Lohwasser / Kaiser / Karg | Remedium | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 156 Seiten

Reihe: Die Erben Abaddons

Lohwasser / Kaiser / Karg Remedium


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96629-302-0
Verlag: Verlag Torsten Low
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 2, 156 Seiten

Reihe: Die Erben Abaddons

ISBN: 978-3-96629-302-0
Verlag: Verlag Torsten Low
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



2306. Neu-Babel, die legendäre Stadt des Reichtums: Alte Hochtechnologie und skrupelloser Handel bescheren den Stadtbewohnern, die sich in luftiger Höhe gegen den Rest der Menschen abschotten, Unabhängigkeit und Reichtum. Aber selbst hier ist nicht alles Gold, was glänzt. Und nicht jeder, der es sich wünscht, darf am großen Wohlstand teilhaben. So ergeht es auch Nele. In der Hoffnung auf ein besseres Leben zieht sie mit ihrem Gefährten Gazael nach Neu-Babel, wo sich der Traum vom Glück in einen Albtraum verwandelt. Als sie auch noch an 'Verfall' erkrankt, scheint ihr Schicksal besiegelt. Doch sie nimmt den Kampf auf und begibt sich auf die schier aussichtslose Suche nach einem Heilmittel. Für den ultrareichen Lukures ist das Leben ein einziger Rausch aus Drogen, Dirnen und anderen Belustigungen. Er genießt sein Leben in vollen Zügen - bis die Reize plötzlich fad schmecken und die Welt an Farbe verliert. Mit allen Mitteln versucht er, der wachsenden Leere zu entkommen, aber erst ein dunkler Kult bringt ihn seinem Heilmittel schließlich einen Schritt näher. 'Remedium' ist der packende zweite Teil der Reihe 'Die Erben Abaddons', in der sich Postapokalypse, Science-Fiction und Adventure zu einer neuen, faszinierenden Wirklichkeit vereinen.

Thomas Lohwasser und Vanessa Kaiser wurden Mitte der Siebzigerjahre in Marburg an der Lahn geboren. 2006 vereinigten sie ihre Talente und erzählen seither als Duo Geschichten, die in zahlreichen Anthologien veröffentlicht wurden. Zudem sind sie Herausgeber dreier Kurzgeschichtensammlungen und wirken seit 2015/2016 in der Jury der Storyolympiade mit. Im Oktober 2016 erschien ihr erster Roman 'Herbstlande' (in Zusammenarbeit mit Fabienne Siegmund und Stephanie Kempin im Verlag Torsten Low). Für ihr Schaffen wurden sie bislang mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Weitere Infos unter: www.lohwasser-kaiser.de Thomas Karg lebt im Herzen Niederbayerns. Seine Werke beschäftigen sich mit den dunklen Seiten der menschlichen Seele und des Lebens. Er erzählt düstere Geschichten in allen Schattierungen und Formen - von subtil bis blutig, von realistisch bis phantastisch. Seine erste eigene Kurzgeschichtensammlung 'Fest der Geier und andere verstörende Geschichten' wurde 2017 veröffentlicht und erreichte Platz_2 beim Vincent Preis. Zudem finden sich mehrere Beiträge von ihm in verschiedenen Anthologien. 2018 beschlossen die drei Autoren, gemeinsame Projekte zu starten. Anfang 2019 erschien die erste gemeinsame Kurzgeschichte des Trios. 2019 rief das Trio die dystopische Romanreihe 'Die Erben Abaddons' ins Leben. Bisher in der Reihe erschienen sind die Bände 'Nimmerland' und 'Remedium'. Voraussichtlich im Sommer 2020 wird Band 3 'Skotophobia' folgen.

