Buch, Deutsch, Band 5, 276 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 214 mm, Gewicht: 346 g
Eine Stadt beschreibt sich selbst
Buch, Deutsch, Band 5, 276 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 214 mm, Gewicht: 346 g
Reihe: Interdisziplinäre Stadtforschung
ISBN: 978-3-593-39178-6
Verlag: Campus
Autoren/Hrsg.
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Einleitung
Martina Löw, Peter Noller, Sabine Süß
Ausgerechnet Darmstadt
Ruth Fühner
Erstes Gespräch: Cool Darmstadt/Die kreative Stadt
Jenseits von Trash und Boheme - Wie die Kultur von Darmstadt erlebt wird
Gunter Weidenhaus
Die Kulturszene in Darmstadt
Lea Rothmann, Eva Kemler
Zweites Gespräch: Generationenraum Stadt
Wie das Verhältnis der Generationen in Darmstadt erlebt wird
Kirsten Mensch
Die Lebenssituation älterer Menschen in Darmstadt
Gabriele Kleiner
Drittes Gespräch: Natur gegen Stadt? Darmstadts Umgang mit Natur
Wie Natur in Darmstadt erlebt wird
Peter Noller
Natur in Darmstadt
Jörg Dettmar
Viertes Gespräch: Verkehrsraum Stadt/Mobilität und Verkehr
Die Verkehrsinsel - Wie Verkehr in Darmstadt erlebt wird
Tobias Robischon
Verkehr in Darmstadt
Volker Blees
Fünftes Gespräch: Integration/Ausgrenzung in Darmstadt
Wie Integration und Ausgrenzung in Darmstadt erlebt wird
Silke Steets
Integration in Darmstadt
Miriam Seel
Sechstes Gespräch: Der überwachte Raum/Öffentlichkeit und Sicherheit
Wie Sicherheit in Darmstadt erlebt wird
Martina Löw
Sicherheit in Darmstadt
Marie-Renée Afanou
Siebtes Gespräch: Wie kann Darmstadt von sich lernen?
Wie Darmstadt auf Darmstadt blickt
Sabine Süß
Eine Insel der Glückseligen? Gefühltes Darmstadt: Zufriedenheit, Phlegma und Entschleunigung
Martina Löw, Peter Noller
Autorinnen und Autoren
Darmstadt scheint eine Stadt ohne drängende große Probleme zu sein. In Bürgerumfragen geben die Darmstädter regelmäßig an, dass sie bei wichtigen Themen wie Wohnsituation oder Sicherheitsempfinden wenig zu kritisieren haben, über 90 Prozent sind zum Beispiel sehr zufrieden oder zufrieden mit Darmstadt als Wohnort (Amt für Wirtschaft und Stadtentwicklung 2007: 5). Die Arbeitslosenquote lag im Dezember 2009 bei nur 6,4 Prozent, die Stadt ist nicht reich, hat aber durchaus ökonomische Spielräume. Rund ein Siebtel der 142.000 Bürger und Bürgerinnen verfügt über eine andere als die deutsche Staatsbürgerschaft (Darmstädter Datenblatt 2009) und verleiht so der Stadt ein internationales Flair.
Auch die Einbindung in die Region Rhein-Main und die exzellente Anbindung an die weltweiten Verkehrsströme sind Pluspunkte. Außerhalb Deutschlands allerdings wird Darmstadt gern als "Vorort von Frankfurt" bezeichnet. Und dies trotz aller Bestrebungen, Darmstadt als Wissenschaftsstadt, als Kunststadt oder seit neuestem als Kongressstadt großstädtisch zu inszenieren. "Es gibt hier keine große Jugendkriminalität, es gibt keine Probleme, keine großen Probleme mit Rechts, es gibt keine Problematik der Kinderleukämie in der Nähe eines Kernkraftwerks oder so etwas", resümiert ein Teilnehmer der Gesprächsreihe Typisch Darmstadt. Nach Unzufriedenheit klingt das alles nicht.
Über ein Jahr hinweg hat die Schader-Stiftung gemeinsam mit dem Stadtforschungsschwerpunkt der Technischen Universität Darmstadt eine Veranstaltungsreihe durchgeführt, die den Titel Typisch Darmstadt trug. Die Gesprächsrunden fanden an wechselnden, für das jeweilige Thema (Kultur, Generationsraum, Natur, Verkehrsraum, Integration/Ausgrenzung, Sicherheit, Lernen) bedeutsamen Orten statt. Das Podium setzte sich zusammen aus Experten, jeweils einem Vertreter oder einer Vertreterin der Technischen Universität Darmstadt, einer Bürgerinitiative oder eines Vereins, der städtischen Verwaltung sowie betroffenen und/oder engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Moderiert wurden die Veranstaltungen von der Journalistin Ruth Fühner, eingeladen wurde über Presse und andere Öffentlichkeitsarbeit. Nach einer halben Stunde Podiumsdiskussion war das Publikum aufgefordert, seine Perspektive auf das jeweilige Thema einzubringen: Wo sehen Sie Störungen im Darmstädter Alltag? Wo haben Sie Diskussionsbedarf oder Änderungsideen? Wie erleben Sie Ihren Alltag? Welche Kontinuitäten entdecken Sie in Darmstadt, welche Stärken und Schwächen?
