Marterbauer / Schürz | Angst und Angstmacherei | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Marterbauer / Schürz Angst und Angstmacherei

Für eine Wirtschaftspolitik, die Hoffnung macht
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-552-07330-2
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Für eine Wirtschaftspolitik, die Hoffnung macht

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-552-07330-2
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie bezahlen wir die wirtschaftlichen Folgen von Pandemie und Krieg? Markus Marterbauers und Martin Schürz’ Plädoyer für einen besseren Sozialstaat

Neoliberale Wirtschaftspolitik betrachtet Angst als mobilisierenden Faktor. Sie schürt Angst vor Altersarmut, sozialem Abstieg und dem bevormundenden Staat. Doch ist es das, was wir angesichts von Pandemie, Krieg und Klimakrise brauchen? Markus Marterbauer und Martin Schürz plädieren für eine Wirtschaftspolitik, die begründeten Ängsten gezielt entgegenwirkt, die Verängstigten bestärkt, Hoffnung weckt und Freiheit schafft. In einer Gesellschaft, in der Wenige Milliarden besitzen, darf es keine Armut geben, und es darf nicht mit Angstmacherei Politik betrieben werden. Ein Plädoyer für hohe Mindeststandards in einem besseren Sozialstaat, Löhne, von denen man gut leben kann, und eine Begrenzung des Reichtums.

