Marcus / Setz | Einer sucht den Freund & andere Texte | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 80, 480 Seiten

Reihe: Bibliothek rosa Winkel

Marcus / Setz Einer sucht den Freund & andere Texte

Ein Lesebuch
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-86300-350-0
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Lesebuch

E-Book, Deutsch, Band 80, 480 Seiten

Reihe: Bibliothek rosa Winkel

ISBN: 978-3-86300-350-0
Verlag: Männerschwarm, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit Magnus Hirschfeld spazierte er durch den Tiergarten; mit Kurt Hiller war er über Jahrzehnte befreundet: der Schriftsteller Hugo Marcus (1880?–1966). Aus einer jüdischen Industriellenfamilie in Posen stammend, studierte Marcus in Berlin Philosophie, konvertierte Anfang der 1920er Jahre zum Islam und wirkte an der ersten Koran-Übersetzung ins Deutsche von muslimischer Seite mit. Von den Nazis als Jude abgestempelt, gelang ihm 1939 die Ausreise in die Schweiz, wo er nach 1945 häufig als Autor in der Zeitschrift "Der Kreis" vertreten war.

Marcus' facettenreiches Leben, das der Historiker Marc David Baer 2020 unter den Stichworten "German, Jew, Muslim, Gay" nachzeichnete, hat seinen Niederschlag in einer reichen schriftstellerischen Tätigkeit gefunden, der dieses Lesebuch Tribut zollt. Die Texte "Goethe und die Freundesliebe" (1949) und "Erinnerung an Magnus Hirschfeld" (1965) sind ebenso vertreten wie der Versuch einer Harmonisierung des Islams mit der europäischen Geistesgeschichte. So gut wie vollständig ist Marcus' literarisches Werk versammelt: Von dem frühen Roman "Das Frühlingsglück" (1900) bis zu "Einer sucht den Freund" (1961) kreist seine Arbeit um ein zentrales Thema: die Sehnsucht nach dem Freund und die (Un)möglichkeit, wahre Freundschaft zu leben.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


