Meinefeld | »Das Wagnis der Öffentlichkeit« | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 582 Seiten

Meinefeld »Das Wagnis der Öffentlichkeit«

Politische Stile bei Hannah Arendt
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-593-46126-7
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Politische Stile bei Hannah Arendt

E-Book, Deutsch, 582 Seiten

ISBN: 978-3-593-46126-7
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit welchen normativen Erwartungen sehen sich öffentliche Personen in modernen Demokratien konfrontiert? Welcher Stellenwert kommt ihnen für die Stabilität und Erneuerung von demokratischen Ordnungen zu? Ole Meinefeld findet Antworten auf diese Fragen, indem er ausgehend von Hannah Arendt das Verhältnis von Politik und Person untersucht. Aufschlussreich sind dabei nicht nur Arendts theoretische Abhandlungen über Personalität, sondern auch ihre in der Forschung bislang wenig beachteten biographischen Miniaturen, in denen sie die politischen Stile von Rosa Luxemburg, John F. Kennedy und anderen beschrieben hat. Am Paradigma des »Wagnisses der Öffentlichkeit« erläutert die Studie, wie die individuelle Art und Weise, als Person öffentlich und in Interaktion mit anderen zu handeln, zum Vertrauen in demokratische Praxis beitragen kann. Arendts Denken wird so innerhalb der gegenwärtigen Theoriedebatte über den Formwandel der Demokratie aktualisiert. Das Buch rekonstruiert Konzepte und Kontexte einer personal-symbolischen Dimension von Politik, die als ein wichtiger Gegenstand der politischen Theorie mehr Aufmerksamkeit verdient.

Dr. phil. Ole Meinefeld wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. Er leitet die Grüne Akademie, einen Think Tank der Heinrich-Böll-Stiftung.
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1.Die Personalität des Handelns


Bereits auf den letzten Seiten ihrer Studie aus den Jahren 1951/1955 wird deutlich, auf welchen Kontext Arendts Projekt einer politischen Theorie in weiten Teilen zugeschnitten sein wird: die Erfahrung des politischen Handelns.76 Sie wird dieses Verständnis in und in späteren Texten weiter ausarbeiten. Vom kann dann mit Arendt in dieser ausgearbeiteten Form gesprochen werden, wenn sich Personen in einer Pluralität jeweils mit Initiativen für Veränderungen in die Auseinandersetzung um öffentliche Angelegenheiten einschalten.77

Was Handeln allerdings in einem Spektrum von einer agonalen Kultur bis zur kommunikativen Verständigung bedeuten kann, ist wie gesagt ein notorischer Streit in der Arendt-Forschung. Was dabei genauer unter »Personalität« zu verstehen ist, hat in dieser Diskussion wenig Beachtung gefunden, obwohl Arendt die »Enthüllung der Person« ins Zentrum von gestellt hat. Von diesem Punkt aus lässt sich auch als Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen von Personalität lesen, die von der »Anonymität« und »Entpersonalisierung« über die »Souveränität der Person« und das »Wer-jemand-jeweilig-ist« bis zur »Selbstenthüllung« und »Enthüllung der Person« reichen. Es sind verschiedene Ausdrücke für Personalität, die das Buch wie ein Leitmotiv durchziehen.78

In diesem Kapitel wird daher Arendts Handlungstheorie im Hinblick auf die Frage der Personalität des politischen Handelns diskutiert. Die entsprechenden Modelle und Begriffe ihrer Theorie werden eingehend interpretiert. Es wird gezeigt, wie der Aspekt des Personalen ganz grundlegend mit Arendts Verständnis von politischem Handeln verwoben ist, sich in gewisser Hinsicht sogar als Schlüssel für die Unterscheidung von Tätigkeiten erweist, wie sie in getroffen wird. Um diesen Aspekt des Personalen auch über Arendts eigenes Register hinaus zu erläutern und ihn damit für breitere Stränge politiktheoretischer Debatten anschlussfähig zu machen, wird es darum gehen, Ansätze zum Verständnis des Symbolischen in der Politik mit einzubeziehen.79

Dies erfordert im zweiten Teil des Kapitels eine systematische Einordnung, einerseits innerhalb von Arendts Politikverständnis, andererseits hinsichtlich des Potenzials einer Aktualisierung gegenüber anderen Politikverständnissen. Vor dem Hintergrund einer kritischen Auseinandersetzung mit der Anonymität moderner Gesellschaften bei Arendt kann erläutert werden, wie ihr normatives Verständnis von Demokratie und demokratischem Handeln maßgeblich über Personen und deren Stellenwert aufzuschlüsseln ist.80

Arendts Insistenz auf einem irreduziblen Faktor des Personalen in politischen Beziehungen, jenseits von persönlicher und intimer Bekanntschaft, bildet den Ausgangspunkt, um Politik in modernen, demokratischen Institutionen der Gegenwart im Anschluss an ihre politische Theorie neu zu beschreiben. Hier wird im Umriss ein normatives Modell von Demokratie bei Arendt erkennbar, in dem Personalität und die über die biographischen Miniaturen erschlossenen politischen Lebensgeschichten eine herausragende Rolle spielen.

