E-Book, Deutsch, Band 5, 352 Seiten
Reihe: Vijay Kumar
Mann Faustrecht
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-89425-164-2
Verlag: GRAFIT
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vijay Kumars fünfter Fall
E-Book, Deutsch, Band 5, 352 Seiten
Reihe: Vijay Kumar
ISBN: 978-3-89425-164-2
Verlag: GRAFIT
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Du bist zwar auch nicht gerade ein Eingeborener, aber ein Inder ist immer noch besser als ein Deutscher!«
Dass sich ein ausländerfeindlicher Klient ausgerechnet an Vijay Kumar wendet, hätte sich der Privatdetektiv nicht träumen lassen. Mit seiner vereinnahmenden indischen Mutter und seit Neuestem auch noch seiner Schwiegermutter in spe, die ihn permanent auf das Thema Hochzeit ansprechen, fühlt sich Vijay nicht gerade als Vorzeigeschweizer.
Doch für Adrian Bühler ist ein Inder noch das kleinere Übel im Vergleich zu einem Deutschen. Ihn quält die Frage, ob seine Frau ihn mit einem Deutschen betrügt. Bei seiner Observation knipst Vijay ein paar Fotos von Bühlers Ehefrau Jasmin in eindeutiger Situation mit einem orientalisch aussehenden Mann. Seinem Auftraggeber gegenüber verschweigt er diese Entdeckung, um seine Wut nicht weiter zu schüren. Als Jasmins syrischer Liebhaber erschossen aufgefunden wird, verschwindet Adrian Bühler.
Vijay fühlt sich verantwortlich und macht die Suche nach Bühler zu seiner persönlichen Angelegenheit. Er bekommt es mit rechtspopulistischen Politikern, für die der Tod des Syrers ein gefundenes Fressen ist, und einer wiedererweckten Geheimorganisation zu tun …
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Montag Regen klatschte unablässig gegen die Jalousien und im Fernsehen sagten sie, dass für die nächsten Tage keine Wetterverbesserung in Sicht sei. Zu meinem Leidwesen hatte es sich Manju angewöhnt, morgens die Glotze einzuschalten. »So kann ich mich nebenbei darüber informieren, was in der Welt geschieht«, hatte sie auf meine genervte Frage erwidert. »Um die Zeitung zu lesen, fehlt mir schlicht die Zeit.« Dass sie duschte oder in der Küche herumhantierte, während der Apparat vor sich hin lief, stellte für sie keinen Widerspruch dar. »Ich höre den Ton ja in der ganzen Wohnung«, hatte sie erklärt, worauf ich schlaftrunken geknurrt hatte: »Ich auch.« Wie immer hatte sie vergessen, das im Schlafzimmer stehende Gerät auszuschalten, bevor sie zur Arbeit gegangen war. Ich zog mir die Decke über den Kopf und versuchte, das aufgekratzte Gequatsche der Moderatorin auszublenden, die in der morgendlichen Wettersendung gerade Statistiken präsentierte. Außergewöhnlich regenreich sei der April bislang gewesen, stellte sie beängstigend gut gelaunt fest, als hätten das die Zuschauer nicht selber bemerkt. Auch für heute würden auf der Alpennordseite überdurchschnittliche Niederschlagsmengen von bis zu hundertfünfzig Millimeter erwartet. In der Ostschweiz sei es in der vergangenen Nacht zu Erdrutschen gekommen, der Lago Maggiore hätte den höchsten Wasserstand seit Jahren erreicht und wenn es so weiterregne, wie die Meteorologen voraussagten – an dieser Stelle gluckste die Wetterfee unpassenderweise –, dann könne es gut sein, dass der See in den nächsten Tagen über die Ufer trete. Vermutlich schlug sie vor Begeisterung gleich einen Purzelbaum. Grimmig schob ich die Decke zur Seite und machte mich ans Aufstöbern der Fernbedienung, die Manju normalerweise irgendwo deponierte, nur nicht neben dem Bett. In indischen Haushalten war es gang und gäbe, dass der Fernseher den ganzen Tag im Hintergrund lief und wie ein weiteres Familienglied zum konstanten Geschnatter der vielköpfigen Sippe inklusive Großeltern, Tanten und Cousins beitrug. Doch so sehr ich die orientalischen