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E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Marzi / Knappertsbusch / Naumann Fragen zu einer Biologischen Technik

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

ISBN: 978-3-87468-381-4
Verlag: Karl Maria Laufen Buchhandlung und Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



In der deutschen Wissenschaftsszene und Forschungspolitik hat das Interesse an einer biologischen Technik unter Anwendung der Begriffe "Biologisierung oder "Biologische Transformation" in den letzten Jahren zugenommen. In dem vorliegenden Titel geht es um die Fragen: Entsteht durch die Übertragung biologischer Prinzipien in andere Bereiche eine verträglichere Technik oder Wirtschaft? Was sind das für Komponenten, Erkenntnisse, Prinzipien oder Methoden, die übertragen werden können und was liegt seinem Wesen nach dann vor: Etwas Lebendiges oder etwas Technisches? Um sich Antworten auf diese Fragen anzunähern, muss auch nach den Unterschieden zwischen technischen Verfahren und Lebewesen gefragt und nach Gemeinsamkeiten zwischen diesen gesucht werden.
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2Lebewesen und Technik – Teil 1
Abbildung 4: Bible moralisée, Buchmalerei, unbekannter Künstler (ca. 1250).
Das Bild zeigt die zielgerichtete, planende »Konstruktion« der Welt durch Gott. 2.1Zielgerichtetheit in Natur und Technik Im vorliegenden Kapitel erfolgt eine erste Annäherung an die Wesensunterschiede, die zwischen Natur und Technik bestehen. Hierzu ist es hilfreich, zunächst einen rein technischen Vorgang zu betrachten, wie den in Abbildung 5 dargestellten Bau eines Hauses. Was wird benötigt und was muss geschehen, wenn ein solcher Hausbau umgesetzt werden soll? Aristoteles unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen sogenannten »inneren Formal- und Materialursachen« und »äußeren Zweck- und Wirkursachen« ((Anzenbacher 2010), S. 80 ff.). Die inneren Ursachen bestehen aus dem Bauplan (Formursache) und den Baustoffen (Materialursache), während es sich bei den äußeren Ursachen um die Arbeit der Bauarbeiter (Wirkursache) und die Absicht handelt, in dem fertigen Haus zu wohnen (Zweckursache). Hier scheint zunächst ein kausaler Widerspruch vorzuliegen, da ja das Ziel, das erst entstehende, noch nicht vorhandene Haus, auf das aktuelle Geschehen einwirkt. Dieser Widerspruch ist jedoch nur scheinbarer Natur, da nicht das reale zukünftige Haus die Ursache für das Handeln der Bauarbeiter ist, sondern die geistig vorhandene Absicht des Bauherrn. Dieser möchte in einem Haus wohnen und löst mit seiner in die Zukunft gerichteten, aber in der Gegenwart vorhandenen Absicht die Handlung der Bautätigkeit aus. Hierdurch nimmt er das Ende der Handlung, das fertige Haus, gedanklich vorweg, sodass Zukünftiges symbolisch repräsentiert wird (Toepfer 2006b). Unter Ursachen im aristotelischen Sinne sind also nicht nur kausale Ablauffolgen zu verstehen, in denen ein zeitlich früheres Ereignis das nächste »verursacht«, sondern auch Antworten darauf, »warum« ein Ereignis stattfindet oder ein Vorgang erfolgt. Einem technischen Vorgang sind somit ein zielgerichtetes Handeln, eine Absicht und eine Zwecksetzung durch den Menschen wesentlich. Man kann auch sagen: Technik hat einen Sinn. Abbildung 5: Der Zweck eines Hausbaus ist das fertige Haus. Betrachtet man im Vergleich dazu Prozesse in der belebten Natur, beispielsweise das in Abbildung 6 dargestellte Heranwachsen eines Pferdes, kann vielleicht die