HUGO MARCUS
Das Frühlingsglück
Die Geschichte einer ersten Liebe Dresden und Leipzig E. Pierson’s Verlag 1900 Motto: Zwar lebt’ ich ohne Sorg’ und Mühe, Doch fühlt ich tiefen Schmerz genung. Goethe, Wilhelm Meister Allen, die jung sind, gewidmet. [I] Leise schwebte die Nacht hernieder, eine liebe, laue Winternacht, voll Frühlingsvorahnung. Die alten, hohen Häuser standen schwarz und nächtig wie stille Träume in den Straßen, leicht umwoben vom Hauche der Jahrhunderte, die in das weite Land zu ihren Füßen gegangen waren. Zwischen den vielgeschwungenen Giebeln zitterte das stille, traurige Leuchten des scheidenden Tages, ein schmaler, glühender Streif, wie auf alten Bildern der Goldgrund. Die Dämmerstunde lag über der Welt, ruhevoll, friedevoll, eine von den frühlingsschwangeren, traumseligen Stunden, in denen sich Engel lieben und Genien küssen, und die Welt voll Erwartung ist. Guido Erhard war allein in der einsamen Gasse. Wie schön dieser Abend war, wie er sich so leicht und gut und froh auf all sein Empfinden legte, wie er ihm zur Seite ging, wie ein wunderschöner junger Freund, und ihm all die Gedanken und Träume eingab, die seine liebsten Begleiter waren auf einsamen Wegen. Er war schon eine ganze Weile nicht mehr so recht aus seinem Zimmer gekommen, denn es hatte einen kalten Winter gegeben; und nun war er doppelt froh, wieder einmal Felder und Wiesen geschaut zu haben. Das war auch nur durch einen Zufall gekommen. Jüngst saß er in seinem Stübchen, in der Öde eines schlummerstillen Nachmittags in trüben, einsamen Gedanken. Sie los zu werden griff er nach seinen Büchern, erst, um etwas zu arbeiten; dann, als ihm dies nicht gelang, suchte er darin nach etwas Befreiendem, das ihn aus seiner Dumpfheit weckte, aber er fand nichts. Da klappte er sie zu, unmutig des vergeblichen Suchens. Plötzlich aber fiel sein Blick auf ein kleines, schlichtes, verblichenes Bild an der Wand; ein einfach altes Kirchlein war darauf zu sehen, doch die Sonnenstrahlen, die vom Fenster kamen, breiteten einen Sonntag darauf; da fiel es ihm plötzlich mit Wonne ein, daß es Frühling werden wollte, und es kam ihn ein großes Verlangen an nach dem bunten Sonntagstreiben und der grauen Kirche, deren Turm er von seinem Fenster schaute, und deren Alter seine Phantasie stets reizte, und nach den jungen Landmädchen davor in ihren roten und grünen Kleidern und großen, weißen Schürzen und schlichten, goldblonden Haaren und den lieben sonntäglichen Madonnengesichtern, wie sie im Lenz allwöchentlich zur Kirche kamen, und er nahm sich fest vor, am nächsten Sonntag die Messe nicht zu versäumen, wo es all die Herrlichkeiten zu sehen gab, – und hatte sie doch versäumt; so wollte er sich heute wenigstens durch einen Gang in die erdduftenden Felder entschädigen, denn das war ja auch etwas Frisches, Lenzliches, und wenn es auch die Freuden des Sonntags draußen nicht gab, so blühten doch tausend andere Wunder auf den sonnigen Straßen und vor der Stadt auf dem weiten Lande, denn der Frühling kam; – die Welt schien ihm so bunt und voll von wunderbaren Rätseln. Nun kehrte er zurück von den sich färbenden Feldern, auf denen der Schnee allenthalben schmolz. Ein leichter froher Wind erhob sich und sprang pfeilschnell über die hohen Häuser und die stille Gasse. Guido wandte sich ihm voll entgegen, denn es gab nichts Schöneres für ihn, als den kühlen, hoffnungsfrischen Duft eines Frühlingwindes. Einen Augenblick glaubte er sich unwillkürlich in ein fernes Land versetzt voll unbekannter Blüten und Freuden, einen Augenblick nur, zu kurz für klares Empfinden und frohes Genießen, lang genug die große Sehnsucht zu wecken nach dem Lande der Wunder, nach der blauen Ferne und den Märchen, die in der Weite lagen. Er empfand es mit all seinem Fühlen und mit großer Freude, wie alle Dinge kräftigere Farben gewannen unter dem Einfluß des schönen Abends, er empfand es doppelt, weil es viele Stunden in seinem Leben gab, die ganz anders waren, traurige, gedrückte Stunden, die nichtssagend und verloren waren; und heute genügte ein Windhauch, um ihn zu Freuden und Sehnen zu erwecken, zur Sehnsucht nach etwas, was er selbst noch nicht kannte, etwas Schönem und Wunderbarem, das dem Leben seinen Wert und seinen jungen Kräften eine Ausübung und seinen Wünschen ein Ziel gab. Davon träumte er in solchen Stunden wie der heutigen und es nahm mannigfaltige Gestalt an in seinen Gedanken. Unterdessen war Guido langsam weiter gegangen ohn’ Acht auf die leisen Töne der Dunkelstunde und ihre zitternden Lichter. Nur unwillkürlich hatte er empfunden, wie die hehre Nacht gekommen war, den trauten Abend abzulösen, und Gewalt ergriffen hatte auch über ihn und ihn ihren verschlungenen, geheimnisvollen Weg führte; und er vertraute ihrer Führung gern. Da stand er vor der alten