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E-Book, Deutsch, 267 Seiten

Mann Die Armen

Roman
Überarbeitete Fassung
ISBN: 978-3-96281-827-2
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 267 Seiten

ISBN: 978-3-96281-827-2
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Deutsche Kaiserreich, nur wenige Monate vor Beginn des Ersten Weltkrieges: Diederich Hessling, Fabrikbesitzer und Menschenschinder, beutet seine Arbeiter aus, wo und wie er nur kann. Doch im jungen Arbeiter Karl Balrich erwächst ihm ein ernst zu nehmender Gegner, denn dieser behauptet, Anrecht auf einen Teil des Hessling'schen Vermögens zu haben. Um Hessling verklagen zu können, beschließt der einfache Arbeiter Balrich, Jura zu studieren. Null Papier Verlag

Luiz Heinrich Mann (27.03.1871-11.03.1950) war ein deutscher Schriftsteller aus der Familie Mann. Er war der ältere Bruder von Thomas Mann. Seine Erzählkunst war vom französischen Roman des 19. Jahrhunderts geprägt. Sein erzählerisches Werk steht neben einer ebenso reichen Betätigung als Essayist und Publizist. Als früher Gegner der Nationalsozialisten wurde er bereits 1933 mit Sanktionen belegt. Mann stand auf der ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs von 1933, er befand sich dort in illusterer Gemeinschaft mit Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky und Philipp Scheidemann. Mann emigrierte nach Frankreich und später in die USA, wo er er zahlreiche Arbeiten, darunter viele antifaschistische Texte, verfasste.

