Buch, Englisch, Deutsch, 114 Seiten, Paperback
Reihe: Essener Unikate
Sterben, Tod - und dann?
Buch, Englisch, Deutsch, 114 Seiten, Paperback
Reihe: Essener Unikate
ISBN: 978-3-934359-35-2
Verlag: Universität Duisburg - Essen SSC
Autoren/Hrsg.
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Zu den öffentlichkeitswirksamsten Präsentationen der vergangenen Ruhr-Triennale 2008 gehörte wohl die Inszenierung von Christoph Schlingensiefs „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“. Im Kern handelt es sich um eine autobiographische Auseinandersetzung des 47-jährigen Künstlers mit seiner kurz zuvor diagnostizierten und medizinisch behandelten Lungenkrebserkrankung: „Ich habe den Tod gespürt, er saß in mir. Ich habe gekämpft. Dieser Tod ist erst einmal weg. Was daraus wird, muss man sehen. Ich habe gekämpft. Wahrscheinlich müssen noch einige Kämpfe folgen.“ Die ihm nach der Diagnose zuteil gewordene medizinische Behandlung verbindet er mit einer großen Hoffnung: „Mein großer Wunsch an Gott und Maria und Jesus ist es, dass durch diese Entkernung und das Herausnehmen dieser ganzen Lymphen und Drüsen wirklich eine Chance besteht, mit der Chemo und anderen Sachen das Ding wirklich zu putzen. Und dann muss man sich seelisch sauber halten und man muss sich auch körperlich sauber halten. Und dabei nicht verkrampfen. Das Leben lieben.“ Christoph Schlingensief formuliert in den angeführten Zitaten das Leben angesichts von „Sterben, Tod. und dann?“ in der ihm eigenen Sensibilität und Sprachmächtigkeit aus der Patientenperspektive. – Das vorliegende UNIKATE-Heft widmet sich dem angesprochenen Leitthema aus wissenschaftlichen Perspektiven. Vornehmlich Mediziner und Theologen setzen sich im Rahmen eines weit ausgreifenden Perspektiven- und Methodenfächers damit auseinander, was die von ihnen jeweils vertretene wissenschaftliche Disziplin zum Leitthema beizutragen hat.
Die Thematik „Sterben, Tod. und dann?“ könnte den Gedanken nahe legen, als wenn in geordneter Reihenfolge auf das Sterben der Tod und auf diesen schließlich die Deutung von beidem erfolgte. Zu den Requisiten der oben genannten Schlingensief-Aufführung gehörte eine große goldene Monstranz, die anstelle der ansonsten darin gezeigten runden weißen Hostienscheibe, in der die Christen Christus gegenwärtig glauben, das Röntgenbild von Schlingensiefs operierter Lunge ausstellt: die rechte Lungenhälfte gesund und von den Rippenbögen überwölbt, der Bereich der linken Lungenhälfte eine tiefschwarze Fläche ohne jede Kontur. Wie immer man diese faszinierende (Selbst-)Präsentation auch deutet, so lässt sie jedenfalls – ebenso wie die obigen Zitate des Regisseurs – keinen Zweifel daran, wie sehr Sterben, Tod und die Deutung von beidem sowohl für die unmittelbar Betroffenen als auch für die zur Thematik arbeitenden Wissenschaftler eine tief verwobene Einheit bilden. Von dieser Einheit sind auch die Herausgeber sowie die Autorinnen und Autoren des vorliegenden UNIKATE-Heftes überzeugt, das den Dialog zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften befördern will. Wenn dennoch im Gefolge der medizinischen Beiträge zur Thematik in einem zweiten Teil die geisteswissenschaftlichen Artikel folgen, ist diese Anordnung allein der Tatsache geschuldet, dass das von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen gestaltete UNIKATE-Heft – anders als eine künstlerische Inszenierung –
die wissenschaftlich jeweils unterschiedlichen Frageperspektiven und Methodiken der verschiedenen Fachkulturen zu berücksichtigen hat.
Im Rahmen eines im Jahre 2006 etwa 234 Milliarden teuren Gesundheitssystems der BRD wird auch im Essener Universitätsklinikum mit seinen 650 Ärzten, 1500 Pflegekräften und vielen technischen Mitarbeitern nach Antworten auf Fragen geforscht, die jedes menschliche Leben früher oder später berühren und die aus diesem Grunde auch in dieses UNIKATE-Heft Eingang gefunden haben. Zu diesen Fragen nach Leben und Tod zählt die analytische Suche, wie unsere Lebensuhr arbeitet, ebenso wie das vertiefte Forschen danach, was von den menschlichen Geweben mit bzw. mit Eintritt des Todes wie lange fortlebt. Hierzu gehört das präzise Wissen um die Bedeutung des Hirntodes für den Sterbeprozess ebenso wie die pionierhaft erforschte und praktizierte Organspende als ein Handeln, welches sich zwischen Leben und Tod von sogar zwei direkt Beteiligten – Spender und Empfänger – ereignet.
Die in das UNIKATE-Heft eingegangenen geisteswissenschaftlichen Beiträge verdeutlichen, dass die Frage nach „Sterben, Tod. und dann?“ eine religions- und epochenübergreifende Bedeutung hat. Der auf diese Weise menschheitsgeschichtlich zusammengekommene Frage- und Antwortschatz – hier exemplarisch hin konkretisiert auf Judentum, Buddhismus und Christentum (denn einen Islamwissenschaftler gibt es an der Uni Duisburg-Essen nicht) – bildet zugleich ein großes Reservoire an Wertvorstellungen; an diesem orientiert sich die aktuelle medizinische Forschung einerseits, andererseits fragt die moderne Medizin die nur scheinbar ‚festen‘ Werte immer wieder neu an. Darüber hinaus hat es die religiöse Erforschung der Vorstellungen von Leben und Tod mit der Frage zu tun, ob und was über den irdischen Tod hinaus vom Menschen bleibt, nicht zuletzt welche Lebensdimensionen (für Kinder und Erwachsene) der Abschied von einem gestorbenen Menschen umfassen und eröffnen kann: für den Toten wie für die Hinterbliebenen.
„Ich komme immer wieder auf Joseph Beuys zurück“, so äußert sich der aus dem Ruhrgebiet stammende Christoph Schlingensief zum Abschluss des oben genannten Interviews mit Blick auf seine lebensbedrohliche Erkrankung: „Und Joseph Beuys sagte: „Erst als Jesus verlassen war, fing die Ich-Erkenntnis an. Und so empfinde ich jetzt auch. Bevor ich gehe, möchte ich erfahren, was mit Gott los ist.“ – Die Autorinnen und Autoren dieses UNIKATE-Heftes hoffen mit ihren Beiträgen zumindest wissenschaftlich vertiefte Erkenntnisse beizutragen; es ist ihr Anliegen, dass die medizinischen und die geisteswissenschaftlichen Beiträge des vorliegenden UNIKATE-Heftes einige bedenkenswerte Fährten freilegen mit Blick auf die Frage nach „Sterben, Tod. und dann?“
Dieter Bingmann
Hubertus Lutterbach