Einflüsse schätzte, die Manju in mein Leben und meine Wohnung brachte, manchmal sehnte ich mich einfach nach ein wenig guter, alter, mitteleuropäischer Stille. Trotz verzweifelter Suche blieb die Bedienung unauffindbar, aber da ich schon mal auf war, konnte ich mir auch gleich einen Kaffee aus der Maschine lassen. Während ich verpennt der dunkelbraunen Flüssigkeit zusah, wie sie in die Tasse plätscherte, hörte ich, wie im Schlafzimmer nebenan die quietschfidele Ansagerin abrupt unterbrochen wurde. Eine seriös klingende Stimme vermeldete eine Schießerei vor dem Asylzentrum Altstetten, die genauen Umstände seien noch nicht geklärt. Ein Mann sei dabei so schwer verletzt worden, dass er noch vor Ort verstorben sei. Mit der Tasse in der Hand schlurfte ich hinüber. Auf dem Bildschirm waren Polizeiautos und Ambulanzen zu sehen und in einer mit rot-weißem Band abgesperrten Zone stand ein weißes Zelt. Beamte hielten Wache und medizinisches Personal rannte durch den strömenden Regen, Blaulicht flackerte, eine chaotische Szene. Die rote Anzeige am oberen Bildrand gleich neben dem Signet des Schweizer Fernsehens wies darauf hin, dass live berichtet wurde. Endlich entdeckte ich die Fernbedienung auf dem Bücherregal und stellte den Ton lauter. Eben wurde ins Studio zurückgeschaltet. Der Moderator sah erschüttert aus, er kündigte eine Berichterstattung direkt vom Ort des Geschehens an, der Kollege sei gerade in Altstetten eingetroffen. Die Kamera schwenkte über das Areal des Asylzentrums. Unter den Vordächern und auf den Treppen der lang gezogenen Baracken waren verängstigt wirkende Menschen versammelt. Männer mit ernsten Mienen hatten sich etwas vorgewagt, die Arme in die Hüften gestützt oder vor der Brust verschränkt, Kleider und Haare klatschnass. Aus den Fenstern lehnten sich Kinder, eine Mutter drückte schützend ihren Säugling an sich. Entlang der Absperrung waren blasse Gesichter unter aufgespannten Regenschirmen zu erkennen, Handys wurden hochgehalten: Die ersten Gaffer waren eingetroffen. Ein junger Reporter, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, trat jetzt mit einem selbstgefälligen Lächeln vor die Kamera. Er trug einen durchsichtigen Plastikregenschutz über dem Anzug und schien Probleme mit dem Ton zu haben, immer wieder nestelte er am Kopfhörer in seinem Ohr herum. Endlich hielt er den Daumen hoch und setzte eine betroffene Miene auf. Mit viel zu pathetischer Stimme wiederholte er die bisherigen Erkenntnisse zur Schießerei. Noch war nicht viel bekannt. Heute Morgen um kurz vor acht sei auf einen Mann geschossen worden, der im Begriff gewesen sei, das Asylzentrum zu verlassen. »Der Mann war zu einem Termin im Verfahrenszentrum des Bundesamtes für Migration vorgeladen und befand sich auf dem Weg in den zweieinhalb Kilometer entfernten Kreis 5«, berichtete der Moderator, dessen Name jetzt im unteren Bereich des Bildschirms eingeblendet wurde. Matthias Glättli fuhr sich durch seine blonde Igelfrisur, bevor er weitersprach: »Laut Logendienst hat er das Areal um 07 : 53 Uhr verlassen, gleich darauf wurde auf ihn geschossen, so viel ist durchgesickert. Ob es sich dabei um einen politisch motivierten Mord handelt, ist noch ungewiss. Auch zum Schützen gibt es bislang keine weiteren Informationen. Wie es scheint, konnte er ungesehen entkommen.« Es folgten ein paar Informationen zur Barackensiedlung auf dem Juch-Areal in Altstetten, wo seit dem Frühjahr eine Testphase für beschleunigte Asylverfahren stattfand. Was bei der lokalen Bevölkerung auf Besorgnis und zum Teil heftigen Widerstand gestoßen war. Glättli fingerte schon wieder am Knopf in seinem Ohr herum. »Wie ich gerade erfahre, wurde das Opfer identifiziert. Es handelt sich um einen sechsunddreißigjährigen Syrer, der erst vor wenigen Wochen in der Schweiz einen Asylantrag gestellt hat.