Liedtke | Der Himmel ist altes Silber | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 188 Seiten

Liedtke Der Himmel ist altes Silber

Nature Writing
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-910732-14-8
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Nature Writing

E-Book, Deutsch, 188 Seiten

ISBN: 978-3-910732-14-8
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Nur zu gerne folgt man der im Vorwort mitgegebenen Aufforderung: »Dann kommen Sie mit mir!«, nämlich auf eine wunderbare Reise durch Flora und Fauna. Die Autorin entführt in heimische Regionen (Ruhrpott, Rhein, Wupper, Lippe, Lenne, Ostsee, Bayern …), wie auch nach Finnland, Wales, Italien, Frankreich, Tschechien und auf eine holländische Insel. Liedtkes Texte sind vielseitig: Prosa mal stimmungsvoll selbstvergessend, mal reflektierend und in (Reise-)Erinnerungen schwelgend, mal enzyklopädisch – immer großartig verdichtet. Wir tauchen ein in eine Naturwelt, die wir vielleicht kennen, und doch selten so intensiv und durch eine poetische Sprache wahrnehmen. Nature Writing par excellence! … und ein Fanal für ein (literarisches) Engagement für die Natur.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Warum dieses Buch? S. 9
Ruhrnatur S. 13
Wir im Hier S. 18
Wiesenwelten
Nationalpark Bayerischer Wald S. 20
»Am Strand von Bochum ist allerhand los« S. 26
Bukolisches Tagebuch
Im Ruhrtal S. 63
Skitrail im finnischen Lappland S. 74
Silber, Gold und Sepia
Maasholm an der Schlei S. 81
Ordovizischer Ostseekalk S. 84
Seetang im Wind
An der Schleimünde und in der Geltinger Birk S. 93
An der Wasserkante entlang
Sommerende in Angeln S. 101
Den Pappeln läuft das Silber an
Terschelling S. 116
Das Meer schält Gestein
Salema an der Algarve S. 117
Gams und Geier
Nationalpark Gran Paradiso, Italien S. 118
Die Grenze riecht nach Rüben
Wanderungen im tschechisch-polnischen Grenzgebiet S. 123
Skomer Island und die Papageientaucher
Wales S. 139
Indian Summer in Neuengland S. 145
Tanz auf der Lippeaue S. 152
Fliegenfischen an der Lenne S. 154
Feuerspiel der Forellen
Wupperweg S. 157
Kokerei S. 163
Willy Brandt und die Eidechsen
Aal im Muttental S. 165
Turnschuh S. 168
Aggertalsperre im Oberbergischen Land S. 169
Zitronenfalter in der Haard S. 171
Großer Fuchs in der Hohen Mark S. 173
Samen und Saat in der Rheinaue S. 175
Plästerlegge
Höchster Wasserfall Nordrhein-Westfalens S. 178
Locus amoenus
Pfälzer Wald S. 179
Käthchen von Heilbronn und Götz von Berlichingen
Kocher-Jagst-Radweg S. 181
Weiße Grenze
Bayerisch Eisenstein S. 184


