E-Book, Deutsch, 320 Seiten, E-Book Epub
Martynkewicz Tanz auf dem Pulverfass
2. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8412-1297-9
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gottfried Benn, die Frauen und die Macht
E-Book, Deutsch, 320 Seiten, E-Book Epub
ISBN: 978-3-8412-1297-9
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Rasender Mensch ist er und sehr stark.« Else Lasker-Schüler
Else Lasker-Schüler, Tilly Wedekind, Mopsa und Thea Sternheim – Gottfried Benns amouröse Abenteuer sind legendär, obschon er auf den ersten Blick wenig anziehend wirkte. Wolfgang Martynkewicz schildert Benn als Dichter und Liebenden in einer Zeit, in der die festen Bezugspunkte schwankten.
Im Februar 1917 besuchte der junge Militärarzt und Dichter Gottfried Benn die Familie Sternheim in La Hulpe bei Brüssel. »Stark. Bedeutend. Aber schrecklich zugleich«, schreibt Thea Sternheim in ihr Tagebuch. Diese Mischung aus Bewunderung und Abscheu ist typisch für die Art und Weise, wie Frauen Gottfried Benn sahen. Benn stellte infrage, was der bürgerlichen Welt heilig war: das ästhetische Empfinden, den guten Geschmack und die Moral. Aus der Begegnung mit Thea Sternheim und ihrer Tochter Mopsa entwickelt sich eine Ménage-à-trois, die bis in die 50er Jahre anhalten wird. Meisterhaft erzählt Wolfgang Martynkewicz eine Lebens- und Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der heraufziehenden Konflikte des 20. Jahrhunderts.
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Spielen ist alles
Ach, man würfelt immer mal wieder und hofft auf drei Sechsen. Benn im Gespräch mit Ursula Ziebarth, 1954 »Sie war klein, damals knabenhaft schlank, hatte pechschwarze Haare, kurzgeschnitten, was zu der Zeit noch selten war, große rabenschwarze bewegliche Augen mit einem ausweichenden unerklärlichen Blick.«1 So erinnert sich Gottfried Benn 1952 an Else Lasker-Schüler, die verehrte Dichterin, die er 1912, vielleicht auch erst 1913 (man weiß es nicht ganz genau), kennen- und – auch davon weiß man eigentlich wenig – lieben gelernt hatte. So ziemlich alles, was wir von dieser Liebe wissen, ist in Form von Gedichten und fiktionalen Texten überliefert. Da ist Vorsicht geboten – und Vorsicht ist selbst da geboten, wo es um ›Erinnerungen‹ geht. Benn kann sich an einiges erinnern, nicht nur an Figur, Haare, Augen und Blick, sondern auch an die bemerkenswerte Kostümierung der Dichterin, sie trug »extravagante weite Röcke oder Hosen, unmögliche Obergewänder, Hals und Arme behängt mit auffallendem, unechtem Schmuck, Ketten, Ohrringen, Talmiringen an den Fingern, und da sie sich unaufhörlich die Haarsträhnen aus der Stirn strich, waren diese, man muß schon sagen: Dienstmädchenringe, immer in aller Blickpunkt«2. Hat sie sich so gekleidet, so verkleidet? Mit Sicherheit kann man es nicht sagen. Sigrid Bauschinger, die Biographin Else Lasker-Schülers, schreibt, dass es von einer solchen Kostümierung »kein Bild« gäbe, es könne jedoch sein, dass sich Lasker-Schüler zuweilen so angezogen habe.3 Was das Aussehen und Auftreten der Dichterin angeht, so stand Benn mit seiner abschätzigen Beschreibung nicht allein. So sehr man in literarischen Kreisen ihre Gedichte lobte, ihr schrilles Erscheinungsbild war nicht jedermanns Sache, so mancher aus dem bürgerlichen Publikum entrüstete sich – eine Frau, die sich derart in Szene setzte, das war degoutant – freilich, so wollte sie auch wahrgenommen werden. Im März 1916 besuchte Thea Sternheim eine Veranstaltung mit Else Lasker-Schüler in München: »Man stelle sich vor: Eine in den Dreissigern stehende Frau mit kurzen Haaren und auffallend stumpfen Fingern, zerzaust, wie durch Betten gerollt, liest in verdunkeltem Raum beim Schein zweier Kerzen vor einer Kalas einigen zwanzig Leuten, die erschüttert scheinen ihre jüdischen Balladen vor. Ich hörte da ich erst zum Schlusse der Vorlesung kam nur noch zwei. Sie beeindruckten mich ebenfalls, aber die Aufmachung der Frau ist nicht geeignet mich anzuziehen.