E-Book, Deutsch, 244 Seiten
Lenz Ressourcen fördern
2., vollständig überarbeitete Auflage 2021
ISBN: 978-3-8409-3006-5
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Mentalisierungsbasierte Interventionen bei Kindern psychisch kranker Eltern und ihren Familien
E-Book, Deutsch, 244 Seiten
ISBN: 978-3-8409-3006-5
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Kinder psychisch kranker Eltern sind häufig mit besonderen familiären und psychosozialen Belastungen konfrontiert. Spezielle Interventionsprogramme und vorbeugende Maßnahmen können gezielt dafür eingesetzt werden, spezifische Schutzfaktoren zu fördern, die die Resilienz der Kinder gegenüber den multiplen Belastungen, die mit einer psychischen Erkrankung der Eltern einhergehen, stärken. Die im Buch vorgestellten mentalisierungsbasierten Interventionen zielen auf die Psychoedukation der Kinder, auf die Aktivierung und Förderung personaler, familiärer und sozialer Ressourcen sowie auf die Stärkung von Bewältigungskompetenzen der Kinder und Eltern ab.
Das Buch besteht aus vier Interventionen, denen eine gezielte Familiendiagnostik vorangestellt wird, um eine Basis für die Gestaltung passgenauer Hilfen zu schaffen. Eine alters- und entwicklungsgemäße Aufklärung der Kinder über die elterliche Erkrankung, die ein Verstehen und adäquates Einordnen von Erfahrungen bzw. Beobachtungen ermöglicht, bildet wohl den bedeutsamsten Schutzfaktor für die Kinder. Durch die Förderung kommunikativer Fertigkeiten sollen Voraussetzungen für einen positiven Austausch im familiären Zusammenleben und für einen konstruktiven Weg aus der innerfamiliären Sprachlosigkeit geschaffen werden. Sich konstruktiver mit den Belastungen und Anforderungen, die sich durch das Zusammenleben mit einem psychisch kranken Elternteil ergeben, auseinandersetzen zu lernen, ist das Ziel einer weiteren Intervention. Die Aktivierung und Stärkung sozialer Ressourcen soll die Familien dabei unterstützen, ihr soziales Netzwerk zu mobilisieren. Zahlreiche Arbeitsblätter, die auf der CD-ROM vorliegen, erleichtern die Durchführung der Interventionen.
Zielgruppe
Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut_innen, Klinische Psycholog_innen, Psychiater_innen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut_innen, Kinder- und Jugendpsychiater_innen, (Sozial-)Pädagog_innen, Sozialarbeiter_innen, Mitarbeiter_innen in Erziehungs- und Familienberatungsstellen, in ambulanten und stationären Einrichtungen der Jugendhilfe und der Suchthilfe sowie Lehrkräfte und Erzieher_innen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Vorwort und Inhaltsverzeichnis;7
2;1Kinder und ihre psychisch erkrankten Eltern – Überblick über den Stand der Forschung;17
2.1;1.1Entwicklungsrisiken von Kindern psychisch erkrankter Eltern;17
2.2;1.2Wege der familiären Transmission psychischer Störungen;18
2.2.1;1.2.1Belastungsfaktoren auf der elterlichen Ebene;19
2.2.2;1.2.2Familiäre Ebene;21
2.2.3;1.2.3Kindebene;25
2.2.4;1.2.4Soziale Ebene;26
2.3;1.3Komplexität der Problemlagen;28
3;2Resilienz – protektive Faktoren und Mechanismen;30
3.1;2.1Der Begriff der Resilienz;30
3.2;2.2Resilienz und Schutzfaktoren;32
3.3;2.3Familiäre Resilienz – System Familie als Schutzfaktor;34
3.4;2.4Schutzfaktoren bei Kindern psychisch erkrankter Eltern;36
3.5;2.5Resilienz als ein dynamischer Prozess;40
3.5.1;2.5.1Coping – von Schutzfaktoren zu Bewältigungsprozessen;41
3.5.2;2.5.2Coping in Familien mit psychisch erkrankten Eltern;44
3.6;2.6Reflexive Kompetenzen als zugrunde liegender Mechanismus der Resilienz;48
3.7;2.7Resilienz und Mentalisierungsfähigkeit;50
3.7.1;2.7.1Mentalisierungstheorie;51
3.7.2;2.7.2Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit;53
4;3Mentalisierungsbasierte Interventionen – Haltung und Methoden;58
4.1;3.1Grundlagen der mentalisierungsbasierten Interventionen;59
4.1.1;3.1.1Die mentalisierungsfördernde Haltung;60
4.1.2;3.1.2Techniken der mentalisierungsbasierten Interventionen;62
4.2;3.2Analyse des Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehens;68
5;4Interinstitutionelle und multiprofessionelle Kooperation als Voraussetzung für wirksame Hilfen;72
5.1;4.1Komplexe Problemlagen erfordern interinstitutionelle und multiprofessionelle Kooperation;73
5.2;4.2Interinstitutionelle Kooperation und Vernetzung;76
5.2.1;4.2.1Ist-Stand der interinstitutionellen Kooperationen;78