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I. Hassende, Liebende
Die Kin­der schri­en to­send vor dem großen Ar­bei­ter­haus von Gau­sen­feld; hun­der­te von Kin­dern, her­vor­ge­quol­len aus dem über­füll­ten Haus, worin sie alle ge­bo­ren wa­ren, rann­ten, zap­pel­ten, prü­gel­ten sich auf der grau­en Wie­se. Alte Män­ner, die nicht mehr ar­bei­te­ten, stan­den, wenn sie be­sonnt war, an der Mau­er und sa­hen ih­nen zu. Die Kleins­ten fie­len un­auf­hör­lich in den Gra­ben, der die Wie­se von der Land­stra­ße trenn­te, im­mer eil­ten Müt­ter oder Schwes­tern zum Ret­ten her­bei. Die Grö­ße­ren spran­gen hin­über, am liebs­ten auf der Sei­te, wo der Gra­ben ne­ben dem Weg zum Fried­hof lief; und drü­ben war­fen sie ein­an­der ge­gen den wack­li­gen Zaun der Vil­la Klin­ko­rum. Brach ein Brett her­aus, dann rasch hin­ein und Äp­fel ho­len. Der Be­sit­zer hör­te mit Zorn und Ent­set­zen das Knacken der Zwei­ge, die sie mit­ris­sen, aber auf sei­nen stei­fen Bei­nen kam er im­mer zu spät, sie wa­ren schon drau­ßen und zeig­ten ihm aus ei­ni­ger Ent­fer­nung das un­rei­fe Obst, es sei auf der Stra­ße ge­le­gen. Dann hielt er ih­nen eine Rede über das Ei­gen­tum und die Bil­dung, im­mer die­sel­be Rede, denn nie­mals merk­te er, dass er es mit den­sel­ben Jun­gen zu tun hat­te. Klin­ko­rum war Schul­leh­rer ge­we­sen, aber ei­ner für die Rei­chen; und weil ihm schon die Zäh­ne aus­ge­fal­len wa­ren, woll­te er nun hier sich mau­sig ma­chen. Kaum war er fort, pol­ter­ten alle ge­gen sei­nen Zaun, und ir­gend­ei­ner kroch hin­ein und setz­te ihm et­was auf den Gar­ten­weg. Der alte Ma­ler­meis­ter, der un­ten im Haus wohn­te, durf­te es se­hen, er lach­te, wenn er auch schalt. Nur den klei­nen Mäd­chen war es von ih­ren Müt­tern streng ver­bo­ten, ihm zu nahe zu kom­men. Dies war nicht al­les, was Pro­fes­sor Klin­ko­rum zu er­dul­den hat­te. Kehr­te er aus der Stadt heim, zu­wei­len schon ganz nahe bei sei­nem Grund­stück über­hol­te ihn, wie er auch has­te­te, das Heß­ling­s­che Au­to­mo­bil und be­deck­te ihn mit Staub oder Schmutz. Ge­ne­ral­di­rek­tor Ge­hei­mer Kom­mer­zi­en­rat Dr. Heß­ling in sei­nem Staub­man­tel blick­te un­er­bitt­lich ge­ra­de­aus, und Klin­ko­rum, von au­ßen ge­gen sei­nen ei­ge­nen Zaun ge­drängt, äug­te mit ohn­mäch­ti­gem Hass, bis er, ganz in ei­ner stin­ken­den Wol­ke be­fan­gen, die Au­gen schloss. In­ner­lich hielt er in sol­chen Mi­nu­ten sei­ne zwei­te Rede über das Ei­gen­tum, die Rede da­ge­gen, – wenn es näm­lich schran­ken­los und über­heb­lich war. Die Bil­dung war das Ers­te und muss­te es blei­ben. Da­mit ging er hin­auf in sein Stu­dier­zim­mer. Von hier über­sah er ganz Gau­sen­feld, hin­ter den Ar­bei­ter­häu­sern das wüs­te Ge­län­de, bis zum Wald, bis zur Fa­brik. Es ward Nacht, an der Fried­hofs­mau­er die Lam­pe leuch­te­te nahe, und weit dort­hin­ten die ge­reih­ten Lich­ter der Fa­brik. Aus der Fa­brik kehr­ten die Ar­bei­ter heim; ihr Mas­sen­schritt dröhn­te, von fer­ne fühl­bar, bis in das Stu­dier­zim­mer; und Klin­ko­rum dach­te nicht ohne Ach­tung an den Herrn der Mas­sen, ihn, Heß­ling, Be­sit­zer Gau­sen­felds, großen Reich­tums und man­cher Wür­den. Wie hat­te er es da­hin ge­bracht, als Che­mi­ker und Pa­pier­fa­bri­kant? Durch Ma­chen­schaf­ten und Kunst­grif­fe ge­schäft­li­cher wie po­li­ti­scher Art, über die es auch nach sech­zehn Jah­ren in der Stadt noch nicht still war. Der selbst­ge­mach­te Mann frei­lich blieb zu ach­ten. Er wie­der aber ach­te noch hö­he­re Rech­te! Klin­ko­rum hat­te ge­spart, bis er weit drau­ßen an der Land­stra­ße dies ein­sa­me klei­ne Haus