Menke / Greving | Pferdgestützte Heilpädagogik | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Menke / Greving Pferdgestützte Heilpädagogik

Leitfaden für therapeutische, pädagogische und soziale Berufe
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-042820-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Leitfaden für therapeutische, pädagogische und soziale Berufe

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-17-042820-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Buch vermittelt Grundlagen der Pferdgestützten Heilpädagogik. Es orientiert sich am Aufbaubildungsgang, der vom Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten (DKTHR) entwickelt wurde und derzeit bundesweit der einzige mit staatlichem Abschluss ist. Die Ausbildung von Pferd und Fachkraft für den Einsatz, die Prozesse im Beziehungsdreieck KlientIn, Pferd und Fachkraft sowie die Planung, Durchführung, Dokumentation werden ausführlich dargelegt. Lehrbuchartig ist das entsprechende Wissen zur Qualifizierung von Fachkräften sozialer, (heil-)pädagogischer und therapeutischer Berufe aufbereitet, um einen Überblick über ein komplex entwickeltes Handlungsfeld zu erlangen.
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2 Vom Nutzen des Nutztiers Pferd als eigenständiges Wesen und
Teil des Teams in der heilpädagogischen Arbeit
Rechtlich betrachtet wird das Pferd heute als Nutztier oder als Luxustier beschrieben, je nach »Funktion«. So ist, vereinfacht gesagt, das private Reitpferd ein Luxustier, Pferde von Landwirten, Gestüten oder die für die pädagogische bzw. therapeutische Arbeit genutzten Pferde sind dagegen Nutztiere. Im Bürgerlichen Gesetzbuch finden sich in § 833 S. 1 BGB (Luxustiere) und in § 833 S. 2 BGB (Nutztiere) die entsprechenden Informationen dazu. Zur Liebhaberei gehaltene Rennpferde zählen z.?B. nicht zu den Nutztieren, weil sie nicht mit den beruflichen Tätigkeiten der Halter_innen zusammenhängen. In Bezug auf haftungsrechtliche Fragen und z.?B. Fragen zur Schuld bzw. Mitverschuldung ist es daher bedeutsam, sich genau über die rechtlichen Grundlagen zu informieren (Sonneborn (o.?J.) (? Kap. 7.2.3 und ? Kap. 7.4.4). Das »Nutztier Pferd« wird somit in der pädagogischen und therapeutischen Arbeit für einen wirtschaftlichen Zweck eingesetzt, wenn die Fachkraft damit ihr Einkommen oder einen Teil ihres Erwerbs sichert. »Unter tierschützerischen Gesichtspunkten kommt dem Umgang mit Nutztieren in verschiedener Hinsicht erhebliche Relevanz zu. Zahlreiche Konfliktbereiche zwischen Wirtschaftlichkeit und Tierschutz ergeben sich dabei durch die industrialisierte Intensivhaltung mit grossen Tierbeständen in räumlich stark begrenzten Haltungssystemen. Durch entsprechende Zucht, Haltungs- und Produktionsmethoden erreichte Leistungssteigerungen lassen das Einzeltier und seine Bedürfnisse in den Hintergrund treten. (Stiftung für das Tier im Recht (o.?J.)« Dies trifft nicht nur auf die Tierhaltung von Nutztieren für die Produktion von Gütern und Lebensmitteln (in der Schweiz) zu, sondern auch für die Haltung von Pferden, die dem Sport, der Freizeit, der Zucht oder eben der Pädagogik und Therapie in Deutschland »dienen« bzw. dafür einen »Nutzen« bringen. Somit besteht nicht nur ein soziales Spannungsfeld zwischen den Beteiligten der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd im Beziehungsgeflecht oder Beziehungsdreieck Fachkraft, Klient_innen und Pferd, sondern zahlreiche Spannungen und Konflikte