E-Book, Deutsch, 448 Seiten
MacKay Teenie Voodoo Queen
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-99090-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
ISBN: 978-3-492-99090-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Gerade als ich den Fuß über die Schwelle setzte, flackerten die Deckenlampen einmal kurz auf, erloschen dann jedoch sofort wieder. Das war merkwürdig. Aber wahrscheinlich nur ein technischer Defekt. Die New Orleans Night School of Voodoo Magic war ein sicherer Ort. Zumindest versuchte ich mir das einzureden. MoVs konnten die Schule noch nicht einmal sehen, wenn sie nicht gerade (wie einige nichtmagische Elternteile) von uns eingeladen wurden, also konnte hier auch kein Kettensägenmörder auf mich lauern. Außer, der Mörder ist eine Voodoohexe, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. »Hallo?« Selbst meine eigene Stimme klang nicht sehr überzeugt. Um meine zitternden Hände zu beruhigen, schob ich sie in die Taschen meines Regencapes. Der billige grüne Stoff raschelte. Da waren sie wieder, meine übertriebenen Angstzustände nach dem Tod meiner Eltern. Eigentlich war der Gang nur etwa zwanzig Schritte lang, teilte sich dann in zwei neue Gänge auf, von denen ich den linken zu meinem Klassenzimmer nehmen musste. Zwanzig Schritte. Das war nicht so schlimm, selbst im Dunkeln eine kurze Strecke. Meine rechte Hand fand mein uraltes Handy in der Jackentasche, klammerte sich darum wie um einen Dolch. Sobald ich es einschaltete, warf es einen bläulichen Schein an die Wände. Alle Türen im Flur waren verschlossen. Niemand außer mir hielt sich hier auf. Das bläuliche Licht erkundete die Holzwände, dann den Boden. Noch fünfzehn Schritte. Eine Holzdiele knarrte. Ganz plötzlich flackerte etwas am Ende des Flurs auf. Der Lichtschein einer schwachen Glühbirne erfasste etwas, oder besser gesagt jemanden. Ohne Vorankündigung, ohne Geräusche. Ich blinzelte. Eine Gestalt stand aufrecht auf einem Stuhl und – ich musste einen Schrei unterdrücken – die Gestalt hatte sich einen Strick um den Hals gelegt. Hope O’Letta, die wohl talentierteste junge Voodoohexe der Schule, sah mir direkt ins Gesicht. In ihren Augen schimmerte der Wahnsinn, ein irres Lächeln umspielte die dunklen Lippen. Heilige Scheiße! Hope war Afroamerikanerin und atemberaubend schön wie ein Popstar. Kam normalerweise ausnahmslos mit perfekt geglätteten Haaren zur Schule, doch heute standen ihr die Haare in ihrer Naturkrause stumpf vom Kopf ab. Aber das war nicht mal das Schlimmste. Denn Hope O’Letta hatte offensichtlich diesen Moment gewählt, um sich im Schulflur zu erhängen. Mein Herz setzte einen Takt lang aus. Wenn sie den Stuhl unter ihren Füßen wegtrat, würde ihr das Seil das Genick brechen. »Hope?« Meine Stimme war kaum mehr als ein schrilles Jaulen. Ich wollte auf sie zueilen, stolperte dabei jedoch über meine eigenen Füße. Das Handy fiel mir aus der Hand und mein Kopf krachte gegen die Wand. Was darauf folgte, glich einem absoluten Albtraum: Sterne tanzten vor meinen Augen. Ich hob einen Arm in die Richtung, in der ich Hope vermutete. »Hope. Nein, tu’s nicht!« Nach ein paar Sekunden konnte ich endlich wieder klar sehen. Glücklicherweise hatte das Handy den Sturz überlebt. Und ich auch, nicht zu vergessen. Nachdem ich es mir geschnappt hatte, rappelte ich mich auf, um auf Hope zuzulaufen. »Warum? Das macht keinen Sinn, Hope!« Meine Stimme krächzte in Panik, während mir die Worte unkontrolliert über die Lippen kamen. Dieser Tag konkurrierte langsam wirklich mit meinen Albträumen um den Titel »Grauenhaftester Tag des Jahres«. Noch vier Schritte. Gleich war ich bei ihr. Vollkommen ausdruckslos stand sie da. Die dunklen Augen auf einen unsichtbaren Punkt hinter mir gerichtet. Obwohl ich Hope ungefähr genauso gern mochte wie giftige Sumpfpilze zum Frühstück, konnte ich sie nicht sterben lassen, so viel stand fest. Ich musste versuchen, sie aufzuhalten, ihr notfalls eigenhändig den Strick vom Hals reißen. Doch dann, als ich schon kurz davor war, die Hand nach ihr auszustrecken, geschah das Unfassbare. Hope sprang vom Stuhl. Einfach so. Mit einem kleinen Hopser, der mich an einen Frosch erinnerte. Es knackte, dann baumelten ihre Füße etwa zwei Handbreit über dem Boden. Ein kurzes Zucken, gefolgt von absoluter Stille. So knapp! »Nein!« Mit einem gewaltigen Sprung überwand ich die Distanz zwischen uns, schnappte mir Hopes Beine, um sie nach oben zu drücken. So würde sie wenigstens nicht ersticken. Falls sie noch lebte. Das Knacken und ihr leblos herabhängender Körper ließen meine Hoffnung diesbezüglich allerdings wegschmelzen wie eine Schokoladenraspel im heißen Opfertopf. »Hilfe! Kann mir jemand helfen?« Hope zu halten stellte sich als gar nicht so einfach heraus, vor allem dann, wenn man selbst kurz davor war, vor Panik in Ohnmacht zu fallen. »Hilfe!