Mann | Das Gebot | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Mann Das Gebot

Kriminalroman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-89425-775-0
Verlag: GRAFIT
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-89425-775-0
Verlag: GRAFIT
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Terror mitten in Zürich

Marisa Greco und Bashir Berisha haben nach monatelanger Auftragsflaute endlich wieder einen neuen Job: Sie sollen Erich Bodmer finden, den seine Eltern jahrelang auf einer Weltreise vermuteten – bis er mit seiner Kreditkarte in Zürich Geld abgehoben hat. Nachforschungen ergeben, dass der junge Mann gemeinsam mit Freunden nach Syrien reiste, um dort für den Islamischen Staat zu kämpfen. Während einer der Freunde dabei unter mysteriösen Umständen öffentlich hingerichtet wurde, führt Erichs Spur zurück in die Schweiz. Dennoch bleibt er unauffindbar. Dann erhalten die beiden Privatermittler Hinweise auf ein geplantes Attentat – während des Sechseläutens, mitten in Zürich. Schlagartig wird die Suche nach dem radikalisierten Rückkehrer zu einem lebensgefährlichen Unterfangen.

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1 »Allahu akbar!« Er schreckt aus fiebrigem Dämmerschlaf hoch, zerschlagen nach dieser halb durchwachten Nacht. Hängt einen Atemzug lang zwischen Traum und Wirklichkeit fest. Bevor ihn die Realität wie ein Faustschlag trifft und der Schmerz ihm fast den Verstand raubt. Er reißt die Augen auf. Dunkelheit. »Allahu akbar!« Das halblaute Flüstern ist ganz nah, direkt neben ihm. Eine Männerstimme, gedämpft und brüchig vor Angst, sie wiederholt die Worte immer und immer wieder. »Allahu akbar!« Er kann nichts sehen, dreht den Kopf, blinzelt in die Finsternis, die ihn umgibt. Die kleinste Bewegung bereitet Höllenqualen. Sie haben ihn auf einen Stuhl gebunden, die Hände hinter dem Rücken gefesselt und taub, das raue Seil hat die Gelenke aufgescheuert, auch seine Beine sind eng zusammengeschnürt. Das rechte Auge ist angeschwollen, der Herzschlag jagt eine Schmerzwelle nach der anderen durch seinen Schädel. Blut verklebt sein Gesicht, die Ohren, den Hals. Die Nase ist vermutlich gebrochen. Das Schlimmste aber ist der Rücken. Das Auspeitschen mit dem Plastikkabel hat die Haut aufgerissen und zerfetzt, das splitterige Holz der Stuhllehne schabt bei jeder Bewegung über die wunden Stellen. Weit entfernt fällt eine Tür krachend ins Schloss, er zuckt zusammen. Polternde Schritte im Korridor und aufgeregte Rufe. Sie sind auf dem Weg. Der Mann neben ihm beginnt zu weinen, seine Füße scharren über den Boden. Keuchend schnappt er nach Luft, zieht den Rotz hoch. »Allahu akbar!« Gott ist am größten, nichts ist größer als Gott. Immer wieder, endlos, ein Mantra. Wie oft hat er mitgeschrien, meist lauter als alle anderen. Der schwarze Stoffsack, den sie ihm über den Kopf gestülpt haben, riecht sauer, nach eingetrocknetem Speichel und Erbrochenem, nach Blut und Schweiß. Und vor allem nach Angst. Nach Todesangst. »Allahu akbar!«, schluchzt der Mann neben ihm, brüllen die Männer draußen im Korridor. Ihre Stimmen sind jetzt nah, er kann das Klacken der umgehängten Gewehre hören, die harten Absätze auf dem Beton. »Allahu akbar!« Die Tür springt auf und sie stürmen herein, noch ganz euphorisiert vom gemeinsamen Freitagsgebet, beseelt von den Worten des Imam. Er hat sie aufgestachelt, die Wut auf die Ungläubigen befeuert, die Abtrünnigen, die Schande, derer sie ihn bezichtigen. Er weiß nicht, wie viele es sind, sechs vielleicht oder acht, er kann nur mutmaßen. Er hat versucht, sich zu wehren, hat sie beschworen, hat geweint und auf Knien um Gnade gebettelt, doch es war vergebens, er weiß, wie sie sind. Tiere, blutrünstige Tiere, die kein Erbarmen kennen, kein Mitleid. Und er war eines von ihnen, womöglich das blutrünstigste Tier von allen. »Allahu akbar!