Maxian | Die Frau im hellblauen Kleid | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Maxian Die Frau im hellblauen Kleid

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-21053-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-641-21053-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wien. Marianne Altmann, einst ein gefeierter Filmstar, ist schockiert, als sie von Plänen ihrer Tochter Vera erfährt. Diese möchte einen Film über ihre Familie drehen. Marianne fürchtet, dass nun auch die Abgründe der Familie ans Tageslicht kommen könnten, und mit ihnen ein lange zurückliegendes Vergehen. Es reicht zurück ins Jahr 1927, als ihre Mutter Käthe in einem geliehenen Kleid am Theater vorsprach. Der Beginn einer beispiellosen Karriere – und einer verhängnisvollen Bekanntschaft mit Hans Bleck, der zum mächtigen Produzenten der Ufa aufsteigen sollte ...
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Wien, Jänner 2015 Marianne Altmann sah aus dem Küchenfenster, Schneeregen fiel vom Himmel. Ihr Blick ruhte auf den längst abgeernteten Reben des Hanges gegenüber, sie gehörten seit Ewigkeiten zum Weingut ihrer Familie. In den Weinbergen hatte sie mit ihrem Cousin Ferdinand Verstecken gespielt. Von ihrem Vater hatte sie alles über Wein erfahren, was sie als Winzerin hatte wissen müssen – obwohl sie beide wussten, dass sie niemals das Gut führen würde, und Ferdinand es überschrieben bekam. Völlig zu Recht, wenn man die wahre Familiengeschichte betrachtete. Inzwischen war auch ihr Cousin ein alter Mann, wenn auch nur wenig älter als sie selbst. Das Weingut verwaltete sein Enkel mittlerweile, er baute auf dem Hang Grünen Veltliner an. Ihre liebste Weinsorte. Daneben wuchs der Weißburgunder. Die schweren, tonhaltigen Mergelböden in dieser Region waren die besten für diese Sorte. »Ich bitte dich, Mama«, drang Veras Stimme an ihr Ohr. »Lies doch erst mal das Drehbuch, bevor du dich festlegst und endgültig Nein sagst!« Sie hatte die letzten Wochen Tag und Nacht daran gearbeitet und es ihrer Mutter zu Neujahr in die Hand gedrückt. Als Zeichen des Neubeginns. Marianne drehte sich um. Ihre Tochter lehnte mit einer Tasse Kaffee in der Hand an der Anrichte. Die Tatsache, dass sie nicht sofort Feuer und Flamme für das Filmprojekt gewesen war, sorgte bei Vera seit einem Monat für üble Laune. Sogar Weihnachten hatten sie deswegen gestritten. »Es tut mir leid, unser Privatleben ist nun mal kein Allgemeingut«, rechtfertigte Marianne ihre Einstellung. »Du begreifst nicht, worum’s geht.« Marianne spürte, wie das Gespräch zum wiederholten Mal ins selbe Fahrwasser steuerte. »Du stehst doch sonst so gern im Mittelpunkt.« »Tu ich nicht.« »Ach nein? Mir erschien es als Kind oft so, als drehte sich die Sonne ausschließlich um dich und nicht um die Erde.« Diese Spitze traf jedes Mal, wenn Vera sie losließ. Marianne Altmann plagte seit jeher das schlechte Gewissen, weil Vera als Kind oft mehr Zeit mit dem Kindermädchen verbracht hatte als mit ihren Eltern. »Die Erde dreht sich um die Sonne«, berichtigte sie ihre Tochter. »Nicht umgekehrt.« »Nicht in deinem Universum«, erwiderte Vera. Marianne presste die Lippen aufeinander. Sie und ihre Tochter standen sich in nichts nach, wenn es darum ging, sich gegenseitig Verletzungen zuzufügen. Diese heilten nur, weil sie am Ende doch das sehr starke Band der Mutter-Tochter-Liebe wieder einte. Vera stellte ihre leere Tasse in die Spüle und verließ ohne ein weiteres Wort die Küche. Marianne zuckte nicht einmal mehr zusammen, als gleich darauf die Wohnungstür krachend ins Schloss fiel. Ihre Position war eben, vorsichtig mit der Lebensgeschichte