E-Book, Deutsch, 268 Seiten
Mann In einer Familie
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7526-8804-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 268 Seiten
ISBN: 978-3-7526-8804-7
Verlag: BoD - Books on Demand
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Man hatte im "Seehof" den Kaffee genommen und wanderte nun langsam am Ufer auf und nieder, sich immer in der Nähe des Wirtshauses haltend, wo die Pferde bereits zur Rückfahrt nach Kreuth eingespannt wurden. Alle drei hatten seit einigen Minuten die Unterhaltung ruhen lassen, welche nur dann zeitweilig belebt wurde, wenn der Major stehen blieb, um seinem Entzücken über die Schönheiten der Landschaft Worte zu verleihen. Der alte Herr zeigte gern den Kunstbeflissenen; indes war das Bild, auf welches er das junge Paar aufmerksam machte, seiner Begeisterung würdig. Die schon sehr schräg fallenden Sonnenstrahlen riefen auf dem fast bewegungslosen Achensee einen Schimmer hervor, der aus der Tiefe zu steigen schien, als machte eine Schicht Gold das Wasser bis zur Oberfläche erglänzen. Wie in ein Wunderland hinabgetauchte Riesen zeichneten sich in all dem Glanz die schwarzen Spiegelbilder der vielfach mit Nadelholz bestandenen Felsen ab. Diese lagen, die Sonne bereits im Rücken, mit Ausnahme ihrer rotglänzenden Spitzen in völliger Dunkelheit. "Seht einmal, bitte", sagte Herr v. Grubeck mit einer Handbewegung auf den See, "sehen Sie, Wellkamp, können Sie sich etwas Vollendeteres vorstellen als das dort, wie die kleinen hellen Streifen sich mit dem Schwarz verbinden? Die Brechung des Lichtes, die dadurch bewirkt wird, ist etwas ausnehmend Feines." "Sehr schön", stimmte der junge Mann seinem künftigen Schwiegervater bei, und er setzte hinzu: "Der Achensee ist in seiner hellen, freundlichen Art, alle Eindrücke aufzunehmen und wiederzuspiegeln, die ihm seine Umgebung bietet, so recht das Gegenteil von Gewässern, wie etwa der Feldsee eines ist. Ich war bei völlig wolkenlosem Himmel dort, und das 'Seebuk', von wo ich steil auf das Wasser hinabsah, trug das allerschönste Grün. Aber der See antwortet auf nichts. Man hätte ihn trotz all des Blau und Grün, das auf ihn einleuchtete, etwa für Torfboden halten können, wenn es nicht geglänzt hätte wie straff gespannter schwarzer Atlas." Wellkamp liebte es, bei allen Gelegenheiten irgendeine seiner zahlreichen Reiseerinnerungen zu Vergleichen herbeizuziehen. Überdies war jeder der beiden Herren, vielleicht halb unbewußt, darauf bedacht, den anderen auf möglichst vorteilhafte Weise mit seiner Person bekannt zu machen. Leute, die, ohne sich bisher wesentlich näher gestanden zu haben, in enge Beziehungen zu einander zu treten bestimmt sind, pflegen dieses Bedürfnis zu haben. Nachdem diese Kreuther Bekanntschaft kaum vier Wochen ...
Heinrich Mann lebte von 1871 bis 1950 und war ein deutscher Schriftsteller.
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bereits im Rücken, mit Ausnahme ihrer rotglänzenden Spitzen in völliger Dunkelheit. »Seht einmal, bitte«, sagte Herr v. Grubeck mit einer Handbewegung auf den See, »sehen Sie, Wellkamp, können Sie sich etwas Vollendeteres vorstellen als das dort, wie die kleinen hellen Streifen sich mit dem Schwarz verbinden? Die Brechung des Lichtes, die dadurch bewirkt wird, ist etwas ausnehmend Feines.« »Sehr schön«, stimmte der junge Mann seinem künftigen Schwiegervater bei, und er setzte hinzu: »Der Achensee ist in seiner hellen, freundlichen Art, alle Eindrücke aufzunehmen und wiederzuspiegeln, die ihm seine Umgebung bietet, so recht das Gegenteil von Gewässern, wie etwa der Feldsee eines ist. Ich war bei völlig wolkenlosem Himmel dort, und das ›Seebuk‹, von wo ich steil auf das Wasser hinabsah, trug das allerschönste Grün. Aber der See antwortet auf nichts. Man hätte ihn trotz all des Blau und Grün, das auf ihn einleuchtete, etwa für Torfboden halten können, wenn es nicht geglänzt hätte wie straff gespannter schwarzer Atlas.