Ausgangspunkt der Veranstaltungsreihe war die Einsicht, dass nicht erst Schulen brennen, Umfrageergebnisse in den Keller rutschen oder vergleichbar Aufrüttelndes geschehen muss, damit man das Gespräch über die soziale Realität in der Stadt sucht. Für den Stadtforschungsschwerpunkt der Technischen Universität Darmstadt war es ein politisches Anliegen, aus der wissenschaftlichen an die städtische Öffentlichkeit zu treten. Wenn man über die Eigenlogik der Städte forscht, liegt es schließlich nahe, vor der Haustür zu beginnen und der "eigenen" Stadt das Angebot zu machen, gemeinsam über die Praxis in unterschiedlichen Handlungsfeldern zu reflektieren. Im Kern ging es um die Fragen: Was läuft schief? Was läuft gut? Was wollen wir ändern und was beibehalten? Und auch um die Frage "Was hält diese Stadt zusammen?" Für die Schader-Stiftung, die ihre Aufgabe auch in der Förderung des Dialogs zwischen Sozialwissenschaften und Stadtgesellschaft sieht, war die Gesprächsreihe die ideale Möglichkeit, die wissenschaftliche Erkenntnis mit dem Erfahrungswissen der Bürger und anderer Praktiker zu kreuzen.
Insgesamt waren die Veranstaltungen gut besucht; nur ein Mal war die Fußball-Europameisterschaft eine harte Konkurrenz. Schnell wurde deutlich, dass Themen wie Kultur und Natur mehr Menschen motivierten, sich zu einer Diskussion ins Theater oder in den Park aufzumachen, als etwa das Thema Sicherheit. Unter dem Strich jedoch zeigte sich eine angeregte, abwechslungsreiche Gesprächskultur, an der in den Gesprächsrunden zwischen 50 und 200 Darmstädterinnen und Darmstädter beteiligt waren - manchmal tauchte auch der eine oder andere Gast aus Frankfurt auf.
Die Idee, die Gespräche zum Ausgangspunkt für ein Buch zu machen, stand lange im Raum. Der Vorteil liegt auf der Hand. Sich wiederholende Argumentationsmuster, Widersprüche und implizite Vorannahmen werden meist erst in der methodisch kontrollierten, distanzierten Interpretation der verschriftlichten Fassung des Gesprächs sichtbar. Der Vergleich der Gespräche ermöglicht darüber hinaus, Aussagen über die emotionale Besetzung der Stadt, die Gefühlsstruktur von Darmstadt, zu treffen. Wir haben uns schließlich für ein Format entschieden, das es ermöglicht, dem Leser oder der Leserin durch eine gekürzte und sprachlich geglättete Mitschrift Einblick in die Originalstimmen von Bürgern und Bürgerinnen zu gestatten. Typisch Darmstadt - das heißt einerseits, dass hiesige Lebensverhältnisse nicht ungeprüft verallgemeinert werden dürfen. Andererseits gibt es sicher noch mehr Städte, die ähnlichen Reproduktionsformen unterworfen sind wie Darmstadt. Noch können wir keine Typologie präsentieren, die auf der Basis einer charakterisierenden Stadtsoziologie Selbstentwürfe von Städten unterscheidet. Deshalb verstehen wir die Analyse einer in vieler Hinsicht unspektakulären, mittelgroßen deutschen Stadt als Baustein zum besseren Verständnis, wie städtischer Alltag funktioniert. Die Präsentation der Originalstimmen soll es ermöglichen, sich in die Denkwelt der Darmstädterinnen und Darmstädter ein Stück weit hineinzuversetzen. Sie soll der Alltagserfahrung eine Stimme geben. Daran schließt sich die sozialwissenschaftliche Interpretation des jeweiligen Typisch-Darmstadt-Gespräches an. Sie schlägt - gespeist aus theoretischen und methodischen Erkenntnissen vor allem aus Soziologie und Politikwissenschaft - eine Lesart des Gesprächsverlaufs vor. Diese wiederum wird mit (möglichst auf Darmstadt bezogenen) Fakten zum jeweiligen Thema konfrontiert.