Markovic / Markovic | Superheldinnen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Markovic / Markovic Superheldinnen


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7017-4521-0
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-7017-4521-0
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Atemberaubend schräg: Barbi Markovics Stadtroman ist eine Ode an den Pessimismus und an drei absolut zeitgenössische Superheldinnen

Jeden Samstag treffen sich drei Superheldinnen im heruntergekommenen Café Sette Fontane zu einer Arbeitssitzung: Mascha, die mutige Stütze der Gruppe, Direktorka, unerfahren, aber experimentierfreudig, und Marijas Enkelin mit dem dehnbaren Gewissen und der Rache im Blut. Sie verfügen über dunkle, chaotische Kräfte, bringen Gerechtigkeit in die Vorstädte und planen vergeblich ihren Aufstieg in den Mittelstand. "Blitz des Schicksals" und "Auslöschung" sind ihre Waffen, mit denen bereits Großmutter Marija ein ganzes Land destabilisierte. Nach gescheiterten Auftritten und schmerzhaften Lehrzeiten in Berlin, Belgrad, Sarajevo und andern Städten triumphieren die "Superheldinnen" im bösesten aller Happy Ends.

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4.
Ich erzählte Direktorka, dass ich an jenem Tag erfro ren wäre, hätte ich mich nicht ab und zu in ein Fast-Food-Lokal setzen können. Mit meinem entfernten Verwandten hatte ich nichts Genaues ausgemacht und wusste daher nicht, wie lange ich würde warten müssen. Im Unterschied zu jenen Menschen, die nie frei willig umziehen würden, die in demselben Ort, in dem sie aufgewachsen sind, studieren, Kinder kriegen und schließlich sterben, aber auch im Unterschied zu jenen, die gern und ständig umziehen, habe ich nur wenige Male die Stadt gewechselt, und auch nur dann, wenn ich dazu gezwungen war. Ich fürchtete mich vor Neuanfängen und war der Überzeugung, dass diese Angst gerechtfertigt sei. Ich spielte ein Spiel ohne klare Regeln. Je älter du bei einem Neubeginn bist, desto sel tener werden jene Glücksfälle, die dich, etwa in Form von guten Bekannten oder zufälligen Begegnungen, in der gesellschaftlichen Hierarchie von ganz unten um einige Stufen hinaufbefördern. Die Situation, in der ich mich befand, war eine Folge des dreisten Verhaltens des besagten entfern ten Verwandten. Es war das typische Verhalten meiner Verwandten. Sie versprachen immer viel und hielten nichts. Der Alexanderplatz war ausgestorben, und die wenigen Menschen, die sich bei der fürchterlichen Kälte überhaupt auf die Straße gewagt hatten, gaben sich Mühe, ihre Köpfe so tief wie möglich in ihren Daunenjacken zu vergraben. Sie liefen über den Platz und verschwanden in den Eingängen zur U-Bahn. Bei minus 17 Grad beginnt die Haut zu brennen. Die Menschen waren schwach, die Natur hinterfotzig. Die Men schen suchten Schutz und fanden ihn im Burger King. Ich bestellte einen Kaffee und setzte mich hinter die Säule, in der Hoffnung, hinter der Säule wäre es wär mer, aber es war nicht wärmer. Am Nebentisch saßen zwei Jungs und kauten in der relativen Stille, die im Burger King herrschte, ihre Lieblingshamburger, und es war offensichtlich, dass es sich nicht um ein freund schaftliches Kauen handelte, sondern um einen gedul dig geführten, unbarmherzigen Kampf. Whopper 3,69 € Double Whopper 4,69 € Big King 3,69 € Big King XXL 4,69 € X-tra Long Chilli Cheese 4,25 € Double Steakhouse 4,79 € Double Cheesebur ger 2,79 € King Menu 5,29 € Chilli Cheese Burger 1,49 € Bacon Cheese Burger 1,49 € Bacon Cheese Burger 1,49 € Cheeseburger 1,19 € Hamburger 0,99 € Whopper Jr. 1,99 € Best of Chicken Griller Chicken Classic 3,95 € Long Chicken 3,69 € Chrispy Chicken 3,69 € Chicken Nugg@s Burger 1,29 € King Snacks King Pommes klein 1,49 € mittel 1,95 € groß 2,29 € King Wings 6 Stk. 3,19 € Stk. 4,19 € 15 Stk. 6,69 € King Nugg@s 6 Stk. + 1 Dip 3,19 € 9 Stk. + 2 Dips 4,19 € 20 Stk. + 3 Dips 7,19 € Union Rings 6 Stk 1,99 € 9 Stk. 2,99 € Specials Apfel Pommes 1,29 € Country Burger 3,39 € King Delight Salad inkl. Dressing 1,99 € Grilled Chicken Wrap 3,29 € Extras nach Wunsch K@chup Joghurt Dressing / Balsamico Dressing extra Käse extra Portion Bacon extra Portion Tomaten gratis extra Portion Zwiebeln Ich erzählte Direktorka, dass der Alexanderplatz, während ich da saß und mich aufwärmte, ein wenig zum Leben erwachte, und dass irgendwelche Leute sich vor den Burger King setzten, um in der Kälte zu trinken und den anderen zu zeigen, dass ihnen alles scheißegal war und dass sie dem Wind trotzten, aber niemand konnte sagen, in was für einem Zustand sie sich eigentlich befanden. Ich erzählte, dass mir mein entfernter Verwandter per SMS ankündigte, um acht Uhr am Alexanderplatz zu sein, und eine zweite SMS hinterherschob, in der in etwa stand, dass er noch ir gendwohin müsse und dort möglicherweise eine Zeit lang bleiben werde, aber dass er in einer halben oder in einer Stunde anrufen würde. Ich erzählte, dass er mich bat, weiter am Alexanderplatz auf ihn zu warten, dass ich von der Kälte eine Nackenstarre bekam und mein Rucksack langsam zur Qual wurde. Straßenbahnschienen liefen über den Alexander platz. An der Straßenbahnhaltestelle rauchte niemand, weil Rauchen verboten war. Niemand zündete sich eine Zigarette an, wie früher, als man gehofft hatte, mit einer angezündeten Zigarette die Straßenbahn herbei rufen zu können. Das war eine Regel der alten Schule. Die Zigarette war der Zauberstab des Stadtbewohners gewesen, aber mit jeder neuen Vorschrift wurde die Magie weniger. Alles war ausgeschrieben und ausge rechnet. Es war eine Zeit, in der die Straßenbahnen sich Alkoholikern, Schlägertypen, Stinkern, Keimträ gern und Pistoleros verweigerten. Eine Zeit der Straßenbahn-Quarantäne. Die Ordnung ging einher mit gesellschaftlichem Fortschritt. »Ich verstehe die Pointe nicht«, sagte Direktorka. »Warte, dazu komme ich noch«, sagte ich und blickte die staubigen Textilblumen auf unserem Tisch scharf an, um mich besser auf meine Erinnerungen aus die sem Jahr zu konzentrieren. Mein Ziel war es, Direktorka meine Erfahrung in ihrer abstoßenden Ganzheit dar zubieten. Ich sagte, Berlin sei zu jener Zeit für Neuankömmlinge ein widerlicher Eiswürfel gewesen, schon nach kurzer Zeit auf der Straße habe man schleunigst geschlossene Räume aufsuchen müssen, es habe je doch kaum Möglichkeiten gegeben, sich irgendwo auf zuwärmen, ohne Geld auszugeben. Nur in einem großen Einkaufszentrum wurde man nicht direkt aufgefordert zu konsumieren. Allerdings war der Zutritt jenen Menschen, die augenscheinlich arm waren, verboten. Die Besucher des Einkaufszentrums wurden von Müdigkeit und Grippe erfasst, durf ten aber dort zumindest im Rahmen der Öffnungs zeiten stundenlang herumhängen, Montag bis Freitag von neun bis einundzwanzig Uhr und samstags von neun bis neunzehn Uhr, bei den Hemden und in der Kosmetikabteilung, zwischen den Kaschmirpullovern und den Ausverkaufswaren. Man konnte sich nirgendwo hinsetzen, und ein Einkaufszentrum zu betreten bedeutete, einen Vertrag abzuschließen, wobei der Schritt durch die Karusselltür die Unterschrift war, mit welcher der