E-Book, Deutsch, 405 Seiten
Mader Die Tote Stadt
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7565-4891-0
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 405 Seiten
ISBN: 978-3-7565-4891-0
Verlag: epubli
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Die Tote Stadt in ihren zwei Teilen, deren zweiter die Überschrift 'Der letzte Atlantide' führt, ist mein erster Versuch auf dem Gebiete der Jugenderzählung, der infolge verschiedener Umstände erst jetzt zur Buchausgabe gelangt. 'Die Tote Stadt' entstand zu einer Zeit, da die Südpolarforschung völlig vernachlässigt wurde. Ich vertrat damals die Ansicht, dass der Südpol auf einer größeren, zusammenhängenden Festlandmasse liegt, dass seine Erreichung am leichtesten von Viktorialand oder vom Weddellmeere aus möglich wäre und viel weniger Schwierigkeiten biete, als die Erreichung des Nordpols. Diese schon 1899 veröffentlichte Überzeugung wurde inzwischen, nachdem die Südpolforschung einen erneuten Aufschwung nahm, durch die Erfolge von Scott, Shakleton, Amundsen und Filchner bestätigt. Bei einer gründlichen Neubearbeitung der Erzählung berücksichtigte ich die neuesten Forschungsergebnisse.
Ernst Friedrich Wilhelm Mader (* 1. September 1866 in Nizza; ? 30. März 1945 in Bönnigheim) war ein deutscher evangelischer Pfarrer und Schriftsteller von Zukunfts- und Abenteuerromanen, Theaterstücken, Märchen, Gedichten und Liedern. Er wird der schwäbische Karl May genannt.
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2.– Eine seltsame Persönlichkeit
Bald kam der Tag, da Ernst von seinem Vater Abschied nehmen sollte. Der Professor war kein Mann vieler Worte; dennoch glaubte er, seinem Sohn auf eine so weite und gefahrvolle Reise einige Ratschläge mitgeben zu müssen und schärfte ihm noch besonders ein: »Die größten Gefahren des Aufenthaltes in völliger Abgeschiedenheit, wie sie eine Fahrt in die Polargegenden mit sich bringt, sind die üble Laune und die Langeweile. Letztere ist oft ein Anlass zu ersterer, und dann leiden alle schwer unter den meist kleinlichen Zwistigkeiten, die doppelt verhängnisvoll wirken, wenn sie Menschen entzweien, die so ganz und gar aufeinander angewiesen sind. Man ist in seiner, vielleicht grundlosen Verstimmung gar zu leicht versucht, sich über die anderen zu ärgern, ihnen alles zu missdeuten und übel zu nehmen und wegen der geringfügigsten Ursachen Streit anzufangen. »Darum sei immer tätig, freundlich, entgegenkommend und dienstbereit, auch wenn es dich Selbstüberwindung kostet. Gibt es nichts zu tun, vielleicht während wochenlang andauernder Schneestürme in der Polarnacht, die den Aufenthalt im Freien verbieten, so schaffe dir eine Arbeit, und auch der geringste Dienst sei dir nie zu schlecht; müssen doch auch alle Knechts- und Magdarbeiten von den Mitgliedern der Expedition verrichtet werden.« »Vor allem benutze fleißig die guten Bücher, die ich dir mitgab, teils zur Belehrung, teils zur Unterhaltung. Und wenn du bemerkst, dass andere an Langerweile oder gar mürrischem Wesen leiden, so suche sie aufzuheitern, statt dich anstecken zu lassen. Lies dann etwas Anregendes vor oder bitte die Gelehrten der verschiedenen Fächer um Belehrung über dieses und jenes aus ihrer Wissenschaft, selbst wenn dir solche Belehrung nicht nötig erscheint: das stimmt sie immer gut und kann dir von Nutzen sein. Sei recht bescheiden und bilde dir ja nie ein, alles zu wissen: kein Mensch ist widerwärtiger als derjenige, der auf allen Gebieten mitreden und dabei gar alles besser wissen will. Man kann immer und von jedermann etwas Brauchbares lernen, wenn man zu fragen und zu hören versteht, statt immer das große Wort zu führen. »Vor allem zeige