Martschini GlückLos
Erstauflage 2020
ISBN: 978-3-96074-165-7
Verlag: Papierfresserchens MTM-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Bad Auer Trilogie, Band 2
E-Book, Deutsch, 164 Seiten
ISBN: 978-3-96074-165-7
Verlag: Papierfresserchens MTM-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das Morden geht auch nach dem Unfalltod des verschrobenen Musiklehrers Eckart Glück weiter. Zumindest sollte es das nach Ansicht so mancher Lehrerkollegen, die die neue Direktorin des Bad Auer Gymnasiums mit allen Mitteln loszuwerden versuchen. Allerdings sind ihre glücklosen Mordversuche nicht von Erfolg gekrönt. Erst kalte Berechnung einer im Grunde Unbeteiligten führt zum gewünschten Ziel: Frau Direktor Glaunigg-Althoff sucht das Weite und verschwindet spurlos.
Im zweiten Band der Trilogie rund um das Leben und Sterbenlassen im schrecklich idyllischen Kurort Bad Au steht die Schule im Zentrum des Geschehens. Hier werden Machtspielchen gespielt und Intrigen gesponnen, aber auch neue Freundschaften geschlossen und alte Partnerschaften erneuert. Und was sich dort in der kalten Jahreszeit alles ereignet, bespricht man am besten bei Kaffee und Kuchen im etwas altmodischen, aber umso liebenswürdigeren Café Sisi.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
o Im Café Sisi
„Die jungen Leute heutzutage wissen auch nicht mehr, was sich gehört“, entrüstete sich die alte Dame, die gemeinsam mit einem etwa ebenso alten Herrn an einem der runden Marmortischchen im Café Sisi saß. „Dieses Schmatzen ist ja unerträglich.“ Sichtlich angewidert wandte sie ihren Kopf mit der kunstvoll aufgesteckten Frisur vom hinteren Teil des Kaffeehauses ab und ihrem Gegenüber zu, das gerade im Begriff gewesen war, ihr etwas zu sagen. Etwas, das die alte Dame mit dem kritischen Gehör jedoch überhört hatte, weil sie vollauf damit beschäftigt gewesen war, die im Halbdunkel des Cafés knutschenden Jugendlichen mit Missachtung zu strafen. „Dieser junge Mann“, begann das Gegenüber, Alois Hirschhauser mit Namen und Stammgast im Café Sisi, erneut und meinte damit ganz offensichtlich nicht sich selbst, wäre er doch schon vor zwanzig Jahren nur noch aus der Sicht eines 100-Jährigen tatsächlich jung zu nennen gewesen. „Dieser junge Mann, der immer im Café Sisi war“, setzte er noch einmal an, unterbrach sich jedoch sogleich selbst. „Ach, du erinnerst dich ja nicht an ihn“, murmelte er. Ihm war nämlich noch deutlich eine Diskussion im Gedächtnis oder, in seinem Jargon, ein Gespräch, die respektive das die beiden Herrschaften eine gute Woche zuvor über die Abwesenheit eines gewissen Gastes im beziehungsweise vom Café Sisi geführt hatten, wobei die den Dativ nach sich ziehende Präposition von hier nicht aus Gründen der Besitzgier oder -anzeige hinterrücks den Genitiv zu meucheln im Sinn hatte, sondern allein der Abwesenheit geschuldet ist, die ja immer eine Abwesenheit von einem bestimmten Ort ist. In diesem Fall eben vom Café Sisi, in dem besagter Stammgast gerne oder zumindest oft verkehrt hatte, sofern man die zumeist schweigende Konsumation in einem Kaffeehaus mit Verkehr gleichsetzen konnte, und in dem Alois Hirschhauser gemeinsam mit der alten Dame mit dem empfindsamen Gehör saß. „Der mit den langen Haaren und den traurigen Augen?