« Mit schnellen Schnitten zerschneiden sie seine Fußfesseln und halten ihn fest, ihre Stimmen hallen viel zu laut in dem niedrigen Gewölbe. Panik packt ihn, sein Verstand setzt aus, das Gehirn kappt alle Verbindungen. Rot glühender Nebel trübt seinen Blick, er hört sich aufheulen, ist außer sich, wie von Sinnen wirft er seinen malträtierten Körper herum. Die Ohrfeigen treffen ihn mitten ins Gesicht, schmerzhaft trotz des Stoffsacks, und lassen ihn verstummen, mutlos zusammensacken, während sie ihn gewaltsam hochzerren. Noch einmal fleht er sie an, beteuert inbrünstig, dass sie sich irrten, dass sie den Falschen verurteilten. Dass er unschuldig sei, einer von ihnen. Aber sie beschimpfen ihn bloß, spucken ihn voller Verachtung an. Fausthiebe prasseln auf ihn ein, jemand versetzt ihm mit einem Gewehrkolben einen Schlag in die Nieren. Tränen strömen über seine Wangen, er wimmert wie ein kleines Kind. Das wieder zirkulierende Blut lässt seine Beine unvermittelt einknicken, lähmt ihn, sie schleppen ihn trotzdem zur Tür, die wenigen Stufen hoch in den Gang und dann eine Treppe hinauf. Seine nackten Füße schleifen über den Steinboden, schlagen hart gegen jede einzelne Stufe. Hinter sich hört er den anderen Mann aufkreischen, ein hoher, unmenschlicher Schrei, der ihm durch Mark und Bein geht. Auch er wehrt sich, obschon das keinen Sinn mehr macht, obschon sie beide wissen, dass ihr Schicksal längst besiegelt ist. Wieder treffen Fäuste auf Fleisch, das Geräusch, das Orangen verursachen, wenn sie auf dem Asphalt aufplatzen. Ihm ist, als schmeckte er plötzlich ihr Aroma auf seiner Zunge, süßer Saft, der ihm über die Finger rinnt, und dieser unvergleichlich betörende Duft, der nichts zu tun hat mit den Früchten aus dem Supermarkt zu Hause. Zu Hause. Ein heftiger Schmerz durchzuckt seine Brust bei der Erinnerung an seine Eltern. Sie werden das alles sehen, denkt er entsetzt und seine Kehle wird eng. Das gehört dazu. Propaganda, damit die Ungläubigen weltweit schockiert mitverfolgen können, wie groß die Zustimmung bei der lokalen Bevölkerung nach wie vor ist, trotz allem, wie gnadenlos man gegen Verräter und Sünder vorgeht. Wie gewaltig ihre Macht, wie unbesiegbar die Bewegung ist. Und dass dies ein Anfang ist, obwohl die gesamte Welt das Ende bejubelt. Man wird alles mit Handys filmen, filmt womöglich schon jetzt, da man ihn die Stufen hinaufbugsiert. Die Dunkelheit um ihn herum bleibt, nur hin und wieder glimmt etwas Licht am unteren Ende des Stoffsacks auf und er erhascht einen Blick auf einen Treppenabsatz, seine zerschundenen Füße. »Allahu akbar!« Ununterbrochen, ohrenbetäubend. Männerstimmen, Knabenstimmen. Viele sind jung, zu jung für das alles. Dumme, verblendete Jungs, fast noch Kinder. So wie er. »Allahu akbar!« Triumphierend rufen sie sich die Worte zu, peitschen sich damit gegenseitig auf, während sie ihn weiterzerren, ein Stockwerk nach dem anderen, ihn grob vor sich her stoßen, wenn er stolpert. Dann setzt es erneut Fausthiebe, in die Seiten, gegen den Rücken. Blutgetränkt klebt der Stoff seines T-Shirts an ihm, die Haut schweißnass. Er schreit bei jedem Schlag auf, doch es kommt ihm immer mehr so vor, als schreie jemand anders, als würde er sich mit jedem Hieb ein Stück von seinem Dasein lösen und ihnen seinen Körper überlassen, eine leere Hülle. Endlich halten sie an, keuchend vor Anstrengung und Eifer. Ein Schloss wird entriegelt, jemand reißt die Luke auf und staubiger Wüstenwind weht ihm entgegen. Er schnappt nach Luft, die Sonne knallt vom Himmel, die Hitze ist unerträglich. Irgendwo in der Ferne jubeln Menschen. Sie schieben ihn vorwärts, behutsam beinahe, kurz darauf legt sich ein eiserner Griff um seinen Oberarm. Grelles Licht, kurz nur, geblendet schließt er die Augen. Schlagartig herrscht Stille. Er kann den schweren Atem der Männer hören, die hinter ihm stehen, ihren Schweiß riechen, spürt ihre Anspannung, die Euphorie. »Allahu akbar!