E-Book, Deutsch, 355 Seiten
Mader Nach den Mondbergen
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7412-7353-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Illustrierte Ausgabe
E-Book, Deutsch, 355 Seiten
ISBN: 978-3-7412-7353-7
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Format: EPUB
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1. Den See entlang.
Karte zu Kapitel 1 - 18 Karte zu Kapitel 19 - 28 Die Regenzeit war zu Ende, als eines Morgens eine stattliche Karawane am Nordwestende des Albert-Edward-Sees den Semliki auf einer Pfahlbrücke überschritt. Sie bestand aus dreißig schwarzen Trägern, Eingeborenen aus der Gegend, jeder mit seiner Traglast auf dem Kopfe, einem Suaheli, namens Hamissi, der als Koch diente, und aus zwölf Askaris oder Soldaten, die von einem Somali, namens Hassan, befehligt wurden. Die weißen Männer des Unternehmens waren: Professor Heinrich Schulze, Otto Leusohn, Doktor der Medizin, Lord Charles Flitmore und dessen Diener Johann Rieger, sowie Hendrik Rijn, ein junger Bure. Endlich befanden sich bei der Gesellschaft noch vier weibliche Wesen: Sannah Rijn, Hendriks Schwester, Helene Leusohn, die Schwester des Doktors, Helenes schwarze Dienerin Amina, die Schwester des Somali Hassan bin Mohamed, der die Askaris befehligte, und eine niedliche kleine Zwergin, Tipekitanga, die Wambuttiprinzessin. Außerdem begleitete noch ein hochgewachsener Graubart, der Bure Piet Rijn, Hendriks und Sannahs Vater, mit seinen stattlichen Söhnen Danie und Klaas die Abziehenden bis zur Grenze seines Besitztums, das sich zu beiden Seiten des Semliki ausdehnte. Als diese Grenze auf dem linken Ufer des überschrittenen Flusses erreicht war, nahmen der Bure und seine Söhne Abschied von Hendrik und Sannah sowie den übrigen Weißen, wünschten ihnen Glück und den göttlichen Schutz zur Reise und sprachen die Hoffnung auf ein gesundes und frohes Wiedersehen aus. Noch einmal blickten die Scheidenden zurück nach dem Runsoro und den Wäldern und Pflanzungen zu seinen Füßen, nach der Salzstadt Katwe und dem kleinen Posten Kasindi in der Steppe am Nordstrand; dann wandte sich der lange Zug nach Süden, dem Ufer des Albert-Edward-Sees zu. Schulze und Leusohn saßen auf stattlichen Reitstieren. Diese langhörnigen Rinder, wenn sie einmal eingeritten sind, zeigen sich als die vorzüglichsten Reittiere Afrikas. Sie sind lenksam und ausdauernd und überwinden auch schwierige Hindernisse, wie Sümpfe und Flüsse, mit Leichtigkeit. Helene und Sannah besaßen Reitesel, die sich auch stets als bequeme und widerstandsfähige Beförderungsmittel im schwarzen Erdteil bewiesen haben. Sannah freilich bestieg ihr Tier nur selten, wenn sie einmal recht ermüdet war; für gewöhnlich überließ sie ihren Esel der Zwergprinzessin, der, infolge ihrer außerordentlichen Kleinheit, das Mitkommen oft schwer wurde, so tapfer und ausdauernd sie auch marschierte. Der Lord und der junge Bure gingen zu Fuß, letzterer aus Gewohnheit von Kind auf, ersterer aus Grundsatz; denn er sagte, er habe in Afrika alle Beförderungsmittel ausprobiert und keines so vorteilhaft gefunden wie die eigenen Beine. »Ich bin auf Pferden, Eseln und Stieren geritten,« erklärte er, »und ich muß sagen, besonders die letzteren haben sich stets gut bewährt. Ich habe mich auch im Tragstuhl und in der Hängematte von schwarzen Trägern tragen lassen, gleich einem faulen Pflanzer, und es ist dies eine sehr bequeme Beförderungsart, so sanft geschaukelt und ohne Anstrengung das Land zu durchreisen mit seinen oft so schwierigen Wegen. »Andrerseits muß ich bekennen, so angenehm das körperliche Gefühl dabei gewesen, das moralische war weit minder angenehm; ich habe mich stets geschämt, den Negern meine Last aufzubürden und selber keine Strapazen auf mich zu nehmen. »Was mich aber in letzter Linie dazu bestimmte, auf alle Bequemlichkeiten zu verzichten und grundsätzlich nur noch zu Fuß zu gehen, ist ein Doppeltes: erstens ist man auf diese Weise allein imstande, an der eigenen körperlichen Ermüdung zu bemessen, wieviel man den Negern zumuten darf, namentlich den Lastträgern; man fordert dann nicht so leicht übermäßige Leistungen von ihnen, mit denen man sie überanstrengt. Sodann aber habe ich erprobt, daß die körperliche Bewegung das beste Schutzmittel gegen Fieber und Erkrankung in den Tropen ist. Nie habe ich mich hier so wohl gefühlt, als wenn ich zu Fuß wanderte; auch die Hitze empfindet man dabei weit nicht so lästig, wie ja überhaupt der Untätige stets mehr unter der Sonnenglut zu leiden hat, als wer sich Bewegung verschafft, vorausgesetzt, daß sie in angemessenen Grenzen verbleibt.