Formursache mit dem »genetischen Bauplan« (DNA), die Materialursache mit Futter bzw. Nährstoffen und die Wirkursache mit Stoffwechselprozessen gleichgesetzt werden. All diese Aspekte geben Auskunft über die kausalen Zusammenhänge und darüber, »wie« das Heranwachsen eines Pferdes abläuft. Was ist aber bei dem Heranwachsen eines Pferdes die Zweckursache, die beim Hausbau in der Absicht des Bauherrn bestand, in einem Haus zu wohnen? Gibt es eine solche Zweckursache, also einen zielgerichteten Sinn hier überhaupt? Abbildung 6: Hat das Heranwachsen eines Pferdes einen Zweck? Zitat 5 – Thomas von Aquin (1225 – 1275): »Ein jedes Ding wird insofern wahr genannt, als es auf den Geist hingeordnet ist, von dem es abhängt. Darum nennt man die künstlichen Dinge wahr, weil sie auf unseren Geist hingeordnet sind. Denn ein Haus nennt man wahr, weil es der Form entspricht, die im Geist des Baumeisters ist [...] In ähnlicher Weise nennt man auch die Naturdinge wahr, sofern sie den Ideen entsprechen, die im Geist Gottes sind.« ((Anzenbacher 2010), S. 64) Auf die Frage, ob die Natur Sinn und Zweck hat, hätte es vor achthundert Jahren eine eindeutige Antwort gegeben. Zu Zeiten der Scholastik, einer im Mittelalter dominierenden philosophischen Richtung, die sich in ihrem Denken vor allem auf Aristoteles bezog, war man davon überzeugt, dass sowohl in der Technik als auch in der Natur Zweckursachen wirksam sind, die in der Natur durch den göttlichen Willen gegeben sind. Einer »ersten Schöpfung« aus Himmel, Erde und Lebewesen wurde eine »zweite Schöpfung« gegenübergestellt, die aus dem besteht, was durch den Menschen mit Hilfe von Technik oder Kunst geschaffen wird. Thomas von Aquin, einer der bedeutendsten Protagonisten der Scholastik, spricht in diesem Zusammenhang von einem »Hinordnen« der Dinge auf den Geist (Zitat 5). Dieser Geist ist beim Hausbau der Geist des Bauherrn und in der ersten Schöpfung, der Natur, der Geist Gottes. Da der Geist Gottes über dem Menschen steht und vollkommen ist, während der Geist des Menschen unvollkommen bleiben muss, müssen in der Sichtweise der Scholastik die »Dinge« der Natur vollkommener und »wahrer« sein als die Werke von Menschen. Konzepte wie die des Thomas von Aquin, die einen Zweck oder ein Entwicklungsziel in der Natur voraussetzen, werden im naturwissenschaftlichen Weltbild von heute mit Ausnahme von Randpositionen nicht mehr berücksichtigt. Sie werden aufgrund ihrer Orientierung an einem Ziel auch als »teleologische« Konzepte bezeichnet (Exkurs 2). Heute anerkannte Erklärungsmodelle gehen von einem nicht zielgerichteten Evolutionsprozess aus, der durch Veränderung und Auslese angetrieben wird. Eine Zweckursache gibt es hier nicht. Einer der aktuell bekanntesten Gegner teleologischer Konzepte ist der Biologe Richard Dawkins. In seinem Buch »Das egoistische Gen« (Dawkins 2005) betrachtet er die gesamte Entwicklung des Lebens als Genselektion. Körper fasst er in seinen Ausführungen als reine »Überlebensmaschinen« der Gene auf. Er drückt das so aus: »Wir sind Überlebensmaschinen – Roboter, blind programmiert zur Erhaltung der selbstsüchtigen Moleküle, die Gene genannt werden« (Dawkins 2005).28 Dass im Rahmen der Naturwissenschaft keine Zwecke identifiziert werden können, ist nicht weiter verwunderlich, da Naturwissenschaft ja gerade in dem Versuch besteht, unter Anwendung einer bestimmten Methodik Erklärungsmodelle zu finden, ohne auf das Wirken eines höheren Wesens zurückgreifen zu müssen. So fragt Biologie als Naturwissenschaft