« Wo steckten die anderen Schüler? Ein Kichern ertönte aus dem Gang links von mir. Da es immer noch vollkommen dunkel war und das Handy in meiner Hand gerade Hopes Jeans von hinten beleuchtete, konnte ich nichts erkennen. Und dann tauchten drei Gestalten aus dem Gang auf, bei deren Anblick mir die Augen aus den Höhlen traten. Cynthia, Electra und Hope! Aber … aber Hope hatte sich doch gerade erhängt! Verwirrt legte ich den Kopf in den Nacken, um nach oben zu der toten Hope zu spähen. Gleichzeitig schalteten sich die Deckenlampen im Flur endlich wieder komplett ein. Tatsächlich. Zwei Hopes im exakt gleichen Outfit. Jeans und weißes Top, milchkaffeebraune Haut. Nur dass die Haare der Toten wie out-of-bed aussahen, wohingegen die der lebendigen Hope glatt und glänzend bis über ihre Schultern fielen. Und dann geschah etwas sehr Merkwürdiges. Die Haut der toten Hope und ihre Klamotten begannen zu verschwimmen. Ein leises Puff war zu hören, und damit löste sich die tote Hope in Luft auf. In meinen Armen. Ohne einen Piep zu sagen. »Heilige Erzulie! Was geht hier vor?« Cynthia, Electra und Hope kicherten. Rasch steigerte sich das Kichern zu einem ausgeprägten Gelächter, das von den Wänden seltsam geisterhaft verstärkt wurde. Am liebsten hätte ich sie geschüttelt, denn offensichtlich wussten sie, was hier los war. Langsam dämmerte es mir zwar selbst, aber ich musste es von Hope hören. Cynthia, die wie Hope Afroamerikanerin war, ihre Haare jedoch im Gegensatz zu Hope immer kahl rasierte und beinahe jeden Tag eine andere Perücke trug, japste vor Lachen, als würde sie gleich ersticken. Ihre Stupsnase zuckte. »Warum? Das macht keinen Sinn, Hope!«, äffte sie mich nach. Die Haare ihrer silbernen Perücke, die in Form eines Bobs geschnitten war, schwangen vor und zurück. Bei mir war schon mehrfach der Verdacht aufgekommen, dass sie in den Ferien in einem dieser Hairshops arbeitete, in denen man sich für ein Taschengeld Haarverlängerungen in einer sechsstündigen Prozedur einflechten lassen konnte. Sicher bekamen die Mitarbeiter Sonderkonditionen bei Synthetikperücken aller Art. »Also wirklich. Das war zu göttlich«, stimmte Hope in Cynthias Lachen ein. »Ja, zu gut!« Vor lauter Lachen musste sich Electra mit den Händen an den Knien abstützen, um nicht umzufallen. Electra war die einzige Hellhäutige in diesem Hexen-Strebertrio. Ihr Haar glänzte dennoch fast so dunkel wie Hopes. »Hat dir Hopes Demonstration gefallen, Dawn? Ihre Projektionen sind nahezu perfekt, obwohl wir erst Freitag den ersten Kurs dazu hatten.« Das stimmte. Und langsam verstand ich. Madame Laveau hatte uns erst am Freitag einen Einführungskurs gegeben, in dem sie erklärt hatte, dass wir in diesem Trimester lernen würden, wie man eine Projektion seiner selbst erschuf. Reale Abbilder von uns, die etwas für einen erledigen konnten und sich auflösten, sobald der Auftrag erfüllt war. Aber wie hatte Hope es so schnell fertiggebracht, eine beinahe perfekte Projektion hinzubekommen? Wenn ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass sie doch nicht ganz so perfekt gewesen war. Wenn man berücksichtigte, dass die Projektion Hope-untypische krause Haare gehabt und nicht gesprochen hatte. Dennoch. Sie hatten mich mal wieder reingelegt. Nur das war der Zweck dieser kleinen Show gewesen. Dawn erschrecken. Ich hätte es wissen müssen. Als ob Hope selbstmordgefährdet wäre. Im Leben nicht! Die talentierteste Junghexe der Voodooschule … Zwei Sekunden später drückte sich Shannon an den dreien vorbei. »Also echt. Ist das euer Ernst?« Ihre eisblauen Augen funkelten. Als ich meine einzige Freundin weit und breit auftauchen sah, erfasste mich eine Welle der Erleichterung. Doch irgendetwas stimmte nicht. Shannons dunkelbraune Haarmähne sah verstrubbelt aus, so als hätte sie sich erst kürzlich vor Zorn die Haare gerauft. »Komm, Dawn, die haben sie nicht mehr alle.« Sie packte meinen Arm, wobei mir beinahe erneut mein Handy aus der Hand gefallen wäre. Dann zog sie mich in Richtung Klassenzimmer. »Die können uns mal …« »… reinlegen meinst du?«, rief uns Hope hinterher. »Ja, das können wir!« Cynthias Gackern klang wie das Lachen einer Hyäne. Selbst die Holzperlen an ihrer Kette klapperten verächtlich unter ihrer Brustkorbbewegung. Wenigstens hatten die drei ihren Spaß. »Tut mir leid, ich wollte sie aufhalten, aber sie hatten mich in der Toilette eingesperrt. Tucker hat mich eben erst gefunden.« Shannon sah aufrichtig betrübt aus. Tucker war der einzige Junge in unserer kleinen Voodooklasse. »Nicht deine Schuld«, murmelte ich. Und es war ja auch nicht das erste Mal, dass Hope und ihre Mitläufer mir einen Streich spielten. Mit der Zeit ertrug man die Demütigung auch immer...