ergeben sich bei der Nutzung und Haltung des Pferdes in diesem Kontext mit Blick auf das Tierwohl. Das Tierwohl ist durch körperliche, seelische und geistige Über- und Unterforderung immer auch gefährdet. Einseitige Belastungen, unsachgemäßer Umgang und problematische Haltungsbedingungen sind häufig dann vorprogrammiert, wenn es um den wirtschaftlichen Nutzen von Tieren geht. Der Umgang mit diesen Spannungsfeldern stellt für die meisten Fachkräfte eine Herausforderung im alltäglichen Arbeiten dar, die nicht immer zufriedenstellend bewältigt werden kann. Termine sollen eingehalten werden, aber das Pferd zeigt gesundheitliche Probleme, die erstmal nicht gravierend erscheinen. Schon entsteht ein Konflikt, denn ein Pferd, das nicht gesund ist, sollte nicht eingesetzt werden. Gleichwohl sollten die Termine nicht abgesagt werden. In derartigen Situationen können sich diejenigen glücklich schätzen, die andere Pferde einsetzen können oder kreative Lösungen als Ersatz für die ursprünglich geplante Einheit finden (? Kap. 7.4.1). Bedeutsam für das Tierwohl sind die Haltungsbedingungen. Nicht nur der Stall, sondern auch die Möglichkeiten zur freien Bewegung auf Paddocks und Weiden sind erforderlich: »Bei der Planung von Pferdeställen sollte immer auch geprüft werden, ob ausreichend groß bemessene Auslauf- und/oder Weideflächen verfügbar sind. Eine diesbezüglich ausreichend Flächenausstattung ist insbesondere für Neueinrichtungen unbedingt erforderlich« (BMELV 2009, S. 5). Die Haltungsbedingungen von Pferden haben sich in den letzten Jahrzehnten schon deutlich dahingehend verbessert, dass jenseits von Anbinde- und Boxenhaltung zunehmend häufiger auch Paddockboxen mit etwas mehr Bewegungsfreiheit und Offenstallhaltungen in Herden oder gar Aktivställe Verwendung finden. Eine »artgerechte« Haltung erfordert allerdings hohe finanzielle und räumliche Ressourcen (z.?B. Umbauten, Ausläufe, Weideland), und selbst dann ist nicht gesichert, dass den unterschiedlichen Bedürfnissen der einzelnen Pferde mit angepassten Haltungsformen begegnet werden kann. Für manche Pferde ist z.?B. die Herdenhaltung nicht unbedingt die optimale Lebensform. Sie fühlen sich ggf. in der Zweisamkeit wohler, weil die Zusammensetzung der Herde für sie nicht geeignet ist und das zu Stress führt. Andere kommen wiederum in genau dieser einen Herde nicht zurecht, die an einem Stall gehalten wird, weil die Hierarchie ihnen große Schwierigkeiten bereitet. Pferdehalter_innen wissen aus Erfahrung, dass die unterschiedlichen Charaktere und körperlichen sowie gesundheitlichen Voraussetzungen der Pferde auch verschiedene Haltungsformen benötigen. Je nach Stellung in der Herde, Futterbedarf, Grunderkrankungen etc. sollten die Haltungsformen entsprechend angepasst werden können. »Sowohl bei Einzelhaltung als auch bei Gruppenhaltung ist auf das soziale Gefüge und die Verträglichkeit der Pferde untereinander Rücksicht zu nehmen. Dies gilt auch für rasse-?, alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede« (BMELV 2009, S. 4). So müssen oftmals Kompromisse gefunden werden, die aber jene o. g. Spannungsfelder erzeugen und die Fachkräfte regelmäßig vor ethische und moralische Fragen stellen. Dies geschieht spätestens dann, wenn die Pferde sich offensichtlich nicht wohl fühlen. Im wissenschaftlichen Kontext ist die Forschung zum Verhalten und den Bedürfnissen der Pferde in unterschiedlichen Haltungsformen noch nicht sehr weit gediehen. »Objektive