umzugehen. Insgeheim stellte sie sich seit Jahren die Frage, wie viele Geheimnisse ihre Familie vertrug. Im Umkehrschluss drängte sich ihr jedes Mal die Frage auf: Verträgt meine Familie die Wahrheit? Denn darum ging es schlussendlich. Um die Wahrheit, die lange Zeit gut gehütet tief in Mariannes Innerem verborgen lag, nicht wissend, ob sie jemals ans Licht kam und eine Befreiung erfuhr. Sie dachte an ihre Enkelin Sophie, die sich insgeheim schon in der Rolle der jungen Marianne sah. Ein Bild, das der Diva durchaus gefiel. Sie ähnelte ihr nicht nur äußerlich, sondern kam ihr auch im Wesen nahe. Marianne überlegte, ob sie der Sache nicht doch zustimmen sollte. Immerhin kam das Projekt ohne ihr Einverständnis wohl kaum zustande, das jedenfalls betonte ihre Tochter bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Die Diva fällte ihre Entscheidungen jedoch niemals aus Gefälligkeit oder aus Lust und Laune heraus. Der Kopf kam bei ihr vor dem Bauch, auch wenn’s um die eigene Familie ging. Sie drehte sich um und sah wieder aus dem Fenster auf die Weinberge hinüber. Da tauchte in ihrem Augenwinkel der Postbote am Gartentor auf. Nur von dort konnte man einen Blick auf die gesamte Villa werfen, die hinter einer hohen, mit wildem Wein überwachsenen Gartenmauer verborgen lag. Sie sah auf die Armbanduhr. Halb elf. Er kam pünktlich. Ein letzter Kontrollblick auf die Briefe, dann warf er die Post in den Briefkasten und verschwand wieder hinter der Gartenmauer. Marianne wartete eine Weile. Der Briefträger sollte nicht im Rückspiegel sehen, dass sie zum Briefkasten eilte. Eine alte Frau, die hinter dem Fenster auf die Post wartete. Es musste ja sonst auf ihn wirken, als sei dies die einzige Abwechslung in ihrem einsamen Leben. Diese Einsamkeit hatte sie jedoch ganz bewusst gewählt. Sie lud selten Gäste ein, weil sie in ihrem früheren Leben genug Treiben um sich herum gehabt hatte. Hielten sich Vera und Sophie im Haus auf, war ihr das genügend Abwechslung. Noch draußen am Gartentor blätterte Marianne rasch die Kuverts durch, auf der Suche nach einem Umschlag mit schwarzem Rand. In ihrem Alter waren Todesanzeigen keine Seltenheit. Es war nicht angenehm, derartige Nachrichten zu bekommen, doch das Leben fragte nicht danach. Es schickte den Tod, wann immer es wollte, verpackt in einem Kuvert mit einer Briefmarke darauf. Manchmal traf es sogar die Richtigen. Werbung. Rechnungen. Ein Angebot für eine Seniorenresidenz, wie man Altersheime heutzutage nannte. Wenigstens verschonte sie der Sensenmann mit einer Benachrichtigung. Zurück im Haus, legte sie die Briefumschläge auf den Küchentisch, Prospekte wanderten ungesehen auf den Stoß fürs Altpapier. Im Wohnzimmer holte sie aus dem Bücherregal das Fotoalbum mit alten Setaufnahmen, Kinokarten und Fotos von vertrauten Kollegen hervor und setzte sich damit aufs Kanapee. Normalerweise wühlte sie nur dann in Erinnerungen, wenn eine Todesanzeige ins Haus geflattert war. Heute machte sie eine Ausnahme. Sie wollte eine besondere Erinnerung heraufbeschwören, nicht die alten Zeiten, und nicht darüber trauern, wie viele ihrer Wegbegleiter nicht mehr auf Erden weilten. Sie trachtete danach, ein verloren geglaubtes Gefühl wiederzufinden. Eine Sinnesempfindung, die jeder kannte, der diesen Beruf ergriffen hatte. »Warum sind Sie Schauspielerin geworden?«, war eine Frage gewesen, die sie im Laufe ihres Lebens häufig gehört hatte. Als Antwort hatte sie stets dieselbe Phrase gedroschen: »Weil es meine Bestimmung war«, und ein breites Lächeln an den Fragesteller gerichtet. »Ich glaube, der Beruf hat mich gesucht, nicht ich den Beruf.