Bevor Arendts Handlungstheorie aus diesbezüglich genauer untersucht wird, ist zunächst eine Bestandsaufnahme der Forschungsansätze vorzunehmen, die das Begriffs- und Anwendungsfeld des Personalen in Arendts Texten vermessen haben. Zudem gilt es, neben den Passagen im arendtschen Werk, an denen bereits verschiedene Studien zu dieser Thematik angesetzt haben, auch relevante Stellen zu identifizieren, die m. W. bisher keine entsprechende Beachtung gefunden haben.

1.1Person und Lebensgeschichte


1.1.1Der Personenbegriff im arendtschen Werk und seine Rezeption


Für das vorgestellte Vorhaben, den Stellenwert von individuellen Personen für Arendts Handlungstheorie zu bestimmen, greife ich auf eine Reihe von Untersuchungen zum Personenbegriff zurück. Diese beruhen auf zahlreichen Quellen im Werk, von der frühen Studie über Rahel Varnhagen bis zum Spätwerk .81 Der Begriff der ›Person‹ nimmt vor allem im Register von eine prominente Rolle ein.82 Zwar arbeiten sich begrifflich orientierte Analysen weniger an historischen Persönlichkeiten ab, dennoch sind in verschiedenen Kontexten einige Personen, die im arendtschen Werk einen prominenten Platz einnehmen, bereits Gegenstand intensiver und kontroverser Debatten gewesen. Das gilt insbesondere für die Person Adolf Eichmanns, dessen Verbrechen für Arendt die »eigentliche Perversion des Handelns« darstellen.83 Die Untersuchung beinhaltet unter anderem ein Panorama von Eliten in Person etwa von Lord Cromer oder T. H. Lawrence.84 Doch scheinen in den Studien die Analysen zu den handelnden Bürgerinnen und Bürgern der Republiken zu fehlen.85

Auch die biographische Studie über Rahel Varnhagen hat zahlreiche Deutungen erfahren, ob aber die Gastgeberin einer Salon-Gesellschaft des 19. Jahrhunderts dem arendtschen Verständnis von politischem Handeln entspricht, scheint keineswegs ausgemacht, nicht zuletzt, weil hier der institutionelle und öffentliche Rahmen fehlt.86 Von einer Diskussion des Handelns in einem mehr oder minder terminologischen Sinn kann in zumindest bei historischen Persönlichkeiten wie Perikles oder der homerischen Figur des Achill die Rede sein.87 Eine Erörterung des Handelns von zeitgenössischen öffentlichen Personen erfolgt darin nicht. Die Portraits von entsprechenden Politikerinnen und Politikern dagegen, die hier wie Churchill, Kennedy oder Luxemburg infrage kämen, haben nicht das Interesse der Forschung geweckt. Zwar mögen unter den Portraits von Literatinnen und Philosophen, vor allem in die Kommentare und Reflexionen Arendts zu Politikerinnen und Politikern eher sporadisch und beiläufig erscheinen.88 Dass aber durch eine nähere Betrachtung dieser öffentlichen Personen in ihrem Werk etwas Wichtiges über ihr Verständnis des politischen Handelns ausgesagt werden kann, wurde m. W. bisher nicht in Betracht gezogen. Genau dies werde ich in der Dissertation zeigen. An dieser Stelle werde ich mit einer Doppellektüre ansetzen, die nicht nur parallel den Handlungsbegriff und die Geschichten des Handelns einzelner Personen studiert, sondern von der Mikroperspektive der Geschichten her den Handlungsbegriff in Arendts Werk neu interpretiert.89 Dieses Verfahren verspricht, die in ihren Deutungsmöglichkeiten scheinbar erschöpfte Handlungstheorie Arendts neu zu beleuchten und zugleich auf Teile des Werks zu beziehen, die bisher nicht als Beschreibungen des Handelns erschlossen wurden.

Kleinere Arbeiten wie etwa die Passage über die politische Karriere von Premierminister Benjamin Disraeli in oder ein unveröffentlichter Text mit dem Titel (1960),90 der die Aktivitäten von US-Präsidentschaftskandidaten wie Nelson D. Rockefeller und Richard M. Nixon im Rahmen eines Parteitags kommentiert, bezeugen Arendts Interesse an Politikerinnen und Politikern, haben aber die Forschung bislang kaum beschäftigt. Ihr Text über Rosa Luxemburgs Biographie wurde zwar immerhin zur Kenntnis genommen,91 aber kaum als Auseinandersetzung mit der Geschichte von Luxemburgs Handeln gedeutet. Dass ferner öffentliche Personen wie Winston Churchill, von dem sie kurz nach seinem Tod 1965 als »dem größten Staatsmann, den unser Jahrhundert bisher hatte« sprach, in ihrem Werk nicht beachtet wurden, mag zum Teil an derart gewagten Urteilen liegen.92 Arendt wendete sich, wie gesagt, auch historischen Personen wie Benjamin Disraeli zu, dessen Handeln z. B. aus einer postkolonialen Perspektive mit guten Gründen vor allem kritisch betrachtet wird.93 Diese...



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