«, ruft jemand direkt neben ihm, der Stimme nach ein älterer Mann. Der qadi vermutlich, der Richter. Arabisch klingt in seinen Ohren längst nicht mehr abgehackt und aggressiv. Mittlerweile kann er die Zwischentöne heraushören, den warmen Klang, die Sinnlichkeit der Sprache. Zwar hat er ein paar Begriffe gelernt, seine Kenntnisse reichen jedoch bei Weitem nicht aus, um zu verstehen, was der qadi sagt. Dem eindringlichen Tonfall nach zitiert er Suren aus dem Koran oder vielleicht Hadithe, mündlich überlieferte Aussagen und Handlungen des Propheten Mohammed. Den Koran hat er auch nicht gelesen, jetzt wünschte er, er hätte sich die Zeit genommen. Vielleicht fände sich dort Trost, Worte, die ihm die Angst nähmen vor dem, was unweigerlich folgen wird. Aber da ist so viel anderes gewesen. Wichtigeres. Die Flucht von zu Hause und die abenteuerliche Reise nach Syrien, die Ausbildung, die ersten Einsätze an der Front. Die Gebete, die Gemeinschaft, all die neuen Freunde, seine Bestimmung schließlich. Gotteskrieger. Wie großartig das geklungen hat, damals. Teil eines Ganzen zu werden, eine Aufgabe zu haben, akzeptiert zu sein. Die Macht zu haben über Leben und Tod. »Allahu akbar!« Der Ruf lässt ihn zusammenzucken, der Richter hat seine Rede beendet. »Laut den Gesetzen der Scharia wirst du beschuldigt, das Verbrechen von Lots Volk begangen zu haben«, übersetzt der qadi auf Englisch. »Liwat. Der Tod wird dich von deinen Sünden reinwaschen.« »Allahu akbar!« Die Menge applaudiert frenetisch, Pfiffe und anspornendes Gejohle sind zu hören. Ein Volksfest. Was er längst weiß und ihm jetzt trotzdem einen eisigen Schauer über den Rücken jagt: Nicht in der Ferne jubeln sie. Sondern in der Tiefe. Er ringt nach Luft, doch es ist, als hätte seine Atmung ausgesetzt. Das Gefühl zu ersticken, er schwankt. Der Griff um seinen Oberarm verstärkt sich, Hände schieben ihn unerbittlich vorwärts. Unter seinen Zehen spürt er die Kante. Ruckartig reißen sie seine Arme hoch und sekundenlang steht er da wie ein Gekreuzigter ohne Kreuz. Die Menge tobt. Der sengende Wind fährt unter den Stoff, der Sack bläht sich und gewährt ihm einen kurzen Blick auf den Platz zwölf Stockwerke unter ihm, den staubbedeckten Asphalt, die spielzeuggroßen Autos, die am Straßenrand geparkt sind. Die erwartungsvoll heraufschauenden Gesichter. Männer, Jugendliche, Kinder. Keine Frauen. Sie haben Steine zu einem knöchelhohen Damm aufgehäuft, manche haben sich bereits damit bewaffnet. »Allahu akbar!«, ruft der qadi und ein begeisterter Aufschrei geht durch das Publikum. »Allahu akbar! Allahu akbar!«, skandieren sie und klatschen dazu rhythmisch in die Hände. Alles in ihm kommt zum Stillstand. Sie haben ihm ein Leben...


Sunil Mann wurde als Sohn indischer Einwanderer im Berner Oberland geboren und gilt als einer der renommiertesten und vielfältigsten Autoren der Schweiz. Zwanzig Jahre lang hat er als Flugbegleiter gearbeitet, seit einigen Jahren ist er freischaffender Autor. Er schreibt Kriminalromane, Kinder- und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet.
www.sunilmann.ch



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