“, überraschte ihn jetzt dieselbe Dame, die in Bad Au als Frau Hildegard Binsen, Pardon, Frau Doktor Hildegard Binsen bekannt war, da sie einst in jüngeren Jahren, die beinahe ebenso lange wie die des Herrn Hirschhauser zurücklagen, den Kurarzt Doktor Kurt Binsen geheiratet hatte. Nun hätte man vielleicht argumentieren können, dass sie nach dem Tod des Gatten mitsamt dessen nicht unerheblicher Pension auch seinen Doktortitel geerbt hatte. Dem war aber nicht so. Frau Doktor Binsen war sie schon lange vor dem Tod des Gemahls gewesen, wobei das Vernachlässigen des Binsen dem solcherart Säumigen gnädig verziehen wurde. Mangels eigenen Titels den des Mannes zu führen, war in Frau Doktor Binsens Augen oder Ohren ein pflegenswertes Relikt aus der guten alten Zeit, in der Frauen die Ausbildung an der Universität versagt, sich einen Erfolg versprechenden Mann zu angeln hingegen für jede von ihnen angesagt gewesen war. Alois Hischhauser hatte sich mit diesem Problem nie konfrontiert gesehen, was nicht nur daran lag, dass er als ehemaliger Friseur einer universitären Ausbildung nicht bedurfte. Vielmehr hatte er Frau Doktor Binsen noch als Hildegard Bauernfeind kennengelernt und sich damit, vielleicht aber auch durch seine Liebenswürdigkeit und Loyalität gegenüber der nicht immer ganz einfachen Freundin, das Privileg erworben, selbst nach der Hochzeit weiterhin Hildegard sagen zu dürfen. Beklagenswerterweise hatte sich heutzutage vor allem in kleinstädtischen Gewerbe- und Gastronomiebetrieben die Unart eingeschlichen, jemanden zwar mit Herr oder Frau anzusprechen, dem aber nicht etwa den Nach-, sondern den Vornamen folgen zu lassen, als wäre ein nachgereihter Vorname nicht ein Widerspruch in sich. Wobei der Vorzug des Vornamens durch eine nachfolgende geschlechtsspezifische Anrede aufgehoben worden wäre, sich der Widerspruch aber eigentlich aus der förmlichen Anrede und dem unförmigen, nein, formlosen Vornamen ergab, weshalb also die Form Doktor Hildegard einen noch größeren Widerspruch dargestellt hätte. Mit anderen Worten: Alois Hirschhauser hielt an alten Gewohnheiten fest, sprach seine Hildegard mit Hildegard und Petra Sandor, die gemeinsam mit ihrem Mann Istvan das Café Sisi betrieb, mit Fräulein an, wohl wissend, dass der jungen Frau – also Frau Sandor – eine andere Bezeichnung gebührt hätte. Aber im Kaffee- oder Gasthaus sagte man oder zumindest jedenfalls Herr Hirschhauser lieber „Ober“ und „Fräulein“. Da schmeckten der Kaffee und das Schnitzel einfach besser. Jetzt blickte Alois Hirschhauser die ihm gegenübersitzende Hildegard Binsen erstaunt an. Ohne ihrerseits den Blick von ihrer Kaffeetasse zu heben, sagte die alte Dame: „Nein, ich erinnere mich nicht an ihn, sondern daran, dass du letzte Woche davon gesprochen hast, dass hier ein junger Mann mit langen Haaren und traurigen Augen war, weil ich mir dabei gedacht habe, dass diese Beschreibung eher auf eine Frau als auf einen Mann passt.“ „Habe ich lange Haare gesagt?“, wunderte sich Alois Hirschhauser. „Ich habe gesagt, längere Haare.“ „Na eben, nicht nur lange, sondern sogar längere Haare“, behaarte, nein, beharrte Hildegard Binsen. „Längere Haare müssen doch noch lange nicht lang sein“, erklärte Herr Hirschhauser. „Richtig“, stimmte Frau Doktor Binsen ihm jetzt zu, wobei der Sarkasmus in ihrer Stimme kaum zu überhören war, „genauso wie die ältere Generation beileibe nicht alt ist.“ „Na siehst du“, versuchte ihr Begleiter einzulenken, ohne seine Position aufgeben zu müssen, „genauso sind längere Haare auch nicht automatisch länger als lange Haare. Außerdem kann auch ein Mann lange Haare haben. Heutzutage ...