er­ste­hen konn­te, die Freu­de sei­nes letz­ten Le­bens­drit­tels. Ge­pflegt und lau­schig, ein Sitz der Muse, ruh­te es im Grü­nen, un­auf­ge­stört von Wei­he­lo­sen; denn nur lang­sa­me Bau­ern­wa­gen zo­gen, mit Och­sen, breit­stir­ni­gen, schweraus­schrei­ten­den be­spannt, vor­über, und Gau­sen­feld, das ein­zi­ge grö­ße­re An­we­sen in der Wei­te, die­se Stät­te der Pa­pier­fa­bri­ka­ti­on lag jen­seits von Fel­dern und Wald, man sah, hör­te und roch sie nicht. Da aber, was ge­sch­ah? Der neue Herr von Gau­sen­feld ver­grö­ßer­te sei­ne Fa­brik­an­la­gen. Er leg­te den Wald so weit nie­der, als er jene un­ed­len Bau­lich­kei­ten dem Blick ent­zo­gen hat­te. Die Ar­bei­ter-Fa­mi­li­en­häu­ser wuch­sen über das Feld her­an, im­mer nach Wes­ten, im­mer auf Klin­ko­rum zu. Auch kam es da­hin, dass gleich hin­ter sei­nem Zaun dies Volk sich be­gra­ben ließ. Und dem Fried­hof, als vor­letz­tem Streich, folg­ten die Ka­ser­nen der Pro­le­ta­ri­er, Un­ge­heu­er von Häu­sern, hin­schat­tend über Klin­ko­rum und sei­nen be­schei­de­nen Ru­he­sitz, ihn mit Gerü­chen be­drän­gend, in Ruß ver­schüt­tend so Gar­ten wie Haus und um es her eine Zone brei­tend des Ge­stamp­fes, Ge­schreis, Tot­schla­ges und der bil­dungs­feind­li­chen Ro­heit! Nun wa­ren die Lich­ter aus­ge­löscht in der Fa­brik und ent­zün­det in den Ka­ser­nen, in der Kan­ti­ne an ih­rem Flü­gel. Dor­ther kam Lärm. Der Ar­bei­ter Karl Bal­rich aber, still in sei­nem Zim­mer 101 des Ar­bei­ter­hau­ses B, stand am Fens­ter, sah vor sich das­sel­be wie der Be­sit­zer der Vil­la Klin­ko­rum und dach­te nach, auch er, über die Welt, die ihn um­gab. Frei­lich, die vie­len Geräusche des Hau­ses selbst, von rechts, links, oben, un­ten über­tön­ten bei Wei­tem sei­ne Ge­dan­ken an das Fer­ne­re. Er hör­te um sich her, des Sonn­tags wenn er ruh­te und jetzt am Abend be­vor er schlief, Streit, Küs­se, Ge­sprä­che über Geld und Es­sen, die Prü­gel für die Kin­der, hör­te durch das hal­len­de und zit­tern­de Haus al­les was vor­ging, was das Le­ben der Men­schen war und was es schon nicht mehr war: ihr letz­tes Wim­mern, ihr Ab­schieds­ge­stöhn. Aber öf­ter als Ster­ben hör­te er Ge­bä­ren. Er sag­te sich dann, je nach­dem ihm an dem Abend zu Sinn war: »Wie­der ein Mann für die Ar­bei­ter­ba­tail­lo­ne« oder: »Heß­ling kann la­chen; wie­der ein Dum­mer.« Denn der Ar­bei­ter Bal­rich sah, wie die Din­ge la­gen, in der Per­son des Ge­ne­ral­di­rek­tors Heß­ling den höchs­ten Zweck und das letz­te Er­geb­nis des ihn um­ge­ben­den Le­bens, al­ler die­ser Mü­hen, Auf­re­gun­gen und Schmer­zen – und nicht nur die­ser hier. Von Gau­sen­feld zu schwei­gen, die Stadt, wie sie war, ar­bei­te­te für den Rei­chen und fris­te­te sich nur durch ihn. Das Land selbst dreh­te sich wahr­schein­lich nur um sei­nes­glei­chen. Ihm zu­lie­be das Mi­li­tär; und der Kö­nig so­gar ei­gent­lich sein Narr. Den hielt er sich aus, er aber ver­dien­te. Auf das Geld kam es an. »Wenn es auf das Geld an­käme,« sag­te an sei­nem Fens­ter der Pro­fes­sor, »dann wür­de die­ser Heß­ling mit Recht die Um­stän­de mei­nes Le­bens auf jene Stu­fe hin­ab­drücken, wo sei­ne Lohns­kla­ven schmach­ten, – in­des er selbst –.« Hin­ter dem Wald wohn­te er selbst. Über dem von ihm be­bau­ten Tal der Ar­mut und des Un­ra­tes, aber be­wahrt vor sei­nem Duft und An­blick, hin­ter ei­ge­nem Wald auf grü­nem Hü­gel, in sei­ner hel­len und blu­menum­leuch­te­ten »Vil­la Höhe« haus­te leich­ten Her­zens mit den hoch­ge­mu­ten Sei­nen der Ei­gen­tü­mer, An­stif­ter und Nutz­nie­ßer die­ser gan­zen...



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