Luxemburg | Friedensutopien und Hundepolitik. Schriften und Reden. Mit einem Essay von Dietmar Dath. [Was bedeutet das alles?] | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 104 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

Luxemburg Friedensutopien und Hundepolitik. Schriften und Reden. Mit einem Essay von Dietmar Dath. [Was bedeutet das alles?]

Luxemburg, Rosa - Erläuterungen; Analyse - 19540
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-15-961404-5
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Luxemburg, Rosa - Erläuterungen; Analyse - 19540

E-Book, Deutsch, 104 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

ISBN: 978-3-15-961404-5
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zum 100. Mal jährt sich am 15. Januar 2019 die Ermordung von Rosa Luxemburg durch Mitglieder eines nationalistischen Freikorps. Luxemburgs Rolle als Wortführerin der radikalen Linken hatte sie früh verhasst gemacht - nicht nur bei Monarchisten, auch bei den Sozialdemokraten. Der Band versammelt Aufsätze und Reden, etwa ihre Verteidigungsrede vor Gericht, als man sie wegen ihres Aufrufs zur Kriegsdienstverweigerung angeklagt hatte, eine Würdigung des 1919 mit ihr ermordeten Gesinnungsgenossen Karl Liebknecht, Gedanken zu Friedensutopien und Paneuropa sowie ein Plädoyer für das Frauenwahlrecht und persönliche Zeugnisse aus der Haft. Dietmar Dath würdigt in seinem Essay Werk und Leben einer der großen Frauen der deutschen Geschichte.

Dietmar Dath, geb. 1970, Feuilletonredakteur bei der FAZ, Romanautor, Übersetzer.

