E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Meier-Vieracker Reingegrätscht
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-381-11483-2
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine kleine Linguistik des Fußballs
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-381-11483-2
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fußball wird nicht nur gespielt und geschaut, über Fußball wird auch gesprochen und geschrieben. Woche für Woche füllt er Medien und Alltagsgespräche und ist für viele Menschen nicht nur ein Zeitvertreib, sondern beziehungs- und identitätsstiftend. Es ist deshalb kein Wunder, dass sich auch die Sprachwissenschaft für das Kulturphänomen Fußball interessiert. Denn die Sprache des Fußballs, wie sie von Spieler:innen, Trainer:innen, Journalist:innen und natürlich den Fans gepflegt wird, ist ein ausgezeichneter Trainingsplatz für die unterschiedlichsten linguistischen Teildisziplinen. Zur Fußballeuropameisterschaft der Männer, die 2024 in Deutschland stattfindet, hat Simon Meier-Vieracker ein Team von fußballinteressierten Sprach wissenschaftler: innen zusammengestellt, die das Feld der linguistischen Fußballforschung vermessen. Herausgekommen ist ein Buch, so vielfältig wie die Sprache des Fußballs selbst. Ein Tiki-Taka aktueller sprachwissenschaftlicher Fragen, das alle begeistern wird, die Sprache oder Fußball mögen - und vielleicht sogar beides. Einfach überragend!
Prof. Dr. Simon Meier-Vieracker ist Inhaber der Professur für Angewandte Linguistik an der TU Dresden.
Autoren/Hrsg.
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Geht’s raus und schreibt’s über Fußball!
Anstelle eines Vorworts Simon Meier-Vieracker Es gibt kein Entkommen. Wenn im Sommer 2024 die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland ausgetragen wird, wird der Fußball wieder einmal zum bestimmenden Thema, dem man sich kaum entziehen kann. Beim täglichen Medienkonsum ebenso wenig wie in den Pausengesprächen auf der Arbeit oder in geselligen Runden in der Freizeit. Supermärkte bewerben ihre Ware als nützliche Begleiter für unvergessliche Fußballabende, und selbst normalerweise fußballfreie Zonen wie Kunstmuseen oder Theater versuchen, ein wenig an der Aufmerksamkeit teilzuhaben, die der Fußball generiert. Mit anderen Worten: Es wird sehr viel über Fußball kommuniziert. Die Linguistik sollte dabei nicht schweigen. Dass sich die Wissenschaft dem Fußball zuwendet und das Spiel mit allem, was dazugehört, zum Gegenstand theoretischer Reflexionen und empirischer Analysen macht, ist nichts Außergewöhnliches. Christoph Leischwitz hat in seinem Buch „Die Wissenschaft des Fußballs“ (2020) einen lesenswerten Überblick darüber gegeben, welche erstaunlichen Erkenntnisse unterschiedlichste wissenschaftliche Disziplinen, von der Physik und Biologie über die Psychologie und Ernährungswissenschaft bis zur Soziologie und Religionswissenschaft, dem Fußball abtrotzen können. All diese Wissenschaften tragen das ihre dazu bei, den Fußball, dieses wie kaum ein anderes von Zufällen geprägte Spiel (Gebauer 2016: 42–51) erklärbar, deutbar und vielleicht auch berechenbar zu machen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Sosehr die Verwissenschaftlichung des Fußballs auch dem (profi-)fußballinternen Trend entspricht, aus einem handfesten Gewinninteresse heraus den Zufall beherrschen zu wollen (Biermann 2018: 28–40) – in gegenläufiger Richtung möchte die Wissenschaft am Fußballspiel partizipieren, das bei aller kommerziellen Überfrachtung immer noch genau das ist: ein Spiel. Ein Spiel, das Spaß macht. All das gilt auch für die Linguistik, der Leischwitz in seinem Buch übrigens auch ein Kapitel widmet. Die Bedeutung von Sprache und Kommunikation für den Fußball, von der Fachterminologie der Trainingslehre und der Regelwerke über rhetorische Strategien in Kabinenansprachen oder im Umgang mit der Presse bis hin zur Antidiskriminierungsarbeit in den Fanszenen, wird von Fußballakteur:innen sehr wohl gesehen. Wenn man den Fußballjournalismus dazurechnet, der vom Reden und Schreiben über den Fußball buchstäblich lebt, erst recht. Umgekehrt hat die Linguistik schon vor vielen Jahrzehnten den Fußball für sich als Gegenstand entdeckt. Die Sprache des Fußballs, wie sie von Spieler:innen, Trainer:innen, Journalist:innen und natürlich den Fans gepflegt wird, ist ein ausgezeichneter Trainingsplatz für die unterschiedlichsten linguistischen Teildisziplinen. Es gibt überhaupt keinen Grund, an der Ernsthaftigkeit linguistischer Fußballforschung zu zweifeln, denn warum sollte man das linguistische Kerngeschäft, die Untersuchung von Sprache und Sprachgebrauch, nicht am Beispiel der Sprache des Fußballs betreiben? Es spricht aber noch ein weiterer Grund für eine Linguistik des Fußballs: Es macht einfach Spaß. Unter den genannten Wissenschaften, die sich mit Fußball beschäftigen, nimmt die Linguistik vielleicht noch einmal eine Sonderrolle ein. Und das aus einem einfachen Grund: Ihr Gegenstand, das vielfältige Reden und Schreiben über Fußball, fällt mit dem zusammen, was sie selbst tut, nämlich reden und schreiben