E-Book, Deutsch, Band 1, 448 Seiten
Reihe: Alexander der Große
Manfredi Alexander - Der makedonische Prinz
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-98409-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 448 Seiten
Reihe: Alexander der Große
ISBN: 978-3-492-98409-6
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weitere Infos & Material
1
Es war eine seltsame Eingebung gewesen, die Olympias zum Tempel von Dodona geführt hatte, ein Traumgesicht, das sie ereilte, während sie bei ihrem Mann, König Philipp von Makedonien, ruhte, der satt und betrunken neben ihr lag. Sie hatte von einer Schlange geträumt. Das große Reptil war langsam den Korridor entlanggekrochen, dann lautlos in ihr Schlafzimmer geschlüpft. Sie sah es, aber sie war wie gelähmt, sie konnte weder schreien noch weglaufen. Es schlängelte sich über den Steinfußboden, und seine Schuppen glänzten wie Kupfer und Bronze im Mondlicht, das zum Fenster hereinschien. Einen Moment lang hatte Olympias gehofft, Philipp würde aufwachen, sie in die Arme schließen und an seine starke, muskulöse Brust drücken, sie mit seinen großen Händen streicheln, den Händen eines Kriegers, dann war ihr Blick aber gleich wieder zu dem Drakon zurückgekehrt, diesem wundersamen Tier, das sich wie ein Geist bewegte, wie eines jener Zauberwesen, die die Götter nach Belieben aus den Tiefen der Erde auferstehen lassen können. Seltsam, jetzt machte es ihr überhaupt keine Angst mehr, sie empfand auch keinen Ekel, im Gegenteil, die geschmeidigen Bewegungen und die sanfte Kraft, die das Tier ausstrahlte, faszinierten sie. Die Schlange glitt unter ihre Bettdecke, Olympias spürte sie zwischen den Schenkeln und zwischen ihren Brüsten und sie spürte, daß sie von ihr genommen wurde, leicht und kalt, ohne daß es ihr weh tat, ohne die geringste Gewalt. Sie träumte, daß sich der Samen der Schlange mit dem vermischte, den Philipp vor kurzem in sie gestoßen hatte, kraftvoll wie ein Stier und ungestüm wie ein Eber, bevor er von Wein und Schlaf übermannt worden war. Am darauffolgenden Morgen hatte der König seine Rüstung angelegt, sich mit Wildschweinfleisch und Schafskäse gestärkt und war mit seinen Feldherren in den Krieg gezogen – in den Krieg gegen die Triballer, ein Volk, das noch barbarischer war als die Makedonier. Es kleidete sich mit Bärenfellen, trug Mützen aus Wolfspelz auf dem Kopf und lebte entlang des Ister, dem größten Fluß Europas. Zum Abschied hatte Philipp nicht mehr zu ihr gesagt als: »Denk stets dran, den Göttern zu opfern, solange ich weg bin, und trag mir einen Sohn aus, einen Erben, der meiner würdig ist.« Dann hatte er sich auf seinen Fuchs geschwungen und war mit seinen Feldherren in wildem Galopp davongestürmt. Der ganze Hof hatte unterm Hufgetrappel ihrer Schlachtrösser und dem Klirren ihren Waffen gedröhnt. Olympias nahm nach dem Aufbruch ihres Mannes erst einmal ein heißes Bad, und während die Dienerinnen ihr mit Jasmin- und Rosenessenzen getränkten Schwämmen den Rücken abrieben, ließ sie ihre Amme Artemisia rufen, eine alte Frau aus guter Familie, mit riesigen Brüsten und schmalen Hüften. Olympias hatte sie aus Epeiros mitgebracht, als sie zur Heirat mit Philipp hierhergekommen war. Sie erzählte der Amme ihren Traum und fragte: »Was mag das wohl bedeuten, gute Artemisia?« Die Alte ließ sie aus der Wanne steigen und begann sie mit Tüchern aus ägyptischem Linnen abzutrocknen. »Die Träume sind Botschaften der Götter, liebes Kind, aber nur wenige können sie deuten. Vielleicht solltest du das Orakel von Dodona daheim, in Epeiros, befragen. Seine Priester geben einander seit undenklichen Zeiten das Geheimnis weiter, wie man die Stimme des großen Zeus hören kann, des Vaters der Götter und Menschen. Er äußert sich im Raunen der Jahrtausende alten Eichen des Tempels, im Rauschen ihrer Blätter, wenn es Frühling oder Sommer ist, und im Rascheln des toten Laubs im Herbst und Winter.« Und so war Olympias wenige Tage später zum Heiligtum von Dodona aufgebrochen – ein grandioser Tempel, der ein grünes, von waldigen Bergen gerahmtes Tal beherrschte und als der älteste der Welt galt. Die Sage berichtet, aus Zeus’ Händen seien – nachdem er seinen Vater Kronos entmachtet und aus dem Himmel vertrieben hatte – zwei Tauben aufgestiegen, und eine von ihnen habe sich auf einer Eiche von Dodona niedergelassen, die andere auf einer Palme der Oase Siwa in der libyschen Wüste. Seither konnte man an diesen beiden Orten die Stimme des Göttervaters vernehmen. »Was hat mein Traum zu bedeuten?« fragte Olympias die Priester des Heiligtums. Die ehrwürdigen Männer saßen inmitten einer saftig grünen, mit Margeriten und Ranunkeln gesprenkelten Wiese auf Steinbänken im Kreis und lauschten dem Wind, der in den Blättern der Eichen säuselte. Sie wirkten völlig entrückt. Schließlich hob einer von ihnen zu sprechen an: »Dein Traum bedeutet, daß du einen Sohn gebären wirst, der zugleich Abkömmling des Zeus und eines sterblichen Menschen ist. Er bedeutet, daß sich in deinem Schoß das Blut eines Gottes mit dem Blut eines Menschen vermischt hat.