Luxemburg Friedensutopien und Hundepolitik. Schriften und Reden. Mit einem Essay von Dietmar Dath. [Was bedeutet das alles?] jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Tolstoi als sozialer Denker
Leipzig, 9. September [1908] In dem genialsten Romanschriftsteller der Gegenwart lebte von Anfang an neben dem rastlosen Künstler ein rastloser sozialer Denker. Die Grundfragen des menschlichen Lebens, der Beziehungen der Menschen zueinander, der gesellschaftlichen Verhältnisse beschäftigten seit jeher tief das innerste Wesen Tolstois, und sein ganzes langes Leben und Schaffen war zugleich ein unermüdliches Grübeln über »die Wahrheit« im Menschenleben. Dasselbe rastlose Suchen nach Wahrheit wird gewöhnlich auch einem anderen berühmten Zeitgenossen Tolstois, Ibsen, nachgesagt. Während aber in den Ibsen’schen Dramen der große Ideenkampf der Gegenwart in dem großspurigen, meistens kaum verständlichen Puppenspiel zwerghafter Gestalten grotesken Ausdruck findet, wobei der Künstler Ibsen unter den unzureichenden Anstrengungen des Denkers Ibsen kläglich erliegt, vermag die Denkarbeit Tolstois seinem künstlerischen Genie nichts anzuhaben. In jedem seiner Romane fällt diese Arbeit irgendeiner Person zu, die mitten in dem Getümmel lebenstrotzender Gestalten die etwas linkische, ein wenig lächerliche Rolle eines verträumten Räsoneurs und Wahrheitsuchers spielt, wie Pierre Besuchow in Krieg und Frieden, wie Lewin in Anna Karenina, wie Fürst Nechljudow in der Auferstehung. Diese Personen, die immer die eigenen Gedanken, Zweifel und Probleme Tolstois in Worte kleiden, sind in der Regel künstlerisch am schwächsten, schemenhaftesten gezeichnet, sie sind mehr Beobachter des Lebens als mitwirkende Teilnehmer. Allein die Gestaltungskraft Tolstois ist so gewaltig, dass er selbst nicht imstande ist, die eigenen Werke zu verpfuschen, wie sehr er sie in der Sorglosigkeit eines gottbegnadeten Schöpfers misshandeln mag. Und als der Denker Tolstoi mit der Zeit über den Künstler den Sieg davongetragen hatte, so geschah es nicht, weil das künstlerische Genie Tolstois versiegte, sondern weil ihm der tiefe Ernst des Denkers Schweigen gebot. Wenn Tolstoi in dem letzten Jahrzehnt statt herrlicher Romane nunmehr künstlerisch oft trostlose Traktate und Traktätchen über Religion, Kunst, Moral, Ehe, Erziehung, Arbeiterfrage schrieb, so war es, weil er mit seinem Grübeln und Denken zu Ergebnissen gelangt ist, die ihm sein eigenes künstlerisches Schaffen als eine frivole Spielerei erscheinen ließen. Welches sind nun diese Ergebnisse, welche Ideen verfocht und verficht jetzt noch bis zum letzten Atemzuge der greise Dichter? Kurz gefasst, ist die Ideenrichtung Tolstois bekannt als eine Abkehr von den bestehenden Verhältnissen mitsamt dem sozialen Kampf in jeglicher Gestalt zu einem »wahren Christentum«. Schon auf den ersten Blick mutet diese geistige Richtung reaktionär an. Gegen den Verdacht freilich, als hätte das von ihm gepredigte Christentum irgendetwas mit dem bestehenden offiziellen Kirchenglauben zu tun, ist Tolstoi schon durch den öffentlichen Bannstrahl geschützt, mit dem ihn die russische orthodoxe Staatskirche getroffen hat. Allein auch eine Opposition gegen das Bestehende schillert in reaktionären Farben, wenn sie sich in mystische Formen kleidet. Doppelt verdächtig erscheint aber ein christlicher Mystizismus, der jeden Kampf und jede Form der Gewaltanwendung verabscheut und die Lehre von der »Nichtvergeltung« predigt, in einem sozialen und politischen Milieu wie dem des absolutistischen Russland. Tatsächlich äußerte sich der Einfluss der Tolstoi’schen Lehren auf die junge russische Intelligenz – ein Einfluss, der übrigens nie weittragend war und sich nur auf kleine Zirkel erstreckte – Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre, d. h. in der Periode des Stillstands des revolutionären Kampfes, in der Verbreitung einer indolenten ethisch-individualistischen Strömung, die eine direkte Gefahr für die revolutionäre Bewegung hätte werden können, wäre sie nicht räumlich wie zeitlich bloß eine Episode geblieben. Und endlich unmittelbar vor das geschichtliche Schauspiel der russischen Revolution gestellt, wendet sich Tolstoi offen gegen die Revolution, wie er bereits in seinen Schriften schroff und ausdrücklich gegen den Sozialismus Stellung genommen, speziell die Marx’sche Lehre als eine ungeheure Verblendung und Verirrung bekämpft hat. Gewiss, Tolstoi war und ist kein Sozialdemokrat, und für die Sozialdemokratie, für die moderne Arbeiterbewegung hat er nicht das geringste Verständnis. Allein, es ist ein hoffnungsloses Verfahren, an eine geistige Erscheinung von der Größe und von der Eigenart Tolstois mit dem armseligen steifen Schulmaß herantreten und ihn danach beurteilen zu