« Er machte eine Pause und lauschte auf die Anweisungen der Regie. »Soeben wurde auch ein Foto des Ermordeten freigegeben und sollte gleich eingeblendet werden.« Im nächsten Moment füllte das Gesicht des Mannes den Bildschirm. Die Tasse rutschte mir aus der Hand und zerschellte klirrend auf dem Fußboden, heißer Kaffee netzte meine Zehen, doch ich nahm es kaum wahr. Wie gebannt starrte ich auf den Fernseher. Es bestand kein Zweifel. Faruq al-Naser. So also hieß der Mann, den ich erst vor wenigen Tagen dabei fotografiert hatte, wie er sich mit Jasmin Bühler im Auto vergnügte. Beim Einbiegen in die Quartierstraße geriet mein Käfer bedenklich ins Schlingern und beinahe hätte ich auf der glitschigen Fahrbahn die Kontrolle über den Wagen verloren. Mit einer unsanften Bremsung brachte ich ihn schließlich vor dem Domizil der Bühlers zum Stehen. Sofort stürzte ich aus dem Auto, stieß das Gartentor auf und drückte sekundenlang auf die Klingel. Nichts rührte sich. Die Rollläden des Einfamilienhauses waren heruntergelassen, wodurch es trotz des mediterran inspirierten Baustils einen abweisenden Eindruck machte. Ich umrundete das Gebäude und fuhr erschrocken zusammen, als grelle Scheinwerfer aufflammten. Vor den großen Fensterfronten auf der Rückseite waren die Storen ebenfalls heruntergekurbelt. Ums Haus herum herrschte eine geradezu pingelige Ordnung, einzig der gepflegte Rasen versank im Schlamm. Es sah aus, als sei das Ehepaar in den Urlaub gefahren. Dafür sprach auch, dass Bühler nicht erreichbar war, weder auf dem Handy noch an seinem Arbeitsplatz, obschon ich ihn auf der Fahrt hierher sicher ein Dutzend Mal angerufen hatte. Doch instinktiv wusste ich, dass das nicht zutraf. Vielmehr bestätigte seine Abwesenheit meinen ungeheuerlichen Verdacht. Ich rannte zurück zum Wagen und fuhr auf schnellstem Weg zum Schweizer Firmenhauptsitz von GoforIT-Solutions, der ganz in der Nähe in einem modernen Gebäudekomplex untergebracht war. »Ist Adrian Bühler im Haus?«, erkundigte ich mich atemlos am Welcome Desk. »Sie machen hier alles schmutzig!« Naserümpfend taxierte die Empfangsdame meine nassen Schuhabdrücke auf dem spiegelglatten Kachelboden und bedachte mich mit einem Blick, der das Welcome-Schild über ihrem Arbeitsplatz Lügen strafte. »Ist er da?« »Wen, sagten Sie, suchen Sie?« »Adrian Bühler«, wiederholte ich ungeduldig. »Sehen Sie bitte nach, es ist dringend!« Pikiert kräuselte sie die Lippen und tippte auf ihrer Tastatur herum. »Und? Was ist?« Sie zog eine Augenbraue hoch. »Leider nein, aber vielleicht sollten Sie …« »Verdammter Mist, wo kann er nur stecken?« Gehetzt sah ich mich im klinisch wirkenden Eingangsbereich des Gebäudes um, als fände sich dort nebst dem unvermeidlichen Hydrokulturficus und den ebenso unvermeidlichen Corbusiersesseln der entscheidende Hinweis auf Bühlers Aufenthaltsort. »Warten Sie …!«, rief mir die Frau hinterher, doch ich war bereits auf die Ausgangstür zugerannt und bedankte mich per Handzeichen. Ich durfte keine Zeit verlieren. Die heftigen Regenschauer waren kurzfristig abgeflaut, es nieselte nur noch und einen Moment lang sah es sogar danach aus, als würde die Hochnebeldecke aufreißen. Doch von Westen her näherte sich bereits eine weitere Unwetterfront, düster aufgetürmte Wolkenberge, in deren Inneren es unheilvoll brodelte. Am Tatort herrschte eine äußerst angespannte Atmosphäre. Hier und da konnte ich Mitleid oder Besorgnis in den Gesichtern der Zaungäste erkennen, während ich mich eilig durch die Menge drängelte, doch die meisten warteten mit unergründlichen Mienen auf neue Erkenntnisse. »Einfach abgeschoben haben...