« »Dein Sohn wird von glühendem Tatendrang erfüllt sein, aber wie die Flamme mit dem stärksten Licht mitunter die Wände der Lampe verbrennt und ihr Öl im Nu verbraucht, so könnte seine Seele die Brust verbrennen, in der sie wohnt.« »Erinnere dich an die Geschichte Achilles’, Königin, des berühmten Vorfahren deiner ruhmreichen Familie: Er hatte die Wahl zwischen einem kurzen, aber glorreichen und einem langen, aber düsteren Dasein, und er hat sich für ersteres entschieden. Für einen Augenblick strahlenden Lichts hat er sein Leben geopfert.« »Ist dieses Schicksal von den Göttern vorgezeichnet?« fragte Olympias bange. »Nein, es ist nur ein mögliches Schicksal«, erwiderte ein anderer Priester. »Unzählig sind die Wege, die ein Mensch einschlagen kann, aber manchen Menschen ist eine besondere Kraft in die Wiege gelegt, eine Kraft, die von den Göttern kommt und zu ihnen zurückstrebt. Bewahre dieses Geheimnis für dich bis zu dem Tag, an dem sich das Wesen deines Sohnes voll entfaltet hat. Dann aber sei zu allem bereit, auch dazu, ihn zu verlieren, denn du wirst doch nicht verhindern können, daß sein Schicksal sich erfüllt und sein Ruhm bis ans Ende der Welt vordringt.« Der Priester hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als sich die laue Brise, die sie umwehte, unversehens in einen heftigen, heißen Südwind verwandelte. Innerhalb kürzester Zeit blies er so stark, daß sich die Bäume bogen und die Priester ihre Mäntel über den Kopf ziehen mußten. Die wilden Böen trieben dichte, rötliche Staubwolken vor sich her, sie verdunkelten das ganze Tal, und auch Olympias wickelte sich fester in ihren Umhang und bedeckte ihr Haupt, dann harrte sie still aus. Wer sie so sah, reglos inmitten des Wirbelsturms, hätte sie für eine Götterstatue halten können, eine Götterstatue ohne Gesicht. Der Wind legte sich so plötzlich, wie er aufgezogen war, und die Staubwolken lichteten sich, aber auf den Statuen, Stelen und Altären, die den heiligen Ort schmückten, blieb eine dünne Schicht feinen roten Sandes zurück. Der Priester, der als letzter gesprochen hatte, nahm mit der Fingerkuppe ein wenig davon auf und strich es auf seine Lippen. »Diesen Staub hat uns der libysche Wind gebracht, der Atem des Zeus Ammon, der sein Orakel unter den Palmen von Siwa hat. Das ist ein Zeichen des Himmels, ein Wunder: Die beiden ältesten Orakel der Welt haben im selben Moment gesprochen, obwohl riesige Entfernungen sie voneinander trennen. Dein Sohn hat Stimmen gehört, die aus weiter Ferne kommen, und vielleicht hat er ihre Botschaft verstanden. Eines Tages wird er sie wieder hören, in einem großen Tempel, der von Wüstensand umgeben ist.« Nachdem sie diese Worte vernommen hatte, kehrte die Königin nach Pella zurück, in die Hauptstadt Makedoniens, deren Straßen im Sommer staubbedeckt und im Winter matschig waren; dort erwartete sie mit Ehrfurcht und Spannung den Tag ihrer Niederkunft. Die Wehen begannen an einem Frühlingsabend unmittelbar nach Sonnenuntergang. Die Mägde entzündeten die Öllampen, und Artemisia, ihre Amme, ließ die Hebamme und den Arzt Nicomachos rufen, der schon den alten König Amyntas behandelt und so manchen königlichen Sprößling ans Licht der Welt geholt hatte, ob ehelich oder Bastard. Nicomachos stand bereit, denn er wußte, daß es an der Zeit war. Er band sich eine Schürze um, befahl, Wasser heiß zu machen und weitere Leuchter zu bringen, damit es an Licht nicht fehlte, doch die Königin ließ er zunächst von der Hebamme untersuchen. Er wußte, daß gebärende Frauen sich lieber von Frauen anfassen lassen; nur sie können den Schmerz und die Einsamkeit nachvollziehen, unter denen neues Leben entsteht. König Philipp war in diesem Moment mit der Belagerung der Stadt Poteidaia beschäftigt und hätte um nichts in der Welt die Front verlassen. Die Geburt wurde lange und schwierig, denn Olympias war zart gebaut und hatte ein sehr schmales Becken. Die Hebamme trocknete ihr unermüdlich den Schweiß ab und sagte immer wieder: »Du mußt drücken, Kind! Komm, nimm deine ganze Kraft zusammen! Wenn du den kleinen Balg erst mal siehst, sind alle Qualen vergessen.« Sie benetzte ihre Lippen mit frischem Quellwasser aus einer Silberkanne, das die Dienerinnen ständig erneuerten. Als der Schmerz jedoch so stark wurde, daß Olympias fast das Bewußtsein verlor, griff Nicomachos ein. Er lenkte die Hände der Hebamme und befahl Artemisia, auf den Bauch der Königin zu drücken, denn sie hatte keine Kraft mehr und das Kind litt. Das Ohr auf Olympias Unterleib gepreßt, hörte er den Herzschlag des Kleinen schwächer werden. »Drück, so fest du kannst«, ordnete er der Hebamme an. »Das Kind muß sofort heraus!« Da warf sich Artemisia mit ihrem ganzen Gewicht auf die Königin, die einmal laut aufschrie und gebar. Nicomachos band mit einem Leinenfaden die Nabelschnur ab und durchtrennte...