»Am Strand von Bochum ist allerhand los«
Januar Sturm
Der Himmel ist altes Silber. Ein eingewanderter Mammutbaum tanzt im Sturm. Die Buche beneidet ihn um seine biegsamen Äste. Sie sorgt sich, wie auch der Dompfaff. Er streckt sich lang in die Waagerechte, quer zum schaukelnden Zweig. Wind weht ihm Löcher ins rote Gefieder, das weiße Unterkleid wird sichtbar. Dicke Ringeltauben verschanzen sich hinter Stämmen, die ihrer Größe angemessenen Windschutz bieten. Bedrohlich klingt das Rauschen der Wipfel, das Klappern der Schieferschindeln und Regenrinnen. Bäume, die einen Kopfschnitt verpasst bekommen haben, klappern mit ihren Stricknadeltrieben. Rabenkrähen stürzen diagonal durch den Himmel. Die aufgeschlagene Buchseite wird grau, anthrazit, schließlich gleicht sie sich den Buchstaben an, die sich ausweiten und zu einem einzigen Zeichen werden. Wohl dem, der jetzt ein Kaminfeuer besitzt, in dem die Walnussschalen knistern. Februar Hochwasser
Am Tag vor Mutters Geburtstag am 18. Februar grünen oder blühen die harten Konsonanten: Klette, Kornelkirsche, Kätzchen, Schneeglöckchen, Schnittlauch, Taubnessel. Erste Kirschpflaumenblüten recken ihre gelben Staubblätter in den Wind und alle Richtungen. In einer oder zwei Wochen werden ihnen die Schlehen folgen. Wenn beide sich kreuzen, entsteht eine Pflaume. Nach den ersten Frösten setzte die Mutter Schlehenfeuer auf. Gekauft ein Modegetränk der Siebzigerjahre, beliebt bei Omas, Tanten, Nachbarinnen. Eines Tages stand eine braungeriffelte Flasche Fanta da, als ich nach der Schule in die Küche kam. Hmmm, Fanta! Ich war durstig und gierig auf das bei uns seltene Getränk. Ich hatte keine Zeit, ein Glas aus dem Schrank zu suchen, setzte gleich die Flasche an. – Ausspucken galt als extrem unfein, ich schluckte das Feuerwasser herunter. Gutturales Gartenschaumkraut leuchtet unter dem blauen Band des Frühlings. Es schmeckt krass nach Kresse. Von flauschigen Blättern kann ich der Mutter nicht berichten, ob sie Salbeigamander oder Wiesensalbei werden. Regenwürmer pflastern die Wege. Einige leben, andere sind mumifiziert, dritte plattgetreten, vierte zu Haschee zermatscht. Warum holen sich die Krähen nicht den Schmaus? Ich schaue mich nach den Vögeln im schwarzen Frack um. Drei sitzen auf dem Gras nebenan. Eine von ihnen wendet den Kopf, um einer braunen Bewegung zu folgen, und pflückt eine Feldmaus von der Wiese. Aus der Flussmitte wachsen Bäume, und Steine schwimmen auf der Wasseroberfläche. Zu anderen Zeiten stehen und liegen sie auf Buhnen. Die Ruhr will nicht erst in den Rhein fließen, um irgendwann einmal auf das Meer zu treffen. Sie will selbst das Meer sein. Heute übt sie sich in Brandung und schlägt Wellen, bis es schäumt. Wannen bildet sie, die locken, mich hineinfallen zu lassen und mit Geschwindigkeit den Fluss und das Leben hinabzutreiben. Mit aller Kraft kämpft ein Schwan seitwärts gegen die Strömung an. Sein Hals reckt sich nach vorn, die Brust baggert eine Bugwelle, seine Füße stampfen die braune Brühe. Ein Zaunkönig hüpft leichtfedrig am Ufer entlang, er prüft die Höhlen im strohigen Treibgut. Ließen sich hier ein paar Präsentationsnester für die Gattin einrichten? Die Mimikry der Ruhr scheint zu funktionieren. Zwischen den Kanadagänsen watschelt eine kleine Nonnengans über die Ruhrwiesen. Sollte sie nicht auf den Salzwiesen der Küste überwintern, bevor sie sich in die russischen, spitzbergischen, grönländischen Brutgebiete aufmacht? Stattdessen grast sie im Ruhrpott, allein unter Kanadiern, übernimmt Wachen wie die anderen. Ist sie auf der Durchreise? Wohnt sie an der holländischen Küste und wollte nur mal das neue Meer in Bochum anschauen? Jurek Becker hatte einst auf eine Postkarte geschrieben: »Am Strand von Bochum ist allerhand los.« Das Hochwasser treibt mich ins Trinkwasserschutzgebiet. Ich tauche unter dem Stacheldraht hindurch. Den Einbruch belohnt die Natur sofort mit Einblick. Im trüben Graben liegt ein Bisam. Rücken und Schädel bis zur Nase wölben sich aus der Oberfläche. Die Wasserkante muss ihm zwischen den Lippen stehen. Ob er wie ich, wenn ich schwimme, Mund und Kante miteinander spielen lässt? Winzige Wellen zeigen an, dass seine Füße gegen die Strömung paddeln. Ein zweiter Bisam schwimmt heran, stoppt, treibt ab. Erst dadurch wird der Sog indirekt sichtbar. Die Oberfläche ist glatt und braun wie ein stehendes Gewässer. Das Tier arbeitet gegen die Drift an und verkriecht sich unter einem dicken Rohr, das den Graben quert. Scheu wie in Virginia ist der Bisam im Ruhrpott nicht. Annie Dillard beschreibt in ihrem Buch »Pilger am Tinker Creek«, wie sie sich an ihn heranpirscht. Die Autorin bewegt sich ausschließlich, wenn der Nager die Augen unter Wasser oder ins Grasbüschel steckt. Das habe ich