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E-Book, Deutsch, 172 Seiten

Mann Mutter Marie


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7534-8629-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 172 Seiten

ISBN: 978-3-7534-8629-1
Verlag: BoD - Books on Demand
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"Mutter Marie" ist ein 1927 erschienenes Werk des deutschen Schriftstellers Heinrich Mann.
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Erstes Kapitel
Im Klubsessel saß der Präsident, im Schaukelstuhl der General. Vor dem mit Bronze eingelegten Tischchen aus buntem Marmor, auf einem der zu ihm passenden Stühle im Empiregeschmack hielt die Generalin sich überaus gerade. Ihr Inneres drohte schlankweg einzubrechen, um so gerader hielt sie sich. Die große blasse Nase wirkte noch schärfer. Wenn der Präsident während seiner unliebsamen Eröffnungen einmal die Nase der Generalin ansah, ward er sogleich zurückhaltender. Schaukelnd und sein einziges Auge gesenkt, hörte der General den Präsidenten an. »Das verkaufte Haus«, sagte der Präsident und legte die Stirn so schief, daß unter ihren fleischigen Falten der Blick sich verlor. »Die Schulden, der Sohn …« Die Generalin wendete den Kopf, als langweilte sie sich. In Wahrheit schätzte sie ihren Salon ab. Er war zusammengestellt aus den Resten des Herrenzimmers, das ihr Gatte angeschafft hatte, zu der Zeit, als er Generaldirektor beim Präsidenten war, und aus der noch übrigen Marmor- und Bronzepracht, die sie selbst einst mitgebracht hatte. Alles Entbehrliche war verkauft – alles, was bisher entbehrlich erschienen war. Der Begriff des Entbehrlichen ward allmählich umfassender, sie wußte es schon. Sah es hier noch nicht arm aus? Sie hörte den Präsidenten laut rechnen. Hinter der Glastür, der sie den Rücken kehrte, ward hörbar der Flügel geöffnet. Zu erwarten war, daß sogleich dort drinnen der Professor präludierte und die Prinzessin sang. Die Generalin benutzte dies, um aufzustehen. In dem fast leeren Musikzimmer saß die Prinzessin, süßlila und gedankenlos, wie immer, auf dem kleinen Sofa aus altem Rohr, die Vergoldung war schon so blaß wie die rosa Seide der Kissen. Die Prinzessin las Noten mit ihren großen, verständnislosen Augen. Ihr alter Lehrer wartete am Flügel geduldig. Die Generalin stellte durch die Glastür fest, daß im Musikzimmer kein Teppich lag. Hier der Salon hatte doch noch seinen matten Perser, das glich viel aus. Auch hatte er in der Mitte den Monumentaltisch – und dann die vier großen Spiegelkonsolen, zwei zu den Seiten der hohen, in Wolkenstores gehüllten Gartentür, zwei drüben in den abgerundeten Ecken. Die Nachbarschaft der anderen Ausgänge, links zum Musik-, rechts zum Eßzimmer, rückwärts auf den Gang, wies nichts mehr auf, dafür kamen um so größere Flächen hellgelber Seide zur Geltung. Die Wandbespannung war nirgends zerrissen, nur hinter dem Klubsofa. Grade darum mußte es die Wand decken rechts neben der Gartentür, und alle Sitzmöbel waren hinzugeschoben. Die Mitte hielt einzig der Monumentaltisch in Marmor und Bronze, aber der weite Raum um ihn her wirkte im Grunde nur vornehmer. »Wenn ich mir nichts vormache«, dachte die Generalin. Inmitten des Momumentaltisches, einsam auf weitem Feld, erhob sich der »Jüngling«, die einst berühmte Marmorfigur, die Ina Schollendorff noch in Hamburg gekauft hatte, lange bevor sie den Hauptmann Veit Vogel von Lambart heiratete. Als dann das Kind heranwuchs, glich es dem »Jüngling«. »Wenn ich mir nichts vormache«, dachte die Generalin wieder. Sie vergewisserte sich, daß das gemalte Bildnis ihres Sohnes, drüben über dem Klubsofa, nichts mit dem »Jüngling« gemein hatte. »Und doch ist das Bild zehn Jahre her, da war er fünfzehn, wie der Jüngling.« Die Generalin versank, ohne den Kopf deshalb weniger hoch zu tragen, in sich selbst, einen Augenblick hörte sie nicht mehr, was der Präsident sagte. Sie setzte sich in Bewegung, ging aber links um den Monumentaltisch und langsam gradaus in Richtung des Pfeilerspiegels neben der wolkenverhangenen Gartentür. Auf diesem Wege erschien ihr, Schritt um Schritt, ihre Person und auch ihr Leben. »Meine Augen glänzen«, dachte sie, denn dies erschien ihr im Spiegel zuerst. »Ich bin nun mager, nicht mehr schlank, ich muß den Hals bedecken, und er war berühmt. Der Präsident sagt, daß uns das Haus nicht mehr gehöre und daß wir ausziehen müssen. Er kann uns zwingen, er hat die Verbindungen, wir haben keine mehr. Er zahlt Abstand, dann kann ich irgendwo Zimmer vermieten. Ich habe noch meine glänzenden Augen.