«4 Die Dichterin, es ist bekannt, liebte das Maskenspiel, sie erfand Kunstfiguren, Doubles: Tino von Bagdad oder Prinz von Theben – ein Spiel mit Namen, aber nicht nur mit Namen, sie stattete die von ihr erfundenen Figuren mit Legenden aus, in denen sie zu leben versuchte, und kostümierte sich im Stil ihrer orientalisierten Phantasiegestalten. Um 1910 zeigte sie sich als Performance-Künstlerin in knabenhaft-männlichen Gewändern – Frauenkleider, die sie nach eigenem Bekunden nicht mochte, hätten zu ihrer Rolle als Prinz von Theben freilich auch nicht gepasst. In Benns Rede »Erinnerungen an Else Lasker-Schüler«, die er im Februar 1952 im Berliner »British Centre« auf einer Gedenkveranstaltung zu Ehren der Dichterin hält, beansprucht er, einen anderen, unverstellten Blick auf die Künstlerin zu haben und sie besser zu kennen als alle anderen. Im »heutigen Berlin«, so sagt er gleich am Anfang seines Textes, gehöre er zu den »wenigen«, die sie »persönlich kannten« und sicher sei er »der einzige, dem sie eine Zeitlang sehr nahestand«.5 Nicht nur das, er sei »vermutlich auch der einzige, der am Grab ihres Sohnes Paul neben ihr stand«6. Ein intimer Freund und Vertrauter der Künstlerin also, darüber hinaus aber auch ein Zeitgenosse und literarischer Weggefährte, einer, der, wie Else Lasker-Schüler selbst, aus der Generation des expressionistischen Aufbruchs stammt. Benn blickt zunächst zurück auf die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, die Belle Époque: »Es war 1912, als ich sie kennenlernte. Es waren die Jahre des ›Sturms‹ und der ›Aktion‹, deren Erscheinen wir jeden Monat oder jede Woche mit Ungeduld erwarteten. Es waren die Jahre der letzten literarischen Bewegung in Europa und ihres letzten geschlossenen Ausdruckswillens.«7 Benns große Zeit, eine, wie er sie auch in anderen Zusammenhängen schildert, heroische Zeit, der Anfang seiner Laufbahn als Dichter und zugleich die Geburtsstunde jener ›großen Generation‹, von der er immer wieder schwärmt. Benn erwähnt den ersten Gedichtband Else Lasker-Schülers, »Styx«, der 1902 erschien, und die von ihm besonders geschätzten »Hebräischen Balladen« – »vollendet im großen Stil«. »Gottfried Benn ist der dichtende Kokoschka. Jeder seiner Verse ein Leopardenbiß, ein Wildtiersprung.«
– Else Lasker-Schüler, 1912 Nach diesem Präludium geht er zur Nahaufnahme über. Er zeichnet das Bild einer Frau, die nicht in die bürgerliche Welt passte bzw. nicht zu ihr gehören wollte, einer Vagabundin.8 Sie lebte in Halensee in einem möblierten Zimmer, und habe, bis zu ihrem Tod im Januar 1945 in Jerusalem, nie eine eigene Wohnung besessen. Sie führte ein unstetes Leben am Rande der Gesellschaft, in der sogenannten Boheme. Nie konnte sie irgendwo wirklich Fuß fassen, nie sesshaft werden, eine umherschweifende, wurzellose, nomadische Existenz. Ihr Leben fristete sie in engen Kammern, »vollgestopft mit Spielzeug, Puppen, Tieren, lauter Krimskrams«.9 Eine Frau, die zwanghaft hortet und Dinge zusammenträgt, die für Außenstehende keine Bedeutung haben – »lauter Krimskrams« eben. Dazu passt dann auch der merkwürdige Kleidungsstil, den Benn unter dem Vorzeichen des Unechten, Übersteigerten, Überkandidelten und Skurrilen beschreibt. Was Benn aber besonders herausstellt, was