Laux | Lehrzeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Laux Lehrzeit

oder Familie Staat und der aufrechte Gang
3. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-5504-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

oder Familie Staat und der aufrechte Gang

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

ISBN: 978-3-7562-5504-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie dauerhaft beeinflusst Erziehung die Haltung der Kinder im eigenen Erwachsenen-Leben? Ist es eine Frage der menschlichen Würde, seine Meinung möglichst offen zu äußern - auch gegenüber behaupteten Autoritäten? Mit welchen politischen und persönlichen Konsequenzen ist zu rechnen - auch für die Erziehenden? Dieser Roman erzählt in fünf Teilen eine reale Familiengeschichte, die aus der Sicht des Protagonisten Burkhart Fuchs wiedergegeben wird und sich von der Nazizeit bis in die Gegenwart erstreckt - gut achtzig Jahre konkrete deutsche Geschichte aus einem persönlichen Blickwinkel reflektiert. Ein Ereignis steht nicht nur zeitlich im Mittelpunkt des Romans. Es ist das Berufsverbot für den angehenden Lehrer Burkhart. Er, der verweigert, den "aufrechten Gang" mit dem Beamtenstatus aufzugeben, wird obrigkeitsstaatlich abgestraft. Aber er wehrt sich erfolgreich und arbeitet als anerkannter Lehrer an vielen unterschiedlichen Lernorten, besonders gern in einer Jugendwerkstatt. In der Schilderung der politischen Auseinandersetzung und ihrer Folgen wird das gesellschaftliche Klima der siebziger und achtziger Jahre lebendig. Burkharts Erfahrungen in der Folgezeit sind davon geprägt, wie sich das Verhältnis von Kindern und Eltern allmählich bis zu einem Rollenwechsel verschiebt.

Bernhard Laux studierte Erziehungswissenschaften, Pädagogik, Deutsche Sprache und Literaturgeschichte. Nach seinem Referendariat und der 2. Lehrerprüfung erhielt er Berufsverbot wegen unbequemer Tätigkeit als Referendarsprecher und "linker" Gesinnung. (Er gehörte keiner Partei an). Seine Klage gegen die Stadt Hamburg war nach 7 Jahren und 2 Instanzen erfolgreich. Von 1978 bis 2009 arbeitete er als Lehrer im Hamburger "Schuldienst". Seit 1966 veröffentlicht er schriftstellerische Arbeiten: Lyrik in verschiedenen Anthologien, Schulbüchern, Kalendern und in einem eigenen Gedichtband, Hörspiele - meist für den Abend für junge Hörer des NDR, vor allem aber (Musik-) Theaterstücke: Er schrieb 5 moderne Opernlibretti (Komponist jeweils Niels Frédéric Hoffmann, Hamburg/Berlin), 3 Theaterstücke(bei denen er auch Regie führte), sowie Songtexte zu verschiedenen Stücken und Kompositionen, und verfasste Texte zur Theatertheorie, besonders zu Brechts Lehrstücken. Außerdem schreibt er Kurzprosa und Romane. Das vorliegende Buch ist sein zweiter Roman.