« In Wahrheit, so musste sie zugeben, war es die Sucht nach Aufmerksamkeit gewesen, nach Ruhm, nach Erfolg und danach, im Mittelpunkt zu stehen. Ihre Mutter Käthe fungierte als ihr Vorbild. Der Triumph war nicht zufällig gekommen, sie hatte hart daran gearbeitet. Ein Schwarzweißfoto zeigte Marianne im Dirndlkleid. Sie spielte in ihrer ersten großen Rolle ausgerechnet die Tochter eines Heurigenwirts, die sich unsterblich in einen Leutnant der Kaisergarde verliebte. Ein beliebtes Thema in den Fünfzigerjahren. Auf einem anderen Bild lag sie auf einer Wiese, in kurzen Hosen, Trägertop und mit riesigem Hut. Ein Film über eine selbstbewusste Frau, die auf der Suche nach der wahren Liebe von einer turbulenten Situation in die nächste stolperte. Ein Publikumserfolg und der Beginn ihrer Filmkarriere. Marianne legte das Album zur Seite, blieb eine Weile nachdenklich sitzen und dachte noch einmal über das Projekt ihrer Tochter nach. Ob es richtig war, noch einmal vor die Kamera zu treten und Filmluft zu inhalieren? Wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich geehrt, dass ihr Leben im Mittelpunkt einer Spielfilmdoku stehen sollte. Ihr Blick wanderte zu einem bestimmten Bild an der Wand. Es zeigte sie in jungen Jahren in dem hellblauen knielangen Kleid ihrer Mutter. Marianne hatte das Kleid nur für diese eine Aufnahme angezogen. Die Idee war aus einer Laune heraus entstanden. Obwohl es sich dabei um eine Schwarzweißfotografie handelte, erinnerte sich Marianne an die Farbe des Kleides, als wäre das Bild erst gestern aufgenommen worden. Eri Klein, ihre Maskenbildnerin, hatte sie fotografiert. Ihr tragischer Tod verfolgte Marianne bis heute in ihren Träumen. Sie schüttelte unmerklich den Kopf und seufzte schwer. Es war schrecklich mit den Erinnerungen. Sie hielten einem die begangenen Fehler sowie das Alter schonungslos vor Augen. Es wurde langsam Zeit, dass auch sie über den Tod nachdachte, und darüber, was blieb, wenn sie ging. In diesem Moment gestand sie sich ein, dass sie im Unterbewusstsein längst beschlossen hatte, Veras Filmprojekt zu unterstützen. Ihre Teilnahme berechtigte sie zudem, der Familienbiografie ihren persönlichen Stempel aufdrücken. Bedächtig erhob sie sich und ging in ihr im englischen Stil eingerichtetes Schlafzimmer. Marianne mochte die britische Lebensweise, sie verkörperte für sie einen exquisiten Geschmack. Auf einem schön restaurierten Frisiertisch standen Fotos ihrer Lieben. Vera mit Sophie im Arm. Marianne, Vera und Sophie im Tiergarten. Sophie mit Schultüte, im Kleid für den Maturaball und auf der Bühne. Die Bilder ihrer Mutter ruhten seit einiger Zeit in einer Truhe mit anderen Erinnerungsstücken. Darunter befanden sich Dokumente und Fotos, die sie zu gegebener Zeit hervorholen wollte. Sie öffnete die Tür zu ihrem begehbaren Kleiderkasten. Die Regale und Kleiderstangen waren aus altem Mahagoniholz gefertigt. Ganz hinten, in einem durchsichtigen Kleidersack, hing das alte Kleid aus hellblauem Baumwollstoff, das eine Freundin ihrer Mutter geschneidert hatte. Ein Teadress mit weißem Samt am Ausschnitt und einem für damalige Verhältnisse modernen Zipfelrock, der in Kniehöhe endete. Obwohl es mit der Zeit...


Maxian, Beate
Beate Maxian lebt mit ihrer Familie in der Nähe des Attersees und in Wien und zählt zu den erfolgreichsten Autorinnen Österreichs. Ihre Wien-Krimis um die Journalistin Sarah Pauli stehen dort regelmäßig an der Spitze der Bestsellerliste. Auch »Ein tödlicher Jahrgang« und »Tödliche Marillenzeit«, die ersten beiden Bände ihrer Krimireihe um die Feinkosthändlerin Lou Conrad, wurden auf Anhieb Bestseller.



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