dich gegen den Leiter des Unternehmens, meinen edlen Freund, Baron von Münkhuysen, stets ehrerbietig und vertrauensvoll. Er verdient vollkommenes Vertrauen, und das merke dir, denn er ist ein so außergewöhnlich genialer Mann, dass man von ihm Dinge zu sehen und zu hören bekommt, die einem oft unglaublich erscheinen, sodass man leicht versucht ist, seine Aussagen für zum Mindesten stark übertrieben zu halten. Ich kenne ihn aber, und lege dir ans Herz, ihm stets unbedingt Glauben zu schenken. »Deine Reise wird, wie ich zuversichtlich hoffe, für dich von größtem Nutzen sein; du wirst viel Neues sehen, zum Teil noch gänzlich Unbekanntes; du wirst lernen, dich auch in den ungewohntesten Lagen zurechtzufinden. Aber auch großen Gefahren gehst du entgegen. Du weißt, ich bin kein Gespensterseher und verstehe es, den Wert eines auch gefährlichen Unternehmens, wenn es nur wertvollen Zwecken dient, vollauf zu schätzen, als ein Mittel zur Stählung des Leibes und des Charakters. Dennoch ließe ich dich nicht ohne Sorge ziehen, wenn ich nicht in Münkhuysens Fähigkeiten, Geistesgegenwart und Findigkeit das größte Vertrauen setzte.« Mit diesen Worten entließ Professor Frank seinen Sohn. In Amsterdam angelangt, begab sich Ernst sofort zu Münkhuysen, der einen jener alten, herrlichen Paläste bewohnte, welche an die vergangene Größe der Stadt erinnern. Ein einfach gekleidetes junges Mädchen von etwa vierzehn Jahren öffnete ihm das Tor. Das Gesichtchen war von einer weit vorstehenden holländischen Haube umrahmt, eine äußerst anmutige und reizvolle Tracht. Von den Ohren und Haaren sah man nichts, bis auf ein paar krause blonde Löckchen, die über die Stirn hervorquollen. Der Jüngling hielt das Kind für ein kleines Dienstmädchen. Er raffte seine spärlichen Kenntnisse der holländischen Sprache zusammen und redete sie nur so von oben herab an: »Ist Baron von Münkhuysen zu sprechen, Kleine?« Das Mädchen lachte ihm hell ins Gesicht: »Nein! Wie sonderbar Sie das Holländische sprechen!« erwiderte sie, ebenfalls in ihrer Muttersprache: »Sie sind wohl ein Deutscher?« Ernsts zweiundzwanzigjähriger Stolz fühlte sich nicht wenig beleidigt: eine freche Kröte das! Wie darf eine einfache Hausmagd sich es herausnehmen, einen jungen Herrn auszulachen? Er zog die Brauen zusammen und entgegnete: »Jawohl, ich bin ein Deutscher, und es kann niemand erwarten, seine Muttersprache von einem Fremden tadellos sprechen zu hören!« Jetzt überzog eine dunkle Röte das liebliche Gesicht, und die Kleine sagte kleinlaut, diesmal auf Deutsch: »Ach! Es war wohl recht unverschämt von mir, so über Sie zu lachen: Sie sprechen zu komisch und ich lache über jede Kleinigkeit. Wissen Sie, wir Mädchen in Holland lachen gar zu gerne und meinen es gewiss nicht böse. Sie dürfen mir’s nicht übel nehmen und Papa nichts sagen, sonst zankt er. Er meint immer, ich sollte schon viel ernster sein, und ich bin doch noch so jung. Aber sprechen Sie nur Deutsch: mein Papa stammt ja aus Deutschland, und wir sprechen fast immer Deutsch, besonders jetzt, wo so viele fremde Herren im Haus sind, die alle Deutsch reden.« »O, entschuldigen Sie, Baronesse, Sie sind die Tochter des Hauses?«, fragte Ernst, nun seinerseits beschämt, sie mit „Du“ und als „Kleine“ angeredet zu haben. Sie kicherte, das Lachen unterdrückend: »Nein! Wie nennen Sie mich jetzt! Baronesse? So heißt mich doch niemand! Ich heiße Eva und Du. Bei uns sagt man zu einem Kind immer „Du“, und ich bin ja noch ein Kind. Wenn Sie nicht ein Fremder wären, würde ich auch so zu Ihnen sagen. Mich dürfen Sie aber nicht „Sie“ nennen, das klingt gar zu sonderbar, da Sie doch soviel größer sind als ich.