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Maifeier
"Pass auf, dass er nicht so viel trinkt!", hatte die Mutter beim Abschied gesagt. Der Vater hatte gelacht. Jetzt hatte er Ilse untergehakt und steuerte direkt den Getränkeausschank an. Der Saal quoll über von frühlingsgestimmten Menschen, die Tanzkapelle setzte gerade wieder zu einem flotten Walzer an. Über den Musikern hing eine der vielen roten Fahnen mit dem schwarzen Hakenkreuz auf weißem, kreisförmigem Grund. Noch feierten sie, die durchschnittlichen, keineswegs unmenschlichen Deutschen. Viele waren Sozialdemokraten gewesen, noch bis vor fünf Jahren, wie Ernst, Ilses Vater, der gern den einen oder anderen Schnaps trank an freien Tagen. Und nur dann - schließlich war er sich seiner Verantwortung bewusst, Werkmeister Ernst, der den mächtigsten Schienenkran der Reichsbahn dirigierte. Eine Aufgabe, die nur er mit absoluter Zuverlässigkeit beherrschte. Eigentlich hatte er es einmal besser haben sollen als sein Vater. Auch wenn dessen Beruf des Schaffners bei der Eisenbahn immerhin mit der Sicherheit des Beamtenstatus verbunden war, große Sprünge konnte man damit nicht machen, wie seine Mutter sagte. Also hatte Ernst ein Ingenieurstudium begonnen. Doch er hatte noch nicht einmal das dritte Semester abgeschlossen, da verunglückte sein Vater tödlich. Beim Aufspringen auf den anfahrenden Zug war er mit dem Fuß vom Trittbrett des Wagens abgerutscht und überfahren worden. Ernsts vier ältere Schwestern trugen nicht wesentlich zum Lebensunterhalt bei, also hatte er das Studium abbrechen und für ein festes Familieneinkommen sorgen müssen. Er war als Werkführer zur Reichsbahn gegangen und hatte nebenbei noch eine Schlosserlehre nachgeholt. Schon bald fuhr er den 90-Tonnen-Kran, da er korrekt berechnen kann, wie weit die Tragkraft für die Schwergüter ausreichend ist. Neben Bahnwaggons und Lokomotiven hat er auch U-Boote zu verladen. Was ihn schon ein Jahr später und die übrigen Kriegsjahre unabkömmlich machen sollte, bewahren vor unmittelbarem Einsatz im zweiten großen europäischen und weltweiten Schlachten. Noch feiern sie, die durchschnittlichen, keineswegs unmenschlichen Deutschen. Bis sechs Jahre zuvor haben etliche von ihnen den 1. Mai als "Kampftag der Arbeiterklasse" begangen, haben deutlichen Warnungen gegen die Gefahr von rechts applaudiert: "Wer Hitler wählt, wählt den Krieg". Damals, es schien jetzt Menschenalter her, hatte es über dem Musiker-Podest andere Fahnen gegeben, mit einem anderen Rot. Doch die Feiernden und so viele mehr haben sich mit den neuen Machtverhältnissen arrangiert. Kaum jemand ist noch arbeitslos, die Straßen scheinen beinahe frei von Kriminalität. Dass der gesamte Staatsapparat indes von Kriminellen übelster Sorte beherrscht ist, wird nur ganz gelegentlich noch gedacht. Ein Großteil der technischen Produktion arbeitet einem gigantischen Rüstungsprogramm zu, sicher, aber das ist schon mehr als fünf Jahre Alltag, ohne dass die angekündigte Kriegsgefahr greifbar zu werden scheint. Ernst und seine Familie aber erinnern sich noch sehr genau an das Jahr 1933. Damals lebten sie im niederschlesischen Schweidnitz und bewohnten eine Vierzimmerwohnung. Offensichtlich waren Elfriede und er als SPD-Mitglieder denunziert worden. Daraufhin hatten die neuen Machthaber eine Hausdurchsuchung angeordnet. Zwei SA-Leute hatten bereits in drei Zimmern Schubladen und Schränke durchwühlt, waren aber nicht fündig geworden. Nun standen sie vor dem Kinderzimmer für die elfjährige Ilse und den siebenjährigen Manfred. Zufällig hatte Elfriede am Tag zuvor aus der Zeitung ein Bild Hitlers ausgeschnitten und zu Ernst gesagt: "Guck mal, den mach ich mir an die Tür." Lachend hatte sie das Blatt mit Reißzwecken befestigt und dabei offen gelassen, ob sie den neuen "Führer" der Deutschen bewunderte oder nur hängen sehen wollte... "Du bist verrückt!", war Ernsts gutmütiger Protest gewesen. Die Männer in der braunen Uniform betraten das Zimmer und entdeckten das Foto an der Tür. Umgehend brachen sie die Durchsuchung ab. Hätten sie das im Zimmer stehende Vertiko geöffnet, wären ihnen die SPD-Mitgliedsbücher unweigerlich in die Hände gefallen. Sie lagen offen sichtbar in der obersten Schublade. Heute jedoch, im Breslau des Jahres 1938, ist Ernst in Feierstimmung und vergisst für einen Moment auch diese Erfahrung. Mit ihm feiert die