wissenschaftliche Untersuchungen zu den Auswirkungen verschiedener Haltungssysteme auf das Verhalten, speziell auf das Raum-Zeit-Budget und die soziale Organisation von Pferden sind jedoch noch rar« (Burger, Bachmann & Poncet 2008, S. 176). Umso erfreulicher ist es, wenn die Haltungsformen und Einsatzbedingungen für die Pferde dem Tierwohl gerecht werden können, Fachkräfte und Klient_innen sich ebenfalls wohl fühlen und eine gelingende Zusammenarbeit im Team von Menschen und Pferden aufgebaut werden kann. Wie das Pferd für den Einsatz in der heilpädagogischen Förderung ausgebildet und trainiert bzw. gehalten werden sollte, wird in den Kapiteln 7.2.1 (? Kap. 7.2.1), 7.3.2 (? Kap. 7.3.2) und 7.4.2 (? Kap. 7.4.2) dargelegt. Wie dann weiterhin die Prozesse im Beziehungsgeflecht von Fachkraft, Pferd und Klient_innen gestaltet werden sollten, wird in Kap. 7.3 (? Kap. 7.3) gezeigt. Dabei steht das Pferd als ein Teil des Teams in der heilpädagogischen Förderung ebenso im Fokus wie die beteiligten Menschen. Die Nutzung von Wirkmechanismen in der Beziehung zwischen Menschen und Tieren ist für die tiergestützte Arbeit eine wesentliche Grundlage. Dabei gelten diese Wirkungen nicht nur für Pferde, sondern auch für andere Tierarten, die in sozialen Verbindungen wie Herden oder Rudeln leben. Wohlfahrt, Mutschler und Bitzer (2013) fassen in ihrem Forschungsbericht die zentralen Wirkmechanismen in Bezug zu unterschiedlichen Modellen zusammen. Dabei sind die Wirkmechanismen eher als Erklärungsmodelle zu verstehen, da die empirische Forschung diese theoretischen Bezüge noch nicht oder kaum ausreichend belegen konnte. Die Erklärungen basieren somit vorwiegend auf praktischen Erfahrungen oder kleinen Forschungsprojekten, die sich gezielt mit einem Ausschnitt der vielfältigen Wirkmöglichkeiten bei einer bestimmten Tierart und/oder Klientel auseinandergesetzt haben. Demnach können u.?a. Tiere in der Zusammenarbeit Angst- und Spannungsgefühle verringern und sie erzeugen oftmals eine positive Stimmung, die sich auch in neurobiologischen Messwerten zeigen (Wohlfahrt, Mutschler & Bitzer 2013; Beetz, o.?J.). Darüber hinaus gehen Menschen auch Bindungen zu Tieren ein, dabei können in menschlichen Beziehungen verinnerlichte (internalisierte) Bindungsmuster im Umgang mit Tieren außer Kraft gesetzt werden und neue, positive Beziehungs- und Bindungserfahrungen erlebt werden (Julius et al. 2014). Tiere können außerdem die Motivation steigern und haben eine Funktion als Türöffner, so dass Menschen sich emotional leichter öffnen können und motivierter in der Zusammenarbeit sind (Wohlfahrt, Mutschler & Bitzer 2013, S. 13). Tiere sind im »Hier und Jetzt« und ohne Vorurteile authentisch, so dass sie quasi im Sinne von Carl Rogers' klientenzentrierter Therapie auch einen empathischen und vorurteilsfreien Umgang herausfordern können (Rogers, 2012; Weinberger, 2011). Außerdem kann es Menschen in der Kommunikation mit Tieren leichter fallen, Dinge anzusprechen bzw. auszusprechen. Weiterhin können Tiere dabei helfen, das Selbst zu spiegeln und den Fachkräften so ermöglichen, über das »Lesen« des Tieres wiederum etwas über den Zustand der Klient_innen zu erfahren. Auch setzt der Mensch ein Tier ggf. in Bezug zu sich selbst und nutzt...


Dr. Marion Menke ist Professorin für Gesundheitswissenschaften für soziale und pflegerische Berufe an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Münster.



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