über Fußball. Anders als etwa in der Physik, welche die Flugeigenschaften des Balls während einer Bananenflanke berechnet und hierfür in Zahlenreihen symbolisch repräsentiert, sind Gegenstand und Medium der Linguistik letztlich eins, nämlich Sprache. Diese Sprache ist für den Fußball von größter Bedeutung, auch wenn der innerste Kern des Fußballspielens, also die Bewegungen von Körper und Ball, ohne Sprache auskommt. Aber erst durch Sprache wird der Fußball kommunizierbar, deutbar und schließlich auch erzählbar, angefangen von den vielfältigen Bezeichnungen der Spiel- und Wettkampfelemente (Burkhardt 2022) über die Metaphern zur bildhaften Repräsentation des Geschehens (Küster 2009) bis hin zu den kulturellen Schemata, die ein Spiel etwa als „Kampf von David gegen Goliath“ erscheinen lassen (Meier-Vieracker 2024: 157–160). All diese sprachlichen Ausdeutungen des Fußballs deutet die Linguistik ihrerseits sprachlich aus – und setzt auch damit nur fort, was im Feld des Fußballs bereits angelegt ist. Denn die Sprache des Fußballs mit ihren besonderen Eigenschaften und Funktionen bleibt natürlich auch den Fußballakteur:innen nicht verborgen. Zahlreiche Fußballpodcasts wie „Zeigler und Köster“, deren Hosts mit kindlicher bis diebischer Freude des Fußballjargons frönen und ihn zugleich thematisieren, sind ein Beispiel dafür. Es gilt aber auch für die mitunter zu nationalen Mythen erhobenen Spiele wie das „Wunder von Bern“, das ohne Zitate aus Herbert Zimmermanns Rundfunkkommentar („aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen …“) überhaupt nicht erzählt werden kann. Eine Linguistik des Fußballs, wie sie in diesem Band in vielen Einzelperspektiven entwickelt wird, führt also das Reden (und Schreiben) über Fußball fort, das selbst oft genug ein Reden über dieses Reden über Fußball ist. Aber natürlich bringt die Linguistik als Wissenschaft auch noch andere Ansprüche in Sachen Methodik und begrifflicher Reflektiertheit in den Fußballdiskurs ein. Sie schaut eben doch soweit es geht von außen auf diesen Diskurs und unterbricht vielleicht auch mal seine üblichen kommunikativen Routinen. Mit dem für den Band titelgebenden Fußballausdruck gesprochen: Es wird reingegrätscht! Das Wörterbuch der Fußballsprache (Burkhardt 2022) definiert „grätschen“ als „einen langgezogenen, häufig gesprungenen Spagatschritt […], um den ballführenden Gegner vom Ball zu trennen o. zu Fall zu bringen.“ In metaphorischer Übertragung, die zeigt, dass nicht nur der Fußball versprachlicht, sondern auch Sprache im Lichte des Fußballs betrachtet wird, ist „reingrätschen“ ein Akt des Unterbrechens, der meist ungefragten, wenn auch oft durch Entschuldigungen begleiteten Intervention in ein laufendes Gespräch. Man kann das auf unfaire und gewaltvolle Weise tun – im Fußball spricht man dann von einer „Blutgrätsche“ –, ebenso aber auf gekonnte, vielleicht sogar kunstvolle Weise. Im Fußball gelten Grätschen als Ausdruck von Einsatzwille und Leidenschaft, und abgesehen von Toren vermag wenig das Stadionpublikum so sehr zu elektrisieren wie eine präzise Grätsche, die ein sicher geglaubtes Tor in letzter Sekunde verhindert. Auch verbales Reingrätschen kann kunstvoll sein, ein präziser Einwurf zur rechten Zeit, der das Gespräch im besten Falle bereichert statt stört. Für den vorliegenden Band habe ich ein Team von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern zusammengestellt, die die so verstandene Kunst des Reingrätschens besonders gut beherrschen und die in ihren Beiträgen vorführen, was eine Linguistik des Fußballs zu leisten imstande ist. Bei der Kaderzusammenstellung habe ich, wie das auch Fußballtrainer:innen von Nationalmannschaften zu tun pflegen, auf Ausgewogenheit geachtet. International erfahrene und bestens ausgewiesene Fußballlinguist:innen sind dabei, aber auch Newcomer bekommen ihre Chance, sich im Feld der linguistischen Fußballforschung zu bewähren, denn gerade diese können der Forschung neue Impulse geben. Einige dürften sich bei der Einladung gefühlt haben wie einst der Flügelflitzer David Odonkor, der von Jürgen Klinsmann vollkommen überraschend in den deutschen WM-Kader 2006 berufen worden war. Aber, so formulierte ich im Einladungsschreiben, ich kannte ihre Stärken und wusste, „dass sie noch sehr wichtig werden können auf unserem gemeinsamen Weg zum Erfolg“. Ich sollte recht behalten, denn alle haben ihren Teil dazu beigetragen, dass wir jetzt, pünktlich zur Europameisterschaft 2024 der Männer, das Buch in Händen halten und in den Himmel strecken dürfen. So wie sich um jedes Fußballspiel auch in zeitlicher Hinsicht ein ganzes Universum an Texten, Bildern und Gesprächen herumlagert, angefangen von den Vorberichten bis hin zu den Spielanalysen und Interviews nach Abpfiff, so orientiert sich auch die Zusammenstellung der Beiträge an der Chronologie des Spiels in seiner medialen Inszenierung. Die Vorberichte eröffnet Karina Frick mit der Frage, warum der Fußball der Männer eigentlich für gewöhnlich einfach „Fußball“ heißen darf, während sein Gegenstück, der Frauenfußball, immer als solcher benannt werden muss. Sie...