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Hoffnung gegen Angst
Angst trifft die Menschen in Zeiten von Pandemie und Krieg unvermittelt. Der mit den hohen Energiepreisen verbundene markante Anstieg der Lebenshaltungskosten verschärft die ohnehin schwierige soziale Lage der Armen und der unteren Einkommensgruppen eklatant. Einschränkungen der Kaufkraft sind bis weit in die Mitte der Gesellschaft spürbar. Unter den Auswirkungen des Klimawandels, der zunehmenden sozialen Ungleichheit und der vielfältigen gesellschaftlichen Spaltungen leiden tendenziell alle. Doch die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich nicht für alle. Es gibt auch einige, die viel gewinnen. Die fünf Tech-Riesen Apple, Microsoft, Tesla, Amazon und Alphabet erzielten allein im Jahr 2021 einen Gewinn von 271 Milliarden Dollar, um 40 Prozent mehr als 2019. Die zehn reichsten Milliardäre der Welt besitzen etwa gleich viel Vermögen wie die ärmsten 40 Prozent der Menschheit. Allein Amazon und Google gaben in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 7,5 Millionen Dollar für offenes Lobbying in der US-Politik und vermutlich noch mehr an indirekten Zahlungen aus. Die indische Ökonomin Jayati Ghosh von der Universität Massachusetts nimmt diese Zahlen zum Anlass, eine Besteuerung der Übergewinne dieser »Vampirgesellschaften« und des Überreichtums der Milliardär:innen zu verlangen (Ghosh 2022). Während die einen viel zu wenig haben, um halbwegs gut leben zu können, haben die anderen viel zu viel. Sie haben nicht nur zu viel an Gewinnen und Vermögen, sondern auch ein Übermaß an Macht, welche sie in Wirtschaft, Medien und Politik einsetzen, um die Gesellschaft zum eigenen Vorteil und zum Nachteil der großen Mehrheit zu lenken. In der Wirtschaftsforschung schlägt sich diese gesellschaftliche Herausforderung bislang kaum nieder. Die Gleichzeitigkeit von Bedrohung der einen und wachsendem Überreichtum der anderen, von einem Viel-zu-Wenig und einem Viel-zu-Viel, von wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Polarisierung wird negiert. Sie wäre mit gesellschaftspolitischen Wertungen verbunden, und diese werden in den Wirtschaftswissenschaften nur ungern einbekannt. Politik wird verächtlich gemacht und dabei übersehen, dass bereits die Entscheidung, zu welchen Themen geforscht und welchen Fragestellungen nicht nachgegangen wird, auch auf subjektiven Wertungen der Forschenden basiert. Viele Ökonominnen und Ökonomen ziehen sich in eine vermeintlich unpolitische Modellwelt des allgemeinen Gleichgewichts zurück und treffen ad hoc Annahmen zum Verhalten von Menschen. Damit tragen sie zur Verteidigung eines fragwürdigen gesellschaftlichen Status quo bei, weil die eminenten Fragen nach Gerechtigkeit, sozialer Sicherheit, sinnerfüllter Arbeit und Freiheit keine Rolle spielen. Eine Auseinandersetzung mit den Ängsten und Hoffnungen der Leute passt nicht in ihre Denkkategorien. Die Wirtschaftsforschung negiert allzu oft die Möglichkeit der Gesellschaftsveränderung und ihren möglichen Beitrag dazu. In den Anfängen der modernen Ökonomie war das nicht so. Für Adam Smith, David Ricardo, Karl Marx und John Stuart Mill, die großen Begründer der klassischen Ökonomie des 18. und 19. Jahrhunderts, war es selbstverständlich, Analysen der wirtschaftlichen Zusammenhänge in Kombination mit philosophischen und moralischen Überlegungen zu verfolgen. Sie scheuten keine Werturteile. Heute sind es die Franzosen Thomas Piketty, Gabriel Zucman, der Amerikaner Dani Rodrik oder die Bulgarin Stefanie Stantcheva und viele ihrer Kolleg:innen, welche die Erforschung unseres Wirtschaftssystems mit Fragen der politischen Veränderbarkeit und konkreten Vorschlägen zu gesellschaftlichen Reformen verknüpfen. Gesellschaftskritische Ökonomie sieht sich nicht als Naturwissenschaft, sondern als Teil der Sozialwissenschaften. Sie leistet eine Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse und zielt auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen, vor allem der Benachteiligten. Das ist mit expliziten normativen Wertungen verbunden: Eine deutliche Verringerung der Vermögensbestände der Reichen würde eine effektive Bekämpfung von Armut ermöglichen. Die Einschränkung der individuellen Mobilitätswünsche vom Kurzausflug in den Weltraum bis zum Ankerplatz der Luxusyacht kann ein kleiner Teil des Kampfes gegen den Klimawandel sein. Wir legen in diesem Buch vorab unsere gesellschaftspolitischen Ziele offen: soziale Gerechtigkeit, Unantastbarkeit der menschlichen Würde, hohe Lebensqualität und mehr Freiheit für alle. Wir stehen in den sozialen Auseinandersetzungen auf der Seite der sozial Benachteiligten und der von Ängsten gequälten Menschen. »Wenn man die Welt ändern will, muss man die Wirtschaft ändern«, meinte der große österreichische Ökonom Kurt Rothschild. Gesellschaftskritische Ökonomie zielt daher auf konkrete wirtschaftspolitische Vorschläge, die Leid reduzieren und Ängste mildern, die die Lebensbedingungen der Armen und der arbeitenden Bevölkerung verbessern, die Sicherheit geben und Vertrauen schaffen, die einen angstfreien und solidarischen Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern und aus denen Hoffnung und Freiheit entstehen können. Wir halten jedoch nichts von der in der Wirtschaftsforschung weit verbreiteten Attitüde paternalistischer Problemlösung. Forschungsergebnisse verweisen auf Probleme, aber sie weisen noch nicht den Weg zur Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Lebensprobleme. Zu schnell geht es manchen Expertinnen und Experten darum, Anreize für die Arbeitsaufnahme durch Leistungskürzungen festzulegen oder mittels »kleiner Stupser« die Menschen zu einem adäquaten Verhalten zu dirigieren. Soziale Fragen sind jedoch meist komplex, und wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse fallen nicht mit den konkreten Lebenserfahrungen der Leute zusammen. Wissenschaftliche Erkenntnis kann nicht einfach in lebensweltliche Orientierung übersetzt werden. Wirtschaftspolitische Empfehlungen müssen stets im historischen und sozialen Kontext reflektiert werden. Interessengegensätze und ungleiche Verteilung von politischer und ökonomischer Macht sind zentral. Gerade die so gerne mit wissenschaftlicher Gewissheit vorgebrachten Empfehlungen der ökonomischen Fachleute erfüllen uns immer wieder mit Skepsis. Ihnen fehlt allzu oft die kritische Reflexion der Grenzen des eigenen Fachwissens und der implizit vorhandenen persönlichen Werturteile. Die Wirtschaftspolitik ist heute von der Idee bestimmt, dass Verhaltensanreize Menschen in die richtige Richtung lenken sollen. Wir sehen das kritisch. Denn in der Praxis bedeutet das eine Erhöhung des wirtschaftlichen Drucks und der sozialen Not. Die neoliberale Idee eines degressiven Arbeitslosengeldes, das den Sozialtransfer mit der Dauer der Arbeitslosigkeit absenkt, soll Anreize zur Aufnahme von Arbeit setzen. In der Realität zwingt sie Menschen entweder zur Annahme mieser Jobs, von denen sie nicht leben können, oder verschärft die ohnehin horrende Armut unter den Arbeitslosen. Die Menschenverachtung dieser Ideen ist offensichtlich. Sie stammen aus dem Laboratorium ökonomisch bessergestellter Eliten, die sich weder mit den Lebensrealitäten der Armen noch jenen der Beschäftigten auseinandergesetzt haben. Das fundamentale Recht auf politische Gleichheit würde bedeuten, dass die Benachteiligten an politischen Entscheidungen tatsächlich teilhaben. Sie hätten dann etwa auch die Chance, Verhaltensanreize für die Reichen zu formulieren. Die Wirtschaftswissenschaft müsste jedenfalls bereit sein, vernachlässigte Themen wie Elend und soziale Beschämung, Angst und Furcht einer demokratischen Befassung zuzuführen. Wir betrachten die Ängste und Hoffnungen der Leute in zwei unterschiedlichen Welten: in der des Einkommens und in der des Vermögens. In der Einkommenswelt lebt die überwiegende Mehrheit der Menschen von ihrem Einkommen aus selbständiger oder unselbständiger Arbeit. Nur sehr Reiche können von ihrem Einkommen aus dem Besitz an Aktien, Immobilien und Unternehmen leben. Arme, Arbeitslose und Pensionist:innen leben von Sozialtransfers. In der Einkommenswelt dominieren Lebenserfahrungen der Lohnarbeit. Die Löhne finanzieren den größten Teil des Sozialstaates. Die Schaffung des Sozialstaates war eine Antwort auf die Verwerfungen des Kapitalismus, auf die unvermeidbaren Gefahren des Lebens und die durch sie ausgelösten Ängste. Der Sozialstaat bedeutete enormen gesellschaftlichen Fortschritt. Doch es bestehen auch eklatante Schwächen und vielfältige Widersprüche. Viele Risiken im...