Besucher sich dazu verpflichtete, bei einem Diebstahl die rechtlichen Konsequenzen zu tragen und darüberhinaus der Leitung des Einkaufs zentrums fünfzig Euro für die entstandene Mühe zu bezahlen. Ich wollte nichts stehlen, aber auch nichts kaufen, mir erschienen die Waren zu teuer. Spiegel 29,95 Showergel 7,95 Bodylotion 11,95 Hand creme 9,95 Mascara 12,95 Lidschatten 7,95 Nagellack 4,32 Seife 4,95 Massagebürste 9 Massagegurt 9,25 Bade mantel 134,95 Duschtuch 54,95 Handtuch 17,95 Gäste tuch 8,45 Kissenhülle grün 12,99 Kissenhülle rosa 14,95 Kissenhülle lila 5,95 Tischset rund 19,85 Tischset eckig 22,95 Badebombe 3,99 Badeseife, 100g 3,95 Schürze 19,95 Kenwood Toaster 69,99 Kenwood Kaffeemaschine 99,99 Kenwood Wasserkocher 69,99 Solac Stabmi xer 39,99 Philips Bügeleisen 49,99 Krups Nespresso-Maschine 149,99 Kitchen Aid Küchenmaschine 549,00 Blumen im Topf 10,95 Etagere 22,95 Tablett, weiß 39,90 Kissen 25,95 Kaffeebereiter 36,90 Eau de toilette, 30 ml 39,95 Uhr 49,90 Summe: 1.621,69 Ich sagte zu Direktorka, dass ich lange gewartet und mich umgesehen hatte, und dass, sobald die Tempera tur ein wenig gestiegen war, der Platz von verzweifelten jungen Menschen mit erniedrigenden Jobs überflutet wurde. Na klar. Jung und billig! Ausbeutung bei ungesicher tem Monatslohn# Im Namen von Samaritern, kranken Bären und schwarzen Babys streckten sie ihre von kaltem Schweiß bedeckten Hände aus, stellten sich mit ihrem echten Namen und ihrer einzigen Ehre vor und malträtierten ihre unwilligen Gesprächspartner so lange, bis diese endlich ihre Kontonummern herausrückten. »Also bitte, ich bin doch nicht blöd«, sagte Direk torka. »Ich bin für das Erzählen zuständig«, sagte ich. »Weißt du, was auf dem Haus gegenüber dem Platz früher geschrieben stand? Ein Zitat aus ›Berlin, Ale xanderplatz‹. ›Wiedersehen auf dem Alex, Hundekälte. Nächstes Jahr, 1929, wird’s noch kälter‹ stand früher dort. Und weißt du, was damals, als ich dort war, da stand, in der Hundekälte von Berlin? Da stand: ›Wer möchte nicht ein Büro sein, bei einer derart erstklas sigen Aussicht!‹« Ich setzte meine Ausführungen fort. Ich sagte, ange sichts der damaligen unbarmherzigen Umstände habe sich eine enorme Anzahl von Menschen als Grillwalker beworben. Eine Arbeit, die jeder erhalten habe, dem es gelang, aus einem Büro einen Verkaufsstand herauszu tragen, der ihm, wenn er an seinem Standort angekom men war, an einem Riemen um den Hals hing. Und ich sagte, dass Hunderte von ihnen bald darauf mit kleinen Hot-Dog-Kiosken um den Hals zum Alexanderplatz gestürmt seien, um bei Sonne, Regen und Schnee Hot-Dogs zu verkaufen. Ich sagte zu Direktorka, dass diese Leute von Zeit zu Zeit das eine oder andere Würstchen um 1,20 Euro verkauft hätten, davon aber nur 20 Cent für sich behalten...


Barbi Markovic, geboren 1980 in Belgrad, studierte Germanistik, lebt seit 2006 in Wien. 2009 machte Markovic mit dem Thomas-Bernhard-Remix-Roman "Ausgehen" Furore. 2016 erschien der Roman "Superheldinnen", für den sie den Literaturpreis Alpha, den Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises sowie 2019 den Priessnitz-Preis erhielt. 2017 las Barbi Markovic beim Bachmann-Preis. 2023 erhielt Barbi Markovic den Kunstpreis Berlin für Literatur. 2024 erhielt Barbi Markovic für "Minihorror" den Preis der Leipziger Buchmesse und den Carl-Amery-Literaturpreis für ihr literarisches Werk. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: "Die verschissene Zeit" (2021) und "Minihorror" (2023).



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