ihn scheinbar frappiert, aber auch brüskiert, das war die uncharmante und geradezu herausfordernde Haltung, mit der sich die Künstlerin coram publico in Szene setzte. Spätestens, wenn er ihre »Dienstmädchenringe« erwähnt, spürt man Verachtung und Aggressivität. So, wie Benn die Dichterin beschreibt, legte sie es darauf an, nicht als Dame, sondern als Vagabundin erkannt zu werden. Er zeigt sie als eine Frau, die ihr Äußeres provokant darbot, die auffällt und auffallen wollte. Gleichwohl konnte man ihr nicht in die Augen sehen, sie hatte einen »ausweichenden und unerklärlichen Blick«.10 Mit anderen Worten, bei aller Zurschaustellung, die ihr eigen war, sie gab sich nie ganz den Blicken der Anderen preis. War nicht ihr bizarres Äußeres nur Maskerade, ein Versuch, sich zu verhüllen, ihr Ich zu schützen? Auf Benn jedenfalls wirkt der ganze Aufzug ordinär – eine Dame, die etwas auf sich hält, zeigt sich nicht so in der Öffentlichkeit, das ist schlicht geschmacklos und bringt einen Mann in Schwierigkeiten: »Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Straße gehen, ohne daß alle Welt stillstand und ihr nachsah.«11 Für Benn, der 1912 noch damit liebäugelte, eine Karriere als Arzt zu machen und eine bürgerliche Existenz zu begründen, konnte diese Frau nicht präsentabel gewesen sein. Noch 1952 schreckt er förmlich vor ihr zurück und nimmt Lasker-Schüler aus einer Mischung von Bewunderung und Abscheu wahr. Einerseits feiert er sie als »die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte«12; in dieser Hinsicht kann er sich gar nicht genugtun, ihre Sprache zu loben, »ein üppiges, prunkvolles, zartes Deutsch, eine Sprache reif und süß, in jeder Wendung dem Kern des Schöpferischen entsprossen«13. Andererseits lösen ihre Themen, die, wie Benn bemerkt, »vielfach jüdisch« waren, eine gewisse Irritation bei ihm aus. Das Jüdische erscheint ihm wie ein Appendix. Und er wundert sich darüber, dass die Dichterin zeitlebens an diesem Thema festhielt, obwohl die Juden ihr nie den Rang zusprachen, der ihr eigentlich gebührte. Benn führt das darauf zurück, dass Person und Werk durch einen »exhibitionistischen Zug« gekennzeichnet seien. Lasker-Schüler »exponierte ihre schrankenlose Leidenschaftlichkeit, bürgerlich gesehen, ohne Moral und ohne Scham«.14 Mit diesem Exhibitionismus, behauptet Benn, hätte sich niemand identifizieren wollen. Und Benn? Wie reagierte er 1912 auf die »schrankenlose Leidenschaftlichkeit« einer Frau, die immerhin siebzehn Jahre älter war als er? Die 43-jährige Else Lasker-Schüler, Tochter eines Wuppertaler Bankiers, gerade das zweite Mal geschieden, alleinerziehende Mutter, und der 26-jährige Benn, Sohn eines protestantischen Pfarrers aus Brandenburg, ein angehender Arzt, der sich zum Dichter berufen fühlte und soeben mit dem Zyklus »Morgue« in spektakulärer Art und Weise die literarische Bühne betreten hatte – »ein blonder schlanker, typisch preussisch aussehender Mensch«15. Sie waren – bei Licht besehen – ein ziemlich ungleiches Paar. Nicht nur, was den Altersunterschied und ihre Herkunft betraf, auch in ihrer Einstellung zur Kunst lagen sie weit auseinander. Für Else Lasker-Schüler waren Gedichte immer auch Botschaften, sie sollten sich an jemanden richten und waren dazu da, neue Räume zu schaffen, mit den Mitteln der Fiktion sollte die Wirklichkeit erweitert und vertieft werden. Im Gegensatz dazu hat Benn darauf beharrt, dass Gedichte sich an niemand richten sollen, sie entstehen nicht, sondern werden »gemacht«16, gemacht aus Worten, nicht aus Gefühlen und Phantasien: »Gedichte müssen nackt u. geschichtslos dastehn.«17 Mussten...