“ Dieses Mal war es Hildegard Binsen, die ihn unterbrach. „Was ist denn nun mit diesem jungen Mann?“ „Gar nichts ist mit ihm“, sagte Herr Hirschhauser und fügte, als er den leicht irritierten Blick der Freundin spürte, rasch hinzu: „Nichts mehr. Er ist nämlich verstorben.“ „Was? Einfach so, wo er doch noch so jung war?“ „Ich weiß nicht, wie jung er war, jünger halt. Aber er ist nicht einfach so gestorben, sondern von einem Auto überfahren worden. Gar nicht weit vom Café Sisi.“ Und als müsste er sein Wissen über den Unfalltod des jüngeren Mannes mit den längeren Haaren rechtfertigen, stellte er fest: „Deshalb haben wir ihn hier seit Wochen nicht gesehen.“ „Das macht natürlich Sinn“, sagte Hildegard Binsen und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. „Ob das Sinn macht, weiß ich nicht“, entgegnete Herr Hirschhauser, „immerhin steht so ein Mensch doch mitten im Leben, hat einen Beruf und eine Familie. Und dann wird er plötzlich aus allem herausgerissen.“ „Ich meine doch nicht den Unfall“, schnaubte Frau Doktor Binsen, „sondern dass er deswegen nicht mehr hier ist.“ „Ach so“, sagte Alois Hirschhauser kleinlaut und widmete sich seinem Marmorguglhupf, den er heute statt der üblichen Torte bestellt hatte. Wenigstens hierbei an alten Traditionen festhaltend, trennte er mit der Gabel fein säuberlich die hellen von den dunklen Teigpartien. Eine liebe Gewohnheit aus seinen sehr jungen Jahren, auch Kindheit genannt. „Woher weißt du überhaupt von dem Unfall?“, fragte Hildegard Binsen jetzt. „Von meiner Enkelin, der Elfi. Die ist Therapeutin und betreut die Frau, die das Unfallfahrzeug gelenkt hat“, erklärte ihr Begleiter. „Die das Unfallfahrzeug gelenkt hat“, äffte Frau Binsen, der heute mehr als eine Laus in den Kaffee gefallen sein musste, ihn nach. „Wie du heute sprichst, Pardon, wie du dich ausdrückst: Unfallfahrzeug und verstorben.“ „Nein, das Fahrzeug ist nicht ...“ „Ich weiß, dass das Fahrzeug nicht verstorben ist. Aber wieso braucht diese Frau eine Therapie? Ist sie bei dem Unfall auch verletzt worden?“ „Nein, ja, also von der Lenkerin des Unfallfahrzeugs spricht die Elfi immer. Das sagt man so. Und dass sie psychisch einen Schaden davongetragen hat. Sie kann nicht mehr arbeiten, weil sie diesen Mann gekannt hat. Deshalb kommt sie jetzt zur Elfi.“ Alois Hirschhauser blickte seine Freundin unsicher an, als wäre ihm selbst seine Rede nicht ganz durchsichtig. Vielleicht fürchtete er aber auch nur, dass er Hildegard Binsen mit einer unbeholfenen Formulierung aufs Neue verärgert hatte. Tatsächlich schienen sich die Falten auf der Stirn der alten Dame weiter vertieft zu haben. „Weil diese Frau also versehentlich – es war doch sicherlich ein Versehen? – einen Bekannten überfahren hat, geht sie jetzt bei deiner Enkelin Elfriede in Therapie?“, fragte sie. „Genau“, gab Alois Hirschhauser erleichtert zur Antwort, „sie ist nämlich Psychologin, die Elfi.“ Herrn Hirschhausers Erleichterung währte freilich nur kurz, denn für Hildegard Binsen war das Thema keineswegs abgeschlossen. „Das hätte es früher nicht gegeben“, stellte sie fest, „Psychologen und so. Das haben wir alles nicht gebraucht.“ „Gegeben hat es die nicht“, stimmte Herr Hirschhauser ihr zu, „aber gebraucht hätten wir sie vielleicht schon manchmal. Damals...