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Weitere Infos & Material


»Nach drüben kommst du nur in Ketten.« Geflügeltes Wort in Braunbabel         1 Lumpenbabel   Am Fuße Neu-Babels, vor zwei Jahren, 2304. Zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch sahen Gazael und Nele wieder andere Menschen, falls man bei ihnen von »Menschen« sprechen konnte. Sie befanden sich hinter grobmaschigen Zäunen – abgemagerte und bleiche Kreaturen in schmutzstarrenden Lumpen. Die meisten von ihnen hockten nur da, mitten in ihrem eigenen Unrat, und starrten stumpf ins Nichts oder wiegten sich vor und zurück. Die zwei gigantischen Plattformen, die jeweils von einer riesigen Säule getragen wurden, hüllten dieses Elend in gnädige Schatten und brachten angenehme Kühle. Der Gestank jedoch, der von den abgetrennten Bereichen herüberdrang, raubte Nele fast den Atem. Sie setzte zum Sprechen an, als in der Nähe ein dumpfer Schlag ertönte. Eine Staubwolke verriet, dass etwas aus großer Höhe auf den harten Sandboden gefallen war. Augenblicklich gerieten die Bleichen hinter den Zäunen in Aufruhr, hetzten wie hungrige Warane auf die Absturzstelle zu. Einer von ihnen packte das, was auch immer dort lag, und biss hinein. Ein zweiter krallte sich ebenfalls in dem Ding fest. Heisere Rufe, sogar einzelne Schreie drangen aus mehreren Kehlen, als der ganze Pulk versuchte, sich dieses rot triefende Etwas gegenseitig aus den Händen zu reißen. Erst jetzt erkannte Nele, dass es sich um eine fette Nacktratte handelte. Erschüttert wandte sie sich ab und presste sich an Gazaels Schulter. »Wie grausam!« »Hab keine Sorge. Wir werden den Boden verlassen und dort oben leben.« Gazael deutete auf die riesige, runde Plattform, unter der sie durchgingen. »Du verdienst Neu-Babels Sicherheit.« Er schwieg einen Moment, bevor er sagte: »Ich habe diese Menschen schon einmal gesehen.« »Tatsächlich?« Nele bedachte ihn mit einem überraschten Blick. »Vor Jahren. Ich bin damals noch hergewandert, um den Neu-Babelern Waranfleisch zu verkaufen, sie zahlten reichlich. Zu der Zeit gab es keine Zäune. Der Wärter an der Säule prahlte aber schon damit, dass man die Müllfresser aussperren will, um den Weg für die Händler und Edelsteingräber sicherer zu machen.« »Schrecklich …«, murmelte Nele. »Wieso warst du nie wieder hier?« »Ich gehe nicht mehr mit, seit du dich uns angeschlossen hast. Der Weg ist weit. Ich habe es dir nie gesagt, aber ich wollte nicht mehr so lange von dir fort sein. Ich weiß, wie schwer es für dich war, allein mit dem Clan zu sein.« Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Meine Tapfere.« Nele lächelte ihn an, dann wurde ihr Blick wieder von den Unseligen hinter den Zäunen angezogen. »Du fühlst mit ihnen«, bemerkte Gazael. »Sieh sie dir doch an, so ausgesperrt und abgeschnitten von allem! Man lässt ihnen ja gar keine Wahl.« Gazael blieb stehen und drehte Nele sanft zu sich. »Lähme deinen Geist nicht mit solchen Gedanken. Man hat immer eine Wahl.« Sie senkte den Blick. »Das klingt gefühllos, selbst für einen Waranjäger wie dich.« Gazael streichelte ihr über die langen, braunen Haare. »Ich fühle mit denen, die ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. So wie du es immer getan hast. Wäre deine Hartnäckigkeit nicht gewesen, wären wir jetzt nicht hier.« Er bedachte sie mit zärtlichem Blick, dann zog er sie an sich. »Ich bin stolz, dass du unseren Sohn austrägst«, murmelte er in ihr Haar. Dann nahm er ihre Hand, und gemeinsam gingen sie im Schatten der gigantischen Plattform auf die schwarze Säule zu, die breiter und höher und verheißungsvoller war als alles, was Nele je gesehen hatte.   Neu-Babel, Westplattform, heute, 2306. Nele erwachte am Abend aus unruhigem Schlaf. Geradezu ohrenbetäubend klapperte die Rückwand ihrer zwei mal drei Schritt kleinen Blechhütte. Sie ertrug es fast nicht mehr. Zu dieser Jahreszeit stürmte es jeden Tag wenigstens einmal in solcher Stärke. An eine Reparatur war allerdings nicht zu denken, sie hatte größere Sorgen. Wenn es nicht der Wind war, der sie weckte, dann waren es wahlweise Durst, Hunger oder einfach die brachiale Hitze. Die Blechhütte mit den Luftlöchern an der Decke hatte Ähnlichkeiten mit dem Ofen in Toras Garküche, doch auf der Straße zu schlafen, war in dieser Gegend keine gute Idee, wenn man nicht ausgeraubt, vergewaltigt oder getötet werden wollte. Schwerfällig tastete sie nach ihrem Solar-Minilenser, klemmte ihn ans Ohr und knipste das kleine Licht daran an. Dann zog sie ihr Hemd und die Hose aus braunem Synthoplast über – einem Stoff, der gerüchtehalber noch von Materialrollen aus der Alten Zeit stammte, die in den Kellern unterhalb Neu-Babels lagerten. Steif und unbequem wie er war, stellte er doch für die