5.2.2;4.2.2Gründe für Defizite in der Kooperation und bei der Ausgestaltung kommunaler Netzwerke;80
5.3;4.3Modelle der Kooperations- und Vernetzungsarbeit;82
5.4;4.4Interinstitutionelle Kooperation und Netzwerke erleichtern die fallbezogene Kooperation;86
5.5;4.5Materialien;90
6;5Durchführung der Interventionen und Rahmenbedingungen;95
6.1;5.1Präventive und therapiebegleitende Interventionen;95
6.2;5.2Setting und Durchführung;96
7;6Familiendiagnostik;99
7.1;6.1Fachlicher Hintergrund;99
7.2;6.2Durchführung der Familiendiagnostik;108
7.2.1;6.2.1Elterngespräche;108
7.2.2;6.2.2Familiengespräche;111
7.2.3;6.2.3Ressourcenexploration;115
7.2.4;6.2.4Exploration der Gefährdungen für das Kind;117
7.3;6.3Vereinbarungen über das weitere Vorgehen;119
8;7Mentalisierungsbasierte Interventionen;120
8.1;7.1Psychoedukation für Kinder;120
8.2;7.2Förderung der familiären Kommunikation;160
8.3;7.3Förderung der kindlichen Bewältigungskompetenzen;182
8.4;7.4Aktivierung und Stärkung sozialer Ressourcen;202
9;Literatur;216
10;Materialien auf der CD-ROM;226
10.1;Übersicht über die Materialien auf der CD-ROM;226
|28|2 Resilienz – protektive Faktoren und Mechanismen
Kinder psychisch erkrankter Eltern stellen eine besondere Risikogruppe dar. Wachsen Kinder in Familien auf, in denen ein Elternteil oder beide Eltern psychisch erkrankt sind, sind sie in vielfältiger Weise durch die elterliche Erkrankung betroffen und stehen unter erhöhtem Risiko, selbst eine psychische Störung zu entwickeln (vgl. Kapitel 1). Trotz multipler Belastungen entwickeln aber nicht alle Kinder psychisch erkrankter Eltern psychische Auffälligkeiten und Störungen. Antworten darauf, warum Kinder trotz multipler Belastungen und Risikoerfahrungen nicht selbst erkranken oder die Belastungen ohne langfristige klinisch relevante Störungen überstehen und eine relativ gute Entwicklung nehmen, bieten die Erkenntnisse der Resilienzforschung (Bender & Lösel, 1998; Lenz, 2014). Das Konzept der Resilienz geht über die defizitorientierten Modelle hinaus, die lediglich Erklärungen für psychopathologische Entwicklungen liefern, und macht Aussagen darüber, warum Individuen trotz risikoreicher Bedingungen nicht erkranken, schneller wieder gesunden oder positive Entwicklungen zeigen. Die Analyse günstiger Entwicklungen oder Gesundungsverläufe sind von enormer Bedeutung sowohl für Prävention und als auch für die Behandlung von Problemen bzw. Störungen (O’Dougherty Wright, Masten & Narayan, 2013). Die Resilienzforschung hat mittlerweile eine Vielzahl an empirischen Ergebnissen vorgelegt, die sowohl von theoretischer als auch anwendungsbezogener Bedeutung sind (O’Dougherty Wright et al., 2013). Die Untersuchung der zugrunde liegenden Prozesse hat die Entwicklung von ressourcenfördernden Interventionen vorangetrieben. 2.1 Der Begriff der Resilienz
Der Begriff der Resilienz leitet sich vom englischen Wort „resilience“ (Spannkraft, Elastizität, Strapazierfähigkeit) ab und bezeichnet allgemein die psychische Robustheit und Widerstandsfähigkeit eines Individuums. Emmy Werner und ihr |29|Team (Werner & Smith, 1982; Werner, 1999) haben erstmalig in einer Längsschnittstudie diese Widerstandsfähigkeit untersucht. Resilienz wird innerhalb des Forschungsfeldes als gute (gesunde) Entwicklung trotz ernsthafter Gefährdungen für die Anpassung oder die Entwicklung verstanden (Reinelt, Schipper & Petermann, 2016). Im Mittelpunkt steht also eine positive Entwicklung unter ungünstigen, widrigen und belastenden Lebensumständen. Resilienz ist als ein hochkomplexes Zusammenspiel aus Merkmalen des Individuums und seiner Lebensumwelt zu verstehen. Folgende Charakteristika zeichnen das Konzept der Resilienz aus: Resilienz ist keine stabile und überdauernde Persönlichkeitseigenschaft, sondern entwickelt sich prozesshaft im zeitlichen Verlauf und in den Interaktionen im sozialen Kontext über Situationen hinweg, die eine Anpassung an aversive Umgebungsbedingungen erfordern (Petermann & Schmidt, 2006). Resilienz zeichnet sich durch ihren relativen Charakter aus. Resilienz bedeutet nicht die Abwesenheit psychischer Störungen, sondern die Fähigkeit, vorhandene Mechanismen zur Bewältigung alterstypischer Entwicklungsaufgaben trotz schwieriger Umstände zu aktivieren (Masten & Powell, 2003). So sind resiliente Kinder keine unverwundbaren, unbesiegbaren „Super-Kids“ oder „Wunderkinder“, die zu jeder Zeit mit allen Belastungen fertig werden. Resilienz impliziert