnis ging darüber hinaus. Als er in letzter Minute seinen noch fehlenden „Lebenslauf“ brachte, wurde dieser – maschinengeschrieben- direkt an die Wand gehängt. Er begann zwar wie erwartet mit der Geburt, nur hörte damit die Vergleichbarkeit mit anderen Lebensläufen auch schon auf. Sein Leben begann nämlich im Jahr 1578, Ende des 16. Jahrhunderts (! ) mit dem Beginn seiner Abstammungslinie (lineage) und durchlief dann viele Tode und Wiedergeburten- bis eben zur derzeitig 8-ten. Natürlich war es immer derselbe Name und dasselbe Kloster; seine Tätigkeit hatte Kontinuität und ließ – erst über die vielen Generationen – seine Entwicklung zum hoch verehrten, wohl bedeutendsten lebenden tibetischen Maler nachvollziehbar erkennen. Allein in diesem Leben hat Choegyal Rinpoche Bemerkenswertes geleistet: Er ist das geistige Oberhaupt der Drugu-Region Tibets und des tibetischen Dru-gu-Klosterinstituts; in Jangchub Jong, unweit von Tashi Jong ist er zur Zeit Vizepräsident des dortigen buddhistischen Zentrums, war 6 Jahre lang Präsident und Vizepräsident der buddhistischen Siedlung von Tashi Jong und vertrat 1999 zusammen mit dem zwischenzeitlich verstorbenen Dorzong Rinpoche den Dalai Lama auf dem interreligiösen Treffen des Vatikans in Rom. Choegyal Rinpoche ist gleichzeitig buddhistischer Lehrer, ist und bleibt aber vor allem der große Meister der Malerei, Kalligraphie, Zeichnung, des Teppichdesigns, der Architektur, Skulptur und tibetischer Masken. Seine Themen als tradierter und freier Maler sind Geist und Erfahrung, die Ahnengalerie der tibetischen Meister buddhistischer Schulen, Landschaften, Kalligraphie sowie die Illustrationen zu und Illustrierung von Dichtung und Gesang. Einige seiner Arbeiten erfreuen uns täglich an den Wänden unserer Wohnung. An dieser Stelle möchte ich eine Anekdote erzählen, die auf unsere persönlichen Kontakte zu einigen buddhistischen Würdenträgern zurückgeht, speziell zu den drei Rinpoches aus dem Himalaya-Tal, dem Dorf Tashi Jong. Ich hatte erwähnt, dass sie zwar die buddhistische Dorfgemeinde leiteten, aber sich ihrerseits von den Tokdens begleiten und beraten ließen, jenen Yoga-Meistern, die das höchste Ansehen genossen und denen übermenschliche, oft unglaubliche Fähigkeiten54 nachgesagt wurden. Wiederholt hörte ich die Sorge der Rinpoches, dass es im Dorf nur 5 Tokdens55 gebe, die älter würden und dass bei fehlendem Nachwuchs wohl ihr Wissen verloren gehe. Ich hatte das auch schon mal mit dem Leiter des buddhistischen Zentrums für Medizin und Astrologie besprochen. So war die Freude groß, als Tsewang J. Tsarong, der Leiter des Medizin-Zentrums aus Dharamsala seine Freude mit jemandem teilen wollte und in mein Büro in Delhi stürzte mit der Meldung: Ein weiterer Tokden ist da! Es handle sich um einen Meister aus Tibet, der sich von seinen Anhängern dort in eine Höhle hätte einmauern lassen, um im zunehmend chinesischer werdenden Tibet unerkannt den Buddhisten weiterhin ein geistiger Führer bleiben zu können. An einer Wand der Höhle soll es ein Quellrinnsal und damit Wasser gegeben haben. Bei der Errichtung der Mauer zum Verschluss der Höhle habe man eine kleine Öffnung freigelassen, damit ihm gläubige Buddhisten, wann immer möglich, oft bei Nacht, Tsampa (Gerstenmehl) zustecken konnten, das einzige Lebensmittel, von dem er sich ernährte. Allerdings war die Höhle durch die errichtete Wand praktisch stockdunkel geworden. Ist das für uns überhaupt vorstellbar, seinen Körper und Geist dermaßen zu beherrschen, dass man in völliger Abgeschiedenheit, Dunkel- und Einsamkeit Tage, Nächte, Wochen, Monate und Jahre an solch einem Ort zubringt, ohne auch nur einen Sonnenstrahl? Manchmal vergingen Tage, bevor es wieder mal ein Gläubiger wagen konnte, in die Berge hinauf zu steigen, um Tsampa-Mehl zu bringen und mit dem Tokden kurz zu sprechen. In der dunklen, feuchten Höhle soll er 12 Jahre56gelebt haben, bis ihn aufgrund seiner...