« Wellkamp liebte es, bei allen Gelegenheiten irgendeine seiner zahlreichen Reiseerinnerungen zu Vergleichen herbeizuziehen. Überdies war jeder der beiden Herren, vielleicht halb unbewußt, darauf bedacht, den anderen auf möglichst vorteilhafte Weise mit seiner Person bekannt zu machen. Leute, die, ohne sich bisher wesentlich näher gestanden zu haben, in enge Beziehungen zu einander zu treten bestimmt sind, pflegen dieses Bedürfnis zu haben. Nachdem diese Kreuther Bekanntschaft kaum vier Wochen gepflegt worden, war es auf dem heutigen Ausfluge ganz plötzlich und allen drei Beteiligten unvermutet zur Verlobung gekommen. Der Major hatte die beiden jungen Leute nur für einen Augenblick allein gelassen, als sie auch bereits einig geworden waren. Anna hörte, während sie nun ihren Arm, ohne sich indes zu stützen, in dem seinen hielt, noch immer seine Stimme, welche seltsam weich geworden war, als er ihr die entscheidende Bitte vorgelegt hatte. Und auf der Fahrt, vor der Ankunft im »Seehof«, waren sie beide so ausgelassen fröhlich gewesen, noch ganz unbekümmert um das Folgende! Auf dem Gesichte des jungen Mädchens lag ein stilles, etwas träumerisches Glück, das zuweilen, vielleicht bei einem Gedanken an künftiges, zu heller Freudigkeit aufleuchtete. Auch Wellkamps Miene zeigte einen zufriedenen, frohen Ausdruck; der jedenfalls unbeabsichtigte, etwas verdrossene, müde Zug, der Anna mitunter darin aufgefallen, war häufig von einem stillen Lächeln überdeckt. Den Major dagegen hatte das Ereignis in geradezu lustige Stimmung versetzt. Er blinzelte aus den Ecken seiner schmalen, gekniffenen Augenspalten fortgesetzt die beiden Menschen an seiner Seite an, welche das Glück nunmehr gänzlich verstummen gemacht hatte. Vor Glück verstummt! Und doch, so schlicht und gegeben solch Glück als Wirkung der Ursache erscheint, daß zwei Menschen, die an ihre Zusammengehörigkeit glauben gelernt haben, sich hierüber verständigten: wie viele der verschiedensten Empfindungen, Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, vielleicht mit einem frohen Aufatmen, vielleicht im Gegenteil mit einer unbestimmten Beklommenheit verbunden, wirken zusammen, solch eine scheinbar durchsichtig einfache Stimmung hervorzubringen! So konnten auch hier das junge Paar wie der Vater in ihren Erwägungen und ihren Gefühlen sehr verschieden gestimmt sein, während ihre Mienen das gleiche, schlichte, unzusammengesetzte Glück verkündigten. Anna Grubeck wußte von ihrem neuen Verlobten im Grunde nicht viel neben dem, was sie selbst in dieser Zeit täglichen Verkehrs an ihm wahrgenommen. Er war wohlhabend, wenn nicht reich, und jedenfalls imstande, ihr eine unabhängige Stellung zu geben. Sie war zu sehr gewohnt, alles mit praktischen Blicken anzusehen, um dies nicht anzuerkennen, auch jetzt, wo ihre Empfindung lauter zu sprechen bemüht war als jede Überlegung. Denn sie liebte ihn und wußte dabei, daß das Gefühl einer gewissen Überlegenheit, welches ihr Verkehr mit ihm sie gelehrt hatte, nicht den unbedeutendsten Anteil daran hatte, wenn sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Die Art ihrer Überlegenheit war ihr unbekannt geblieben, ebenso wie sie die Ursache seines Hanges, sich ihr in jeder Frage mit Ehrerbietung und mit einer merklichen Genugtuung unterzuordnen, nicht zu deuten wußte. Nur hatte ihr der weibliche Instinkt alsbald verraten, daß etwas anderes als einfache Ritterlichkeit in seinem Betragen zu suchen sei. Bei ihrem Vater herrschte die Freude über die nahe Aussicht vor, den unhaltbaren Zuständen in seiner Familie ein Ende gemacht zu sehen. Zu allem Unglück, welches seine zweite Ehe herbeigeführt, hatte sie begonnen, seine Tochter zu isolieren. Es war gut, daß diese dem Kreise der Frau, mit der ein Zusammenleben auf die Dauer für sie nicht denkbar war, schon jetzt entrückt werden sollte. Mit dem Schwiegersohn war der Major einverstanden. Sein Alter wie seine pekuniäre Freiheit sagten ihm zu, auch war er ein liebenswürdiger und korrekter Mann. Anders empfand der junge Mann selbst, durch dessen Annäherung an eine Familie so mannigfache Veränderungen hervorgerufen werden sollten. In dem Augenblick, da Wellkamp an der Tafel des Kurhauses ein Gespräch mit seiner stillen und ernsten Nachbarin angeknüpft, hatte er erkannt, daß ein Verkehr mit ihr imstande sein könnte, ihn aus dem Zwange zu befreien, in dem ihn eine lange Vergangenheit und am unerträglichsten eine letzte Erfahrung hielt. Denn die Erinnerung an das Berliner Abenteuer, dem er sich kaum entrissen, hatte ihn hierher ins Gebirge verfolgt. Es war ihm gewesen, als hafte an seinen Händen noch immer der entnervende Duft dieses Frauenhaares, in das er sich eingekrallt, wenn zwischen ihm und ihr der Kampf tobte, den diese ganze seltsame Liebe bedeutet hatte. Auch hatte er unaufhörlich das schrille Lachen des Mädchens zu hören gemeint, wie sie ihm zum Abschied nachrief: »Geh doch! Du kommst ja doch wieder!