« »Nun, meinetwegen! Aber dann musst du eben auch „Ernst“ und „Du“ zu mir sagen. Ich bin dann eben dein Vetter und du bist meine Cousine.« »Desto besser! Dann bist du wie ein Holländer. Aber was schwatze ich da, anstatt dich hinaufzuführen? Komm nur schnell, Papa schilt sonst.« Unser Freund folgte der kleinen Eva in das erste Stockwerk. Sie führte ihn in ein großes Zimmer und bat ihn, Platz zu nehmen; sie werde den Papa gleich holen. Ernst glaubte sich in einem Museum, so viele Merkwürdigkeiten aus aller Herren Ländern waren hier zu sehen, meist ihm ganz unbekannte Dinge. Doch fand er wenig Zeit, sie zu betrachten, denn bald trat ein hochgewachsener Mann von etwa fünfzig Jahren ein. Der edle Ausdruck seiner fein geschnittenen Züge machte sofort den gewinnendsten Eindruck. Zugleich fiel aber auch ein gewisser heiterer Zug auf, der in unaufhörlichem Wechsel um die Mundwinkel spielte. Ernst brauchte nur seinen Namen zu nennen, um von Münkhuysen auf das herzlichste willkommen geheißen zu werden. Der Baron erkundigte sich lebhaft nach seinem Vater und bedauerte, dass er den Jüngling nicht einladen könne, längere Zeit sein Gast zu sein, da er in den nächsten Tagen schon abreise, um eine Entdeckungsreise nach dem Südpol zu unternehmen. Ernst sprach nun seine Bitte aus, an der Fahrt teilnehmen zu dürfen, und erzählte, dass sein Vater ihn eben aus diesem Grund hierher geschickt habe. Er war ganz beschämt über die aufrichtige Freude, die Münkhuysen bei dieser Mitteilung bezeugte: wahrhaftig! Er tat, als ob er an dem jungen, unerfahrenen Mann eine wertvolle Errungenschaft mache, und lud ihn ein, im Speisesaal sofort die Bekanntschaft einiger seiner Reisebegleiter zu machen. Hier fand der junge Gast mehrere Herren verschiedenen Alters und offenbar auch verschiedenen Berufs, zugleich aber auch eine reiche Auswahl auserlesener Speisen, denen er, nach erfolgter Vorstellung seiner unbedeutenden Person, vom Baron freundlich gedrängt, zusprechen musste. Unter den Anwesenden fiel ihm besonders ein wohlbeleibter Herr auf, dessen rundes Gesicht stets von Heiterkeit strahlte; es zeigte eine unverkennbare Familienähnlichkeit mit Münkhuysen. Der einnehmende Mann wurde als „Kapitän Münchhausen“ angeredet und war ein Vetter des Barons aus Deutschland. Inzwischen nahm das Gespräch der Anwesenden seinen Fortgang. Man sprach soeben von musikalischen Dingen und zwar von den Klangfarben verschiedener Instrumente, wobei erörtert wurde, welches wohl den Preis als das angenehmste klingende verdiene. Natürlich waren die Meinungen hierüber geteilt, da es sich hierbei nur um persönliche Geschmacksurteile handeln konnte. Kapitän Münchhausen nahm nun das Wort und erklärte, ihn habe nie eine Musik so sehr angesprochen, wie ein Glockenspiel, das er einst auf einer Schweizeralm im Freien gehört habe. »Sie scherzen, Kapitän!«, sagte ein junger Professor der Physik, namens Raimund. »Ein Glockenspiel auf einer Schweizeralm! Nein, verzeihen Sie, das klingt doch etwas unglaublich, es sei denn, dass Sie das regellose Durcheinanderklingen der Kuhschellen, das ja für den Naturfreund etwas poetisch Anmutendes hat, für Musik erklären wollten.« »Kuhschellen waren es in der Tat«, erwiderte der Kapitän lachend; »und dennoch ein vollkommenes Glockenspiel! Lassen Sie sich das Erlebnis erzählen, meine Herren! »Es war im Sommer 1895, als ich eine Wanderung durch das Berner Oberland unternahm. In ziemlicher Höhe auf einer weltverlorenen Matte traf ich einen Hirten an, der eine Herde von etwa zwei Dutzend Kühen beaufsichtigte. Ich ließ mich mit dem Mann in ein Gespräch ein; denn ich habe immer meine Freude an dem naturwüchsigen Humor und an dem gesunden Urteil, die beide für gewöhnlich bei diesen...