« Alles in einem Schritt. Beim nächsten: »Alabasterstirn, sagte Graf Oetzen auf meinem ersten Ball. Man sagt das nicht mehr, übrigens hat der Alabaster jetzt Kratzer. Ich trage aber immer noch die Haare aus der Stirn. Sie waren nie stark, jetzt sind sie dünn und werden grau.« Da sie dem Spiegel noch näher kam: »Und ich spreche nicht von meinem Mund, weil ich meine schmalen Lippen nie gemocht habe. Ich darf ihnen keinen Ausdruck geben, sonst bilden sich daneben Falten wie Spinnen, es sieht pervers aus. Ich und pervers! … Valentin hat weiche, breite Lippen, er küßt damit wohl die Prinzessin. Mein Sohn der Verlobte einer Prinzessin! Ihre Augen sind groß, aber geistlos. Die alternde Frau dort im Spiegel hat glänzende Augen. Ich war immer ein Snob. Die Prinzessin ist arm, noch ärmer als wir, und überdies geistig beschränkt. Was nützt es mir, aber ich will, daß mein Sohn sie heiratet und Mitglied eines bis vor sieben Jahren regierenden Hauses wird. 1925, schon gleich sieben Jahre währt der Unfug. Ich war aus reichem Haus, eine große Dame. Der Kronprinz sagte 1907 im Manöver: eine wirkliche große Dame – als er erfuhr, ich sei eine Schollendorff. Jetzt dies alte Kleid, jetzt mit den Resten unserer Habe auf die Straße. Der Präsident sagt – und meine Augen glänzen! Wovon wohl Augen glänzen?« Hier schlug eine Uhr, die Generalin erwachte. Ein Blick nach den Herren, sie waren in demselben Satz, der vorhin begonnen hatte, sie hielten sogar die Köpfe noch wie vorhin. »Meine Abwesenheit kann nur Sekunden gedauert haben.« … Die Uhr schlug immer noch? Ach, es war die Prinzessin, sie übte einen und denselben Ton, es klang hoch, fein und metallen, es klang nach ungelöster Kraft. Die Generalin empfand Widerwillen bei dem Gedanken an die Heirat. Fast gleichzeitig ward sie daran erinnert, daß ihr Sohn schon hätte dasein müssen. Ob es sieben Uhr war? Sie sah hinaus auf die Straße – und spürte einen Ruck. Das unheimliche Automobil! Dort stand es wieder. Sein Vorhang war auf dieser Seite geschlossen, wie noch jedesmal. Es hielt gegenüber an gewohnter Stelle, Ecke Berliner Straße und Platz am Knie. Über den Platz stürmten aus allen Richtungen, Berliner, Hardenberg-, Bismarck-, Marchstraße, die Wagen herbei, sie verdeckten zu oft das Auto mit dem geschlossenen Vorhang. Die Generalin war nie ganz sicher, ob ein Gesicht darin erschien. Aber sie nahm an, eine Frau sitze drinnen und warte auf Valentin. Das Auto hielt drüben regelmäßig nur so lange, bis Valentin nach Haus kam. Es war groß, neu, höchst gepflegt, der Chauffeur benahm sich streng dienstlich. Saß keine Frau darin, wer zog dann drüben auf Wache – täglich, bevor Valentin kam? Die Generalin mußte sich zusammennehmen, um nicht ihren Mann zu rufen. Nein, Dinge jener anderen Art erwähnte niemand hier. Was Valentin aus Leichtsinn davon verraten hatte, war besser nicht vorhanden, die Eltern wußten nichts. Warum daran denken. Es konnten Angelegenheiten jeder Art sein, in denen jenes dunkelblaue Auto wartete, Spielaffären ebensogut wie Liebe. Das Leben Valentins war unregelmäßig, gewiß, leider war es so – aber gefährliche Dinge? Dinge, in die er vor zwei Jahren, als der Weltuntergang nahe schien, vielleicht hineingezogen worden war von seinen jungen Gesinnungsfreunden? Die hatten keine Folgen mehr, entschied die Generalin. Dies war eine Frauengeschichte. Um es sich zu beweisen, dachte sie an die Dame, die sie neulich ertappt hatte. Die Dame hatte hinter dem Gitter des Vorgartens gestanden und heraufgesehen. Es war damals frühmorgens und nur Zufall, daß die Generalin schon auf war, da stand dort unten die Dame im Frühlingskostüm, mindestens von Drecol. Dieselbe war es, die jetzt im Auto saß, natürlich sie! Damals stand sie in dem Hut mindestens von der Friedländer und starrte nach der Mansarde, wo Valentin noch schlief. Woher hatte sie gewußt, daß er dort oben wohnte, sie war also öfter hier gewesen? Hatte die Gelegenheit ausgekundschaftet wie eine Einbrecherin? Die Generalin zog damals den Wolkenvorhang fort und sah die Dame so lange an, bis jene es fühlte und ihr Gesicht von der Mansarde trennte. Sie senkte es, es war besonders weiß und wohlgeformt. Der anderen Frau entging nicht, daß es über dreißig war. Die Augen waren groß und schwarz, man konnte sie prachtvoll nennen. Als sie auf die Augen der Generalin trafen, stockte darum ihre Bewegung nicht. Sie stiegen von dem hohen, geschweiften Dach der alten Villa zu ihrem einzigen Stockwerk nieder, gingen über die langgestreckte Front hin, kehrten zu der breiten Gartentür und der kleinen Freitreppe nochmals zurück … Dann hatte die Dame sich abgewendet, ruhig aber nochmals umgeblickt wie zur Feststellung der Gegend, in der es zwischen...



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