Martius | Persönlichkeitsstörungen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 114 Seiten

Martius Persönlichkeitsstörungen

Eine Einführung für die psychotherapeutische Praxis
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-17-038376-0
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Einführung für die psychotherapeutische Praxis

E-Book, Deutsch, 114 Seiten

ISBN: 978-3-17-038376-0
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Patienten mit Persönlichkeitsstörungen sind im klinischen Alltag eine Herausforderung, da ihre Symptomatik wechselhaft und vielfältig ist und dadurch die Diagnosestellung erschwert wird. Dazu kommt häufig eine Komorbidität mit anderen psychischen Störungen. Das Buch stellt in einem gründlichen Überblick Konzepte zum Verständnis dar und zeigt Möglichkeiten der Diagnostik und Behandlung im klinischen Alltag auf. Es hilft dabei, Menschen mit Persönlichkeitsstörungen im häufig wechselvollen Therapieverlauf angemessen und ohne Verlust der eigenen therapeutischen Haltung behandeln zu können.
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2          Diagnostik
    2.1       Drei Fallgeschichten
An den Beginn des Kapitels zur Diagnostik werden drei Fallgeschichten gestellt, an denen im Weiteren verschiedene Aspekte der diagnostischen Herausforderungen behandelt werden können. Das Vorgehen orientiert sich an Martius (2015, S. 172 ff.): Es werden aus mehreren tatsächlichen Anamnesen einzelne Episoden genommen und zu einer neuen Fallgeschichte zusammengesetzt. D. h., dass die geschilderten Ereignisse real sind, in der Zusammensetzung aber zum Schutz der Patienten eine Verfremdung vollzogen wird. Fallbeispiel 1: Cluster A
Herr T., ein gelernter Kaufmann Anfang 40, sucht psychotherapeutische Behandlung, weil er mit seiner Lebenssituation unzufrieden ist. Er lebt ledig und ohne jemals eine längere Partnerschaft gehabt zu haben bei seinen Eltern, geht einer geringfügigen Beschäftigung nach und ist die meiste Zeit im Internet unterwegs, allerdings auch hier nicht in festen Kreisen oder Plattformen. Als einziges Kind seiner Eltern, eines dominant auftretenden, ihn oft entwertenden Vaters und einer sich stets unterordnenden Mutter, hat er sich nach einer einzelgängerischen Schullaufbahn und einer kaufmännischen Ausbildung, über die er nichts Tiefergehendes zu berichten weiß, ungefähr zehn Jahre lang als Handlungsreisender beruflich einigermaßen erfolgreich betätigt. Er war froh, dass ihm seine Tätigkeit erlaubte, viel allein unterwegs zu sein. Sein Aufgabengebiet war so strukturiert, dass er im Wesentlichen Stammkunden aufsuchte, um die Nachbestellungen der Produkte seines Arbeitgebers am Laufen zu halten und gegebenenfalls Kundenwünsche aufzunehmen. Er musste nur begrenzt in soziale Kompetenzen investieren. In dieser Zeit lebte er selbstständig, ein Freundeskreis ließ sich seines Erachtens angesichts seiner Reisetätigkeit nicht aufbauen. Ein Versuch, sich beruflich umzuorientieren, vielleicht sogar einen Karriereschritt zu wagen, zumindest in finanzieller Hinsicht, ging schief. In einem Autohaus Kunden für einen Neuwagen zu begeistern, war überhaupt nicht seine Sache. Er verließ das Unternehmen, verlor beruflich Anschluss, kehrte ins Elternhaus zurück und verdiente sich über geringfügige Tätigkeiten etwas zu seinen Sozialleistungen dazu. Da er im Elternhaus nichts ausgeben musste, blieb ihm genügend zu leben – um den Preis, sich immer wieder besorgte mütterliche oder hämische väterliche Kommentare anhören zu müssen, die ihn zwar nervten, aber letztlich an ihm abperlten. Wenn er seine Lebenssituation nicht änderte, würde er in absehbarer Zeit die Eltern beerben mit Haus und Erspartem und davon ausreichend leben können. Er selbst sah in dieser Situation seine Probleme vor allem darin, dass er sich anderen nicht verständlich machen konnte und er auch andere nicht zu verstehen vermochte. Er schilderte während der ersten Gespräche mehrere Versuche, Kontakte zu Menschen aufzunehmen, die meistens so verliefen, dass er sich über basale Lebensdaten austauschte, dann eventuell noch versuchte, ein ihm sinnvoll erscheinendes Thema anzuschneiden, um dann im Laufe von einigen Treffen zu verstummen, weil er entweder nicht verstand, was die anderen von ihm wollten, weil es ihn langweilte oder weil er sich über irgendein Detail ärgerte. Aufforderungen, sich doch wieder zu melden, kam er nicht nach. Seine typische Reaktion auf Nachfragen über sein Leben und die Reaktionen anderer war ein Schulterzucken. Nachdem sich in einigen Stunden Einzeltherapie eine gewisse Vertrautheit eingestellt hatte, ließ sich Herr T. darauf ein, seine Problematik im Rahmen einer Männergruppe gruppentherapeutisch weiter zu untersuchen. Hier war er durchaus gut gelitten, aber auch hier wiederholte sich die Erfahrung, dass er sich zwar äußern konnte, aber überwiegend empfand, dass er nicht verstehe, über was gesprochen werde, was die anderen von ihm wollten oder warum er eigentlich gut gemeinte Ratschläge überhaupt berücksichtigen sollte. Er könne schon sehen, wenn er innerlich neben sich trete, dass er irgendwie bequem und passiv sei, aber er finde, wenn er wieder bei sich sei, keinen Sinn darin, das zu ändern. Die Frage nach Ängsten und Emotionen verneinte er kategorisch. Ärger könne er schon wahrnehmen, auch als Motivationsbremse. Herr T. beendete nach dem erfüllten Kontingent der Kurzzeittherapie seine Behandlung. Fallbeispiel 2: Cluster B