wollen. Die ablehnende Haltung zum Sozialismus als einer Bewegung und einem Lehrsystem kann unter Umständen nicht von der Schwäche, sondern von der Stärke eines Intellekts herrühren, und dies ist gerade bei Tolstoi der Fall. Einerseits herangewachsen noch in dem alten leibeigenen Russland Nikolaus’ I., in einer Zeit, wo es im Zarenreich weder eine moderne Arbeiterbewegung noch auch die nötige wirtschaftliche und soziale Vorbedingung dazu, eine kräftige kapitalistische Entwicklung, gab, war er in seinem kräftigsten Mannesalter Zeuge des Versagens zuerst der schwächlichen Anläufe einer liberalen Bewegung, dann auch der revolutionären Bewegung in der Form der terroristischen »Narodnaja Wolja«, um erst im Alter fast eines Siebzigjährigen die ersten kräftigen Schritte des industriellen Proletariats und schließlich als hochbetagter Greis die Revolution zu erleben. So ist es kein Wunder, dass für Tolstoi das moderne russische Proletariat mit seinem geistigen Leben und Streben nicht existiert, dass ihm der Bauer, und zwar der ehemalige tiefgläubige und passiv duldende russische Bauer, der nur eine Sehnsucht kennt – mehr Land zu besitzen, ein für alle Mal das Volk schlechthin bedeutet. Anderseits aber gehört Tolstoi, der alle kritischen Phasen und den ganzen qualvollen Werdegang des russischen öffentlichen Gedankens miterlebt hat, zu jenen selbständigen, genialen Geistern, die sich sehr viel schwerer in fremde Denkformen, in fertige Lehrsysteme fügen als Durchschnittsintelligenzen. Sozusagen geborener Autodidakt – nicht in Bezug auf die formale Bildung und das Wissen, sondern in Bezug auf das Denken –, muss er zu jedem Gedanken auf einem eigenen Wege gelangen. Und sind die Wege für andere meist unbegreiflich und die Resultate bizarr, so erreicht der kühne Einzelgänger dabei doch Ausblicke von überwältigender Weite. Wie bei allen Geistern dieser Art, liegt die Stärke Tolstois und das Schwergewicht seiner Gedankenarbeit nicht in der positiven Propaganda, sondern in der Kritik des Bestehenden. Und hier erreicht er eine Vielseitigkeit, Gründlichkeit und Kühnheit, die an die alten Utopistenklassiker des Sozialismus, an Saint-Simon, Fourier und Owen, erinnern. Es gibt nicht eine von den hergebrachten geheiligten Institutionen der bestehenden Gesellschaftsordnung, die er nicht unbarmherzig zerpflückt, ihre Verlogenheit, Verkehrtheit und Verderblichkeit aufgezeigt hätte. Kirche und Staat, Krieg und Militarismus, Ehe und Erziehung, Reichtum und Müßiggang, physische und geistige Degradation der Arbeitenden, Ausbeutung und Unterdrückung der Volksmassen, das Verhältnis der Geschlechter, Kunst und Wissenschaft in ihrer heutigen Gestalt – alles unterzieht er einer schonungslosen, vernichtenden Kritik, und zwar stets vom Standpunkt der Gesamtinteressen und des Kulturfortschritts der großen Masse. Liest man z. B. die Anfangssätze seiner »Arbeiterfrage«, so meint man, eine populäre sozialistische Agitationsschrift in der Hand zu haben: »In der ganzen Welt gibt es mehr als eine Milliarde, Tausende Millionen Arbeiter. Das ganze Getreide, sämtliche Waren der ganzen Welt, alles, wovon die Menschen leben und was ihren Reichtum ausmacht, ist das Produkt des arbeitenden Volkes. Allein nicht das arbeitende Volk, sondern die Regierung und die Reichen genießen alles, was es erzeugt. Das werktätige Volk aber lebt in ewiger Not, Unwissenheit, Sklaverei und Verachtung bei allen denjenigen, die es kleidet, nährt, für die es baut und denen es dient. Das Land ist ihm weggenommen worden, und es ist das Eigentum derer, die nicht arbeiten, so daß der Arbeiter alles das machen muss, was die Grundbesitzer von ihm verlangen, um vom Grund und Boden leben zu können. Verlässt aber der Arbeiter das Land und geht in die Werkstatt, so gerät er in die Sklaverei bei den Reichen, bei welchen er das ganze Leben 10, 12, 14 und noch mehr Stunden am Tag eine fremde, eintönige und oft für das Leben schädliche Arbeit ausführen muss. Kann er sich aber auf dem Lande oder bei der fremden Arbeit so einrichten, um nur in Not leben zu können, so lässt man ihn nicht in Ruhe, sondern verlangt von ihm Steuern, zieht ihn selbst für drei, für fünf Jahre zum Soldatendienst heran und zwingt ihn, für das Kriegswerk besondere Steuern zu zahlen. Will er aber den Boden benutzen, ohne Rente zu zahlen, einen Streit anfangen oder die Arbeitswilligen verhindern, seine Stelle einzunehmen, oder die Steuern verweigern, so schickt man gegen ihn das Militär, das ihn verwundet, tötet und mit Gewalt zwingt, nach wie vor zu arbeiten und zu zahlen […]. Und so leben die meisten Menschen in der ganzen Welt, nicht bloß in Russland, sondern auch in Frankreich, Deutschland, England, China, Indien,...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.