E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Meisner / Kleffner Extreme Sicherheit
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-451-81860-8
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-451-81860-8
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Immer wieder wird über rechtsextreme Vorfälle in Polizei, Verfassungsschutz, Justiz oder Bundeswehr berichtet. Daran schließt sich fast immer die Frage an: Geht es um Einzelfälle oder gibt es rechtsextreme Gruppen und Netzwerke in den Sicherheitsbehörden. Und oft stellt sich auch die Frage nach dem Aufklärungswillen staatlicher Behörden bzw. einzelner Mitarbeiter in Bezug auf rechtsextreme Straftaten. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes setzen sich erstmals systematisch und umfassend mit den extremen Rechten in Bundeswehr, Polizei, Justiz, Verfassungsschutz und MAD auseinander.
Ein Gemeinschaftswerk investigativer Journalisten von "FAZ" bis "taz", von "BR" bis "rbb". Mit Beiträgen u.a. von: Mohamed Amjahid, Martin Kaul, Jost Müller-Neuhof, Tanjev Schultz, Toralf Staud und Caroline Walter.
Autoren/Hrsg.
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RECHTE NETZWERKE IM STAATSAPPARAT
Einleitung
Von Heike Kleffner und Matthias Meisner
Wie steht es um die demokratische Verfasstheit von Polizei, Justiz, Bundeswehr und Verfassungsschutz? Hat die gesellschaftliche Polarisierung auch diejenigen Institutionen erfasst, die dem Staat und damit dem Wohl aller dienen sollen – ohne Ansehen der Person? Es ist kein Thema wie jedes andere. Denn es geht um die Institutionen und ihre Funktionsträger, deren zentrale Aufgaben darin bestehen, den demokratischen Rechtsstaat und die Menschen zu schützen, die hier leben. Dafür hat der Gesetzgeber, das Parlament, der Exekutive und ihren Vertretern und Vertreterinnen weitgehende Befugnisse und Instrumente verliehen: Polizisten und Soldaten dürfen Waffen tragen und sie im Ernstfall auch einsetzen, Richterinnen dürfen den Freiheitsentzug anordnen und Haftstrafen verhängen, Polizei und Verfassungsschutz dürfen Menschen überwachen und sie nach den neuen Polizeiaufgabengesetzen auch präventiv in Haft nehmen. Dieses Buch ist eine Tiefenbohrung. Wir fragen, wie viele Sorgen wir uns darum machen müssen, wer die demokratische Grundordnung schützt – und wo sie plötzlich schutzlos scheint. Wie steht es um den Staatsschutzbeamten, der sich bei einer Razzia einer als kriminellen Vereinigung bekannten Neonaziband ein Autogramm von deren Sänger geben lässt? Was ist mit dem Polizei-Ausbilder, der seine Schüler und Schülerinnen beim Schießtraining auffordert, das Zielen zu lernen – wegen der „vielen Gäste“ in Deutschland? Mit dem Staatsanwalt, der eine Anzeige wegen antisemitischer Morddrohungen bearbeiten soll – und stattdessen dem Sohn der bedrohten Familie rät, nicht mehr „so provokant“ öffentlich gegen Rechtsextremismus aufzutreten? Dem Bundeswehrsoldaten, der auf der Stube Nazi-Lieder singt und in seiner Freizeit zu Neonaziaufmärschen geht? Oder gar mit dem langjährigen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz? Ein Anlass, dieser Frage nachzugehen, liegt mittlerweile einige Jahre zurück: 2016, als die Anzahl der rechten Gewalttaten wieder das Niveau der frühen 1990er Jahre erreicht hatte und wöchentlich Pegida in Dresden und „Nein zum Heim“-Initiativen Zehntausende rechte Wutbürger auf die Straßen der Republik brachten, wurde in der sächsischen Kleinstadt Freital – auf Intervention des Generalbundesanwalts – die rechtsterroristische „Gruppe Freital“ festgenommen. Sie hatte in nur sechs Monaten fünf Anschläge auf Flüchtlinge, Kommunalpolitiker- und Kommunalpolitikerinnen sowie alternative Wohnprojekte verübt. Im Raum stand auch ein Verdacht: Polizeibeamte sollen die Neonazis mit Informationen versorgt und vor Maßnahmen von Kollegen gewarnt haben. Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig, der Landeschef der SPD, machte sich damals bei der Polizei extrem unbeliebt mit seiner in einem Die Zeit-Interview geäußerten Vermutung, dass dort „die Sympathien für Pegida und die AfD größer sind als im Bevölkerungsdurchschnitt“. Dulig sagte: „Unsere Polizisten sind die Vertreter unseres Staates. Als Dienstherr dürfen wir erwarten, dass sie die Grundelemente politischer Bildung verinnerlicht haben.“ Dulig bezog sich damals auf die Polizei – und Sachsen. Seit dem Einzug der AfD in alle Landesparlamente und den Bundestag haben wir es mit einem bundesweiten Phänomen zu tun. Einem in allen Bereichen der Sicherheitsarchitektur. Deshalb nehmen die Reportagen, Features, Interviews und Analysen in diesem Sammelband nicht allein Polizei und Bundeswehr, sondern auch stichprobenartig Justiz und Verfassungsschutz unter die Lupe. Die Beiträge vermessen ein Problem, dessen Bedeutung zumindest in Zahlen nicht darstellbar ist. Wie antworten Polizisten oder Soldaten in Studien auf die Frage „Ist die Bundesrepublik in gefährlichem Maß überfremdet?“ Die Berufszugehörigkeit wird in Befragungen dieser Art nicht gesondert erhoben. Experten und Praktiker streiten seit langem darüber, ob die Polizei ein „Spiegelbild der Gesellschaft“ ist und die Bundeswehr zunehmend durch Rechtsaußen-Strukturen unterwandert wird. Vor allem für die Innenminister der Länder und des Bundes und auch das Verteidigungsministerium ist es praktisch, dass es an Zahlenmaterial fehlt. Sie können bei jedem neuen Skandal und jeder neuen Enthüllung mit dem immer gleichen Standardsatz von den „bedauernswerten Einzelfällen“ beschwichtigen. So wie der amtierende Innenminister Horst Seehofer (CSU). Ende Juni 2019 stellte er den Verfassungsschutzbericht 2018 der Öffentlichkeit vor. Das 388-Seiten-Dokument enthält keine Zeile über die in diesem Sammelband beschriebenen Vorfälle und Netzwerke von Rechtsradikalen in Polizei, Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden. Der CSU-Politiker verliert bei seinem Auftritt vor der Bundespressekonferenz auch zunächst kein Wort darüber. Auf Nachfrage hebt der Heimatminister dann zunächst die Verfassungstreue seiner Staatsdiener hervor. Dass es in der Bundespolizei – Seehofer will zunächst nur für die ihm unterstehende Behörde mit knapp 40 000 Beamtinnen und Beamten sprechen – „mal eine rechtsextremistische Erscheinung“ gebe, sei zwar richtig. Es handele sich aber nur um Fälle im Promillebereich. Die „gleiche Einschätzung“ trifft Seehofer „subjektiv“ auch für die Bundeswehr, auch wenn er nicht „die Verteidigungsministerin“ sei. In konkreten Fällen werde „ohne Ansehen der Person gehandelt“, es werde „nichts geduldet“, es gelte „null Toleranz“. Von einem „Massenphänomen“ könne keine Rede sein, versichert er. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sekundiert seinem Minister: Nur „Einzelfälle“ sieht auch er. Diese Rechtsradikalen aber hätten in staatlichen Sicherheitsbehörden „nichts zu suchen und werden entfernt“. So weit die regierungsoffizielle Darstellung. Der Grad der Besorgnis über rechtsextreme Vorfälle, Umtriebe und Netzwerke in Polizei und Bundeswehr, das betonen Politikwissenschaftler und Kriminologen wie Christoph Kopke und Tobias Singelnstein im Interview in diesem Buch, bemesse sich weniger an der Anzahl der bekannt gewordenen Fälle – Tendenz laut Regierungsantworten auf parlamentarische Anfragen steigend – als vielmehr an den weitgehenden Befugnissen, Aufgaben und dem Insiderwissen von Polizisten und Soldaten. Beide Forscher warnen: „Die Rechtsentwicklung, die unsere Gesellschaft gerade durchmacht, können wir in der Polizei wie unter einem Brennglas sehen. Das liegt nicht vorrangig daran, dass nun ganz viele rassistisch oder rechtsextrem eingestellte Personen zur Polizei gehen. Sondern dass es schon immer einen Anteil an Personen in der Polizei gab, die solche Einstellungen haben. Inzwischen äußern sie sich aber offener.“ Das sollte nicht nur diejenigen beunruhigen, die aufgrund von Hautfarbe und (vermeintlicher) Herkunft häufiger als andere mit anlasslosen Polizeikontrollen konfrontiert sind – so wie etwa ein türkeistämmiger Dozent einer Polizeifachhochschule in Nordrhein-Westfalen beim Kirchentag im Juni 2019 in Dortmund. Sondern uns alle. Denn nicht erst, aber spätestens mit dem Mord eines Neonazis an Walter Lübcke, dem langjährigen Regierungspräsidenten von Kassel, im Juni 2019 sollten wir alle uns sicher sein können, dass keine Polizisten, keine Bundeswehrsoldaten, keine Staatsanwälte und keine Verfassungsschutzmitarbeiter unter denjenigen sind, die die kaltblütige Hinrichtung des christdemokratischen Politikers in sozialen Netzwerken als „mutiges Fanal“ verherrlichen und nicht den Mörder, sondern die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung für das Attentat verantwortlich machen und Listen weiterer potenzieller Opfer anlegen. Diese Sicherheit jedoch gibt es nicht. Das ist seit den wiederholten Morddrohungen gegen die Frankfurter Rechtsanwältin und Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess („Nationalsozialistischer Untergrund“) Seda Basay-Yildiz durch eine Gruppe namens „NSU 2.0“ deutlich geworden. Denn die Spur zu den mutmaßlichen Tatbeteiligten führt zu einem Dienstcomputer des 1. Polizeireviers der Frankfurter Polizei. Pitt von Bebenburg und Hanning Voigts von der Frankfurter Rundschau beschreiben für uns den Fall. Seda Basay-Yildiz hat das Vorwort zu diesem Buch geschrieben. Rechtsextreme Netzwerke, die von SEK-Beamten und Bundeswehrsoldaten angeführt werden, haben Daten von mehr als 25 000 politischen Gegnern zusammengestellt. Die Frage, wer Zugriff auf sensibelste Informationen hat und in wessen Hände sie gelangen, ist damit eben nicht nur ein Thema für Datenschutzbeauftragte. Sondern auch zu einer Frage der Sicherheit für all jene geworden, deren politische Meinung sie zu potenziellen Feindbildern der extremen Rechten macht: So wurde etwa im Konflikt um das alternative Musikfestival „Fusion“ in Mecklenburg-Vorpommern bekannt, dass die persönlichen Telefonnummern und Wohnanschriften von Organisatoren und privaten Festival-Ordnern ausgerechnet an einen wegen Körperverletzung verurteilten und strafversetzten ehemaligen Polizisten und ehemaligen stellvertretenden AfD-Kreisverbandsvorsitzenden weitergegeben worden waren, der an der Polizeihochschule Neubrandenburg als Dozent für Einsatzlehre tätig ist. Erstmals in Buchform legen wir eine umfassende Analyse zu rechten Netzwerken im Staatsapparat in Deutschland vor. Wir haben für diese Spurensuche investigative Journalistinnen und Journalisten aus allen Teilen der Republik um ihre Einschätzung gebeten, dazu weitere Expertinnen und Experten: Hat der Staat alles im Griff? Sind Rechtsradikale unterwegs auf dem Marsch durch die Institutionen? Bereiten sich manche von ihnen...