Menschen auf der Plattform der Armen, »Braunbabel« oder »Lumpenbabel« genannt, die einzige bezahlbare Möglichkeit dar, sich Kleidung anzufertigen. Sie kratzte über ihre Haut, die vom ewigen Sand, den der Wind durch jede Ritze trug, wundgeschmirgelt war. Ihr ganzer Mund fühlte sich pelzig an und ihre Zunge klebte dick und taub am Gaumen. Sie schloss die Augen. Nele hatte die Berge im Westen bisher nur von Weitem gesehen, graubraun und massig, doch mittels der Kraft ihrer Vorstellung sah sie sich selbst im grünen Gras stehen und von dem Wasser der Bäche trinken, die es dort geben sollte. Mit Mühe sammelte sie ein wenig Speichel und schluckte. In ihrer Fantasie rann herrlich kaltes Wasser ihre Kehle hinunter. Manchmal half das über den gröbsten Durst hinweg, doch als sie die Augen wieder öffnete, wurde ihr bewusst, dass Vorstellungskraft allein sie nicht mehr lange am Leben halten würde. Sie fühlte sich wie eine Greisin, nicht wie sechsundzwanzig. »Komodon, Lizardon, Gatordon … helft mir, einen weiteren Tag zu überstehen.« Früher war sie auf die Knie gegangen, um zu beten. Inzwischen nuschelte sie die Worte nur noch, während sie nach draußen in die hereinbrechende Dunkelheit schlüpfte, um ihren Lebensunterhalt zu erarbeiten. Es fiel ihr Nacht um Nacht schwerer. Wofür das Ganze?, fragte sie sich, als sie auf ihren durchgelaufenen Sandalen durch die engen, schmutzigen Gassen schlich. Es gab nichts, für das sich der Kampf noch lohnte. Längst hatte sie verlernt zu leben. Sie atmete weiter ein und aus. Mehr nicht.   Der Hunger zerriss ihr Inneres, aber sie rührte die Spinnen in ihrer Hand nicht an. Du darfst sie nicht essen. Du brauchst das Geld für die Steuer, ermahnte sie sich. Schweren Herzens packte sie die haarigen, orangefarbenen Spinnen, die sie mithilfe ihres Blechhakens aus einer Nische gekratzt hatte, in ihren Beutel. Die Nacht war wenig erfolgreich gewesen. Stundenlang war Nele umhergestreift, doch war sie meist zu langsam gewesen, wenn der Lichtkegel des Minilensers ein Beutetier zwischen den Schatten aufgescheucht hatte. Sie war einfach zu erschöpft. Die Morgendämmerung nahte und es befanden sich bloß eine Handvoll Spinnen und drei kleine Skorpione in ihrem Beutel. Frustriert deaktivierte sie die »AkustikSchock2100«, die alte Köderfalle, mit der es ihr ab und an gelang, eine der flinken Nacktratten zu fangen. Sie waren katzengroß, wehrhaft und schrecklich klug. Mit ihren dolchartigen Klauen konnten sie Nele ernsthaft verletzen, wenn sie nicht vom Knall im Inneren der dickwandigen Köderbox verwirrt oder betäubt waren. Sie schlug den Weg zu Toras Garküche ein, wo sie die Beute für einen Lohn verkaufen würde, für den sie gerade einmal Wasser bekommen konnte. Den jämmerlichen Rest musste sie für die Steuer sparen. Wieder würde sie sich hungrig nach Hause schleppen, wo sie bis zur Abenddämmerung schlief, um das armselige Spiel von vorn zu beginnen. Der Stadtteil, in dem sich die Garküche befand, wurde von Hütten und Häuschen aus Verbundplastik geprägt, dem rauen Baustoff, der auf der anderen Plattform in sogenannten 3D-Druckern hergestellt wurde und gegen einen Wucherzins an jene, die wenigstens über ein bisschen Geld verfügten, verliehen oder verkauft wurde. Trotz der maroden Häuserwände und Dächer – das Verbundzeug hielt bestenfalls wenige Jahre dicht – war es eine annehmbare Gegend im Vergleich zu Neles Viertel, das sich wie ein Hungergürtel aus Blech über eine Breite von zwanzig Schritt an der Plateaukante entlangzog. Einen richtigen Weg gab es in Braunbabel nicht. Stattdessen huschte Nele zwischen den löchrigen Häusern und den Hütten hindurch, die dicht an dicht standen. »Wir werden nicht lange hier sein«, hatte Gazael gesagt, als Nele und er sich das erste Mal zwischen den Hütten zurechtfinden mussten. »Noch bevor unser Sohn zu sprechen lernt, werden wir auf der sicheren Plattform sein.« Nele schüttelte die Erinnerungen ab. In letzter Zeit taten sie nicht einmal mehr wirklich weh, zu taub fühlte ihr Inneres sich an. Vorbei die Zeit, in der ihr der Schmerz das Gefühl gab, überhaupt noch am Leben zu sein. Eine Unendlichkeit musste zwischen diesem Tag, an dem noch alles möglich schien, und heute liegen. »Stopp, Schlampe!« Die Stimme klang rau und drohend. Nele gefror in der Bewegung. Sie wusste genau, was jetzt kam, dazu brauchte sie den sauren Atem der Frau hinter sich weder zu spüren noch zu riechen. »Umdrehen, langsam!« Nele drehte sich resigniert um. Die Augen, die sie anstarrten, glühten vor geplatzten Äderchen. Ein Fauchen erklang, als die Frau den Schneidbrenner einschaltete. Mit zittriger Hand hielt sie ihn vor Neles Gesicht. Mit der anderen deutete sie auf den Beutel und machte...



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