nach dem »Wie«, also beispielsweise den funktionellen Zusammenhängen in Lebewesen; während die Frage, »warum« ein Lebewesen existiert, bereits methodisch aus dem Forschungsbereich der Biologie ausgeschlossen ist. Auch wenn das Fehlen eines Zwecks in der Natur zunächst rein methodische Gründe hat, gehen naturwissenschaftliche Weltbilder davon aus, dass ein (außerhalb ihrer selbst liegender) Zweck in der Natur nicht vorliegt. Lebewesen werden in der Biologie als selbstorganisierte Systeme verstanden, bei denen Leben als neue Systemeigenschaft auftritt (siehe Kapitel 3.2). Die Autorinnen und Autoren möchten sich an dieser Stelle kein Urteil über die seit Jahrhunderten geführte Diskussion erlauben, ob eine Zweckhaftigkeit oder Zielgerichtetheit in der Natur vorliegt. Unabhängig jedoch davon, ob natürliche Abläufe als zielgerichtet aufgefasst werden oder nicht, muss bei der Übertragung biologischer Erkenntnisse in andere Bereiche davon ausgegangen werden, dass es in der Natur keine Zwecksetzung gibt, da die Biologie als Naturwissenschaft äußere Zwecke zur Erklärung des Phänomens »Leben« ausschließt. Würden äußere Zwecke im Rahmen biologischer Transformationen als wirksame Faktoren in der Natur herangezogen, würde dies nicht auf der Grundlage biologischer Erkenntnisse geschehen und es läge keine biologische Transformation vor, sondern etwas Anderes. Was bedeutet es aber, wenn anstelle einer ersten göttlichen Schöpfung der menschlichen Schöpfung gedanklich eine Natur gegenüberstellt ist, in der es keinen wirkenden Geist und damit auch keine Zweckursache gibt? Warum sollte ein zweckfreies System, das sich aus Zufällen und Notwendigkeiten generiert, besser für unser Wohl sorgen, als eine Technik, deren Zweck Menschen auf ihre Bedürfnisse ausrichten können? Wurde Technik nicht auch entwickelt, um Menschen vor der Natur zu schützen? Eine Heizung gibt es, um nicht zu erfrieren, und Medikamente wurden entwickelt, um Krankheiten zu heilen. Technik gleicht also auf der einen Seite einen scheinbaren Mangel der Natur aus, auf der anderen Seite ist aber alles Künstliche von der Natur abhängig, da das Material für technische Geräte letztendlich der Natur entstammt und Menschen als Schöpfer von Maschinen und Werkzeugen selbst Teil der Natur sind. Wie die Ausführungen in diesem Kapitel gezeigt haben, scheint ein wesentlicher Unterschied zwischen technischen und biologischen Vorgängen in der einerseits vorhandenen und andererseits nicht vorhandenen Zwecksetzung zu bestehen. Bevor diese Frage später wieder aufgenommen wird, gilt es zunächst zu untersuchen, was Lebewesen und Interaktionen von Lebewesen ausmachen (Kapitel 3) und was das eigentliche Wesen technischer Prozesse ist (Kapitel 4). 2.2Exkurs 2: Teleologie Tabelle 1 gibt einen Überblick über verschiedene Ausprägungen des Teleologiebegriffs und ihrer verwissenschaftlichen Form der »Teleonomie«. Weitreichende teleologische Konzepte kommen heute zumeist nur als Randposition vor, wie beispielsweise im Kreationismus. Die biologische Sprache kommt jedoch nur schwer ohne teleologische Redewendungen aus. So entstand das Auge, um »zu sehen«, sodass »Organe [also] in ihrer funktionalen Einbettung in einen Organismus als zweckmäßig beurteilt [werden]« (Toepfer 2006b). Durch die Evolutionstheorie wird jedoch »die zweckmäßige Einrichtung der Organismen nicht als willentliche Gestaltung« interpretiert, sondern als Resultat aus dem Wechselspiel von Variation und...


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