« Die Richtigkeit dieser Bemerkungen des edlen Lords bestätigte sich auch den berittenen Weißen, und in der Folge zogen Schulze, sowie Leusohn und seine Schwester es ebenfalls vor, ihre Tiere meist ledig laufen zu lassen oder einem maroden Schwarzen abzutreten. Manchmal freilich waren sie auch recht froh, nach längerer Anstrengung oder bei besonders schwierigen Wegverhältnissen reiten zu können. Ganz wundervoll marschierte es sich in den frischen, klaren ersten Morgenstunden der afrikanischen Trockenzeit. Wie leicht hoben sich die Füße, wie wonnig schweifte das Auge in die leuchtenden Fernen, wie herrlich atmete man in der von Mimosenblüten und andern duftigen Pflanzen gewürzten Luft! »Nirgends habe ich genußreichere Stunden verlebt,« nahm Flitmore wieder das Wort, »als bei einer solchen Morgenwanderung in der afrikanischen Steppe; das Herz will zum Himmel fliegen, man hat so recht das Gefühl, die ganze Welt stehe einem offen, und man wünscht, es möchte nur so weitergehen bis ans Ende der Erde.« »Nicht übel, teurer Lord,« gab Schulze zurück, »aber andrerseits habe ich nirgends qualvollere Stunden durchlitten als in der Mittagsglut dieser Steppen. Man hat das Gefühl, als sei die Welt zugeschlossen, das Herz möchte in den Boden versinken und man wünscht, es möchte keinen Schritt mehr so weiter gehen.« Der Lord lachte: »Auch nicht unrichtig, kein Genuß ohne Leiden und alles hat seine Kehrseite. Übrigens, wer keinen besonderen Grund zur Eile hat, mag morgens und abends wandern und mittags rasten, dann geht es prächtig.« »Ja, so wollen wir's auch halten,« schlug Leusohn vor und traf damit die Meinung der Andern. Übrigens, so sehr sich Lord Flitmore für die Morgenwanderung begeisterte, die Steppe, die zur Zeit durchwandert wurde, war nichts weniger als reizvoll, vielmehr erschreckend öde. Hie und da eine Euphorbiengruppe und einige kümmerliche Sorghumpflanzen, die auf eine zerstörte Ansiedlung hinwiesen, vereinzelte Hütten mit Feldern, auf denen etwas Eleusine, Sorghum und Bohnen gebaut wurden. – Das war alles! Von Kassodscho aus sah man noch einmal die silberne Wasserfläche des Issango, dann ging es über Geröll und durch dichten Akazienbusch nach Kassavo. Von dort durch eine Ebene mit einzelnen Laubbäumen und Borassuspalmen; durch Felder von Canna indica, durch hohes Schilfgras und verwüstete Bananenhaine erreichte man am zweiten Abend nach dem Abmarsch den Seestrand, wo es über feinen Kies und durch verlassene Bananenpflanzungen bis Kirima weiterging. Hier wurde gelagert in der Nähe eines prächtigen Wasserfalles, der von den hohen Bergen herabstürzte. Es war eine romantische, an norwegische Landschaften erinnernde Gegend. Bei der klaren Luft sahen unsere Freunde gegenüber ihrem hochgelegenen Lager am andern Seeufer im Osten den hohen Bergrand von Nkole, zur Linken im Norden die Schneegipfel des riesigen Runsoro und zur Rechten im Süden in weiter Ferne die Vulkankegel der Virunga-Bergkette, der sie zustrebten. Am nächsten Tage wanderte man an den steilen Ufern hin, Paviane tummelten sich oben auf den Klippen und schauten neugierig herab; Kormorane, Schlangenhalsvögel, Möwen, Reiher und andere Wasservögel belebten die Luft, den See und das Ufer, schön bewaldete Schluchten öffneten sich zur Rechten und schäumende Wasserfälle rauschten aus gewaltiger Höhe herab. Beschwerlich, besonders für die Träger und die Reittiere, war das Überschreiten eines mit riesigen Schieferblöcken übersäten Trümmerfeldes. So ging es über Kischakka nach Kikere. Der Weg führte an manchen Stellen durch das Wasser, obgleich er leicht hätte höher angelegt werden können. »Es ist sonderbar,« meinte Helene, »daß die Leute ihre Wege durch den See führen, statt auf dem trockenen Ufer. Was soll das für einen Zweck haben?« »Allerdings,« sagte Schulze, »das hat keinen Sinn. Zweifellos ist der Spiegel des Sees gestiegen und hat die ursprünglich am Ufer angelegten Pfade stellenweise überschwemmt.« Die Berge fielen nun steil in den See ab und ließen einen oft nur wenige Meter breiten, mit Geröll bedeckten Strandstreifen frei. An manchen Stellen galt es, mit Gebüsch dichtbewachsene Klippen mühsam zu überklettern. Bei Vallia zeigten sich die Eingeborenen des Wakondjo-Stammes äußerst freundlich, und es konnten Vorräte an Bananen, Mais und Bohnen erhandelt werden. »Wissen Sie auch, warum die Stämme hier so friedfertig sind?« fragte Flitmore. »Na!« sagte Schulze. »Das wird in ihrer Naturanlage liegen.« »Haben Sie nicht beobachtet, wie viel die Leute Hanf rauchen?« erwiderte der Lord. »Leidenschaftliche Raucher sind alle Neger,« versicherte Hendrik. »Ja, aber das hier verbreitete Hanfrauchen hat seine besondere Wirkung,« beharrte Flitmore. »Jedenfalls eine zerrüttende Wirkung, wie das Opium,« meinte Leusohn, »es betäubt stark, wie ich schon oft beobachtet habe.« »Schadet nichts,« widersprach der Engländer. »Die gesundheitsschädlichen Folgen sind nicht so schlimm, wie man behauptet. Dafür zähmt der Hanf die Wilden und stimmt sie viel milder. So waren zum Beispiel die Baschilange die wildesten, kampfeslustigsten Neger. Heute sind sie ein friedfertiges...