Marienkapelle, in deren durch das Dunkel ins Riesenhafte vergrößerten, vielgeschwungenen Gemäuer die hohen spitzbogigen Fenster geheimnisvoll, kerzenrot strahlten; leise, klangvolle Töne der Orgel drangen durch altersgraue Lücken und Spalten in die Nacht hinaus. Er lauschte; das war gewiß der alte Pfarrer, Herr Pankratius Steinhuber, der des Abends gern in der stillen Kirche spielte, nur sich selbst und den lieben Heiligen zur Freude. Guido wollte das Spiel in Ruhe genießen. Er ging durch eine kleine Pforte und ein langes, dunkles Gewölbe, in dem die Schritte seltsam nachhallten, dann trat er hinaus auf den offenen Kreuzgang des einstigen Klosters, der rings um einen kleinen Anger alter Grabsteine lief. Dort setzte er sich auf eine Steinbank dicht unter dem Kirchenfenster, das dem Orgelchor zunächst lag, und lauschte im Schatten des Gewölbes den nahen Tönen und der Nacht, die ringsumher raunte. Auch überlegte er, ob er den Herrn Pankratius, den er gut kannte und sehr wert hielt, nicht draußen erwarten solle, um ihn nach dem Pfarrhause zu begleiten in Gesprächen, die der alte Pfarrer gern mit der Jugend führte, und durch die er sie so schön zu gewinnen wußte in seiner milden, leicht ironischen Art. Da vernahm Guido plötzlich Schritte auf den Quadern des Rundganges. Er blickte auf und gewahrte zwei junge Mädchen, die einander leicht umschlungen hielten und fern von der anderen Seite des Ganges kamen. Sie flüsterten und lachten miteinander, wie junge Mädchen tun, die das Herz noch voll Freuden haben. Sie gingen in dem zarten, undeutlichen Lichtschimmer der Kirchenfenster; dennoch erkannte sie Guido sofort; das eine war die schöne Adeline, die Nichte des Herrn Pankratius, die andere das junge Fräulein Margreth aus der Stadt. »Jetzt mußt Du mir noch sagen, was Du gestern gemacht hast, dann weiß ich erst genau, wie Dir’s in den Tagen gegangen ist, wo wir uns nicht gesehen haben!« sagte Margreth zu Adeline, sie sprach’s in ihrer weichen, liebenswürdig bittenden Art. »Sehr gern!« antwortete Adeline mit gutmütigem Spott; »es ist ja auch so schrecklich lange her, seit wir uns nicht gesehen haben, eine volle Woche! – Also, – gestern! Ach ja, da bin ich Schlittschuh gelaufen; denk’ Dir, und so fest war das Eis, daß ich über das Luch konnte und ohne Aufenthalt bis nach der Bastei hinunter, weißt Du?« »Ah«, entfuhr es Margreth, »gings wild?« fragte sie dann weiter. »Ja wild!« »Sehr wild?« »Ja, sehr wild! Du weißt ja, das macht erst rechte Lust, wenn man läuft, bis einem der Atem vergeht! Das ist wunderschön; ach wer’s so könnte fort, immerfort bis – ja wohin denn, bis in die Ewigkeit meinetwegen!« Dabei beugte sie sich ein wenig zu der Freundin herab und lachte sie fröhlich an, noch wie in Erinnerung an die vergangene Lust! »Und weißt Du was, – Du darfst es aber niemandem weiter sagen, hörst Du! ich glaube, ich sehe hübsch aus dabei, mir ist wenigstens so zu Mute, und ich hab’s gern, wenn ich hübsch aussehe!« »Das tu’ ich auch!« beteuerte Margreth, »aber doch nicht für den Wald und die Bäume nur!« »Nein, für mich, denk Dir, für mich ganz allein und dann erst für den Wald und die Bäume.« »Und was hast Du in der Klosterbastei gemacht?« fragte Margreth weiter. »Ich bin ins Dorf hinabgegangen zu den Leuten und hab’ wieder einmal nach ihnen gesehen und mit ihnen gesprochen, weil ich gerade so fröhlich war!« »Ach geh! Wie man so was machen kann. Sie geben Dir zwar immer so gut Antwort auf Deine Fragen, die ich übrigens, die Wahrheit zu sagen, oft höchst indiskret finde, und sie hören sogar darauf, was Du ihnen sagst, und das ist gewiß noch mehr! – aber ich, ich könnte so was garnicht, ich hätte einfach Furcht vor diesen Menschen! – Und bist dann zurückgegangen?« »Nein, dann bin ich unten gewesen am Sumpf und hab’ mir mein Glas voll Algen gefüllt, – die will ich beobachten!« »Hör’ mal Adeline, das ist doch eigentlich gar nichts für ein junges Mädchen, aber Du, – Du kannst so was ja«, rief Margreth in plötzlichem Ungestüm, – es lag ein gut Teil Bewunderung und Neid darin. »Ja Du! – Aber ich, ich möchte es Doch auch so gerne machen wie Du, und mich für alles interessieren und tausend Dinge treiben und was lernen und können, aber, denk’ Dir, da habe ich neulich zwei Frösche gefangen, weil Du mir, als wir am Mühlteich waren, so viel von den Lurchen im Kaspischen See erzählt hast, und ich die doch nicht bekommen konnte. Selbst gefangen hab’ ich sie, hörst Du, – trotzdem ich mich so vor den garstigen Tieren gefürchtet habe, – und sie über Nacht in ein hohes Glas gestellt und gut gefüttert. Aber am anderen Morgen waren sie fort aus dem Glase. Statt dessen hörte ich plötzlich einen lauten Schrei und dann noch einen, und schließlich Hilferufe, da hatte sie...



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