nicht nötig. Entweder ist er bei uns an Menschen gewöhnt oder im Gegenteil, er kennt im Schutzgebiet keine Jäger, Angler und Hunde. Ein drittes Tier trifft ein, doppelt so groß wie die beiden ersten. Eine Nutria! Der kleinere Pelz taucht ohne Eile unter dem Wasserrohr hindurch ein Stück den Graben aufwärts und ins Gebüsch. Die große Nutria folgt gemächlich im Abstand von drei Metern, strengt sich an, um unters Rohr zu passen. Nein, aus Furcht weicht der Bisam nicht aus, die mächtige Nutria schlüpft ins Buschwerk hinterher. Es ist also ein Elterntier, die kleineren Tiere sind keine Bisame, sondern junge Nutrias. Jetzt schon Nachwuchs? Aber ja, Nutrias pflanzen sich zu jeder Jahreszeit fort. Das Gesträuch aus dürren Stöcken und langblättrigen Schilfpflanzen ist ihr Nest. Der Eingang liegt über Wasser, anders als beim Bisam. Ein zweiter großer Nager trifft ein, und auch das zweite Kleine schlüpft zu Eltern und Geschwisterchen ins Nest. Die Familie wäre beisammen daheim, ginge eines der Jungtiere nicht gleich wieder aus und auf Wander-, vielmehr Schwimmschaft am Ufer entlang. Jenseits der Ufersträucher landet mit gespreizten Schwanzfedern und Flügeln ein kupferfarbener Fasan. Von oben und hinten schaut er aus wie ein Wappenvogel. Aus grauem Dunst und der Ferne erscheinen drei orangefarbene Männer. Sie schauen in meine Richtung. Ich wende mich um, begebe mich gemessenen Schrittes zum Zaun, schwinge zwischen den Drähten hindurch, blicke nicht zurück und gehe davon. Zwei Tage später hat sich das Hochwasser zurückgezogen. Ein Fasanenweibchen und zwei Männchen ducken sich unter dem Stacheldraht hindurch und verlassen das Grundwasserschutzgebiet. Als sie sich von mir entdeckt sehen, strecken sie sich in die Horizontale gegen den Laufwind, rennen los und verstecken sich hinter Grasbüscheln. Sie erkennen, dass das gar nichts bringt. Das Weibchen erhebt sich schwerfällig in die Lüfte, rudert mit der langen Schwanzfeder, kreischt den Männchen Bescheid, und gemeinsam überfliegen sie Wiese, Zaun und Wassergraben. Heute erinnere ich ausschließlich Augen. Der orangefarbene Augenkranz der Amsel. Das rotschwarze Auge der Blessralle, nur aus der Nähe zu erkennen. Die gelbe Iris der Ringeltaube im Gegensatz zum schwarzen Knopfauge der Hohltaube. Das gelbe Auge des Schellerpels, das weiße seiner Ente. Das gelbe Auge der Reiherente. Die dunklen Augen der Rabenkrähe, die weißblaue Iris der Dohle. Die blauen Augen meiner Mutter. Haben sich für immer geschlossen. Zwei Ringeltäuberiche klatschen ihre Schwingen gegeneinander, tanzen ihren Kampf, kämpfen ihren Tanz. Das Leben geht einfach weiter. Sechs Dompfaffmänner hocken wie frischgefärbte Ostereier im kargen Strauch und auf der grünen Wiese. Forsythien blühen auf, Scharbockskraut steht in den Startlöchern. Ich pflücke junge Blätter, sie spenden Vitamin C. Auch Knoblauchsrauke wölbt ein Kissen überm feuchten Lehm. Durch kahle Wipfel sprenkeln Singdrosseln, recken ihre Hälse und trällern sich zu. Was unter ihren hohen Warten geschieht, beachten sie nicht. Über der Wiese im Grundwasserschutzgebiet fliegen Stare Formation, landen im Gras und verschwinden. Bis einer beschließt, die anderen zu einem neuen Flugbild zu animieren. Wieder springen zwei Ringeltauben dicht voreinander in die Höhe und klatschen den jeweils rechten Flügel gegen den jeweils linken. Doch heute erweitert eine der Tauben den Tanz: Sie beugt Brust und Schnabel gen Boden, reckt den Schwanz in die Höhe und fächert ihn auf. Und erneut folgt eine elegante Verbeugung. Das Weibchen – denn jetzt ist klar, ich habe vor zwei Tagen keinen Revierkampf gesehen, sondern einen Balztanz – das Weibchen steht mit hochgerecktem Hals vor des Männchens Tanzbalz – und läuft davon. Drei Buntspechte leben in meinem Revier. Heute Morgen suchen sie ihre Klangbäume auf. Einer klingt hohl und dunkel, ein anderer hoch und hell, beim dritten muss ich lachen, der hat keine Resonanz, ist kaum zu hören. »Nee Alter«, rufe ich in den Wald, »mit dem...


Anja Liedtke gewann mit einer Reiseerzählung über Shanghai den Bettina-von-Arnim-Literaturpreis. Es folgten Romane und Reiseerzählungen über Israel, David Bowie, eine sozial und ökologisch nachhaltige Gesellschaft sowie die Folgen des Nationalsozialismus für ihre Generation. Die Autorin lebt im Ruhrgebiet. Außerdem sind erschienen: Stern über Europa (2012), Schwimmen wie ein Delfin oder Bowies Butler (2017), Ein Ich zu viel (2020), Blumenwiesen und Minenfelder. Reiseerzählungen aus Israel (2014), Liedtke/Schwarz: So sagt man halt bei uns. Kleines jüdischdeutsches Wörterbuch (2012), Reise durch amerikanische Betten (2013), Liedtke/Ullmann: fracKing (2016), Grün, Gelb, Rot. Ein Heimatroman. (2000).



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