Frau M. ist eine 30-jährige Studentin, aktuell alleinlebend. Sie sucht Psychotherapie nach wiederholten stationären psychiatrischen Kriseninterventionen und klinischen psychosomatischen Aufenthalten, die infolge einer Kombination von Borderline-Störung, Panikattacken, Bulimie mit starken Gewichtsschwankungen, depressiv-suizidalen Einbrüchen und gelegentlich eskalierendem selbstverletzendem Verhalten oder Benzodiazepin-Missbrauch nötig wurden. Verschiedentlich konnte sie mit einiger Mühe die Einrichtung einer Betreuung verhindern. Ähnlich dramatisch wie die Einführung in ihre Probleme beschreibt sie auch ihr bisheriges Leben. Sie ist die ältere von zwei Geschwistern eines Ehepaars, das sich in jeweils zweiter Ehe gefunden hatte. So war sie einerseits im Haushalt das älteste Kind, aber aus den vorausgegangenen Beziehungen gab es insgesamt drei ältere Stiefgeschwister und es kamen noch weitere jüngere Stiefgeschwister dazu, nachdem die Eltern sich im 8. Lebensjahr der Patientin getrennt hatten und wieder in neue Partnerschaften gingen. Dadurch veränderte sich ihre Rolle und Funktion je nach Konstellation der Patchwork-Familien. Der Vater war ihr Liebling. Er war beruflich unstet, mit wechselnden Beschäftigungen im Dienstleistungsbereich. Die Mutter war im therapeutischen Bereich unterwegs, hatte sich diverse Qualifikationen als Coach und im Palliativbereich erworben. Der jüngere Bruder hielt sie mit Drogenproblemen und Beschäftigungskriminalität in Atem, kam schließlich in eine forensische Psychiatrie. Die Patientin erkämpfte sich mit Hilfe von Lehrern, die sie förderten, das Gymnasium, und konnte sich nach dem Abitur sogar ein Studienstipendium sichern. Sie studierte im kommunikationswissenschaftlichen Bereich, unter anderem verbunden mit zwei Auslandssemestern außerhalb Europas. Die berufliche Entwicklung gelang ihr trotz der sich seit dem 16. Lebensjahr entwickelnden psychischen Symptomatik. Diese begann zunächst mit einer Essstörung und Prüfungs-bezogenen Panikattacken. Ab dem Studienbeginn gesellten sich die oben genannten psychischen Schwierigkeiten dazu. Zwischen den stationären Therapien, die sie meist in die vorlesungsfreien Zeiten legen konnte, nahm Frau M. zunächst eine ambulante Verhaltenstherapie auf. Dadurch lernte sie wie auch während der stationären Aufenthalte Skills und weitere Emotions-regulierende Maßnahmen der DBT. Danach wandte sie sich psychodynamischen Therapeuten zu. Bei der Suche erfuhr sie wiederholt Kränkungen, zum Teil wegen ihrer Sucht, zum Teil, weil sie »zu kompliziert« sei oder weil man »keine Lust auf eine weitere Borderline-Patientin in der Praxis« habe. Schließlich verwickelte sie sich mit einem Therapeuten in hoch ambivalente Übertragungsmuster zwischen Kontrolle und großer emotionaler Nähe, erinnerte in diesem Zusammenhang verschiedentliche Übergriffe von Partnern der Mutter, die sie mit Mühe hatte abwehren können. Therapeutinnen brachte sie meist rasch aus der Fassung, was zu weiteren Behandlungsabbrüchen führte. Von einer auf die Borderline-Störung spezialisierten Klinik erhielt sie eine Adresse für einen Therapeuten, der ihr eine Störungs-spezifische Therapie anbieten konnte, als Vorbedingung für eine stationäre Intervallbehandlung (mit geplanten und zeitlich begrenzten statt Anlass- bzw. Krisen-bezogenen Aufnahmen). Auch ihre Beziehungen waren entsprechend chaotisch. Nie war es ein Problem, sexuelle Abenteuer einzugehen, unabhängig davon, wo sie mit ihrem BMI, der im Rahmen der Bulimie stark schwankte, gerade stand. Schwierigkeiten ergaben sich aber bei der Aufrechterhaltung von Beziehungen. Emotional stabilisierend war am ehesten noch die Möglichkeit, in einem Tierheim regelmäßig schwierige Tiere zu betreuen. Diesbezüglich wurden ihr besondere Fertigkeiten zugesprochen. Fallbeispiel 3: Cluster C
Herr V. ist ein 41-jähriger Mann, der sich nach der Trennung von einer »Borderlinerin« mit einer depressiven Symptomatik beim Therapeuten meldet. Er ist Verwaltungsangestellter in einer unbefristeten öffentlichen Beschäftigung, neuerdings ledig und alleinlebend. Er bewohnt seit über 20 Jahren das Haus des damals verstorbenen Onkels in unmittelbarer Nähe seines Elternhauses, in dem seine frühberentete alkoholkranke Mutter mit ihrem ebenfalls alkoholkranken Partner und ein Hund leben. Bezüglich der Trennung ist er einerseits...


Prof. Dr. med. Philipp Martius ist Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie in eigener Praxis, Lehrtherapeut, Supervisor und Vorsitzender des TFP-Instituts München.



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