Schürz, Martin
Martin Schürz arbeitet als Psychotherapeut in Wien und forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten zur Vermögensverteilung in Europa. Er ist Lektor an der WU Wien. 2015 erhielt er den Progressive Economy Award des Europäischen Parlaments. überreichtum (2019) wurde mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch ausgezeichnet. Bei Zsolnay erschien Angst und Angstmacherei. Für eine Wirtschaftspolitik, die Hoffnung macht (2022) mit Markus Marterbauer.

Marterbauer, Markus
Markus Marterbauer, geboren 1965 in Uppsala (Schweden), studierte in Wien Volkswirtschaft, war von 1988 bis 1994 Assistent am Institut für Volkswirtschaft der WU Wien und arbeitete bis 2011 als Verantwortlicher für Konjunkturprognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Seit 2011 leitet er die Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien. Lehrbeauftragter an mehreren Universitäten und Kolumnist der Wiener Stadtzeitung Falter. Bei Zsolnay erschienen Wem gehört der Wohlstand? Perspektiven für eine neue österreichische Wirtschaftspolitik (2007) und Angst und Angstmacherei. Für eine Wirtschaftspolitik, die Hoffnung macht (2022) mit Martin Schürz. Bei Deuticke erschien 2011 bZahlen bitte! Die Kosten der Krise zahlen wir alle.



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