« Und wie vielmal war er im Begriff gewesen, zu packen, um die Fesseln wieder auf sich zu nehmen, die er nicht mehr entbehren konnte. Ursprünglich war es eine unbeabsichtigte, flüchtige Begegnung. Das Mädchen war ihm gleich anfangs unsympathisch gewesen und sie war es immer geblieben. Aber wie sie ihn am ersten Abend durch eine eigentümliche Frechheit und Sorglosigkeit zu gefallen, zugleich reizte und abstieß, in eben solcher Weise hatte sich das Verhältnis zwischen ihnen fortgesetzt. Stets unleidlicher war es ihm geworden, und stets unmöglicher war ihm gleichwohl ein Bruch erschienen. Der kurze Aufenthalt in Berlin, den er beabsichtigt, war zu mehr als einem halben Jahre verlängert, als es die Szene zwischen ihnen gab, die er sich nie zugetraut hätte. Er hatte sich auf ihm selbst unbegreifliche Weise eine augenblickliche Überlegenheit abgerungen, aber wer war der eigentliche Sieger? Er mußte auf seiner Flucht und später noch ihre Schönheit vor Augen sehen, die ihm nie so triumphierend und dabei so niedrig erschienen war wie zuletzt, als sie ihm nachrief: »Geh doch! Du kommst ja doch wieder!« Jener Tag, als er mit Anna Grubeck bekannt wurde, machte all diesem Spuk ein Ende. Es war, als breitete sich, von ihr ausgehend, Klarheit und Friede über seine Stimmungen aus. Täglich merkte er deutlicher, daß ihr Einfluß das Leben seiner Gedanken und Gefühle völlig erneuere. Bei dem Klange ihrer ruhigen Altstimme, in der so gut ihr stillheiteres Wesen zum Ausdruck kam, wurde er allmählich ein anderer. Zuweilen überkam ihn, wenn sie sprach, eine träumerische Müdigkeit, während welcher einzelne Worte oder Bilder aus seiner Kinderzeit in seiner Erinnerung emportauchten. Oder er konnte sie in eine harmlose Luftigkeit mit hineinreißen, ebenfalls wie ein Kind. So genas er und hatte nur den Wunsch, die süße Rekonvaleszentenstimmung lange, lange hinauszudehnen, ohne einen Gedanken an die Zukunft. Trotzdem war es heute, fast wider seinen Willen, zur Aussprache gekommen. In das trauliche Wohlbehagen dieses Nachmittags hatte sich ihm plötzlich die Furcht vor der Möglichkeit gemischt, dem jetzigen Zustande ein Ende gemacht zu sehen, und ohne Zögern hatte er seinem Drange, das Verhältnis für immer zu befestigen, nachgegeben. Sonst langsam und unlustig, einen Entschluß zu fassen, sah er in seinem heutigen schnellen, kräftigen Impuls die beste Bürgschaft dafür, daß er recht getan. Als der Major, welcher das längere Schweigen mit eingehender Beobachtung der Beleuchtungseffekte in der Landschaft ausfüllte, wieder einmal stehen blieb, brach Wellkamp eine der Alpenrosen, die in dieser Höhe unmittelbar am Seeufer wuchsen, und überreichte sie seiner Braut. Er hatte ausdrücken wollen, daß er in der Blume ein Symbol für ihre Verbindung erblicke, aber er fürchtete, daß es gesprochen eine Banalität sein könnte. Anna dankte ihm freudig lächelnd, und damit war die Stille, in der jedes seinen Betrachtungen nachgehangen, gebrochen. Der Major erinnerte an den Aufbruch. Einmal wieder auf der Fahrt, blieb mit der Träumereien erzeugenden abendlichen Uferlandschaft auch die Stimmung der vergangenen Stunde zurück. Alle drei begannen, völlig ermuntert, an die Zukunft, die ihnen winkte, heranzutreten. Es wurden mit Eifer Pläne geschmiedet. Natürlich wünschte das junge Mädchen, um dem Vater nahe zu bleiben, in Dresden Wohnung zu nehmen, und Wellkamp stimmte ihr bei. »Ich kann mir«, sagte er, »für eine junge Ehe keinen geeigneteren Aufenthalt denken, als diese stille und elegante Stadt. Alles wird uns dort mehr Behagen und Vertraulichkeit bieten, als in dem Getriebe eines regen Verkehrsplatzes zu finden sein würde – ohne daß wir dabei die Vorzüge eines solchen zu entbehren hätten.« »Du kennst Dresden?« Anna sprach das...