sechzehnjährige Ilse und lernt ihren Horst kennen. Im ersten Blick, den sie miteinander wechseln, blitzt die Vorahnung einer kleinen Ewigkeit auf, die ein doppeltes Menschenleben ausmachen wird - so viele Tode eingeschlossen, fremde wie hautnahe. Horst sitzt da und sieht unablässig in ihre Richtung. Als sie zum Getränketresen geht, um ein Bier für den Vater und eine Brause für sich zu holen, steht er dort und hilft ihr wie selbstverständlich beim Tragen, obwohl sie den Gläsertransport spielend allein bewältigen könnte. An diesem Abend weicht er nicht mehr von ihrer Seite; zu seinem (und ihrem ) Glück ist er dem Vater sympathisch. Außerdem stellt sich bald heraus, auch er gehört zu den Eisenbahnern. Er fordert sie zum Tanzen auf. Seine Füße treffen häufiger die ihren als den Dielenboden, trotzdem kommt es ihm vor, als schwebe er dahin. Schließlich begleitet er sie und den Vater nach Hause, doch Ilse bleibt distanziert, und sie sehen sich zunächst nicht wieder. Horst aber lässt nicht locker. Eine Woche später klingelt er an Ilses Wohnungstür. Eine Frau in Kittelschürze öffnet. Sie mag knapp 40 Jahre alt sein, trägt die Haare streng zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten gebunden. "Sie wünschen?" "Guten Tag, mein Name ist Horst Fuchs. Ich..." "Wir kaufen nichts!" Die Tür schließt sich mit einem Ruck vor seiner Nase. Er ist so überrascht, dass er sich wie auf Befehl umwendet. Als er den Treppenabsatz fast erreicht hat, wird die Tür hinter ihm wieder geöffnet. Er blickt vorsichtig über die Schulter und ist zum zweiten Mal sprachlos. Amüsiert lächelnd lehnt Ilse am Türrahmen. "Guten Tag! Wollten Sie vielleicht zu mir?" Horst bekommt immer noch kein Wort heraus, doch er dreht sich um und macht einen vorsichtigen Schritt auf sie zu. "Sie müssen entschuldigen, meine Mutter hat eine große Abneigung gegen Vertreter..." "Das habe ich gemerkt!" Ihr Lächeln lockert seine Anspannung, er kann sogar lachen. Nun erscheint die Mutter zum zweiten Mal, ohne Kittelschürze und mit mehr Interesse an seiner Person. Sie mustert ihn offen mit einem verschmitzten Augenzwinkern. "Mutter, das ist Horst Fuchs. Ich habe ihn neulich zusammen mit Vater auf der Maifeier kennengelernt." "Dann kommen Sie mal herein, junger Mann, auf den Schreck haben Sie eine Tasse Kaffee redlich verdient!" Sie geht voraus, eine kleine, drahtige Frau mit leicht wiegendem Gang. Ilse gibt ihm in der Tür die Hand, selbstbewusst aufrecht stehend, das schöne Gesicht mit der langen schmalen Nase und den graugrünen Augen von schulterlangen, rotblonden Haaren umrahmt. Sein Händedruck ist nicht sehr fest, aber er blickt ihr ins Gesicht. Sie schließt die Tür und lässt ihn vorgehen. "Die zweite Tür links", sagt sie, und er gehorcht schlafwandlerisch, stolpert jedoch in der leichten Dämmerung des Flurs über die Kante des Läufers. Im Vorwärtstaumeln erkennt er die Klinke der Wohnzimmertür und greift danach wie nach dem rettenden Haltegriff eines Omnibusses. Die Tür allerdings ist nur angelehnt, deshalb landet er weit schneller als erwartet mit dem Oberkörper und den Knien in der guten Stube. Immerhin mindert der dort liegende dicke Teppich den Aufprall. "Er fiel von Anfang an gern mit der Tür ins Haus" ist von diesem Tag an ein häufig zitierter Satz Ilses über ihren späteren Lebensgefährten. Und fast immer schwingt in dieser Äußerung ein Unterton selbstverständlicher, jedoch eines Hinweises würdiger Überlegenheit mit. Jetzt fasst sie allerdings kichernd nach seinem Oberarm, aber er ist schneller auf den Beinen als sie zugreifen kann. "Galt der Kniefall mir?", kokettiert sie. "Wem sonst - als deiner Mutter!", sagt er, und in einem Anflug trotziger Verlegenheit duzt er sie das erste Mal. Das wird ihm allerdings erst Augenblicke später bewusst, nachdem er sich den nicht vorhandenen Staub von den Hosenbeinen geputzt hat. Die Mutter unterbricht die kurze, spannungsvolle Stille. "Deck doch bitte die Goldrandtassen", ruft sie aus der Küche. Ilse geht zum Nussbaumvertiko. "Setzen Sie sich bitte", sagt sie dabei und hält ihn weiterhin auf Distanz. Die Mutter kommt, ein silberfarbenes Tablett in den Händen. Darauf glänzt eine gelbbraune Halbrolle, deren beide Querseiten in beinahe regelmäßigen Abständen von halbkreisförmigen, blauschwarz gepunkteten Ringen durchzogen sind. "Sie...



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