eine gewisse Spannbreite und Variabilität hinsichtlich des Ausprägungsgrades. Menschen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens resilient sind, können zu einem anderen Zeitpunkt vulnerabel sein. Resilienz ist also kein zeitlich stabiles Konstrukt (Masten, 2014). Phasen erhöhter Vulnerabilität stellen auch sogenannte Entwicklungsübergänge dar. Kinder sind besonders beim Übergang vom Kindergarten in die Schule oder in der Pubertät anfällig, weil sie hierbei mit völlig neuen Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert werden. Während dieser Phasen können besondere Risikobedingungen, wie beispielsweise eine psychische Erkrankung der Eltern, die Belastungen für das Kind noch zusätzlich verschärfen. Resilienz ist keine globale und umfassende Größe, sondern situationsspezifisch und damit multidimensional (Masten, 2014). So können Kinder, die in einigen Bereichen enorme Kompetenzen zeigen, in anderen Bereichen Probleme und eine nicht hinreichende Anpassung aufweisen. Kinder psychisch erkrankter Eltern können sich beispielsweise im schulischen Bereich sehr resilient verhalten, aber zugleich deutlich mangelhafte Kompetenzen im sozialen Bereich zeigen. Das Gegenstück zur Resilienz ist die Vulnerabilität. Vulnerabilität bezeichnet das erhöhte Risiko eines Individuums, in Anwesenheit ungünstiger Einflussfaktoren psychische Störungen zu entwickeln bzw. von der normalen Entwicklung abzuweichen (Petermann & Schmidt, 2006). Als Gefährdungen, die die Entwicklung behindern können, werden Risikofaktoren sowie kritische Lebensereignisse genannt, die ein adaptives Funktionieren unterbrechen. Risikofaktoren sind Faktoren, die die Auftretenswahrscheinlichkeit von Störungen und Auffälligkeiten er|30|höhen. Diese Faktoren können nicht nur im Individuum selbst, sondern auch in dessen Umfeld liegen. Als Schutzfaktoren werden Faktoren bezeichnet, die pathogene Auswirkungen von Risikofaktoren und damit die Auftretenswahrscheinlichkeit von Störungen vermindern. Schutzfaktoren sind Ressourcen, die eingesetzt werden, wenn belastende und widrige Lebensumstände bewältigt werden müssen. Der Einsatz von Schutzfaktoren zur Bewältigung pathogener Zustände bildet einen Sonderfall des Ressourcenverbrauchs und auch einen Sonderfall der Entwicklung. Er dient der Bewältigung von ungünstigen Lebensumständen, während das Bewältigen von alterstypischen Entwicklungsaufgaben eine positive Herausforderung für den Einsatz von Ressourcen darstellt (Petermann & Schmidt, 2006). Risiko- und Schutzfaktoren als entwicklungsgefährdende bzw. resilienzfördernde Faktoren stellen den integralen Bestandteil des Resilienzkonzepts dar. Sie wirken in spezifischer Weise zusammen. Schutzfaktoren moderieren die schädliche Wirkung eines Risikofaktors. Dies bedeutet, dass ein Schutzfaktor vor allem bei Vorliegen einer Gefährdung wirksam ist. Protektive Faktoren mindern oder beseitigen den Risikoeffekt, während durch die Abwesenheit protektiver Faktoren der Risikoeffekt voll zum Ausbruch kommt. Das heißt, dass bei fehlender Resilienz risikoerhöhende Umstände zum Tragen kommen, während beim Vorhandensein protektiver Faktoren pathogene bzw. entwicklungshemmende Einflüsse der Risikofaktoren abgepuffert werden sowie Selbstachtung und Selbstzufriedenheit aufgebaut bzw. gestärkt werden (Rutter, 2012). 2.2 Resilienz und Schutzfaktoren
Durch die Untersuchung verschiedenartiger Risikokonstellationen konnte eine Vielfalt von Schutzfaktoren ermittelt werden. Untersucht wurden in prospektiven Längsschnittstudien und kontrollierten Querschnittstudien verschiedene Risikogruppen, wie z.?B. Kinder aus Familien mit multiplen psychosozialen Belastungen. In einer der ersten entwicklungspsychologischen Längsschnittstudien untersuchten Emmy Werner und ihr Team (Werner & Smith, 1982) den Einfluss verschiedener biologischer und psychosozialer Risikofaktoren sowie kritischer Lebensereignisse auf die Entwicklung von 698 Kindern, die 1955 auf der hawaiianischen Insel Kauai geboren wurden. Die Datenerhebung bei der vollständigen Geburtsjahrgangskohorte begann bereits während der Schwangerschaft und wurde im Alter von 1, 2, 10, 18, 32 und 40 Jahren fortgesetzt. In die Studie wurden demografische Angaben zur Familiengeschichte, zur aktuellen Familie und zum Haushalt, Interviews bei Hausbesuchen, Informationen aus pädiatrischen Untersuchungen, psychologische Testverfahren, ...